Kapitel 70
Alex
Alex saß im Vernehmungszimmer, sein Anwalt saß stumm neben ihm. Man ließ sie warten. Gunnar hatte versucht, mit dem Maschinenbauer zu sprechen, eine Strategie auszuarbeiten, aber der hatte ihn nur angefahren: „Wollen Sie mich jetzt ernsthaft fragen, ob ich meine Tochter missbraucht habe? Kümmern Sie sich lieber um Lena und Alessia! Ich komme schon klar!"
Doch der Anwalt wollte wenigstens bei der ersten Vernehmung dabei sein, ließ sich von einem seiner Chefs auch nicht verbeißen.
Alex sah sich um. Lena und er waren Krimifans, sie hatten oft zusammen Filme gesehen, in denen Verdächtige verhört worden waren. Sie als ehemalige Jurastudentin hatte sich immer wieder mokiert über realitätsfremde Szenarien. Wie sie die Situation hier wohl einschätzen würde?
Ein angesehener Maschinenbauer, Leistungsträger eines DAX-Unternehmens, gutaussehend und wohlhabend, wurde eines unglaublichen Verbrechens beschuldigt, saß schweigend seit Ewigkeiten neben seinem Anwalt in einem seltsam gemütlich möblierten Raum. Auf einem Sideboard standen Getränke wie in einem Konferenzraum, kleine Snacks waren daneben aufgebaut.
Die Stühle waren bequem, das Licht nicht grell sondern warm, die Wände in einem angenehmen Creme-Ton gestrichen.
Dann endlich öffnete sich die Türe, und mit dem Beamten kam ein eisiger Luftzug herein, der nichts mit der herrschenden Temperatur zu tun hatte, sondern mit dem Blick aus seinen Augen.
„Sind Sie einverstanden, dass unser Gespräch per Video aufgezeichnet wird?" fragte er, und seine Stimme war noch kälter als seine Augen.
„Natürlich!" antwortete Alex, um Ruhe bemüht.
Der Beamte sprach in Richtung der Kamera. „Erstes Verhör Dr. Alexander Borchert. Anwesend: Hauptkommissar Gernot Bachmeier, der Anwalt des Beschuldigten, Dr. Gunnar Siebenbrock."
Dann ließ er die Finger knacken.
„Gut! Sie sind hier, weil eine Person aus Ihrem persönlichen Umfeld Sie beschuldigt, seit Jahren kinderpornografisches Material zu besitzen und zu teilen. Außerdem sollen Sie besagte Person in die Psychiatrie eingewiesen haben, um sich Zugriff zu der gemeinsamen Tochter zu verschaffen mit dem Plan, sich an ihr zu vergreifen und Material darüber zu verbreiten!"
In Alex stieg die Galle hoch. Evi! Dass sie so weit gehen würde, hätte er niemals gedacht! Ihm wurde auch speiübel bei dem Gedanken an das, was ihm vorgeworfen wurde. Es gab nichts auf der Welt, was er so verabscheuungswürdig fand, als einem Kind so etwas anzutun! Sich damit gedanklich befassen zu müssen und auch noch diese Anschuldigungen abstreiten zu müssen, verursachte ihm körperliche Schmerzen.
Der Beamte sah ihn fragend an. Er hasste diese Typen, die alles im Leben zu haben schienen und doch solche Verbrechen an unschuldigen Kindern begangen. Er musste sehr an sich halten, um dem Kerl nicht in die Fresse zu hauen.
Alex hob die Hände. „Erwarten Sie allen Ernstes eine Antwort von mir?"
„Wenn Sie sich selbst belasten, können Sie natürlich die Antwort verweigern."
Der Anwalt sah entnervt zur Zimmerdecke. Dr. Borchert sollte kooperativer sein! Sich nicht um Kopf und Kragen reden!
„Also, ich weise diese Vorwürfe natürlich vehement zurück. Ich habe nicht die geringsten pädophilen Neigungen, all das liegt mir ferner als fern!" Alex riss sich zusammen.
Dann schoss der Hauptkommissar Gernot Bachmeier seine Fragen los.
„Sie haben fünf Jahre lang in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau Eva Meier gelebt?"
„Nein!" Die Beziehung mit Evi eheähnlich zu nennen, hätte die Ehe mit Lena in den Schmutz gezogen.
„Sie hat bei mir gewohnt, fünf Jahre lang, das ist richtig!"
Der Kommissar hob wieder eine Augenbraue, eine Angewohnheit, die Alex zunehmend nervte.
„Frau Meier sagte aus, dass sie in dieser Zeit wenig Sex zusammen hatten. Sie sind ein junger Mann!"
Alex atmete tief ein und aus. „Ja, ich bin ein junger Mann, und vor allem bin ich ein ganz normal gepolter Mann. Ich hatte keinen Mangel an Bettgenossinnen."
„Sie sind also fremdgegangen? Wie oft?"
„Wie oft? Zwei, dreimal die Woche, würde ich schätzen!"
