23. Schiessübungen mit Robin Hood

«Donuts!», kam es enthusiastisch von Clint, der durch die Tür trat und mit einer Tüte von Dunkin's wedelte. Ich nickte nur abwesend und wandte mich wieder dem Bildschirm zu. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Clint die Tüte langsam sinken liess. «Alles in Ordnung, Kayla?» Ich nickte rasch. «Ignorierst du mich?» Ich drehte mich zu ihm um. Ich hatte Kopfschmerzen und ich hatte eine Weile nicht mehr gut geschlafen. Seit Stark verschwunden war, um genau zu sein. Clint sah entsetzt aus.

«Oh Gott, Kayla. Du siehst müde aus.»

«Bin ich auch. Hi Clint, schön, dass du auch mal wieder vorbeischaust.» Er legte die Donuts auf einen der Tische und musterte mich, während er auf seiner Lippe herumkaute.

«Kopfschmerzen?», fragte er. Kurz überlegte ich, wie er das wohl herausgefunden hatte, dann fiel mir ein, dass ich mir den Kopf hielt. Ich nickte. «Bin gleich wieder da!» Er veschwand, nur um einige Augenblicke später mit einer Packung Antikopfschmerztabletten in der Hand wiederaufzutauchen. Ich schluckte sie ohne Wasser, dann drehte ich mich gleich wieder zum Computer. Clint stellte sich neben mich und musterte verwirrt den Bildschirm. Dann, wie aus dem nichts, klappte er den Laptop zu, an dem ich arbeitete. Entsetzt sah ich auf.

«Was soll das?»

«Ich weiss ja, dass du dir Sorgen um Stark machst. Vor allem, seit er sich mehrere Tage nicht mehr gemeldet hat. Coulson hat es mir erzählt. Er sagte, er hat dich um Hilfe gebeten. Das war ziemlich unverantwortlich von ihm. Aber du musst auch einmal eine Pause machen.»

«Die Medien halten ihn für tot! Vielleicht liegt er irgendwo, ohne Hilfe, und stirbt, weil ich ihn nicht finde!» Clint reichte mir vorsorglich einen Donut.

«Hör zu. Stark hat schon einiges überstanden. Er wurde entführt, hat die Welt gerettet und wäre dabei beinahe draufgegangen. Er wird auch das überleben.» Er biss in einen Donut mit pinker Glasur und dunklen Streuseln drauf. Ich hatte meinen Donut noch immer nicht angerührt.

«Und was ist, wenn er mich plötzlich kontaktiert und ich nicht da bin?»

«Wirst du dafür bezahlt, für ihn auf Abruf zu stehen, so wie sein Fahrer? Nein. Eben. Du hast auch dein eigenes Leben.» Ich schnaubte, bis schlussendlich doch noch in den Donut.

«Und woraus besteht das? Ich sitze in einem Zimmer in einem Gebäude in Washington DC, einer Stadt, in der ich noch nie wirklich war. Ich darf dieses Zimmer nicht verlassen, warte auf den Besuch von irgendjemandem und schaue mir alte Serien an, um nicht vor Langeweile umzukommen!» Clint nickte langsam.

«Komm mit. Ich weiss, was du jetzt brauchst.» Er stand auf und öffnete die Türe.

«Was...»

«Wir machen das, was ich immer mache, wenn ich überarbeitet bin.» Ich folgte ihm verwirrt.

«Und das ist?» Er drehte sich zu mir um.

«Ich schiesse.» Ich blinzelte überrascht, als er mich zu einem gläsernen Lift führte.

«Bitte vergiss nicht, dass ich kein nie-verfehlender Schütze, wie du, bin.»

«Glaub mir, das macht nichts...» Er wählte ein Stockwerk und der Lift setzte sich etwas ruckartig, aber sehr schnell in Bewegung. Ich steckte mir den letzten Rest meines Donuts in den Mund. Clint hatte seinen schon längst ganz verputzt. Ich hatte kaum Zeit, aus dem Glasfenster des Lifts zu schauen, so schnell waren wir an unserem Zielstockwerk angelangt. Clint führte mich zu einem riesigen Raum, dessen Boden mit weichen Matten ausgelegt worden war. Nur einige wenige Agenten trainierten. Sie schlugen gegen Sandsäcke, die am Boden festgemacht worden waren, oder legten sich gegenseitig auf die Matte. Kein einziger benutzte die Schiessanlage. Clint ging mit bestimmten Schritten genau darauf zu. Ich fühlte mich irgendwie fehl am Platz.

«Clint, ich bin mir nicht sicher, ob das das richtige für mich ist. Ich meine... Ich bin ein Kopfmensch. Ich hacke Netzwerke und das ist etwas vollkommen theoretisches.» Clint grinste.

«Hast du das Stark auch gesagt, als er angefangen hat, dir praktische Technik beizubringen?» Ich stutzte kurz, aber dann dachte ich an Maria Hill, die ich mir gut dabei vorstellen konnte, wie sie sich bei Clint über Stark beschwerte.

