Kapitel 77
Lena
Lena schlief nach Alex' Anruf etwas beruhigter ein.
Ja! Ihr Mann würde es schaffen!
Er erinnerte sich an die Liebe, an das gemeinsame Glück.
Das war ein guter Schritt!
Am nächsten Morgen kam Olivia um sieben Uhr, übernahm es gerne, Alessia zu versorgen.
So hatte Lena genügend Muße, um sich mental auf die Prüfung einzustellen. Sie war nicht aufgeregt, zumindest nicht sehr.
Für sie hing ja keine Zukunft vom Ergebnis ab.
Sie machte das nur, um sich zu beweisen, dass sie es konnte.
Niemandem anderen musste sie etwas beweisen, nur sich selbst.
Das war ein gutes Gefühl.
Als sie an der Industrie- und Handelskammer ankam, wurde sie vom Leiter persönlich aufs freundlichste begrüßt. Verwundert sah sie den Mann an.
„Dr. Holbein hat mich gestern angerufen und mich gebeten, Sie unter meine Fittiche zu nehmen. Er ist ein großer Förderer der Kammer, und ich erfülle seinen Wunsch natürlich gerne!" erklärte der Mann in den Fünfzigern. „Allerdings habe ich mir danach die Ergebnisse Ihrer Vortests angesehen, und ich glaube nicht, dass Sie meine Fittiche nötig haben werden."
Er lächelte sie väterlich wohlwollend an. Das hatte es bisher noch nie gegeben, dass jemand Prüfungen in sechs Sprachen ablegte, noch dazu, ohne zuvor einen Sprachenschule besucht zu haben. Sie schien ein echtes Genie zu sein – und so etwas machte sich in den Berichten über seine Aktivitäten sicher gut.
Seine Fürsorge war also nicht ganz uneigennützig.
„Und Sie wollen wirklich alle Prüfungen an einem Tag ablegen?" fragte er sicherheitshalber nach.
„Wenn es keine Umstände macht? Ja, dann hätte ich das wirklich gerne hinter mir!" antwortete Lena, als sie endlich zu Wort kam.
„Gut! Dann folgen Sie mir bitte unauffällig!" versuchte er, einen abgedroschenen Scherz zu machen, und sie lachte pflichtschuldig.
„Wir prüfen Sie alleine, damit Sie nicht unnötig abgelenkt werden." Das war ein Entgegenkommen, das sie durchaus zu schätzen wusste.
Sie schickte Max, dem Chef ihres Mannes, einen stillen Dank. Eigentlich mochte sie ja keine Sonderbehandlungen, aber nach den letzten Tagen nahm sie sie dankbar an.
Das war wohl auch der Grund für Max' Einschreiten, da er von ihrem Vater sicher erfahren hatte, was sie durchgemacht hatten.
Für jede Sprache waren 90 Minuten angesetzt.
Sie musste simultan übersetzen, die Zusammenfassung eines langen Textes in der jeweiligen Sprache schreiben und ein Gespräch mit einem Muttersprachler führen.
Nach einer Stunde Wartezeit bekam sie schon das Ergebnis, was sicher auch ihren Beziehungen zu Max Holbein geschuldet war.
Der Leiter kam strahlend auf sie zu. „Ich darf Ihnen sechs Diplome überreichen, jeweils mit der vollen Punktzahl! Und das hat eine vollkommen unabhängige Prüfungskommission entschieden!" freute er sich.
Lena strahlte zurück, merkte aber dann, wie eine bleierne Müdigkeit in ihr hochstieg. Die Ereignisse der letzten Tage forderten ihren Tribut.
Sie war glücklich und zufrieden, aber sie war auch zutiefst erschöpft.
Als sie zu Hause ankam, fotografierte sie die Zeugnisse, schickte die Bilder an Alex. Dann legte sie sich aufs Bett und schlief augenblicklich ein.
Sie hatte kein schlechtes Gewissen wegen Alessia, sie war auch nur ein Mensch.
Ihr Handy hatte sie Olivia in die Hand gedrückt. „Falls Alex anruft!" brachte sie gerade noch heraus.
Olivia hatte mehr als Verständnis für die Schwägerin. Die hatte Unglaubliches geleistet und durchgestanden.
Am nächsten Morgen wachte Lena stolz auf sich und erholt auf, war voller Tatendrang.
