Kapitel 7

Lena

Nach einer Stunde wachte sie schweratmend auf.
Sie hatte einen schlimmen Traum gehabt.
Alex lief auf sie zu, doch anstatt sich in ihre Arme zu werfen, umarmte er eine große, wunderschöne Frau, lachte sie an, küsste sie, ging mit ihr fort.

Er drehte seinen Kopf noch einmal zu ihr, schüttelte ihn, als wollte er sagen: „Was hast du dir denn eingebildet, Kleine? Du und ich?" Er lachte laut auf.
Sie sprang aus dem Bett, versuchte sich zu beruhigen.

„Träume sind Schäume!" sagte sie laut zu sich selbst.
Sie machte sich einen starken Kaffee, Essen konnte sie ihrem verknoteten Magen nicht antun.
Sie zog sich an, tigerte durch den kleinen Raum, sah zum Fenster hinaus, sah auf ihr Handy, versuchte zu lesen, schaltete den Fernsehapparat ein und gleich wieder aus.
Sie hatte das Gefühl, es seien Ewigkeiten vergangen, seit sie von ihm weg gegangen war, und doch waren es erst ein paar Stunden.
Na, das konnte ja lustig werden, wenn er sich wirklich erst in ein paar Tagen melden konnte, weil er seine Angelegenheiten mit der anderen Frau regeln musste!

Da brummte ihr Smartphone.

Endlich eine Nachricht von ihm! Voller Hoffnung öffnete sie den Ordner, las den kryptischen Text:

Hallo, Süße! Es gibt ziemliche Probleme,
unerwartete Probleme! Doch trotzdem bitte
ich dich, mir zu vertrauen!


Das klang nicht gut!
Das klang verdammt nicht gut!
Wann würde dann kommen: Wir können uns nicht mehr sehen!?
In diese Richtung schien es doch zu laufen, oder?
Was sollte dann aber diese Bitte um Vertrauen?
„Schlaf bloß nicht mit einem anderen, weil ich es mir vielleicht doch noch überlege? Weil ich dich vielleicht doch mal wieder anrufe, wenn ich nichts anderes fürs Bett finde?"

Sie hatte zu wenig Erfahrung mit solchen Männern!
Mit so gut aussehenden Männern, mit erwachsenen Männern!
Tickten die so?

Bisher hatte immer sie die Affären mit den ungefähr Gleichaltrigen beendet, mal schneller, mal nach längerer Zeit, aber sie hatte immer offen ausgesprochen, was Sache war!
Warum war er nicht auch so offen mit ihr?
Na, dann musste sie eben offen sein!
Er sollte sich nicht einbilden, dass sie heulend im stillen Kämmerlein säße und auf ihn wartete!

Mach dir keinen Kopf!
Es war eine heiße Nacht, lass uns
nicht mehr hineininterpretieren!
Ich fahre eh ein paar Tage
mit meiner Clique weg!
Man sieht sich ja vielleicht wieder einmal!
schrieb sie zurück.

Gut, dass die Tränen nicht mit übertragen wurden, die aufs Display tropften und auch nicht die Schluchzer, die sie schüttelten.

Alex und Lena

Alex erstarrte, als er ihre Antwort las.
Was sollte das jetzt?
Was wollte sie ihm denn jetzt mitteilen?
Dachten junge Mädchen so?
Er hatte zu wenig Erfahrung mit dieser Altersklasse.
Aber so konnte er sich doch nicht getäuscht haben!
Sie hatte doch etwas für ihn empfunden!

Klar! meldete sich die Stimme in seinem Kopf. Lust! Geilheit! Spaß! Vergnügen!

Er schüttelte den Kopf, um den Teufel darin zu vertreiben.

Er las noch einmal, was er ihr geschrieben hatte.
Gut, da ließe sich auch etwas wie Abservieren hinein interpretieren!
Sie kannte ihn ja nicht. Er könnte ja durchaus das Arschloch sein, das sie wohl hinter seiner Botschaft vermutete.

Er konnte ihr die Sache mit dem Kind jetzt im Moment nicht erklären, aber er durfte sie auch nicht verlieren.
Diese Schreiberei war ja auch blöd! Warum sprach man nicht einfach miteinander?
Er antwortete trotzdem:

Nein, du wirst nicht mit deiner Clique
wegfahren! Ich habe mich von Evi getrennt,
wie versprochen, aber es gibt etwas,
das ich nicht hier und nicht jetzt besprechen kann!
Ich werde dich jetzt gleich anrufen, und ich bitte dich,
geh ran! Lass mich nicht mit der Mailbox verhungern!

