4. Der Attentäter, der nur zusah

Steve war immer schon eine Konstante in meinem Leben gewesen. In all den Jahren, in denen ich ihn kannte, hatte er sich kaum verändert, war nicht gealtert oder hatte seinen Haarschnitt geändert. Er hatte sich nie einen Bart wachsen lassen und trug immer die gleichen Hemden, die fast schon ein wenig altmodisch wirkten.

Er war einfach nur Steve und vielleicht war es genau das, die Tatsache, dass er sich in den drei Jahren, in denen ich ihn nicht mehr in Zivilklamotten und seiner Lederjacke gesehen hatte, nicht verändert hatte, was mich an den Rand eines Zusammenbruchs brachte, als ich in das kleine Kaffee trat, in dem wir uns verabredet hatten.

Vielleicht war es auch, dass er mich nicht erkannte. Vielleicht war es der überraschte, freundlich-abweisende Blick, den er mir zuwarf, als ich mich zu ihm setzte. Vielleicht war es sein Tonfall, der so schrecklich neutral war, als er mich fragte, ob er mir helfen könne. Vielleicht war es die Tatsache, dass er noch nicht einmal begriff, wen er vor sich hatte, als ich ihm antwortete.

"Tatsächlich könntest du das, Steve." Ich wartete auf irgendetwas, das mir klarmachen würde, dass er verstand, wen er vor sich hatte. Vielleicht auf einen Funken von Wiedererkennung in den Augen, auf den überraschten Zug um seinen Mund, wenn er verstand, wer ich war, aber nichts davon fand seinen Weg auf sein Gesicht.

Und hätte ich nicht schon viel zu lange so getan, als würde es mich nicht kümmern, was die Welt von mir dachte, was meine Familie von mir dachte, dann hätte es mir das Herz gebrochen.

"Sind Sie von der CIA?", fragte Steve und seine Züge verhärteten sich. "Natürlich sind Sie das, woher sonst kennen Sie meinen Namen?"

Für einige Sekunden dachte ich darüber nach, einfach zu gehen, bei Peter meine Sachen abzuholen und wieder in mein Kaff im Nirgendwo zu verschwinden, wo jeder Tag gleich war wie der Nächste und der Sinn eines jeden Lebens in Langeweile versank. Ich wusste selbst nicht, warum ich mich dagegen entschied.

Es war so unglaublich einfach, das altbekannte Stark-Lächeln auf mein Gesicht zu zwingen, das Lächeln, das Tony für so viele Jahre getragen hatte. Das Lächeln, von dem er mir immer erzählt hatte, dass es ihn erstickte, wenn er sich darunter versteckte. Das Lächeln, vor dem er mich all die Jahre lang gewarnt hatte.

Er hatte recht gehabt. Ich konnte fühlen, wie mir die Luft ausging, während die Gefühle, die Wut, auf Steve, weil er so verdammt ignorant war, auf mich, weil ich mir Hoffnungen gemacht hatte, die Trauer, dass ich mich so sehr verändert hatte, das nicht einmal Steve mich mehr erkannte, die Angst, dass ich mich selbst verloren hatte, hinter der Fassade des selbstbewussten Lächelns wüteten. 

Ich strich mir eine braun gelockte Strähne aus dem Gesicht und lehnte mich zurück, nur wenig davon entfernt, die Füsse auf dem Tisch zu überkreuzen. "Willst du mich beleidigen? Mich? Bitte, ich bin ein viel zu guter Mensch, um bei der CIA angestellt zu werden."

Was es schlussendlich war, das Steve wiedererkannte, das Lächeln oder meine Wortwahl, den Sarkasmus oder die altbekannte, selbstbewusste Geste, ich wusste es nicht. Und trotzdem weiteten sich seine Augen auf einmal und für einen kurzen Moment sah ich etwas wie Bedauern in seinem Blick aufblitzen, das aber allzu schnell von Schock verdrängt wurde. "Kayla?", wisperte er und es hörte sich an, als müsste er neu lernen, wie er meinen Namen aussprechen sollte. Als wäre er aus Glas und er hätte Angst, ihn zu zerbrechen.

"Lange her, was?"

