15 - Matthias Green

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Hendrik macht auf meine Anregung vegane Sandwiches und Cous Cous Salat für Claras Prüfungspausen morgen, während ich auf einem der Barhocker an der verlängerten Küchenzeile sitze, Kaffee trinke und auf meinen Laptop einhacke. Es ist kurz nach ein Uhr morgens, aber der Butler schläft generell nicht und ich bin nach meinem ausgedehnten Nickerchen heute nachmittag sowie der Menge Koffein, die seit diesem Zeitpunkt geflossen ist, so weit entfernt vom Reich der Träume, wie die Erde von unserem momentanen Standpunkt.

„Du magst sie", kommentiere ich mit einem Blick in Richtung des Butlers, während dieser die Dunstabzugshaube einschaltet und beginnt, Falafeln zu braten. Das hat er für mich noch nie getan, obwohl er genau weiß, wie sehr ich Kichererbsen in jeder Form mag. Der Hummus aus der Kantine der Sunhunter beispielsweise, ist göttlich und handgemacht noch dazu.
Man kann im Core Essen oft einfach aus Automaten ziehen, synthetisches Fleisch in seinem eigenen Kühlschrank züchten, solche Dinge. Doch wenn van Haven Köche will, dann bekommt er Köche. Das Department gönnt sich ja sonst nichts.

Hendrik hat auch irgendwo in seinem Lebenslauf eine Kochausbildung stehen. Besagter Lebenslauf ist übrigens noch verwinkelter und länger als mein eigener. Ich erinnere mich nur grob an seine zwei Jahre in einer Herrenschneiderei und irgendwas mit einer Baumschule für genmanipulierte Superpflanzen. Natürlich erst nachdem er dreißig Jahre als Scharfschütze für die Hunter gearbeitet hat, aber das ist eine andere Geschichte.

„Miss de Flocon? Ganz eine Nette", sagt er großväterlich, „Sie hat sie sehr gut im Griff."

Ich klappe meinen Laptop zu und sperre ihn mit drei Fingerabdrücken.

„So offensichtlich?"

„Ein wenig. Falafel?"

Er hält mir den Pfannenheber hin, auf dem ein goldbraunes Kichererbsenbällchen vor sich hin dampft. Er hat Mitleid mit mir. Großer Gott, ich muss wirklich sehr pathetisch aussehen. Nichtsdestotrotz werfe ich die Falafel in die Luft und fange sie mit dem Mund auf, während ich mich von den Gedanken an meine frischgebackene Kollegin löse. Während sie den Schlaf schläft, den im Department wahrscheinlich nur die nicht vorhandenen studentischen IT-Hilfskräfte kennen, habe ich nämlich noch das ein oder andere vor.

„Falls MacSage auftaucht", sage ich noch, während ich ein schwarzes Sweatshirt überziehe und in meine neuen blutfreien Sportschuhe schlüpfe, die mir Hendrik voll Herzensgüte besorgt hat, „sag' ihr, dass ich ein bisschen bummeln gegangen bin. In New Tokyo."

Ich ziehe hintereinander drei Bücher aus dem Regal. Schönberger, Ukastecha, Novak. Die Bücher gleiten geschlossen und lautlos zur Seite und offenbaren ganz klischéehaft den zentralen Waffenschrank des Hauses. Normalerweise köpft Ava jeden, der auch nur zu lange in die Richtung des Vorrats schaut, weil es sehr viel Bürokratie für sie bedeutet, eine dieser scharfen und außerhalb des Departmenst gelagerten Waffen rauszugeben. Offiziell gibt es diese nur für Notfälle. Inoffiziell habe ich das avasche okay, ihn nach Lust und Laune zu nutzen, während ich Mordermittlungen hinter dem Rücken des Präsidenten führen soll. Dafür hat sie meine Watch Signatur freigeschalten. Ich habe mich selten so mächtig gefühlt.