Er hatte es gehofft, aber eigentlich nicht erwartet, doch sie nahm das Gespräch an.
Erleichtert atmete er aus, merkte, wie lange er die Luft angehalten hatte.
„Danke, Lena!" sagte er, froh darüber, dass sie reif genug war, ihm zuzuhören, dass sie kein bockiges Gör war.
„Was hast du mir zu sagen?" fragte sie kühl, aber nicht so eiskalt, wie ihr Text sich gelesen hatte.

„Eine ganze Menge!" antwortete er, und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Dass ich dich vermisse! Dass du wunderschön bist! Dass ich mich wohl total verknallt habe! Dass es mir im Moment miserabel geht, aber auch schon wieder ein wenig besser, weil du mir zuhörst und mich nicht weggedrückt hast!"

„Weiter!" flüsterte sie.
Er lachte leise, merkte, wie seine Seele zu heilen begann, wie Evis böse Worte sich auflösten, wie die Sorgen schrumpften.
Nein, dieses Leben ließ er sich nicht in Trümmer schlagen!
„Ich fahre jetzt zu meiner Mutter, hoffe, dass Olivia auch kommt, denn ich brauche Rat von den beiden. Also, ich brauche im Moment die Unterstützung der Menschen, die mich gut kennen!"

Er hoffte, dass sie diese Worte nicht in den falschen Hals bekommen hatte.
Aber er war nur ehrlich gewesen.
Er brauchte im Moment seine Familie!

„Das ist gut! Familie kann viel bewirken!" antwortete sie, und er hörte etwas wie Zärtlichkeit in ihrer Stimme, aber auch einen Hauch von Bitterkeit.
„Danke, Lena! Und du fährst nicht weg?" fragte er sicherheitshalber.
„Nein! Ich hatte dich ein wenig falsch verstanden, wollte dir zuvor kommen!" gestand sie ein.
„Gut! Ich melde mich wieder, wenn mein Kopf ein bisschen klarer ist!" Er war ihr so dankbar, dass sie nicht bohrte, ihn nicht unter Druck setzte.
Dieses kleine, zarte, junge Mädchen schien eine ungeahnte menschliche Größe, eine unerwartete Reife zu haben.

Er rief bei Olivia an, ging nicht auf ihre Frotzeleien wegen Lena ein, bat sie, zu ihrer Mutter zu kommen.
Sie zögerte ein wenig, es war gerade sehr schön bei Bill.
„Bitte, Livy! Ich brauche dich!"

Seine Worte rissen ihr fast das Herz aus ihrem Körper.
Ihr wunderbarer Bruder, der sie so lange so sehr aufgefangen hatte, brauchte sie!
Und sie ließ ihn betteln!
„Natürlich! Ich bin schon unterwegs!" rief sie und legte auf.
Bill brachte sie zum Haus ihrer Mutter.
„Meinst du, er hat Probleme mit Lena?" fragte er.
„Keine Ahnung! Irgendwie hängt es wohl auch mit Evi zusammen, die ja immer samstags kommt!" erklärte sie.

„Autsch! Er fährt zweigleisig? Das ist aber auch nicht die feine Art!"

„Ich weiß ja nicht, ob da mit Lena was gelaufen ist!" verteidigte sie ihren Bruder.
„Na, es sah schon danach aus, als würde die Luft brennen zwischen den beiden!" Bill hatte die Anspannung mehr als deutlich gespürt. „Auf alle Fälle steckt da sicher mehr als Liebeskummer dahinter, wenn er dich bittet, zu kommen!"

Olivia gab ihm recht und bekam etwas Angst.
Alex würde doch nicht krank sein?
„Soll ich im Auto warten oder rufst du mich dann an, wenn du mehr weißt?" fragte Bill.
Sie küsste ihn für sein Verständnis. „Ich melde mich! Und danke!"
Er nahm sie in die Arme. „Ich habe zu danken!" sagte er leise und küsste sie zärtlich.

Kurz darauf kam Alex an.
Livy warf sich in seine Arme. „Ist alles in Ordnung?" fragte sie aufgeregt.
„Ja, im Grunde schon! Und nein, es ist ziemlich verfahren!" antwortete er und winkte Bill zu, der wegfuhr.
Seine Mutter freute sich, ihre Kinder so eng zu sehen.
Zwischen die beiden hatte nie ein Blatt Papier gepasst, seit Klaus verunglückt war.
Ihr Großer hatte seinen beiden Damen, wie er sie immer nannte, unheimlich viel geholfen. Obwohl er selbst vom Schmerz zerfressen war, hatte er alles in die Hand genommen.