«Das ist etwas anderes. Damit könnte ich niemanden umbringen!» Clint sah nicht so ganz überzeugt aus.

«Bist du sicher? Wenn du einige Kabel falsch zusammensteckst...» Ich verdrehte die Augen.

«Darum geht es nicht! Das sind Waffen, Clint! Echte, gefährliche Waffen!» Clint seufzte.

«Das da draussen ist auch eine echte, gefährliche Welt!» Dann schmunzelte er. «Aber du schiesst mit Platzpatronen. Meine Güte, ich will gar nicht wissen, wo wir hier wären, wenn jeder Anfänger mit scharfer Munition schiessen würde.» Ich atmete tief durch.

«Danke. Das wollte ich hören.» Clint sah mich von der Seite an.

«Du willst also nicht Bogenschiessen?» Ich zuckte die Schultern.

«Sei mir nicht böse, aber das sieht ziemlich anstrengend aus. Auch wenn du es gewohnt bist, ich muss diese Sehne bis zur Wange ziehen. Und das ist nicht einfach.» Clint sah mich verwirrt an.

«Und woher weisst du jetzt so etwas wieder, wenn du es noch nie getan hast?» Ich zuckte die Achseln.

«Ich habe irgendwo eine Version der Odyssee gelesen. Und ich mag Robin Hood.» Clint lachte auf.

«Echt jetzt?» Ich nickte.

«Aber Katniss mag ich überhaupt nicht.» Er sah mich entsetzt an.

«Kayla! Die Tribute von Panem sind nichts für Kinder!»

«Ich bin kein normales Kind.»

«Werd' bloss nicht übermütig! Starks Ego geht mir schon genug auf die Nerven, da brauche ich nicht auch noch einen Stark Mini.» Ich grummelte etwas vor mich hin. Clint hob eine der Übungspistolen auf, die auf dem langen Tisch vor der Schussanlage lag. Er prüfte sie mit geübten Handbewegungen. Kurz gesagt: Ich hatte keine Ahnung, was er da machte. Dann bückte er sich und öffnete einige in den Tisch eingebaute Schubladen, zog Ohrstöpsel und Patronen heraus. Ich stand daneben wie bestellt und nicht abgeholt. Er gab mir die Ohrstöpsel, während er sich seine aus der Hosentasche fischte. Vorsichtig schob ich sie mir in die Ohren. Und dann begann Clint mir zu erklären, wie ich schiessen musste. Ich hörte ihn sogar noch durch die Ohrstöpsel, also schrie er wahrscheinlich durch die Gegend, auch wenn keiner von uns beiden das bemerkte. Dadurch, dass ich so klein war, brauchte er eine Holzpalette, auf die ich mich stellen konnte. Es war frustrierend. Die Waffe war schwer und ich musste mich ziemlich anstrengen, sie überhaupt heben zu können, während Clint neben mit ohne sichtliche Anstrengung ein ums andere Mal ins Schwarze auf den elektronischen Zielscheiben traf. Aber dadurch, dass es so anstrengend war, etwas vollkommen Neues, kreisten meine Gedanken nicht mehr um den Verschlüsselungsalgorithmus, um die Möglichkeit, dass Stark etwas zugestossen war. Ich dachte nur noch daran, dass ich diese verflixte Zielscheibe treffen musste. Verflixt durfte ich sagen, dass hatte ich mit Steve abgeklärt. Er hörte es zwar auch nicht besonders gerne, aber für ihn zählte das nicht als Schimpfwort. Und er hatte sogar Stark dazu gebracht, ein bisschen an seiner Sprache zu arbeiten. Die schlimmsten Schimpfwörter benutzte er nicht mehr. Clint war ein ziemlich strenger Lehrer. Er achtete auf Haltung, Atemtechnik und erklärte mir, wie man den theoretischen perfekten Schuss abfeuerte. Irgendwann räumte er mir eine Pause ein. Vollkommen geschafft legte ich die Pistole ab, nur um gleich darauf einen Rüffel von ihm abzubekommen, weil ich die Waffe nicht gesichert hatte. Ich zuckte nur die Schultern und setzte mich an dem Ort hin, an dem ich gerade stand. Clint seufzte und setzte sich neben mich.

«Du machst das gut...», stellte er fest. Ich schnaubte.

«Wem willst du etwas vormachen? Ich bin absolut unbegabt darin.» Er lachte auf.

«Ja, das stimmt. Aber mit ein wenig Training...» Ich schüttelte den Kopf.

«Nein, danke. Ich kann hacken, das reicht mir.»

«Und wenn du dich mal verteidigen musst?» Ich schnaubte.

«Eine Scheunenwand treffe ich noch.»

«Wer sagt denn, dass der Angreifer eine Scheunenwand sein wird?» Ich kicherte leise, als ich mir eine Scheunenwand als Feind vorstellte. Clint grinste ebenfalls ein wenig.