„Mit Vergnügen", macht Hendrik langgezogen, während ich zwei Plasmapistolen an meinen Gürtel schnalle, hier und da andere kleine Überraschungen einstecke. Ich werfe probehalber eine DNA-gesicherte Blendegranate in die Luft, fange sie wieder auf, überlege kurz und lege sie zurück. Man muss ja nicht gleich übertreiben.

„Haben Sie ihr Tracking aktiviert?", fragt mein Gegenüber, während ich meinen noch schlafenden Oktopus von der Anrichte hebe und in meinen Rucksack stopfe. Er wacht nicht einmal auf dabei.

„Positiv."

„Erwarten wir Probleme?"

„Vielleicht", ich ziehe mir eine schwarze Mesiastec-Maske über Mund- und Nase, überlege es mir anders und nehme die Granate doch mit. Sie landet neben einem Müsliriegel im Vorderfach des Rucksacks.

„Ich will nur die Lage einschätzen, aber wer weiß, wer dabei in meine Faust rennt. Aktives Monitoring wäre schön, Lieblingshendrik."

Hendirk rümpft die Nase über die Anrede, nickt aber pflichtschuldig. Wir wissen beide, dass ich normalerweise der letzte bin, der bei einem kleinen Ausflug innerhalb des Cores gleich ein Bodenkommando braucht. Doch Misericordias Mord hat alles verändert. Wer auch immer sie auf dem Gewissen hat, ist dort draußen und auch für mich brandgefährlich. Vielleicht wird das ja doch nicht so langweilig, wie ich dachte. Ich nehme noch einen Apfel aus der Obstschale auf der Anrichte und winke zum Abschied damit. 

„Bis später. Und Skybike drei, bitte."

Ich rase also von einem der Nebengebäude aus hinaus in die Nacht New Helsinkis, in der hinter der Atmosphärenkuppel die Sterne funkeln. Die anderen Bubbles hängen passenderweise wie bunt leuchtende Seifenblasen am Firmament. Dazwischen die hellen kleinen Sauerstoffkugeln, in denen nur Bäume wachsen oder Algen gezüchtet werden. Die Züge, die 24/7 Menschen von einer Bubble in die andere transportieren, huschen wie Lichtschlangen durch das Nichts dazwischen, während der Nachtwind mir unter die Bomberjacke fährt.

Das Department hat eine eigene Schleuse für Aircraft, die ich schon das letzte Mal durchflogen habe, als ich auf dem Rückweg von der Venus direkt auf dem HQ gelandet bin. Heute will ich aber nicht in den leeren Raum zwischen die Blasen hinaus, sondern nehme den ‚normalen' Weg via Lufthighways, zusammen mit einem Haufen langsam vor sich hin fliegender Foodtrucks, Sechzehnjähriger mit ‚Fluganfänger'-Stickern auf ihren Babybikes und Feiervolk in geliehenen Limousinenintracrafts mit Poledance Stange, die Champagner aus der Minibar trinken und Pulver in allen Regenbogenfarben vom Bauch ihres Nebenmanns schnupfen.

„Komm' baby, entspann' dich mal", höre ich mit, „Hättest du was anderes anziehen müssen, wenn du wirklich nicht willst."
Nicht, dass ich sie unter normalen Umständen hören könnte. Mein Bike hat sich in die nächste Funkfrequenz eingeklinkt, während ich hier an der Ampel stehe. Sunhunter Sache.
Ich drehe den Kopf und sehe, wie eine blonde junge Frau, die augenscheinlich gerade in Panik versucht, einem ihrer Mitfeiernden zu entwischen, am Handgelenk gepackt wird. Er schiebt sie gegen die Wand und keiner rührt einen Finger. Nicht die Kerle, alle high auf irgendwas, und auch nicht die Frauen, die entweder tanzen oder mit ihren Flirts beschäftigt sind.