Olivia konnte noch zum Frühstück bleiben, dann musste sie zur Uni. Alex hatte getextet, hatte wohl geahnt, dass sie früh schlafen gehen würde.
„Ich wusste es vom ersten Blick an: Das ist die Beste! Bei allem was sie tut – und für mich sowieso. Ich liebe dich, Baby! Und ich bin fucking stolz auf dich!" Er schickte ein Selfie mit, auf dem er mit Bill mit hocherhobenen Daumen in der kleinen Bucht saß. Etwas derangiert, unrasiert, aber die Dunkelheit war aus seinen Augen verschwunden, das Lächeln war zurückgekehrt.
Lena konnte sich lange nicht von seinem Anblick lösen. Ihr gutaussehender Ehemann war schon was für die Augen!
Da beschloss sie, den verrückten Plan, den sie schon eine Weile in ihrem Kopf herumtrug, in die Tat umzusetzen.
Das heißt, heutzutage war er gar nicht mehr so verrückt. Nur Alex konnte sich nicht so recht mit der Idee anfreunden. Bisher!
Wenn sie den ersten Schritt machte, würde er vielleicht nachziehen.
Sie packte Alessia ins Auto, den Wagen in den Kofferraum und fuhr in die Stadt. Ihr Ziel hatte sie schon vor einer Weile im Internet ausgewählt, das große Tattoo-Studio hatte beste Bewertungen.
„Habt ihr eine sichere Kinderspielecke?" fragte sie gleich nach dem Betreten des Ladens.
Der Besitzer, ein wild aussehender Typ, einer wie Mike, lachte sie an.
„Natürlich, Schönheit! Wir sind voll am Puls der Zeit! Wir haben sogar eine pädagogisch geschulte Aufsichtsperson. Darf ich vorstellen: Meine Frau Abby – gelernte Erzieherin!"
Lena lachte zurück. Na also! Die Welt schien sich auf Frauen mit Kindern einzustellen! Langsam zwar, aber immerhin!
Sie übergab Abby ihre Tochter, erklärte Joe, was sie sich vorgestellt hatte: Ein dezentes Herz mit dem Namen ihres Mannes, daneben ein kleineres mit dem ihrer Tochter, darunter das Unendlichkeitszeichen, die liegende Acht – auf dem linken Oberarm, weil der ihrem Herzen am nächsten war.
Joe machte schnell einen Entwurf, Lena war begeistert. Sie sah noch kurz nach Alessia, die friedlich mit neuen Bausteinen spielte, und legte sich zufrieden auf die Bank. Sie wartete auf die Schmerzen, von denen alle im Netz berichtet hatten, aber außer ein paar Pieksern wie von eine Spritze spürte sie nichts.
„Fertig!" verkündete Joe bald. Er hatte das Motiv mit steriler, luftdurchlässiger Folie abgedeckt.
„Das lässt du zwei Tage drauf, dann ist es okay!" erklärte er. Als sie bezahlt hatte, fragte er grinsend: „Und der glückliche Alex? Traut sich wohl nicht!"
„Das ist eine Überraschung! Vielleicht bringe ich ihn in Zugzwang!" antwortete sie gutgelaunt.
„Dann verstärken wir doch den Zugzwang!" Er machte einen zweiten Entwurf, legte ihn in einen Scanner, druckte ein täuschend echtes Abziehbild mit ihrem und Alex' Namen in zwei kleinen Herzen.
Sie holte Alessia, die glücklich war, ein paar mehr Farben zum Ordnen gefunden zu haben, was Abby voll von den Socken gehauen hatte.
Joe brachte die dünne Folie am Arm der Kleinen an. Es sah täuschend echt aus! Sie strich immer wieder darüber. „Papa?" fragte sie.
„Der Papa wird sich freuen, wenn er das sieht! Schau: Die Mama hat auch so eines!" erklärte Lena.
Abby sah die beiden erstaunt an. „Hat sie jetzt echt gefragt, ob das dem Papa gefällt?"
Lena schmunzelte. Immer wieder waren alle erstaunt, wie aufgeweckt die Kleine war.
Alessia genoss die Aufmerksamkeit wie immer. Sie machte ein sehr ernstes Gesicht.
„Papa ieb! Papa Abeit! Papa Aua!" Sie fasste sich an den Kopf und pustete. Es sah zuckersüß aus. Lena küsste sie ab.
