21. Ausflug
In den nächsten Wochen ging es doch relativ hektisch zu und her. Es standen abwechslungsweise Stark, Steve und Clint auf der Matte. Während ich mit Clint ein wenig aus dem Zimmer herauskam, da er mich auf lange Spaziergänge durch das SHIELD-Hauptquartier mitnahm, schraubte ich mit Stark an irgendwelchen Schaltkreisen herum. Der Milliardär hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, aus dem Techniklaien, der ich war, einen Profi zu machen. Es funktionierte so mässig, aber das war gegenseitig. Ich brachte ihm einige Dinge über das Programmieren und das Hacken bei, bekam aber manchmal Lachanfälle, weil er sich allzu dumm anstellte. Das war keineswegs fies, das war ausgleichende Gerechtigkeit, denn Stark amüsierte sich auch immer köstlich, wenn ich wieder eine Dummheit mit irgendwelchen Kabeln anstellte. Und an den Iron Man Anzug liess er mich immer noch nicht, was ich aber langsam verstand, denn sogar ich kapierte, dass er Angst hatte, dass ich ihn kaputt machen würde. Ich glaubte zu wissen, dass er das noch nicht einmal so schlimm finden würde, das Problem war nur, dass er dann hier festsitzen würde, was ihm natürlich gar nicht passte, da er Director Fury und Director Fury ihn nicht leiden konnte. Ausserdem warf ihn Maria Hill regelmässig aus dem Gebäude. Aus irgendeinem Grund schien sie ihn nicht ausstehen zu können. Manchmal machte sich Stark auch einen Spass daraus, die Agentin bis aufs Äusserste zu reizen, was keine besonders gute Idee war, denn sie hatte auch schon einmal einen Elektroschocker ausgepackt und Stark damit gedroht. Ich hatte mich noch Tage danach darüber lustig gemacht, wie schnell er verschwunden war.
Steve hingegen kam zwar seltener vorbei, aber wenn, dann machte es wirklich Spass. Dadurch, dass er von SHIELD durch die ganze Welt gehetzt wurde, sah er die verschiedensten Länder und brachte mir von jeder Mission etwas Kleines mit. Aus Frankreich brachte er einen etwas zerquetschten Croissant mit, den er nur ein paar Stunden zuvor in einer kleinen Bäckerei gekauft hatte, aus London eine Minikopie des Towers. Und er hatte immer etwas zu erzählen. Seine Geschichten waren ernst, aber spannend, man merkte, dass es ihm Spass machen, sie zu erzählen. Er wohnte auch nicht besonders weit weg vom Triskelion, wie das SHIELD-Hauptquartier genannt wurde. Er berichtete von einem Mann namens Sam Wilson, den er jeden Morgen beim Joggen um das «Reflecting Pool» vor dem Washinton Monument überholte. Und wenn ich ihm zuhörte, dann fühlte ich mich manchmal selbst, als wäre ich dort gewesen.
Als Steve diesen Morgen in das kleine Zimmer mit den Computern trat, legte er den Finger an die Lippen, bevor ich ihn begrüssen konnte. Ich zog zwar eine Augenbraue hoch, akzeptierte es aber. Steves Blick streifte kurz die kleinen Andenken, die er mir mitgebracht hatte und die ich jetzt neben meiner Tastatur aufgereiht hatte, dann winkte er mir, ihm zu folgen. Überrascht blinzelte ich ihn an. Er machte die Geste ein zweites Mal, dann hielt er die Türe auf. Das liess ich mir kein drittes Mal sagen und huschte aus dem Zimmer. Hinter uns schloss sich die Türe. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich sah Steve verwirrt an. Er grinste und winkte mir erneut. Und dann ging er mit grossen Schritten los. Wir wurden nicht beachtet, der Supersoldat und ich, als wir durch die Gänge des Triskelion liefen, in eine Richtung, die ich nicht kannte.
Aber in Orientierung war ich immer schon mies gewesen. Als wir schlussendlich in einer Garage standen kniff ich misstrauisch die Augen zusammen.
«Wollten wir hierhin, Steve?», fragte ich.
Er lachte. «Ja, dass wollten wir.» Er schritt auf eine unscheinbare Ecke zu und zauberte ein riesiges Motorrad herbei.
Ich starrte ihn an. «Wow...», murmelte ich.
Er nahm einen Helm aus einem der Regale, die an der Wand der Garage standen und warf ihn mir zu. Wenn man SHIELD eines nicht vorwerfen konnte, dann war das, sich nicht um seine Angestellten zu kümmern. Ich fing den Helm auf. Ich sah vom Helm zu Steve und wieder zurück. «Sie meinen...»