Hinter mir hupt jemand. Ich hebe die Faust und schlage zweimal gegen das Fenster, was die ganze Bagage vor Schreck durcheinanderpurzeln lässt. Ich signalisiere dem aufdringlichen Typ wortlos, dass ich ihn beobachte und ziehe die analoge Fake Dienstmarke, die mich als Core Polizisten ausweist. Sunhunter haben keine Dienstmarken - Massenpaniken auslösen ist schließlich selten hilfreich, wobei manchmal ganz befriedigend.
Der Typ hebt die Hände. Sie zieht sich in eine Ecke zurück. Das Intracraft zieht davon und ich lasse Hendrik die Signatur zukommen.
Weiter im Text.

Wieso denn der Highway, den die Plebs auch nimmt, fragt ihr euch an dieser Stelle vielleicht, das ist doch viel weniger cool als so ein bisschen Weltraumvakuum schnuppern. Ganz einfach, Kinder: ein Skybike zu tracken ist deutlich schwerer, als einen Jet. Vor allem, wenn dieser Jet aus einer Bubble ausfliegt und wieder in eine andere eintritt.

Blau schimmernd fliegen die Tunnelwände an mir vorbei. Falls ich geblitzt werde, wäre das ebenfalls kontraproduktiv in Sachen verdeckte Ermittlung, deswegen hänge ich mich an einen Mitdreißiger in einem Cabriointraglider, bis der Highway uns in die nächste Bubble spuckt.

New Seoul, die wichtigste Universitäts- und Forschungsstadt diesseits der D-Linie. Blau und silbern leuchtet die Bibliothek von Claras Universität. Sie ist ein riesiger Glasbau, gleich neben dem größten Park der Bubble. Die Stadt ist außerdem berühmt für ihre begrünten Himmelskuppeln, was heißt, dass aus luftiger Höhe tonnenweise Wasser in spiegelblaue Seen hinunterdonnert. Dazwischen fliegen die Intracrafts auf den kleineren Luftwegen hin und her, wie Glühwürmchen. Hier studieren – kann man schon machen.

New Tokyo ist da eine andere Geschichte. Etwas weiter außen im Cluster gelegen, ist die Bubble vor allem als Feiermeile bekannt. Passenderweise trifft sich zwischen den übergroßen Lichtpalmen vor dem größten Club des Cores die reiche Jugend, wenn sie ihre Eltern mal richtig auf die Palme bringen will. Guten Schnaps, der im Takt der Musik Farbe wechseln kann, haben sie da auch - aber ich schweife ab.

Die Bubble ist deutlich größer und unübersichtlicher als New Helsinki, was schon offensichtlich wird, wenn man auf sie zu fliegt. Überall blinkende Lichter, Menschen, Musik. Natürlich hat die Weltraumstadt weit mehr zu bieten, als kotzende Teenager. Beispielsweise drei Klöster, einen galaxieweit berühmten alljährlichen Kochwettbewerb und ein florierendes Drogengeschäft samt Clankriegen, das die Regierung engmaschig überwachen lässt. Doch das machen normalerweise echte Core Polizisten aka Loser und nicht der Militärgeheimdienst aka ich und mein falafelbratender Butler.

Ich muss kurz warten, bis ich einfliegen darf, zwischen zwei Frauen auf Skybikes, die anscheinend Mitbewohnerinnen sind, heute Spaghetti Carbonara gegessen und Kant gelesen haben und dieses schönen abends noch irgendjemanden namens Viktor flachlegen wollen. Zu zweit.
Viktor, du glücklicher, denke ich, als man uns endlich passieren lässt und die beiden Grazien mich verlassen. Statt einer Einladung zu einer Ménage a trois bekomme ich allerdings ein paar Momente später eine andere kleine Überraschung serviert.

Ich bemerke ihn erst, als ich schon in Richtung Treffpunkt abgebogen bin. Wahrscheinlich ein Mann, ebenso vermummt wie ich, ebenfalls auf einem Skybike. Noch keine zehn Sekunden in der Bubble und ich werde verfolgt. Das ist mir im Core noch nie passiert. Ich schließe die Hände fester um den Lenker und sehe noch einmal in den Rückspiegel.
Der Abend ist noch jung, n'est-pas? Lasst uns ein bisschen Spaß haben.

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