Abby war hin und weg. „Na! Da habt ihr wohl ein kleines Genie zusammengebastelt! Andere Kinder in dem Alter werfen die Bauklötze durch die Gegend, die Süße ordnet alles nach Formen und Farben!"
Sie schüttelte den Kopf. „Und dein Mann hat sich verletzt?" fragte sie voll Mitgefühl. Sie hatte den breiten, platinfarbigen Ehering gesehen.
„Nicht selbst, nein! Ein übergriffiger Justizbeamter!" Und ehe sie sich versah, saß sie mit dem sympathischen Ehepaar bei einer Tasse Kaffee und erzählte eine Kurzfassung ihrer Leidensgeschichte.
Die beiden brachten kaum den Mund zu.
„Und das lasst ihr so auf sich beruhen?" fragte Joe. „Diese verdammten Bullen nehmen sich zu viel raus!"
Lena schüttelte den Kopf. „Nein! So darf man das nicht sehen! Schau! Die müssen sich den ganzen Tag mit diesem Mist auseinandersetzen! Sprengen sie einen Ring, bildet sich der nächste! Sie müssen jeder Spur nachgehen, und dann trifft es eben auch einmal den Falschen!"
Sie war mittlerweile wirklich dieser Ansicht, hatte eher Mitleid mit den Beamten. „Man müsste sie eher in ihrem schweren Job unterstützen! Vielleicht machen wir das auch!" Die Idee war ihr gerade gekommen.
Joe und Abby sahen sich an. „Du hast echt recht! Es ist toll, dass du so denken kannst. Wenn ihr Unterstützung braucht, melde dich bei uns. Wir kennen eine ganze Menge Leute, und etwas Geld könnten wir auch beisteuern."
Als Lena aus dem Laden ging, wusste sie, dass sie ihrer etwas seltsamen Freundesschar zwei weitere Exemplare hinzufügen würde können!
Alex
Alex lief mit Bill lachend und aufgedreht durchs Städtchen. Er verstand sich immer besser mit dem Freund seiner kleinen Schwester.
So schlecht war ein Männerausflug gar nicht!
Wenn da nur nicht die quälende Sehnsucht nach ihren beiden Süßen gewesen wäre!
Alex hatte nie Zeit für enge Freundschaften gefunden. Gut, die Kumpel aus der Schulzeit traf er hin und wieder, aber der Tod seines Vaters hatte ihn in einer Phase der Jugend erwischt, in der junge Männer Zeit miteinander verbrachten, gemeinsam Abenteuer erlebten, zusammen erwachsen wurden.
Diese Phase hatte er überspringen müssen. Dann kam der stressige Job, er durfte sich nicht auf den Lorbeeren seines Vaters ausruhen, musste sich aus eigener Kraft einen Platz erobern.
Er hatte das nie mit Ellbogen gemacht, seine Leistung sorgte dafür, dass er der jüngste leitende Direktor in der Geschichte des Unternehmens geworden war.
Dass Max ihn beinahe wie einen Sohn behandelte, hatte nur bedingt mit der Freundschaft zu seinem Vater zu tun. Wenn er eine Niete gewesen wäre, hätte er zwar sicher sein Auskommen gehabt, aber er wäre nie so schnell so hoch aufgestiegen.
Bill hatte seine Freunde der Schulzeit in England zurückgelassen, als er sich entschieden hatte, in Deutschland zu studieren. Hier an der Uni war er der etwas seltsame Engländer. Zu höflich, zu ernsthaft, vielleicht auch zu wohlhabend.
Er hatte kein Interesse an Saufgelagen, an Drogen, am Weiber-Aufreißen.
Er wollte lernen, ein guter Arzt werden, seine Traumfrau kennenlernen. Ihm ging es nicht um Quantität, sondern um Qualität bei den Mädchen.
Als er Olivia zum ersten Mal gesehen hatte, wusste er, dass er seine Traumfrau gefunden hatte. Es hatte Klick gemacht, und das war's dann!
Deshalb genoss er auch die Tage mit Alex, der schon ein verdammt cooler Typ war. Er war mehr als glücklich, dass er sich so schnell gefangen hatte. Natürlich vermisste er Olivia bis zur Atemlosigkeit, aber sie würde ja da sein, wenn er nach Hause kam.