„Gibt es Damen, die das bestätigen können?"
„Sicher! Man müsste sie halt finden!" Wenn es nicht einen so ernsten Hintergrund gegeben hätte, hätte Alex sicher einen Lachanfall bekommen bei der Vorstellung, seine Geliebten würden in ganz Regensburg zusammengesucht!
„Sie haben eine jüngere Schwester? Frau Meier erklärt, dass sie ein ungewöhnlich enges Verhältnis zu dem Mädchen haben?"
Alex sprang auf. „Sie wollen mir aber jetzt nicht unterstellen, dass ich meine Schwester missbraucht habe? Mein Vater starb, als Livy zwölf Jahre alt war. Da war es mehr als natürlich, dass ich mich besonders um sie gekümmert habe!"
„Und wie sah dieses Kümmern aus?" Das „Kümmern" klang in Alex' Ohren wie die schlimmste Beschimpfung, die er sich hätte vorstellen können. Er kämpfte mühsam um Beherrschung. Gunnar legte beruhigend seine Hand auf den Arm seines Klienten.
„Ich habe viel mit ihr geredet, habe Ausflüge mit ihr gemacht, um sie abzulenken, sie und meine Mutter!"
„Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass Ihre Freundin schwanger war?" wechselte der Beamte das Thema.
„Ich war nicht sehr glücklich darüber. Ich hatte mich gerade in meine jetzige Frau verliebt, wollte mich von Evi trennen. Sie hat mich mehr oder weniger in die Babyfalle gelockt!"
„Aber dann haben Sie sehr schnell Ihre Meinung geändert! Plötzlich haben Sie alles daran gesetzt, das Sorgerecht für Ihre Tochter zu bekommen."
„Warum verdrehen Sie denn dauernd die Fakten so?" Alex verstand das alles nicht mehr, noch weniger als vorher. „Ich war ganz zu Anfang überfordert, dann habe ich nachgedacht, bin zu einer anderen Sicht auf die Dinge gekommen, auch durch Lena, die ohne Vater aufgewachsen ist. Ich wollte das gemeinsame Sorgerecht mit Evi zusammen, doch sie hat das Kind vollkommen abgelehnt, wollte, dass ich es zu mir nehme, wenn ich nicht zu ihr zurückkäme. Das ist alles ganz einfach zu beweisen, wenn Sie die Ärzte der Klinik befragen würden, anstatt mir derartige Dinge zu unterstellen."
Er tobte innerlich, bemühte sich aber, ruhig zu sprechen.
„Frau Meier sagt aus, dass Sie sie gegen ihren Willen haben einweisen lassen!"
„Das ist eine ganz glatte Lüge. Der Freund meiner Schwester, der Medizin studiert, hat eine Schwangerschaftspsychose diagnostiziert, Fachleute haben das bestätigt. Ich war zu der Zeit gar nicht im Lande. Ich war in Kroatien, mit Lena, die sich von einer Verletzung erholen musste, die Evi ihr zugefügt hat."
„Hat dieser besagte junge Mann in Ihrem Auftrag gehandelt?"
„Nein! Weder in meinem Auftrag noch mit meinem Wissen!"
„Als das Kind geboren war, haben Sie es sehr schnell zu sich geholt!"
„Die Klinik konnte Alessia nicht länger behalten. Sie war ein schwieriges Schreikind!"
„Zeugen zufolge haben Sie auch in diesem Jahr etliche Monate in Kroatien verbracht!"
„Ja, wir haben dort ein kleines Häuschen am Meer. Wir sind gerne dort, haben auch dort geheiratet!
„Sehr schnell, wie Zeugen aussagen!"
„Ist das jetzt auch ein Verbrechen? Wir kannten uns ein Jahr, lieben uns, wollen für immer zusammen bleiben. Warum sollten wir da nicht heiraten?"
„Gibt es in diesem Häuschen in Kroatien Internet?"
„Ja, natürlich! Besseres als hier! Ich habe dort viel gearbeitet, und Lena hat Sprachen gelernt!"
Der Beamte schwieg eine Weile, sah Alex durchdringend an. Der Kerl war nicht leicht zu knacken.
Wenn er nicht all die Beweise gesehen hätte, wäre er womöglich versucht gewesen, ihm seine Storys abzunehmen.
Er steckte einen Stick in ein Abspielgerät. Alex hörte den Dialog, den er zuletzt mit Evi gesprochen hatte. Und jetzt fiel ihm auch auf, was ihn dabei so gestört hatte, was ihm so seltsam vorgekommen war.
Sie hatte das Ganze da schon geplant, hatte ihn voll auflaufen lassen.
„Das ist vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen!" stöhnte er.
„Frau Meier sagt aus, dass Sie ihr eine größere Summe Geld angeboten habe, damit Sie Beweismittel vernichtet und nicht gegen Sie aussagt!"
