25 - Clara de Flocon
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Die Sub Market Quarters sind das pure Chaos und der Teil davon, der sich ‚Labrinths' nennt, ist noch schlimmer. Matt und ich laufen durch den zum Schneiden dicken Nebel einer riesigen unterirdischen Markthalle, in der sich alles an Menschen herumtreibt, was eine Metropole wie New Singapoure aufzubieten hat. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam. Die Gesichter der Menschen in der Menge sind unter Bahnen aus flatterndem Stoff verborgen, sodass nur die Augen zu sehen sind und nicht einmal die so richtig. Zum Glück haben unsere Kaffeebecher Strohhalme, sonst würde das Trinken schwierig werden. Manche der Besucher tragen außerdem Sonnenbrillen, oder etwas, das danach aussieht und es ist mir absolut schleierhaft, wie sie nicht gegen die bunten Stände rennen und zum Beispiel in dem feinsäuberlich aufgereihten Sortiment an Schwertern landen, die der Händler links von uns präsentiert.
Von oben strahlen uns verschiedenste Lampen an, sodass sich die Gasse zwischen den heller erleuchteten Ständen in ein Meer aus bedrucktem Soff und tanzenden Lichtpunkten verwandelt. Es fällt nicht schwer zu glauben, dass es sich um rauchendes Pflaster handelt, denn von einigen Ständen steigen zusätzlich zum Nebel ominöse Wolken in verschiedenen Farben auf.
„Vorsicht", macht Matt und schiebt sich links an mir vorbei, um einen Mann zu blocken, der die Hand nach meiner Watch ausgestreckt hat. Der Dieb zieht sich blitzschnell hinter ein Regal voller Flaschen mit leuchtendem Inhalt zurück. Ein paar Stände weiter glotzen uns seltsame Krabben mit zwei Meter langen Fühlern an. Grabsy, der sich unter Matts Kopftuch verbirgt, streckt eine traurig lichtlose Tentakel in Richtung eines hinter Glas gefangenen Oktopus aus. Ich ziehe schnell den Stoff darüber, damit es niemand sieht und muss dann notgedrungen zur Beruhigung Händchen halten mit dem Babyalien. Matt dreht nur einmal kurz den Kopf, um abzuchecken, wieso ich eine Hand auf seiner Schulter habe.
„Das ist ja riesig hier", stelle ich fest, während wir in sicherem Abstand hinter Okrys her tigern und dabei weiter Taschendieben ausweichen. Einer ergreift die Flucht, als plötzlich Tentakeln unter Matts Tuch hervorwachsen. Wer kann es ihm verdenken.
„Das ist nur das erste Stockwerk", erklärt Matt. Das weiß ich bereits, ich habe vorhin während unseres halsbrecherischen Flugs den Grundriss dieser Hallen abgecheckt. Paranoid wie ich bin, habe ich versucht, mir so viel wie möglich einzuprägen. Auf die Watches ist in diesen seltsamen Breitengraden schließlich kein Verlass.
Aus dem nichts taucht vor mir eine zahnlose Frau mit zwei langen silbernen Hörnern auf dem Kopf auf, die mir eine Schale voller purpurner handtellergroßer Roboterkäfer anbietet. Ich mache einen Schritt zur Seite und das Mütterchen verschwindet in Richtung eines Stands, wo es hinter einem verhangenen Zelteingang ominös blitzt.
„Das ist abgefahren", murmle ich.
Die klaustrophobisch enge Halle wird von einem breiten, in einem Betonbett gelagerten Fluss durchschnitten. Links und rechts sind schwankende bunte Boote vertäut, teilweise mit singenden Hühnern und angeleinten fliegenden Fischen bestückt. Seletar River steht auf einem großen Messingschild, das in das Kopfsteinpflaster vor den Fluten eingelassen wurde. Als ich meinen Blick von dem Schild zu den Wassermassen schweifen lasse, stockt mir der Atem.
Matt zieht mich zur Seite.
„Ist nicht gut, hier im Weg zu stehen", sagt er, während links von uns ein Mann auf einem Fahrrad geradewegs in den Fluss hinein fährt und verschwindet. Eine Gruppe verschleierter stummer Besucher folgt ihm. Verschwindet ebenfalls.
„Schwerkraftumdrehung", stelle ich fest. Wir stehen vor einer der Spiegelachsen.
„Es gibt auch Gondeln, da wird man nicht nass, aber so viel Glück haben wir heute nicht."
Matts Augen blitzen aufmerksam aus dem dunkelblau gebatikten Stoff hervor, den er vorhin einem Färber abgeluchst hat. Ich bin kurz abgelenkt von zwei zerlumpten Männern, die aus dem Wasser steigen, wie Götter.
„Luft anhalten", empfiehlt der Sunhunter, greift komrpomisslos nach meinem Arm und wir laufen geradewegs in den Fluss hinein. Ein seltsamer Sog erfasst mich und mein Kopf wird unter Wasser gedrückt. Die Geschwindigkeit raubt mir den Atem.