Alex steuerte zielsicher ein Tattoo-Studio an. Den Entwurf hatte er in seiner Brieftasche verstaut.
Lena hatte ihn in den glücklichen Tagen immer wieder genervt, dass sie sich Tattoos stechen lassen sollten. Er hatte stets abgewiegelt, hatte sich etwas zu alt dafür gefühlt. Aber jetzt würde er ihr diesen Wunsch erfüllen!
Als sie den Laden verließen, schmückte seinen linken Oberarm ein Herz mit Lenas Namen, ein kleineres mit Alessias und darunter eine Art von Girlande aus lauter Unendlichkeitszeichen. Der Schmerz war kaum erträglich gewesen, aber er hatte die Zähne zusammengebissen. Für seine Süße würde er alles aushalten!
Dann suchten sie noch einen Juwelierladen auf, an den er sich gerne erinnerte. Hier hatte er die auffälligen Eheringe anfertigen lassen. Er legte dem jungen Goldschmied eine Reihe von Zeichnungen vor.
Er wollte für seine Frau ein Bettelarmband mit Anhängern, die die Stationen ihrer Liebe darstellten.
Ein Bus – weil sie sich da eigentlich kennen gelernt hatten.
Ein Truck – weil die Trucker sie ihm zurückgebracht hatten.
Ein Wohnmobil als Erinnerung an ihren ersten Urlaub.
Eine Hütte, halb verfallen, eine kleine Villa.
Ein Bett – das würde sie schon verstehen!
Ein Platz mit Tischen und Stühlen – es war nicht einfach, das in Miniatur darzustellen – stand für Mirkos Restaurant.
Eine Pferdekutsche - ihre Verlobung
Eine Kirche – ihre Hochzeit.
Ein Kinderwagen – Alessia.
Ein Computer – da hatte sie ihre Sprachen gelernt.
Dann hatte er noch versucht, das Gebäude der IHK zu zeichnen, wo sie ihre Prüfungen so erfolgreich abgelegt hatte. Sie würde es schon erkennen.
Als letztes ein großes Herz mit einem riesigen Saphir.
Der Goldschmied nahm die Herausforderung an. Er mochte den Deutschen, den Wohltäter seiner Stadt und - natürlich auch seine schöne Frau.
„In einer Woche ist fertig!" Er nannte einen sehr hohen Preis.
„In zwei Tagen - und ich zahle das Doppelte!" bestimmte Alex.
Der junge Mann schlug ein. Er würde eben Tag und Nacht arbeiten, aber dann konnte er das Haus kaufen, das er schon so lange im Auge hatte und sein Mädchen um seine Hand bitten!
Der Besuch beim Juwelier hatte Bill sichtlich zum Grübeln gebracht. Alex hatte ihm erzählt, dass er hier den Verlobungsring für Lena gekauft hatte, schon am Ende ihres ersten Urlaubes.
Da war er sich bereits sicher gewesen, dass er sie unbedingt heiraten musste.
Sie war einfach perfekt!
Am Abend in der kleinen Bucht musste die Frage aus Bills Seele.
„Meinst du, Olivia würde mich heiraten?" stieß er schnell hervor, bevor ihn der Mut verließ.
Alex sah ihn erstaunt an. „Dich? Olivia?"
Bills Herz sank in die Kniekehlen.
„So eine hässliche Kröte? So einen ungebildeten, ungehobelten, unsympathischen Kerl?" bohrte Alex weiter die Pfeilspitze in das Herz des angehenden Mediziners. Doch dann merkte der an dem Grinsen um Alex' Lippen, dass der ihn gehörig auf die Schippe genommen hatte.
Er spielte gerne mit. „Habe ich mir schon gedacht!" seufzte er. „Na denn! Muss ich mir eben eine suchen, die nicht so hohe Ansprüche stellt!"
Alex nahm ihn unversehens in den Schwitzkasten. „Dir geb ich! Eine andere suchen! Ich rechne sehr mit dir als Schwager!"
Lachend rollten sie durch den Sand. Plötzlich hielt Alex inne. „Und als Freund!" sagte er ernst.
Sie klatschten sich ab. „Schau nach oben! Dad's Stern blinkt wie verrückt! Er ist sehr mit dir als Schwiegersohn einverstanden!"