Angefangen von der Identifizierung, über die Beerdigung, die Gespräche mit der Bank und der Firma, damit sie ihr Haus nicht verloren.
Er war ihrer Tochter Vater und Mutter gewesen, weil sie selbst zu nichts als Heulen fähig gewesen war.
Sie hatte dem damals 20jährigen eine große Last aufgebürdet, versuchte, viel wieder gut zu machen an ihm, seit sie wieder am Leben teilnehmen konnte.
Und heute hatte er Sorgen, war damit zu seiner Familie gekommen, brauchte Hilfe!

Als alle im Wohnzimmer saßen, begann Alex zu erzählen.
„Also, ich weiß jetzt gar nicht, von welcher Seite ich anfangen soll!"
Er holte tief Luft. „Ich denke von der angenehmen. Am Dienstag habe ich im Bus ein Mädchen gesehen, das mich umgehauen hat. Voll, ganz, total! Am Freitag habe ich sie auf der Party, zu der mich meine liebe Schwester geschleppt hat, wieder getroffen. Wir haben uns wohl ziemlich verknallt ineinander und eine wunderbare Nacht zusammen verbracht.
Ich wollte ihr vorher von Evi erzählen, aber sie hat mir nicht zugehört. Am Morgen habe ich sie dann dazu gezwungen, habe ihr aber auch erklärt, dass ich mit Evi Schluss machen wollte, also, dass ich den Wunsch schon gehabt hatte, bevor ich sie kennengelernt hatte."

Livy klatschte begeistert in die Hände. Das war ja wundervoll!
Doch Alex schüttelte den Kopf. „Das dicke Ende kommt jetzt!" Und er berichtete von Evis „Überraschung".
„Scheiße!" stieß Olivia hervor.
„So ein Mist!" schloss sich seine Mutter an. „So ein verrücktes Biest! So ein Mistvieh!"
Sie hatte die schreckliche Frau nie leiden können, und diese Abneigung war mehr als die natürliche Eifersucht einer Mutter.
Evi war falsch, hatte von Anfang an falsch gespielt!
Hatte sich bei Alex eingenistet, der ihr nicht gewachsen war, Gutmensch, der er war.
Alex ließ den beiden Zeit, die Neuigkeit zu verdauen.
„So! Und jetzt sitze ich da, bin schockverliebt und werde Vater von einer anderen Frau, von der ich mich genau am Tag der großen Offenbarung trennen wollte!"

„Hast du mit Lena schon gesprochen?" fragte seine Schwester.
„Nein! Ich hab das nicht geschafft! Wir kennen uns ja kaum! Ich musste mit euch reden! Ich muss Klarheit in meinen Kopf bringen! Ich bin so durcheinander, wie noch nie in meinem Leben!" Er rieb sich das Gesicht, als könnte er damit die Sorgen loswerden.

Sabine, seine Mutter, sah ihn mitleidsvoll an.
„Das ist schwer, mein Junge! Auf der einen Seite eine Verliebtheit, von der keiner weiß, was daraus wird. Auf der anderen ein unschuldiges Kind, das geboren werden wird, das ohne Vater aufwachsen wird!" Sie legte den Arm um seine Schultern.

Für Alex wurde durch die Worte seiner Mutter dieses sein Leben störende Etwas zum ersten Mal zu dem, was es war: Zu seinem Kind!
Zu einem Jungen oder einem Mädchen, das er vielleicht, wahrscheinlich sogar, lieben würde.
Aber er konnte diesem Sohn oder dieser Tochter nicht sein Leben opfern!
Ganz egal, ob aus der Sache mit Lena eine Beziehung wurde oder nicht!
Er konnte nicht bei Evi bleiben oder zu ihr zurückgehen, wenn es nicht klappte mit dem schönen Mädchen.

Dieses Leben wollte er auf keinen Fall!
Aber vielleicht konnte er Vater sein?
Doch was würde er da von Lena verlangen?
Sie war 22!
Sollte sie bei einem Mann bleiben, der ein Kind mit großzog?
Der seine Ex ständig treffen musste wegen dieses Kindes?
Würde sie das Kind ablehnen, weil es nicht ihres war?
Er wusste so wenig von ihr!
Er sprach über all diese Gedanken mit seinen beiden Damen.

„Stell dir vor, Livy, dein Bill würde Vater von einer seiner Exen. Wie würdest du reagieren? Könntest du mit dieser Situation klarkommen?" Er sah seine Schwester ernst an.
Olivia wich seinem Blick aus.
Sie wusste keine Antwort.
Sie versuchte, sich in die Situation hineinzudenken.
Würde sie Bill in so einem Fall aufgeben?
Nein!
Ja!
Nein!

