29 - Matthias Green
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Ich will ja nicht sagen, dass wir ohne meine Keksdose festgenommen worden wären, aber ohne meine Keksdose wären wir festgenommen worden. Zugegeben, davor waren noch ein paar andere Hilfsmittel nötig.
Auf dem Weg ins Erdgeschoss der Villa greift Clara beispielsweise nach meiner Schulter, zieht mich zurück und pfeffert eine Blendegranate direkt in die Mitte unserer Verfolger. Sie bringt mich fast zu Fall, weil sie mich nutzt, um Schwung zu holen, aber ich fange mich wieder, denke mir ‚holy shit' und sprinte dann wieder neben ihr den Gang hinunter, während hinter uns ein Knall ertönt und ein greller Lichtblitz über Wände und Decken zuckt.
„Du hast mir eine Granate geklaut", stelle ich fest und weiche einem in blanker Panik vorbeirennenden Trader aus, der der Polizisten Meute direkt in die Arme laufen wird, die uns verfolgt. Sie haben eine Einheit im Erdgeschoss positioniert, die uns ohne weiteres überwältigt hätte, wenn nicht ein Kronleuchter, ein fliegender Fisch und mein Scharfschützentraining aus dem Boot Camp gewesen wären.
„Ich lerne aus meinen Fehlern", sagt Clara und springt über einen am Boden liegenden Mann, „Wenn ich mit dir unterwegs bin, nehme ich immer irgendwas mit, was mir deine Freunde vom Leib hält."
„Das sind nicht meine Freunde."
Ich ducke mich hinter eine Rezeption aus edlem Holz. Es splittert unter der Wucht eines Schallschusses. Clara sieht mich an.
„Das macht es nicht besser."
Gabe ist etwas zurückgefallen, doch die Dealerin holt mit schnellen Schritten auf. Sie blutet aus mehreren Kratzern im Gesicht, aber ansonsten ist sie unverletzt. Auch Clara geht es den Umständen entsprechend gut, nur ihr Blutdruck scheint situationsbedingt ein bisschen hoch. Wir brechen zusammen durch die Eingangstür.
„Craft klauen?", fragt Clara und ist dabei schon halb auf dem Weg. Diese kriminelle Energie steht ihr gut.
„Bessere Idee."
Ich ziehe mit gebührend triumphierendem Gesichtsausdruck die Keksdose aus der Tasche. Gabe muss nicht aussprechen, dass sie mich jetzt entweder gerne in eine Klinik einweisen lassen oder in den Schwitzkasten nehmen würde, ihr Blick sagt alles. Ich lasse sie in dem Glauben, dass ich Kekse über das Creha Anwesen schleppe, springe platschend ins Wasser, wate durch den riesigen Halbkreis des Beckens und platziere die Dose behutsam neben der griechischen Statue im Springbrunnnen, der den Vorplatz dominiert. Dabei stoße ich fast mit der Nase an die des marmornen David Doubles im Zetrum des Brunnens. Romantischer wird's heute nicht mehr.
„Matt", brüllt jemand. „Sie kommen!"
Wir sehen Helmvisiere und Sturmschilde auf uns zu kommen. Ich ducke mich hinter Davids Sixpack und jemand schießt ihm die Steinschleuder von der Schulter. Und die hübsche Nase weg.
„Zu mir!", rufe ich und feuere hinter meiner Statue hervor, die mir inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren fliegt. Hinter mir hat sich um die Keksdose das Wasser verdunkelt. Es braucht noch zwei Aufforderungen, bis Gabe im Feuerschutz ihrer Gangster auf mich zugerannt kommt. Clara nutzt die Gelegenheit ebenfalls. Hinter mir brodelt die Keksdose. Reyes hat mir einen Vortrag über die Entwicklungskosten gehalten, so weit kann man sein Privatkonto gar nicht überziehen. Galant reiche ich Gabe die Hand, um ihr über den Brunnenrand zu helfen, doch die Dealerin ignoriert mich und springt begleitet von ihren Schergen, ohne noch einmal mit der Wimper zu zucken. Wasser spritzt und ich rümpfe die Nase. Clara nimmt meine Hand, aber nur um mich als Ersten durch die reaktivierte Schleuse zu schubsen, die die Creha als Fluchtweg in den Brunnen eingebaut haben.
„Fies", japse ich, als ich auf der anderen Seite auftauche. Dieses Mal habe ich wirklich Wasser geschluckt. Es war ein längerer Übergang als vorhin, mehrere Minuten taumelt man durch die Schleuse, weg aus dem Bereich der Creha und wieder zurück in öffentlich zugängliche Stockwerke der Labrinths. Ich schüttle mir Wasser aus dem linken Ohr, während Clara neben mir auf dem nassen Stein ankommt.
„Du hast mich als menschliches Schild benutzt!", beschwert sie sich. „Hör auf zu heulen."
„Ja, aber nur zwei Sekunden", argumentiere ich, während ich mir Wasser aus dem anderen Ohr schüttle. „So ist das mit Partnern. Du hast meine Granate geklaut."
„Avas Granate. Staatsgranaten."
„Ich hab deinen Kaffee gezahlt. Aus eigener Tasche."
„Ich hab dir nicht die Nase gebrochen, als ich dich heute früh gesehen habe."