Doch Bill war noch nicht so ganz überzeugt. Die Zustimmung eines Schwiegervaters oder Schwagers war schon okay. Aber ob die wunderschöne Olivia auch so dachte? Er war nicht gerade ein Womanizer.
Wenn sie eher auf Typen wie ihren Bruder stand?
Er war um einen Kopf kleiner als Alex und bei weitem nicht so gut gebaut. Er hatte auch nicht viel Zeit, um Sport zu machen. Das Studium forderte ihn schon sehr.
Andererseits war Livy wohl wirklich verliebt in ihn. Sie lebten schon einige Monate zusammen, und es klappte mehr als gut. Sie respektierten sich als eigenständige Menschen, ließen sich die nötigen Freiräume.
Nie hatte sie auch nur eine Augenbraue gehoben, wenn er erst mitten in der Nacht nach Hause gekommen war, weil ein Seminar sich ewig hingezogen hatte.
Genauso wenig machte es ihm aus, wenn sie vor Prüfungen kaum ansprechbar war, weil sie nahezu Tag und Nacht paukte.
Im Bett klappte es mehr als gut, sie war eindeutig die Erfahrenere von ihnen beiden, aber er war ein williger Schüler. Mittlerweile war er ganz schön auf Trab!
Sagte man das so auf Deutsch? dachte er blödsinniger Weise.
Egal! Ihr Zusammenleben war für ihn eine Aneinanderreihung wunderschöner Tage gewesen. Nie hatte es Streit gegeben, nie eine ungute Stimmung.
Ausnahme war die Zeit gewesen, als Alex verschwunden und Lena nach München umgezogen war.
Aber auch da war sie immer fair mit ihm umgegangen, hatte sich halt Sorgen gemacht, hatte ein Ventil gebraucht.
Und er hatte ja wirklich Mist gebaut, damals!
All das ging ihm in Sekundenschnelle durch den Kopf. Ja! Er würde sie bitten, seine Frau zu werden!
Sie war die Traumfrau, auf die er gewartet hatte!
Alex ließ ihm die Zeit für seine Gedanken. Bill war noch sehr jung, sein Leben lag vor ihm, wie auch vor seiner Schwester.
„Ich werde einen Ring kaufen!" erklärte Bill schließlich. „Ich werde sie fragen!"
Ein Stein war von seinem Herzen gepoltert, endlich sah er klar.
Zu Hause war immer wenig Zeit, zu hektisch war der Alltag von zwei Studenten, die ihr Studium gut und schnell abschließen wollten.
Auch wenn die Umwelt das sich nicht so vorstellte.
Auch wenn alle dachten, Studenten würden den ganzen Tag schlafen und die Nächte durchfeiern.
Zwei Tage später holte Alex das Armband ab. Es war noch schöner geworden, als er sich vorgestellt hatte. Er bezahlte den doppelten Preis, ohne mit der Wimper zu zucken, legte noch einen Bonus für die hervorragende Qualität drauf.
Als Bill nach einem wirklich schönen Verlobungsring fragte, war das Glück des Goldschmieds perfekt!
Er holte aus dem Safe drei extra teure Stücke, die er in Kommission hatte. Bei einem Verkauf würde ihm eine ziemlich große Summe bleiben.
Bills Wahl war schnell getroffen. Der mit Abstand teuerste Ring war auch der, der hundertprozentig zu Olivia passen würde.
Ein eher unauffällig geschliffener farbloser Diamant an einem relativ breiten Platinreif. Seine Schöne hatte lange, schmale, wunderschöne Finger, da würde das auffällige Teil nicht zu protzig wirken.
Ohne mit der Wimper zu zucken, zückte er seine Kreditkarte. Die Größe müsste passen. Wenn nicht, konnte er ihn zu Hause ändern lassen.
„Na! Knausrig bist du ja nicht gerade!" stellte Alex vor der Türe des Ladens fest.
„Du vielleicht?" schoss Bill zurück.
„Ich bin ja kein Student!" gab Alex zu bedenken.
Bill lachte leise. „Ich bin – wie sagt man bei euch? Mit dem silbernen Löffel geboren?"
„Ja! Mit dem silbernen oder mit dem goldenen, je nachdem!" antwortete Alex.
„Na, dann bin ich wohl eher mit dem goldenen Löffel geboren!" offenbarte Bill.
