35 - Clara de Flocon

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Matt sucht sich immer zielstrebig die schlechtesten Momente aus, um tiefgehende Gespräche zu führen. Während wir in der Mensaschlange stehen und galaktischen Spargel erschlagen, oder in einem Sessellift auf dem Weg zu meiner Oma zum Beispiel. Er hat viel in meinem Leben durcheinander gebracht, darüber müssen wir nicht reden. Dass er auch noch in meiner Uni Karriere die Finger im Spiel hat, sollte mich wohl kaum überraschen, aber es flasht mich trotzdem. Es erklärt, wieso Ava im Büro meines Profs aufgetaucht ist und mir mit einem Schnippen ihrer langen Finger das Stipendium streichen könnte. Es erklärt auch, wieso das Department überhaupt weiß, dass ich existiere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Stipendiaten der Core Geheimdienste gibt. Geschweige denn dieses spezifischen Geheimdiensts, der ausschließlich chaotische Blondinen in ausgewaschenen T-shirts, diabolische Frauen in Anzügen, quergestreifte Psychologen und Butler mit Bonsaischeren einzustellen scheint. Und regiert wird von einem Mann im Hawaiihemd, wie ich durch das ein oder andere Gespräch mitbekommen habe. Es ist schon ironisch, dass ich die unterqualifizierteste Person in dieser Runde bin und dabei offensichtlich die Einzige, die noch alle Latten am Zaun hat.

„Bist du sauer?", fragt Matt, während wir unter dem strahlend blauen Himmel des galaktischen Naturschutzgebiets in einen Glider Bus der Ringlinie steigen. Ich drehe mich zu ihm um. Der Oktopus klebt zentral auf seiner Brust. Er ist sehr konfliktscheu und hat wohl gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Aber was soll ich machen, wenn sein Sunhunter so unfassbar dämliche Fragen stellt?

„Du bist schuld an allem", sage ich. „Und du hast mir bis eben nichts gesagt. Das ist ultra dreist."

Matt steckt die Hände in die Hosentaschen, während der Oktopus den Kopf nach unten hängt, um mich beobachten zu können. Wahrscheinlich ist Grabsy bereit, meinen nächsten Mordanschlag auf den Sunhunter zu vereiteln, nachdem ich daran gescheitert bin, ihn aus dem Sessellift zu werfen. Dann gäbe es zwei tote Sunhunter im Core und alle würden noch mehr durchdrehen.

„Zu meiner Verteidigung", sagt er. „Ich hatte nicht viel Zeit, um mir eine bessere Lösung auszudenken. Ava hat mich sofort wieder ins All geschossen. Ich war glaube ich seit zehn Jahren nicht mehr so lange am Stück irgendwo, wo es konstante Schwerkraft gibt. Außer auf dem Kreuzer natürlich und da wollte ich nicht sein."

„Du redest zu viel", murmle ich.

„Bitte?", macht er.

„Wenn wir gleich bei meiner Oma sind, musst du die Klappe halten. Das ist kein Witz. Sie hat nicht viel Geduld für Fremde und für Männer gleich gar nicht. Fremde Männer... du verstehst."

Matt sieht mich stirnrunzelnd an.

„Ich kann nichts dagegen tun, dass du ein Arschloch bist, das die Kontrolle über mein Leben übernommen hat", sage ich. „Aber wenn du meine Oma provozierst, dann ist deine manipulative Existenz sowieso in absehbarer Zeit vorbei. Dann landest du nämlich in ihrem Keller."

Matt sieht mich so verstört an, dass ich zu grinsen beginne.

„Okay", sagt er. „Ich sehe jetzt, wie taktisch unklug es war, dich genau in dem Moment wütend zu machen, in dem wir deine Verwandtschaft beehren."

„Musstest du nicht irgendwelche Intelligenztests machen, bevor Ava dich versklavt hat?"

„Ja, aber geriatrische Verbrecherfürstinnen in Naturschutzgebieten standen nicht im Lehrplan."

Ich spitze nur die Lippen und nicke nachsichtig, während ich aus dem Fenster sehe. Im Moment hätte ich nichts dagegen, wenn meine Nona Matt ein paar Manieren beibringt.

„Es tut mir echt leid. Also fast alles. Ich will nicht im Keller deiner Gangsteroma landen, bitte", sagt Matt nach einer Weile.

Es gibt niemanden, der da gerne landen möchte, denke ich und werfe Matt einen prüfenden Blick zu. Er grinst mich freundlich an, aber man sieht die Verunsicherung.