„Ava hätte mir einen Chirurgen gezahlt. Macht sie regelmäßig."
„Haben wir's dann?", fragt Gabe. Sie ist hinter uns aufgetaucht und erschreckt sowohl mich als auch Clara zu Tode. Ich falle beinahe zurück auf die andere Seite der Spiegelachse.
„Ich dachte, du hast hier irgendwo dein Taxi geparkt", sage ich und reiche dem Oktopus die Keksdose, bevor die Core Polizei uns noch folgen kann. Gabe macht einen Schritt auf mich zu und ich mache einen zurück. Eine Villa voller Mafiosis während einer groß angelegten Razzia scheint mir plötzlich wie ein Haufen Hundewelpen im Gegensatz zur Datenbaronin meines Vertrauens.
„Bring mich aus den Labrinths, Matthias", verlangt sie mit der Autorität einer Göttin der Unterwelt. Was sie ja gewissermaßen auch ist. Ich sollte mir wirklich mal überlegen mit Frauen zu arbeiten, vor denen ich keine Angst habe. Joey McZebra könnte mir da vielleicht den ein oder anderen Tipp geben oder gleich mit seiner Streitschlichterausbildung einschreiten.
„Ist ja gut", mache ich beschwichtigend. „Chill deine Basis", füge ich leiser an, als sie sich wegdreht. Clara starrt mich an, als würde ich gerade mithilfe von staatsentwickelten Erfindungen einer gesuchten kriminellen Mastermind zur Flucht vor der Polizei verhelfen. Sie kann nicht einmal Gabes Akte sichten zwischen Flucht und Funkloch, aber sie kennt mich und hat eine hervorragende Menschenkenntnis. Beides spielt mir an der Stelle nicht in die Karten.
„Du auch", sage ich in ihre Richtung. „Wir chillen jetzt erstmal alle und dann ..."
Der Boden unter unseren Füßen erbebt. So stark, dass wir alle einen Schritt zur Seite stolpern.
„... und dann sterben wir", vervollständigt Clara trocken meinen Satz. „Super."
„Was war das?", bellt Gabe, während wir eine schmale Treppe zu einer der Markthallen hinaufrennen.
„Das", keucht meine Lieblingsstudentin, „War wahrscheinlich eine Sicherung des Interferenzrings der verdammten Stadt."
Meine Watch fängt an wild zu blinken, als sie sich wieder mit dem Netz verbindet. Nachträglich werde ich auf diverse Gefahren hingewiesen, was natürlich wahnsinnig hilfreich ist. Clara hat den Lageplan der Hallen über ihrer Watch in die Luft projeziert und führt uns auf den Westausgang zu.
„Wie wär's mal mit nem Notruf?"
„Haben die sicher schon abgesetzt."
„Matt", sagt sie sehr ruhig und dreht sich zu mir um. „Wenn das eine Sicherung war, ist das ganze System instabil. Willst du einfach beten, dass nicht Millionen Menschen der Boden unter den Füßen weggesprengt wird oder eine fucking E-Mail schreiben? Sonst mach ich das und dann landet es sicher nicht bei den Leuten, wo es landen soll sondern im News Feed des Präsidenten."
„Das geht nicht so schnell. Mit dem Interferenzring", sage ich beschwichtigend, aber selbst Gabe wirft mir einen beunruhigten Blick zu. Ihr geht es natürlich nicht um die Menschen, sondern primär um sich selbst und ihr Netzwerk in der Stadt. Wir laufen auf einem schmalen Metallsteg entlang, der westlich in ungefähr drei Meter Höhe um die Markthalle zieht. Sie ist jetzt Menschenleer und abgesperrt.
„Wofür sind die Kameras im Überwachungsraum, wenn nicht gerade eine so große Versteigerung stattfindet?", fragt Clara. „Die Creha wissen genau auf was für einem Pulverfass sie sitzen. Sich bei sowas auf sein Bauchgefühl zu verlassen – klasse Idee."
Wir springen auf eine der Gondeln, die auf dem Fluss herumschippern. Einer von Gabes Freunden wirft den schreienden Gondoliere mit einer Hand über Bord.
„Distress Call", spreche ich in meine Watch, als wir letztendlich die Straßen der Stadt erreichen. Menschen, die gerade über ihre eigenen Füße gefallen sind auf dem Weg von der Arbeit nachhause werfen unserer lädierten und gepanzerten Gruppe bange Blicke zu. Gabes Mantel droht immer wieder, sich um meine Beine zu wickeln und mich zu Fall zu bringen. „Distress Call. Hunter in Sektor fünf drei. Wiederhole, Hunter in Sektor fünf drei."
„Hunter in Sector fünf drei", wiederholt eine monotone Computerstimme. „Bitte warten."
Seichte Warteschlangenmusik düdelt aus meiner Watch, während erneut der Boden unter unseren Füßen erbebt. Diesmal länger.
„Fuck it."
Ich legte auf und drücke eine andere Taste an meiner Watch.
„Was?", fragt eine genervte Frauenstimme.
„Code 54. New Singapoure, die gesamten Submarket Quarters, alles über dem Interferenzring."
Stille.
„Manchmal denke ich, ihr macht das nur, um mich aufzuregen", sagt Ava und legt auf.
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