„Ja, und Frau Meier sagt, dass der Papst eine Frau ist, und die katholischen Würdenträger begehen dann gemeinschaftlich Selbstmord!" ätzte er. „Was für Beweismittel sollte sie denn haben? Was sollte sie denn gegen mich verwenden können?" fragte er, geistig vollkommen ausgelaugt.
„Bilder von missbrauchten Kindern, die sie von Ihrem PC gezogen hat?"
„Wann sollte sie das gemacht haben?"
„Sie streiten also nicht ab, dass sie das hätte tun können?"
„Natürlich kann sie an meinem PC solchen Dreck hochgeladen habe und auf einen Stick gespeichert haben! Aber sie kann nicht von mir gespeicherte Dateien gezogen haben!"
„Weil Sie diese Sachen zu gut gesichert hatten?"
„Weil es solche Dateien nie gegeben hat! Auch das werden die Untersuchungen sicher ergeben!"
„Sie sind sich sehr sicher, dass wir nichts mehr finden werden? Sie sind ziemlich erfahren mit EDV-Dingen, nicht wahr?"
„Ich weiß, dass nie etwas von dem, was Sie vermuten, dass ich es besessen habe, auf meinem PC war. Deshalb bin ich auch sicher, dass Sie nichts finden können!" Er strich sich mit den Daumen über die Augen. Langsam verstand er, dass Menschen, wenn sie lange genug verhört wurden, alles gestanden, was die Polizisten hören wollten. Noch nie in seinem Leben hatte er eine anstrengendere Stunde erleben müssen.
„Herr Dr. Borchert, sind Sie pädophil? Fühlen Sie sich zu Kindern hingezogen?"
„Nein!"
„Haben Sie Ihre Tochter missbraucht?"
„Nein!"
„Wie oft haben Sie und Ihre Frau Sex miteinander?"
„Oft! Täglich mehrmals!"
„Ist Sex für Sie wichtig?"
„Meine Frau ist für mich wichtig! Der Sex mit ihr ist sehr erfüllend!"
„Ihr Sexualleben ist also zufriedenstellend?"
„Mehr als das, ja!"
„Lieben Sie Ihre Frau?"
„Über alles!"
„Liebt Ihre Frau Sie!"
„Ja, ganz sicher!"
„So sehr, dass sie über das hinwegsehen kann, was Sie Ihrer Tochter angetan haben?"
„Ich habe meiner Tochter nie auch nur das Geringste angetan! Und nein, wenn ich so etwas getan hätte, würde Lena nicht darüber hinwegsehen können. Denn dann wäre ich ein Tier - und sie könnte mich niemals lieben!"
„Wenn wir Ihre Internetkontakte untersuchen, was werden wir finden?"
„Nicht viel! Verbindungen zur Firma, suchen nach Flügen, Urlaubszielen!"
„Wissen Sie, wie man Zugang ins Darknet findet?"
„Nein, es hat mich auch noch nie interessiert!"
„Wie kommen Sie an das Material, das Sie wollen? Wie knüpfen Sie Kontakte zu Gleichgesinnten?"
„Mir Gleichgesinnte finde ich am Arbeitsplatz, in Kroatien, im Freundeskreis, an Urlaubsorten."
So ging es noch eine Stunde weiter. Der Kripo-Mann stellte unverfängliche Fragen, streute aber immer wieder sehr verfängliche darunter. Alex hatte das Gefühl, seinen Verstand zu verlieren. Doch jeden Einspruch des Anwaltes wies er zurück, er wollte keine Schwäche zeigen.
Am Ende gewann er. Der Polizist gab auf! Er rief einen Uniformierten. „Bringen Sie Herr Dr. Borchert in die Untersuchungszelle!"
Der Anwalt und Alex sprangen gleichzeitig auf. „Was?" rief Alex.
„Was?" rief der Anwalt. „Herr Dr. Borchert ist unschuldig, unbescholten! Warum wollen Sie ihn hierbehalten?"
Der Kommissar sah ihn durchdringend an. „Das ist ein schwerer Vorwurf. Ihr Mandant ist sehr vermögend, es besteht Fluchtgefahr!"
Jetzt tickte Alex aus. „Sie glauben, ich lasse meine Tochter und meine Frau zurück und haue ab, wegen dem Gequatsche einer Verrückten?" brüllte er.
Der zweite Beamte nahm ihn fester am Arm, Alex riss sich los. „Fassen Sie mich nicht an!"
Dann ließ er sich abführen wie ein Schwerverbrecher. Morgen würde er aus diesem Albtraum aufwachen.
An der Türe drehte er sich noch einmal um. „Darf ich wenigstens ein paar Worte mit meiner Frau sprechen?" bat er fast unterwürfig.
„Nein!" antwortet der Kommissar nur. „Wir sehen uns morgen um acht! Hier!" Er wollte keine weiteren Diskussionen mehr. Er musste das Video von dem Verhör ansehen, nach Schwachstellen in den Antworten des reichen Kerls suchen.
Gunnar versprach: „Ich kümmere mich um sie!"
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