«Du...», korrigierte Steve. Mein Herz machte einen Hüpfer. Ich war per Du mit Captain America. «Und ja, ich meine du solltest den aufsetzen. Wir machen einen kleinen Ausflug.» Ohne zu zögern stülpte ich den etwas zu grossen Helm über meinen Kopf. Steve grinste. «Geht doch!» Dann setzte er sich auf die Maschine und warf den Motor an. Das laute Dröhnen vervielfachte sich in der Garage und hörte sich schlussendlich an wie eine ganze Dampflock. Steve zeigte hinter sich. «Steig auf!»
Ich sah ihn überrascht an. «Sie... Du brauchst keinen Helm?» Meine Stimme hörte sich durch den Helm gedämpft an.
Steve schüttelte den Kopf. «Ich bin Captain America. Ausserdem mag ich Helme nicht, weil sie meine Frisur zerstören.»
Ich grinste. «Sieh mal einer an, Captain America ist eitel!»
Verlegen strich sich Steve durch die Haare. «Ich muss schliesslich oft genug eine Maske tragen, oder nicht?»
Während ich mich hinter ihm auf das Motorrad setzte, dachte ich über seine Worte nach. «Wieso eigentlich? Wieso trägst du immer noch eine Maske, obwohl die ganze Welt weiss, wer du bist?»
Steve klappte den Ständer ein und lenkte die Maschine aus der Garage. Er musste laut reden, damit ich ihn überhaupt noch verstand. «Gewohnheit. Und ein wenig Nostalgie, denke ich.»
Wir schossen aus dem Schatten des Gebäudes und fuhren eine lange Brücke entlang. Ich klammerte mich an Steve fest, denn ein wenig hatte ich auch Angst, herunterzufallen. Steve schien das Tempo nicht zu spüren. Er benahm sich, als wäre er auf dieser Maschine geboren worden. Und als wir die SHIELD-Sperren am Ende der Brücke passierten, jubelte ich in einem Anflug von Selbstbewusstsein. Es war wirklich schon so lange her, dass ich das letzte Mal draussen gewesen war.
Es fühlte sich beinahe unwirklich an, hinter Steve auf dem Motorrad zu sitzen und sich immer weiter vom Triskelion zu entfernen. Steve reihte sich in den normalen Verkehr ein und fuhr eine ganze Weile, bis er schliesslich an einem kleinen runden Park, eingequetscht zwischen etlichen Strassen, stehen blieb und den Motor ausschaltete. Vorsichtig rutschte ich von der Maschine. Mir war ein bisschen schwindelig von den vielen Kurven, die wir gefahren waren, aber ich war viel zu froh darüber, aus dem Triskelion abgehauen zu sein, als dass mich das gestört hätte. Steve schwang sein Bein elegant vom Sattel und schloss das Motorrad ab.
Er lächelte mir zu. «Guter Ausflug?»
Ich grinste zurück. «Ausflug ist immer gut. Oh Mann, ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal draussen war.»
Steve nickte, während er nach oben in den blauen Himmel blickte. «Ich finde es immer noch so lächerlich, dass Fury sich benimmt, als könntest du den Weltuntergang heraufbeschwören.» Wir setzten uns auf eine Bank in dem winzig kleinen Park und sahen uns die Statue in der Mitte an. Ein Bildnis von Washington.
Ich schnaubte. «Ich könnte es mal versuchen. Würde Fury sicher ganz schön ärgern.»
Steve sah mich entsetzt an. «Kayla! Darüber macht man keine Witze!»
Wenig schuldbewusst sah ich auf meine Schuhspitzen. «Ja, ja. Sorry.» Und dann viel mir etwas ein. Ich stöhnte. «Sag bloss nicht, dass ich noch das T-Shirt mit dem SHIELD-Logo trage.»
Steve zog eine Augenbraue hoch. «Doch, dass tust du. Und das Logo ist auch auf deiner Gürtelschnalle, nur damit du das weisst.» Ich grummelte vor mich hin. Steve hob tadelnd den Zeigefinger. «Ich habe zwar nicht verstanden, was du da gesagt hast, aber ich will dich trotzdem daran erinnern: Keine Kraftausdrücke!»
Ich war ziemlich versucht, sämtliche Schimpfwörter, die ich kannte, zusammen mit denen, die Stark mit Vorliebe benutzte, aufzuzählen, nur um Steve zu ärgern. Als ich seinen mahnenden Blick sah, liess ich dann doch davon ab. Irgendwie war ich viel weniger aufgelegt zu Blödsinn, wenn er dabei war. Als würde er mich ausbremsen. Ich war mir nur noch nicht sicher, ob das etwas gutes oder etwas schlechtes war. Wir sassen eine Weile da und betrachteten die Statue. Steve schien tief in Gedanken versunken zu sein. Als ich ihn ansprach, zuckte er regelrecht zusammen.