„Wenn sie dir essen anbietet, sagst du ja", gebe ich ihm weitere Survival Tipps. „Zieh deine Schuhe aus, sag nichts zu den Hühnern und fass in der Küche nichts an. Sprich weder über Religion, noch über Politik und auf gar keinen Fall über ihr Outfit."

Matts Watch piept einmal kurz. Ich werfe dem kleinen Gerät einen überraschten Blick zu. Das passiert normalerweise nie.

„Ui", der Sunhunter dreht mir den winzigen Bildschirm zu. Dass er nicht die Projektion aktivieren will hier im Bus zeigt schon, dass es um irgendetwas Wildes geht.

Auf dem Display wird ein Paket angezeigt, auf dem Koordinaten stehen und eine Uhrzeit.

„Wir dürfen uns bei deiner Oma nicht zu lange mit den Hühnern unterhalten", sagt er. „Da wartet etwas im Shallow Space auf uns und wir müssen noch ein Raumschiff klauen, um es abzuholen."

Was auf den ersten Blick aussieht, wie eine Essensbestellung oder etwas ähnliches, kann nur eines bedeuten. Ich blinzle das Paket mehrmals an.

„Wie haben sie denn das so schnell geschafft?"

„Sunhunter Delivery ist sehr effektiv in Core Umgebung, weil sie da die Leute auf Heimaturlaub abkühlen lassen. Aufgekratzte Sunhunter sind nicht gut im Headquarter, die machen nur Unsinn", sagt Matt und sperrt seine Watch.

„Also die sollen erst ein paar Piraten vermöbeln, bevor sie einen Fuß in die Bubbles setzen?"

„Das ist die Grundidee. Und da ist wohl irgendjemand neu angekommen und hat sehr viel Energie übrig."

Er wirkt jetzt angespannter als zuvor.

„Wir essen mit deiner Oma Mittag, streicheln die Hühner, knacken den Code und dann gehen wir ihn einsammeln."

„Das ist schon dein ernst, oder?"

„Hey, freu dich doch. Mit ein bisschen Glück bekommen wir heute endlich Antworten. Dann spießt niemand unsere Köpfe vor dem Parlament auf."

„Und das Kopfgeld wird zurückgezogen?"

Matt grinst etwas zu breit.

„Das ist ein anderes Thema und ein Problem für unser Zukunftsich. Erst soll mal die Regierung aufhören damit, uns einsperren zu wollen, falls sie rausfinden, was wir hier treiben, dann beschützen die uns nämlich vor den Gangstern. Andersrum ist das bisschen schwierig. Und so ein Zeugenschutzprogramm käme mir gerade Recht im Moment, dann kann ich auch Hühner züchten."

Ich lehne meinen Kopf gegen die Glasscheibe des fliegenden Busses und schließe die Augen.

„Punkt eins: du redest immer noch du viel."

„Ich muss es noch kurz aus meinem System kriegen."

„Punkt zwei: ich hab gesagt, du sollst die Hühner unter keinen Umständen erwähnen und anfassen schon gleich gar nicht. Es werden keine Hühner gestreichelt heute. Sonst Keller", ich deute in Richtung Boden, was genauso gut symbolisch für ‚Hölle' stehen könnte.

Matt folgt mit dem Blick der Richtung, in die ich zeige.

„Punkt drei: wenn das Programm offen ist, lässt du mich in Ruhe. Ich rette dir jetzt ein letztes Mal den Arsch, aber ich bleibe bei meiner Oma. Ava kann versuchen, mich da an den Haaren rauszuziehen, ich riskiere nicht nochmal meinen Kragen für deinen Verein. Und ein Raumschiff klauen, um mit dir ins All zu brettern und deinen Piraten Ex abzuholen, der uns das letzte Mal fast umgelegt hat, als wir ihn getroffen haben... auf gar keinen Fall."

Matt sieht mich gerade an und sagt nur: „Darüber reden wir dann nochmal. Nach dem Essen."

„Nein", widerspreche ich. „Darüber reden wir nicht nochmal nach dem Essen."

Beim Wort ‚Essen' leuchtet der Oktopus auf, was uns beide für eine Sekunde ablenkt.

„Du willst also dein Studium schmeißen und dich bei den Hühnern verstecken vor der Regierung", sagt Matt ironisch. „Das klingt mal nach nem richtig guten Plan. Wieso bin ich da nicht draufgekommen?"

„Zum letzten Mal, Matt: niemand nähert sich den Hühnern."