Es fühlt sich an wie zu schnell mit dem Gesicht voran auftauchen und als mein Kopf wieder durch die Oberfläche bricht, huste ich. Wir stehen, jetzt nass überall, wo das Sunhunter Gear uns nicht bedeckt, in einer weiteren Markthalle, etwas weniger verraucht, an deren Decke sich Verwandte der Luftpflanzen ranken, durch die wir geflogen sind. Nur, dass diese Exemplare bläulich leuchten. Dass wir jetzt andersherum auf dem Boden stehen, bemerken wir nicht, da die entgegengesetzte Schwerkraft uns fest verankert.
„Holy shit", mache ich mit wackligen Knien, während wir an Land waten. Matt klopft mir nur auf die Schulter und nimmt die Verfolgung wieder auf, diesmal im Laufsschritt. Denn irgendetwas hat unseren Stalker aufgeschreckt.
Der drahtige Student wird schneller, sein entspanntes Schlendern wird zum Versteckspielen zwischen den Ständen. Allerdings versteckt er sich nicht vor uns, denn häufig kauert er genau in unserem Blickfeld.
„Da will er wohl irgendwen nicht treffen."
„Vielleicht ein paar alte Schulkameraden."
„Schwiegereltern."
„Du glaubst, der ist verheiratet?"
„Ich glaube, er hat Schulden bei seinem Dealer."
„Vielleicht ist seine Schwiegermutter sein Dealer."
„Konzentration."
Wir rennen also durch die Labrinths, rutschen einmal fast aus auf Fischabfällen und ein anderes Mal auf etwas, das nach flüssigem Gold aussieht. Sehr zu meinem Leidwesen, versucht Okrys seine Verfolger abzuschütteln, indem er kopfüber in möglichst viele Achsenflüsse springt. Ich versuche im Rennen, mir das Wasser aus den Ohren zu schütteln. Davon bin ich so abgelenkt, dass ich zu spät merke, dass Matt vor mir stehen geblieben ist und mit vollem Karacho in ihn hinein renne. Er und der Oktopus werfen einen Blick über seine Schulter.
„Ich würde ja wahnsinnig lachen."
„Aber?"
„Aber unser Freundchen macht dem Creha Clan seine Aufwartung."
Ich komme wieder auf die Beine, sortiere meinen Schal und linse an Matt vorbei. Okrys ist verschwunden. Geradewegs in einem kreisrunden, von bewaffneten Männern umstellten Wasserspiegel. Dieser ist etwas abgelegen vom Treiben der Halle. Während sich überall sonst Massen an Menschen durch die Gassen zwischen den Ständen zwängen, wagt sich niemand näher an die Maschinengewehre und Kirschblütenbäume heran.
„Die Bastarde haben meine Quelle tatsächlich angelogen", stellt Matt fest, „Tatsache."
Auf meiner Watch öffnet sich hell eine Datei, sodass ich den Blick darauf senke. Es ist ein Alert von einem Marker in der Nähe.
„Na da brat mir doch einer einen Storch", murmelt der Sunhunter in bester Großvatermanier. Der Alert flackert und erlischt wieder. Ich habe neben dem Namen ‚Io' nur etwas von Schmuggel und Menschenhandel gelesen. Das reicht mir eigentlich schon.
„Du hast gesagt, dass Gabe den Typ ausgeschlossen hat", bemerke ich.
„Interessant, oder?", fragt Matt, „Gehew und Creha zusammen. Dass ich das nochmal erlebe."
„Und ein Marker des Departments, der direkt hinein rennt."
„Dein Kommilitone", macht Matt und tätschelt beiläufig den Kopf eines an uns vorbeischwebenden riesigen Kois, um ihn von Grabsy fern zu halten, „ist da in Dinge verwickelt, von denen er die Finger lassen sollte. Weißt du noch, als ich vorhin gesagt habe, dass wir uns auf ‚rauchendem Pflaster' befinden?"
Ich nicke genervt von seinem Oberlehrerton. Ganz davon abgesehen, dass ich auch in Dinge verwickelt bin, von denen ich die Finger lassen sollte.
Matt nickt seinerseits in Richtung des bewachten Spiegelsees.
„Das, was da auf der anderen Seite ist, ist ‚brennendes Pflaster'."
„Lass mich raten", sage ich, „Und wir rennen da jetzt rein."
Matt sieht mich perplex an.
„Nein, natürlich nicht."
Ich signalisiere ihm wortlos ‚Oh, meine Schuld, total abwegig von mir, das zu denken' und fühle schon, wie die Erleichterung mich durchflutet.
„Erst verursachen wir Chaos", sagt Matt jedoch und hebt einen Finger in die Höhe, „Dann rennen wir da rein. Wir arbeiten schließlich undercover."
Zwei Tentakeln kommen unter seinem Tuch hervorgeschossen und formen ein Herz vor seiner Brust. Ich sehe von Grabsy zu Matt, immer noch Wasser im linken Ohr und überlege einen Moment, mich einfach tot zu stellen. Dann überlege ich es mir anders und werfe meinen Pappkaffeebecher in eine blau brennende Feuerschale.
„Gut, wo fangen wir an?"
Matts Augen blitzen schelmisch auf.
„Ich bin offen für Vorschläge."
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