Steve hatte offensichtlich Probleme damit, das Bild, das er bis jetzt von mir gehabt hatte, das kleine Mädchen oder den Teenager oder als was auch immer er mich in Erinnerung behalten hatte, mit meinem jetzigen Aussehen in Verbindung zu bringen. Mir entging nicht, dass sein Blick ein bisschen zu lange an den Narben hängen blieb, die sich meinen ganzen Hals hinauf bis in mein Gesicht zogen. "Du bist... gross geworden", würgte er hervor, obwohl wir beide wussten, dass ich seit Sibirien nicht mehr gewachsen war.

Ich nickte ihm trotzdem dankend zu, als würde die leere Floskel nicht alles noch schlimmer machen. "Das macht das Erwachsenwerden eben mit einem, weisst du?" Ich zwang mich, den anklagenden Tonfall aus meiner Stimme zu halten. Schliesslich war es ein Erwachsenwerden ohne ihn gewesen. Und, egal wie sauer ich damals auf ihn gewesen war, das hiess nicht, dass er nicht immer noch ein Teil meiner Familie war.

Meiner verkorksten, viel zu grossen, komplett verstrittenen Familie.

"Wie... geht's dir?", fragte er schliesslich, nachdem wir uns eine ganze Weile nur angeschwiegen hatten und es hörte sich an, als wollte er mich alles andere als das fragen. Als würde er sich nur nicht trauen.

Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ganz gut, denke ich. Man lebt eben, wie man lebt." Ich wusste selbst, dass das eigentlich mehr als eine Lüge war, aber ich hatte nicht vor, Steve zu sagen, wie dreckig es mir wirklich ging.

"Ich habe dich vor einem halben Jahr nicht einmal richtig gesehen. Keine Zeit zu reden und so, du weisst schon. Also ist das eigentlich das allererste Mal seit mehr als 3 Jahren, dass wir uns treffen, oder?", fragte er irgendwann, schien aber keine Antwort zu erwarten. "Verrückt."

"War irgendwie abzusehen", murmelte ich.

Seinen entsetzten Blick ignorierte ich gekonnt. "Ich meine, was hast du erwartet? Wir alle hatten Probleme mit der CIA, die meisten von uns wurden zu international gesuchten Kriminellen und du und Tony hatten den Streit des Jahrhunderts. Wie sollte das bitte anders enden?"

"Bist du... bist du noch wütend auf mich?", fragte Steve nach einer ganzen Weile.

"Stocksauer, Steve, aber darum geht's heute nicht, oder?" Ich schaffte es, sämtliche Wut aus meiner Stimme herauszuhalten. "Hier geht es nur um Clint und wie wir ihn da rausholen können. Und sobald das vorbei ist, bin ich wieder weg."

Für einen kurzen Moment sah Steve so aus, als wollte er mir widersprechen, dann sackte er zusammen. "Kayla..."

"Was?", fuhr ich ihn an, bereute es aber gleich darauf. Ich entschuldigte mich trotzdem nicht.

"Du musst dich nicht alleine durchschlagen! Wir können dir helfen! Tony vermisst dich und..."

"Woher willst du das überhaupt wissen?", schnauzte ich ihn an. "Das letzte, was ich von dir und Tony gesehen habe, war ein verlassenes Schild und ein zerstörter Iron Man Anzug, also bist du definitiv nicht der Richtige, mir zu sagen, wen oder was Tony vermisst."

Wieder Stille. "Wir reden wieder", murmelte Steve schliesslich. "Nach der Sache vor einem halben Jahr... Wir stehen wieder in Kontakt. Nichts in die Richtung von Friede, Freude, Eierkuchen, aber es wird besser. Es ist... für Notfälle. Für Notfälle wie diesen."

"Wo treffen wir uns?", ich ging nicht weiter auf ihn ein. "Mir wurde von Natasha geschrieben, dass der Ort nur mündlich weitergegeben wird und das du es von ihr hören wirst, also, wo treffen wir uns?"

"Kayla, das ist nicht der einzige Grund, warum wir uns hier getroffen haben..."

"Wer hat dir denn diesen Mist erzählt?", schnaubte ich. "Natürlich ist er das. Sobald du mir gesagt hast, wo ich hin muss, bin ich weg."

"Kayla...", er hörte sich beinahe flehendlich an. "Kayla, bitte..."