Der Bus bremst ab, schon bevor ich auf den Stopp Knopf drücke. Außer uns steigt niemand aus an der Haltestelle. Ein glitzernder Bach windet sich die Hügel hinunter und Wildblumen schwanken am Wegesrand. Über der Landschaft liegt das immer goldene Licht der Bubble und die Äste der alten Bäume in den Wäldern, die sich bis zum Horizont erstrecken, schwanken sacht im Wind. Wir steigen eine Treppe aus Natursteinen durch eine Wiese voller Bienen und Schmetterlinge hinauf und diskutieren dabei meine Zukunftsperspektiven.

„Du hast eine zu hohe Clearance, um dich einfach abzusetzen", sagt der Sunhunter. „Das lassen sie dir nicht durchgehen. Und glaub mir, ich habe viel Erfahrung damit, diese Grenzen auszutesten."

Ich kicke einen Ast vom Weg und er fliegt mehrere Meter weit. Oben auf dem Hügel sieht man inzwischen ein großes mediterranes Landhaus. Ein Wetterhahn dreht sich auf dem rot geschindelten Dach.

„Ich möchte aber nicht mehr."

„Das sage ich Ava auch schon seit Jahren", unkt der Sunhunter. Wir gehen an einem Briefkasten vorbei und ich klemme mir die Zeitung und die Briefe unter den Arm, die daraus hervorlugen. Wie die Zeitung hierher kommt, ist mir ein Rätsel. Weit und breit gibt es keine Stadt und soweit ich weiß nicht einmal Nachbarn. Da schuldet meiner Oma vermutlich noch irgendjemand einen Gefallen.

„Ich mein's ernst", hängt Matt an. „Wir müssen erst das Programm entschlüsseln und mit Garcia reden, bevor du mich hängen lässt. Und wir sollten einen Schritt schneller gehen, die Sache ist zeitsensitiv."

„Ich lasse dich hängen? Du bist schuld, dass ich erst beinahe in die Luft geflogen bin. Zusammen mit einer halben Bubble. Ich sag's ja nur."

„Du bist so nachtragend."

„Halt einfach die Klappe."

„Schau mal, ein Veilchen!"

Als Matt vom Weg abweichen will, packe ich ihn am T-shirt und ziehe ihn zurück.

„Das wollen wir nicht machen", rüge ich. „Bleib auf dem Weg."

„Warum das denn?", fragt er. „Sind da Tretminen drin, oder was?"

Ich gehe rückwärts, um ihn ansehen zu können und mache mit beiden Händen Fingerpistolen.

„Du hast's erfasst."

Matt wirft der Blumenwiese einen Blick zu, als hätte diese ihn soeben schwer beleidigt.

„Das ist doch illegal", murmelt der Sunhunter.

„Nur, wenn du die Flora und Faune kaputt machst beim Landminen eingraben", sage ich. „Meine Oma hat da ein gewaltiges Fingerspitzengefühl."

„Du verarscht mich doch."

Wir haben den Garten erreicht, ich klingle eine kleine Glocke und wir treten durch das hölzerne Gartentor. Man kann von hier aus den roten Hühnerstall mit den weißen Fensterläden sehen und auch die Hühner, die sich darum her im Staub wälzen. Außerdem den Gemüsegarten, die auffallend geraden Obstbäume ...

„Ich wünschte", sage ich, während ich darauf warte, dass die Ganzkörperscanner, die in dem Rosenbogen über unseren Köpfen verborgen sind, erkennen, wer ich bin. 

„Ich hab ne Waffe dabei", sagt der Sunhunter. „Ist das ein Problem?"

„Nicht so lange du sie da parkst."

Ich deute auf einen Gartentisch, auf dem ein kariertes Tischtuch liegt.

„Im Brottopf, der ist immer leer."

Matt setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

„Keine Landminen hier", sage ich und lege die Zeitung neben dem Brottopf aus Ton, in dem Matt nun seine Waffe parkt. Ich lege meine ebenfalls darin ab. Das leise Glucksen der Hühner, das Summen der Bienen und die selbstgemachte Limonade, die schon auf dem Tisch wartet, täuschen den Sunhunter nicht. Matt ist aufmerksam und hat alles um sich her im Blick, wie damals in der Mafia Villa oder auf dem Kreuzer während des Piratenangriffs. Er nimmt meine Oma ernst. Besser so.

„Setz dich", sage ich und klopfe neben mir auf die Bank.

„Gibt es noch irgendwas, was ich wissen sollte?"

„Einiges. Aber das siehst du schon."

Ich schenke ihm Limo ein.

„Jetzt genieß erstmal die Sonne, so lange du noch kannst."

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