«Wieso bist du mit mir hierher gekommen?»
Er grinste ein bisschen. «Dir ist sicher klar, das ich so etwas normalerweise nicht mache. Ich bin niemand, der Regeln bricht, ich bin Soldat. Aber... ich wollte dir eine Freude machen und mich bei dir revanchieren, für Los Angeles und so. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diesen Katzentypen ohne deine Hilfe hätten aufhalten können. Ich weiss, wie dämlich sich das jetzt anhört, ich meine, ich bin Captain America, aber ich habe ihn unterschätzt und so schnell wie er war, hätte es gut sein können, das er einfach entwischt wäre. Ausserdem, ohne dich hätten wir ihn nicht einmal entdeckt. Und naja, als ich noch einmal mit Bobbi geredet habe, meinte sie, wir sollten dir deinen Einsatz irgendwie zurückzahlen, vor allem, weil Fury das nicht macht. Du hast mir schliesslich oft genug davon erzählt, wie gerne du einmal Washington DC erkunden würdest, wenn du schon einmal ausserhalb von New York bist, da dachte ich mir, dass das eine ziemlich gute Revanche sein könnte.» Ich starrte ihn an, vollkommen überwältigt, wollte ihn gerade mit Dankesworten überschütten, als es in der Nähe einen lauten Knall gab. Kreischende Stimmen, Schüsse, das ganze Programm. Ich zuckte zusammen, während Steve, ganz der Held, aufsprang und in die Richtung des Lärms rannte. «Bin gleich wieder da, Kayla. Warte einfach da auf mich!», rief er, schon auf dem Weg, Hilfe zu leisten.
«Aber...», versuchte ich zu protestieren, aber er hörte mich wahrscheinlich nicht mehr. Eher resigniert als wütend rief ich ihm hinterher: «Pass auf dich auf, Steve!» Ich hoffte, dass er wenigstens das noch gehört hatte. Es schien tatsächlich so, als hätte uns das Attentat aus LA eingeholt, nur das er dieses Mal schlechter ausgerüstet war. Er hatte sein Schild nicht dabei und ich hoffte, dass er auch ohne es zurechtkam, schliesslich hatte ich ihn noch nie ohne kämpfen gesehen. Und dass die Schüsse nicht aufhörten, war auch nicht besonders beruhigend. Was auch immer ein paar Strassen weiter passierte, es zog sich. Und ich machte mir immer mehr Sorgen.
Schlussendlich stand ich sogar auf und wollte in die Richtung des Lärms laufen, als mich plötzlich jemand an der Schulter berührte. «Hast du dich verlaufen, Kayla?», fragte eine mir wohlbekannte Stimme.
Ich verdrehte die Augen und sackte in mich zusammen, denn mir war vollkommen klar, dass es jetzt vorbei war. «Was machen Sie denn hier, Agent Hill?»
Die Agentin hob eine Augenbraue. «Mit einer ein bisschen netteren Begrüssung hätte ich schon gerechnet. Du weisst doch, wie ich zu Leuten sein kann, die ich nicht mag. Nimm Stark als Beispiel!»
Ich verdrehte die Augen ein weiteres Mal. «Guten Morgen, Agent Hill. Wie geht es Ihnen denn heute? Haben Sie gut geschlafen?» Ich sah sie genervt an. «Reicht das?»
Sie legte den Kopf leicht schief. «Schon besser. Du müsstest es allerdings noch ernst meinen.»
Ich schnaubte. «Darauf können Sie lange warten.»
Sie seufzte. «Ich geb's auf. Bei dir ist Hopfen und Malz verloren.»
«Ich hatte nie vor, Bier zu trinken, also stört mich das nicht besonders, Agent Hill.»
Ich grinste sie an, wissend, wie sehr sie meine Sprüche nervten und dass sie einiges an Willensstärke brauchte, um sie zu ignorieren. «Also, was machst du hier, Kayla?»
Ich zuckte die Achseln. «Weiss nicht. Ausbrechen, vielleicht? Im Ernst, gibt es irgendeine Chance, dass sie nicht von Fury geschickt wurden, um mich zurückzuholen, sondern freiwillig hier sind und sich nur einen Kaffee holen wollten?»
Agent Hill seufzte. «Kayla, du bist eine unter Arrest gestellte Bedrohung für die USA. Denkst du etwa, dass wir nicht sofort nach dir suchen würden? Es ist das gleiche Prinzip wie bei jemandem wie Loki.»
Beleidigt verschränkte ich die Arme. «Bitte? Ich habe geholfen, die Welt zu retten und das wissen Sie. Ausserdem habe ich nicht New York und Millionen von Unschuldigen angegriffen!»