"Bitte, was? Was willst du von mir hören? Oh, ich habe ein tolles Leben, obwohl ich euch alle vermisse. Ich begebe mich nicht mehr in irgendwelche Gefahren, ernähre mich sehr gesund und achte darauf, dass ich genug schlafe." Das stark'sche Lächeln blieb weiterhin unverändert in meine Wangen gestanzt und es begann langsam, wehzutun. Ich war es nicht mehr gewohnt, so viel zu lächeln. "Neuigkeiten für dich, Cap! Es geht dich überhaupt nichts an, wie ich lebe und was ich mit meiner Zeit mache, weil ich nämlich kein Kind mehr bin. Habe ich schon erwähnt, dass ich sehr gut alleine zurechtkomme, ohne irgendwen, der irgendetwas vor mir verheimlicht oder einen Freund hat, der mich beinahe umbringt?"

"Kayla..."

"Oh, natürlich, er war nicht er selbst, sicher. Sag ihm für's nächste Mal, dass er sich ein wenig offensichtlicheres Dach aussuchen soll. Ich habe ihn dieses Mal sogar ohne ANDREW gesehen und er sollte sich glücklich schätzen, dass die CIA noch nicht angerückt ist." Ich warf Steve einen erbitterten Blick zu. "Wo treffen wir uns, Cap?"

Steve zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. "Ich muss zuerst wissen, wie du dazu stehst, dass wir uns wieder zusammenfinden. Ich kann nicht riskieren, dass..."

"Was, dass ich deinem geliebten Bucky an die Kehle gehe, sobald ich ihn sehe?" Ich lachte schnaubend. "Glaub mir, wäre ich noch so unkontrollierbar wütend auf ihn wie du es scheinbar erwartest, dann hätte ich ihn schon längst von seinem verdammten Dach gestossen."

Steve's Augen weiteten sich. "Das kannst du nicht..."

"Ich hab's nicht gemacht, also hör auf, dich darüber aufzuregen", knurrte ich. "Ich werde mich auf niemanden stürzen, versprochen. Kannst du mir jetzt endlich den Ort und die Zeit geben? Ich bin's ehrlich gesagt leid, mit dir zu diskutieren."

"Was hast du denn noch so wichtiges zu tun, dass du mich so schnell loswerden willst?", versuchte Steve verzweifelt, das Gespräch weiterzuziehen. "Kayla, egal, was es ist, du kannst mit mir darüber reden."

"Ich habe überhaupt nichts vor, Steve", gab ich zu und es fühlte sich gut an, seinen hoffnungsvollen Gesichtsausdruck in sich zusammenfallen zu sehen. "Ich habe einfach keinen Nerv, mich mit dir zu unterhalten, klar? Ich bin den ganzen Weg nach New York gekommen, um Clint vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren, nicht, um mit dir Small Talk zu betreiben. Verstehen wir uns?"

"Was ist mit dir passiert?", wisperte Steve, während er sich langsam in seinen Stuhl zurückgleiten liess. "Kayla, was ist mit dir passiert?"

Das allererste Mal, seit ich das Café betreten hatte, liess ich das verdammte, selbstbewusste, grausame Lächeln verrutschen, obwohl es sich anfühlte, als würde ich Steve damit die Risse, die ich darunter verbarg, zeigen. In einem Moment, den man nur als die Ironie dieses gleichgültigen Universums sehen konnte, wiederholte ich die Worte, die Peter mir an den Kopf geworfen hatte, als wir uns wieder begegnet waren. "Ich bin erwachsen geworden", stellte ich fest und vielleicht war es genau in diesem Moment, in dem ich endlich verstand, dass Peter recht hatte. Wir waren beide erwachsen geworden und vielleicht war es genau das, was uns alle auseinander trieb. Die Tatsache, dass die kindliche Sichtweise, die an allem irgendwie etwas Gutes fand, verschwunden war.

Alles was blieb waren nur kalte, harte Realität und müde, schlechte Menschen.

Ich rückte den Stuhl zurück und drehte mich um, ohne Steve zu grüssen. Ich war schon beinahe aus der Türe des Cafés, als mich jemand am Handgelenk packte. "Warte." Steve bettelte nicht. Er bat mich. Ich wusste nicht, warum ich mich tatsächlich umwandte und ihn ansah. Vielleicht der alten Zeiten willen. Vielleicht, weil ich neugierig war. Vielleicht, weil ich ihn ein letztes Mal mit der selben kindlichen Bewunderung ansehen wollte, die ich so lange für ihn gehabt hatte. Vielleicht, weil er mir noch nicht gesagt hatte, wo wir uns treffen würden. Für einige Momente starrten wir uns einfach nur an, dann sackte Steve in sich zusammen. "Bist du mir wirklich noch böse?", murmelte er schliesslich. "Für... für Sibirien?"