Alex sah ihn etwas überrascht an. Wegen der Wohnung hatte er schon gedacht, dass der Engländer kein ganz mittelloser Student war, aber ein größeres Vermögen hatte er nicht auf dem Schirm gehabt.
Bill grinste den Älteren an. „Olivia weiß, dass ich kein armer Schlucker bin. Aber es ist ihr egal!"
Alex grinste zurück. „Ich habe nichts anders erwartet!"
Er schlug Bill auf die Schulter, dass der ein wenig in die Knie ging. Vielleicht sollte er doch ab und zu ein paar Gewichte stemmen?
„Dann hauen wir morgen ab!" beschloss Alex. Er hatte schon seit Tagen nicht mehr an die schlimmen Bilder in seinem Kopf gedacht. Das Herumgeblödel mit Olivias Fast-Verlobtem hatte ihn so abgelenkt, dass die Lebenslust zurückgekehrt war.
„Und du lädst mich heute bei Mirko zum Essen ein! Das kommt dir nicht teuer, weil ich eh nichts bezahlen muss bei ihm!" Lachend nahmen die beiden deutschen Männer ihren Stammplatz auf dem Freisitz ein.
Mirko bediente sie glücklich. Sein Anbau war fertig und schon gut gebucht. Seinen Sohn hatte er nach dem Wohltäter, zu dem sein Freund geworden war, benannt. Schade nur, dass Lena nicht dabei war.
Aber Slavko hatte ihm die Story von Alex' Verhaftung erzählt, er verstand gut, dass der Deutsche erst einmal seinen Kopf wieder frei bekommen musste.
Unvorstellbar, dass man diesem großartigen Mann solch schlimme Dinge unterstellt hatte!
Danica setzte ich zu ihnen, dann tauchte Slavko mit Annegret auf, kurz darauf kamen auch seine Brüder mit ihren Frauen.
„Morgen fahrst zu Engelchen?" fragte der Bürgermeister.
„Yep!" freute sich Alex. Er hatte jeden Abend mit seiner Süßen telefoniert, und ein wenig mit Alessia geplaudert, die den Hörer immer sehr verwundert angesehen hatte, wie Lena berichtet hatte.
„Papa? Papa?" hatte sie gefragt. „Abeit? Hause? Aua?"
Er hatte sie immer beruhigt, hatte dabei Tränen in den Augen. Hatte es wirklich eine Zeit gegeben, in der er dieses Kind, das er so sehr liebte, abgelehnt hatte?
Ohne Lenas Geduld hätte die Liebe zu seiner Tochter nie so wachsen können.
„Ja, Süße! Papa ist bei der Arbeit. Ich komme bald nach Hause! Und ich habe kein Aua mehr!"
„Papa Hause! Kein Aua!" informierte die Kleine glücklich juchzend die Mama, zu der ein wunderschönes, sehr junges Mädchen ganz schnell hatte werden müssen.
Auf der Heimfahrt freute sich Alex auf die Überraschung in Lenas Augen, wenn er ihr so ganz nebenbei sein Tattoo vorführte.
Alles war sehr gut verheilt, die kleinen Bilder gefielen ihm selbst sehr gut.
„Warum hast du dir nicht auch gleich eines stechen lassen?" hatte er Bill gefragt, der nur das Gesicht verzogen hatte.
Dann fuhr er endlich auf den Parkplatz bei seiner Wohnung.
„Ach! Hätte ich dich nach Hause fahren sollen?" Er war ganz in Gedanken gewesen.
Bill lachte. „Nein! Passt schon! Die paar Meter kann ich laufen!" Schnell packte er seine Reistasche und lief los.
Er musste jetzt endlich Olivia, die Liebe seines Lebens wiedersehen!
Sie küssen, fühlen, schmecken, lieben!
Und um ihre Hand bitten!
Alex steckte gerade den Schlüssel ins Schloss der Haustüre, als diese aufgerissen wurde. Lena fiel ihm um den Hals, die Tochter hatte sie auf dem Arm, sie wurde ein wenig zwischen dem Liebespaar eingequetscht.
Aber Alessia hielt erstaunlich still. Der Papa und die Mama küssten sich wieder, das war schön! Das hatte in den letzten Tagen gefehlt in ihrem jungen Leben.
Sie war es doch gewohnt, dass die beiden immer aneinander klebten!
Taumelnd vor Glück gingen die Erwachsenen nach oben.
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