«Das habe ich nie behauptet. Aber es gibt verschiedene Arten von Bedrohungen. Und du gehörst eben zu einer anderen als Loki.»
«Heisst das, Sie sind nicht hier, um sich einen Kaffee zu holen?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, das bin ich nicht, aber wenn du weiter davon redest, dann kann ich nicht mehr widerstehen und kaufe mir noch einen, bevor ich dich zurückbringe.»
Ich sah mich um, entdeckte einige Spaziergänger, die durch den winzigen Park liefen. Dann wandte ich mich wieder an Hill. «Ich könnte schreien», stellte ich fest.
Sie zog gelassen eine Augenbraue hoch. «Wirst du es tun?», fragte sie mich.
Ich dachte kurz ernsthaft darüber nach. «Was wären denn die Konsequenzen?»
«Sagen wir einmal so, du würdest sie nicht mögen.»
Sie hielt sich bewusst wage, damit ich mir nicht ausrechnen konnte, was besser wäre, was ziemlich schlau von ihr, aber schlecht für mich war. «Nein», entschied ich schlussendlich.
Sie nickte, als hätte sie das erwartet. «Dafür bist du um einiges zu vernünftig.»
Ich lachte auf. «Ich und vernünftig? Ihr Ernst? Ich, wo ich mich in Starks Sicherheitssystem gehackt hat, weil mir langweilig war? Nein, ich will einfach nicht, dass sie mir die MacGyver DVD wieder wegnehmen. Ich bin noch nicht durch.»
Agent Hill sah mich etwas verwirrt an. «Das... hätte ich nicht erwartet.»
Ich zuckte die Schultern. «Das habe ich allerdings von Ihnen erwartet.»
Sie schnaubte, sichtlich ernster werdend. «Wie bist du rausgekommen, Kayla?»
Ich grinste sie frech an. «Geflogen. Mir sind Flügel gewachsen.»
Sie atmete genervt aus. «Na dann, komm, wir fliegen wieder in dein Zimmer zurück.»
«Haben Sie ein Blatt Papier?», fragte ich sie.
Sie sah überrascht aus, als sie in ihren Hosentaschen kramte. «Ja, hier. Wieso?»
Sie streckte es mir entgegen. Ich schnappte es mir, ehe sie es wieder zurückziehen konnte. «Danke. Und das müssen Sie nicht wissen.» Ich zog einen der Stifte aus der Tasche, die irgendwie zu Hauf in meinem Zimmer lagen. Ich hatte diesen aus Versehen irgendwann eingesteckt und daraufhin nie wieder herausgenommen. Ich kritzelte eine Nachricht an Steve auf das Papier, auf dem der SHIELD-Adler als Wasserzeichen zu sehen war. Ich wusste, dass er wissen würde, was ich mit «Bin wieder bei SHIELD», meinte.
Ein bisschen enttäuscht dass der kleine Ausflug so schnell wieder zu Ende ging, war ich schon, aber manchmal lief es eben nicht besonders gut. Heute schien so ein Tag zu sein.
Agent Hill musterte mich interessiert. «Was wird das?», fragte sie mich.
Ich warf ihr einen genervten Blick zu. «Ich schreibe einen Brief an den Weihnachtsmann. Was denken Sie denn?» Ich stand auf und steckte den Stift wieder in meine Tasche. «Was stehen Sie da noch rum?», fragte ich sie. «Wir wollten doch gehen!»
Als ich losging, folgte sie mir vollkommen verwirrt. «Wieso so motiviert?»
Sie bemerkte nicht, wie ich den Zettel in den Helm, den ich getragen hatte und der jetzt an Steves Motorradlenker baumelte, fallen liess.
Mein Ausflug war offiziell beendet worden.
«Und damit... fliegt Rogers aus der Kandidatenliste.»
Agent Hill runzelte die Stirn. «Director? Ich fürchte, ich verstehe nicht warum.»
Fury drehte sich zu ihr um. «Was er sich in DC geleistet hat, war inakzeptabel. Das können wir nicht tolerieren.»
«Und Stark? Der leistet sich dauernd viel schlimmeres!»
Director Fury zuckte die Schultern. «Auf eine andere Art und Weise, Agent Hill. Ausserdem sind wir uns bei Stark bewusst, dass er solche Dinge tut.»
Maria war trotzdem nicht gewillt, so schnell aufzugeben. «Wir wollen doch nur das Beste für die Nation. Und Sie könnten die Sache mit Rogers noch einmal überdenken. Schliesslich war es nur ein Fehltritt.»
«Nein», beharrte Fury.
Frustriert seufzte Hill. «Wie Sie meinen, Sir. Ich halte es immer noch für einen Fehler.»
Fury antwortete nicht darauf.
Überarbeitet.
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