Für einen Augenblick war die Versuchung, meine Hand aus seinem Griff zu ziehen und davonzugehen unglaublich gross, aber dann schüttelte ich den Kopf und der Moment verstrich. "Das war Tony's rotes Tuch, Steve."

"Aber warum..."

"Weil du gegangen bist", brachte ich schliesslich heraus. "Weil du nicht eine Sekunde gezögert hast, uns alle zurückzulassen, nur, um Bucky zu retten. Weil du Tony beinahe umgebracht hast, um ihn zu beschützen. Weil du nicht da warst, als ich dich gebraucht habe. Weil es eine CIA-Agentin war, die ich noch nie gesehen hatte, die mich aus dem Raft geholt hat, nicht du, nie du."

"Ich wusste nicht..."

"Woher wusste Everett es dann?" Ich musste mich zurückhalten, ihn nicht anzubrüllen, sondern meine Stimme gefährlich leise zu lassen. "Woher wusstest du später, dass die Anderen im Raft waren?"

"Das waren offizielle Gefangene, das ist etwas vollkommen anderes..."

"Ist es das?" Ich legte den Kopf schief und machte meine Hand von ihm frei. "Ist es das wirklich?"

Wir starrten uns eine ganze Weile weiter an, dann sackten seine Schultern herunter und er sah zu Boden. "Es tut mir leid."

"Ich will keine Entschuldigung." Ich liess meine zitternden Finger in den Hosentaschen verschwinden, um sie vor ihm zu verstecken. Seit der ersten Explosion konnte ich es nicht mehr kontrollieren und jedes Mal, wenn ich mich zu sehr aufregte, verrieten sie mich, verrieten, wie aufgebracht, nervös ich wirklich war. "Wenn ich eine Entschuldigung wollte, dann hätte ich es dir gesagt."

"Was willst du dann von mir?" Steve hörte sich ernsthaft verzweifelt an. "Willst du, dass ich dir verspreche, dass ich es nie wieder tue? Das kann ich! Ich kann es dir versprechen und ich werd's auch halten, aber ich kann nicht rückgängig machen, was damals passiert ist! Ich kann nicht..." Er schloss die Augen und atmete tief durch. "Ich kann es nicht rückgängig machen."

"Ich will deine Versprechungen nicht." Als sich unsere Blicke das nächste Mal trafen, war ich es, die wegsehen musste. "Ich will nicht, dass Entschuldigungen und Versprechen in irgendeiner Art wie eine Kompensation für damals scheinen. Ich will keine Kompensation, weil es keine gibt und es nicht an mir liegt, dich danach zu fordern."

"Was willst du dann?" Steve's Stimme war beinahe tonlos. "Was willst du dann von mir, Kayla Stark?"

Ich atmete tief durch. "Nur den Standort für unser Treffen, Captain."

Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis Steve antwortete. "Tony's altes Penthouse im Avengerstower. Du kennst das Datum. Wir fangen um Acht an, egal, wer kommt und wer nicht. Sei nicht zu spät."

Ich hob meine Finger zu einem spöttischen Salut in seine Richtung und verschwand ohne etwas zu sagen in der Menge. Als ich aufsah, entdeckte ich die Reflektion eines Scharfschützengewehrs auf einem der Dächer und nickte Bucky beinahe unmerklich zu. Nur Sekunden später verschwand die Spiegelung und ich liess mich von der Menge davontreiben.

Ich bin wieder da! Keine Ahnung, ob das heisst, dass es regelmässige Updates geben wird, aber das Ende dieses Buches steht fest und es wird euch alle in den Wahnsinn treiben. Keine Ahnung, was ihr mit dieser Information anfangen sollt, aber ich wollt's loswerden. Viel Spass damit.

Jep, es wird alles nur schlimmer. Was haltet ihr davon?

Ich habe diese Geschichten mit Kayla als positiv eingestellter Protagonistin mit (hoffentlich) Charm und Witz und Hoffnung gestartet. In Band 2 bleibt sie eher realistisch und versucht trotzdem, etwas Positives an jeder Situation zu finden. In Band 3... Pessimismus pur. Sowohl Kayla als auch Peter sind Charaktere, die das Leben komplett zerstört hat, die aber trotzdem irgendwie weitermachen. Die Stehaufmännchen dieser Geschichten. Ist das nicht philosophisch?

Kritik, Ideen, Kommentare?

aeide_thea

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