«Das ist eine Metapher, Clint.» Er hob belehrend den Finger.

«Falsch, Fräulein Neunmalklug, das ist ein Sprichwort.»

«Metapher. Hundertprozentig», schoss ich zurück.

«Sprichwort. Zweihundertprozentig», kam es von Clint. Ich unterdrückte in Lachen.

«Metapher.»

«Sprichwort.»

«Metapher.»

«Sprichwort.»

«Metapher.»

«Metapher.»

«Sprichwort!»

«Ha!», er stiess die Faust in die Luft. «Ich sage doch, ich habe recht.» Ich grummelte vor mich hin.

«Das war gemein, Clint!»

«Wann haben wir festgelegt, dass wir fair spielen müssen?», fragte er verschmitzt. Ich verschränkte die Arme.

«Jetzt bin ich offiziell beleidigt.»

«Ohh... Eine Mitleidsrunde für Kayla!» Ich stiess ihn in die Seite.

«Fies.» Er grinste selbstbewusst.

«Ich weiss...» Er gab mir den sanften Stoss zurück. Es endete damit, dass wir beide lachend versuchten, den anderen einmal mehr in die Seite zu stossen, als der andere es geschafft hatte. Während wir noch etwas ausser Atem auf den Matten lagen, trat jemand ins Licht. Ich sah auf.

«Hi, Director. Was genau machen Sie hier?», fragte ich. Fury hob eine Augenbraue.

«Eigentlich müsste ich dich das fragen. Schliesslich ist das mein Carrier.» Clint setzte sich schnell auf.

«Ich äh... Ich habe ihr versucht, schiessen beizubringen. Sie können sie schliesslich nicht die ganze Zeit in diesem Zimmer einsperren, Director!» Der Vorwurf konnte man deutlich aus seiner Stimme heraushören. Fury ignorierte es geflissentlich.

«Jetzt war sie aber lange genug draussen. Bringen Sie sie zurück, Barton. Ich habe einen Auftrag für Sie.» Und damit verschwand er.

«Unfreundlich wie immer...», seufzte ich. Clint nickte nicht besonders begeistert. Dann stand er auf und zog mich hoch.

«Komm Kayla. Ich wäre wirklich gerne noch geblieben, aber Fury bringt mich höchstpersönlich um, wenn ich nicht in wenigen Minuten auf der Matte stehe.»

Clint winkte mir zu, dann schloss sich die Türe hinter ihm. Ich atmete tief durch und setzte mich wieder an den Computer. Als ich ihn aus dem Ruhemodus zurückholte, blieb mein Herz beinahe stehen.

«Eine wartende Nachricht auf verbundenem Kanal», stand auf dem Desktop. Die Nachricht war erst wenige Minuten vorher dort abgelegt worden. Ich klickte sofort darauf. Also ging es Stark gut. Schlussendlich hatte er es überlebt. Es war nur eine Sprachnachricht, was mich ein wenig misstrauisch machte. Er hatte schliesslich in seinem Anzug eine Kamera. Vielleicht funktionierte sein Anzug auch nicht mehr. Er hörte sich müde an.

«Hi, Kayla. Endlich habe ich diesen Ohrstöpsel repariert. War überraschend schwierig, wenn man nur Baumarktmaterialien in der Hand hat. Ich bin in Tennesse. Frag bitte nicht, was ich da mache. Ich habe keine Verbindung zu dir bekommen, deshalb hinterlasse ich dir eine Nachricht. Ich habe wichtige Dinge über den Mandarin herausgefunden. Bin von einigen feuerspeienden Mutanten angegriffen worden. Das übliche eben. Ich weiss momentan nicht mehr weiter. JARVIS hat eine Funktionsstörung und er konnte ebenfalls keinen Aufenthaltsort feststellen. Es wäre mir also eine grosse Hilfe, wenn du dich noch einmal dransetzen könntest. Und es wäre auch nett von dir, wenn du einmal nach Pepper sehen könntest. Sie macht sich sicher Sorgen. Ich mir auch. Also, hoffentlich bis gleich.» Ich blinzelte etwas perplex. Tennessee? Was machte Stark in Tennessee? Ich nahm mir vor, ihn danach zu löchern. Ich funkte Stark an. Er ging sofort dran, wahrscheinlich hatte er den Ohrstecker im Ohr.

«Endlich. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht, Kayla!», kam es von ihm.

Ja, ich habe Stark nicht umgebracht. Auch wenn ich echt kurz davor war.  Und mit echt kurz meine ich echt kurz. Tja, also, eigentlich gab es hier ein ganzes Zwischenkapitel, das aus Starks Sicht geschrieben war, in dem er in Tennesse ankommt, eine Panikattacke bekommt usw, usw, aber das war mir dann doch zu filmnah, also habe ich es gelöscht. Ich glaube, meine letzte Frage braucht keinen weiteren Kommentar: Steve, Clint oder Tony?

Bis nächste Woche

Aeide_thea

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