„Es käme wohl darauf an, wie eng er mit der anderen war! Ob ich fürchten müsste, dass da wieder Gefühle aufflackern!" antwortete sie schließlich.
Diese Worte halfen Alex sehr.
Da müsste Lena ja wirklich nichts befürchten.
Aber das mit ihr war so frisch!
Es sollte nicht von solchen Problemen belastet werden, was sie begonnen hatten!

Vielleicht sollte er noch eine Weile schweigen?
Warten, bis sie ihn besser kannte.
Aber das hieße, alles auf einer Lüge aufzubauen!
Sie diskutierten jeden seiner noch so verqueren Gedanken.
Es ging hin und her mit den Meinungen.
Schließlich fasste seine Mutter zusammen. „Also, an erster Stelle sollte jetzt deine Einstellung zu diesem Kind stehen. Willst du in seinem Leben eine Rolle spielen oder hast du kein Interesse daran? Könntest du dein Leben führen, ohne dieses Kind je zu sehen? Könntest du damit glücklich werden?"

Alex sah sie an.
Sein Blick war offen. „Nein, ich glaube, so könnte ich nicht glücklich werden!" sagte er leise und wusste, dass es genauso war.
„Und wenn jetzt Lena dieses Kind vollkommen und absolut ablehnen würde, könntest du dann mit ihr glücklich werden?" spann die Mutter den Faden weiter. „Mit einer Frau, die so reagiert?"
„Nein! Ich glaube nicht!" gab er zu.

Olivia sah die Sache etwas anders, mehr von der romantischen Seite. „Und könntest du ohne Lena glücklich werden?" warf sie ein. „Wenn du eure Liebe diesem Kind opferst, das du nicht wolltest, könntest du dir das irgendwann einmal verzeihen?"
Alex' Augen schwammen in Tränen.
Er wusste keine Antwort!
Er wusste es einfach nicht!

Würde er das Kind hassen, weil es ihn seine Liebe gekostet hatte?
Liebe?
Warum dachte er denn schon an Liebe?
Nach einer heißen Nacht?
Olivia hatte das angesprochen, aber es hatte sich richtig angehört!
Liebe!
Das klang gut, das klang wahr!

Er musste mit Lena sprechen!
Er musste wissen, ob sie ihn unter den veränderten Umständen noch wollte.
Ob sie bereit war, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.
Aber wo?
Wie?
Fast wäre er versucht, sie hierher zu holen, damit er Fürsprecher hatte.
Aber war das nicht feige?
Andererseits - er kämpfte!
Und in der Liebe und im Krieg waren alle Mittel erlaubt.

„Wenn ich sie herbringe, würdet ihr mich unterstützen? Sie kennt den Mann Alex nicht! Sie weiß nicht viel von Evi! Ich könnte ein paar Leumundszeugen gut gebrauchen!" schlug er vor.

Seine Mutter lächelte. „Das ist eine gute Idee, Alex! Wir können sie sicher auch vor irgendwelchen unbedachten Gefühlsaubrüchen bewahren, die sie später bereut! Und wer kann schon drei Borcherts die Stirne bieten?"

Also ging Alex in sein altes Zimmer im ersten Stock und wählte ihre Nummer.
Nach dem ersten Läuten war sie dran.
„Hallo!" flüsterte sie panisch.
Was würde er ihr berichten?
Was würde sie hören in den nächsten Minuten?
Ihr Nervenkostüm war praktisch nicht mehr vorhanden.
Sie hatte alle möglichen Szenarien durchgespielt in den letzten beiden Stunden, die die längsten ihres Lebens gewesen waren.
Sie kannten sich doch noch gar nicht!
Sie wusste so wenig von ihm!

„Hallo, Süße!" Er suchte nach Worten.
Wie sollte er beginnen?
Würde dieses Gespräch alles beenden, was er sich für seine Zukunft erhofft hatte?
Augen zu und durch! beschloss er schließlich.

„Also, Lena! Ich möchte dich um einen großen Gefallen bitten! In meinem Leben hat sich ein riesengroßes Problem ergeben. Ich habe jetzt eine ganze Weile mit Livy und meiner Mutter darüber gesprochen und sehe klarer als vorher. Meine anfängliche Meinung hat sich ins Gegenteil verkehrt. Nun hätte ich das alles gerne mit dir besprochen, aber ich möchte, dass wir das hier zusammen mit den beiden machen, weil ich wahrscheinlich alle Fürsprecher brauchen werde, die ich bekommen kann. Du findest vielleicht, dass ich feige bin, aber du bist mir einfach zu wichtig. Ich muss mit allen Waffen kämpfen, die ich habe!"

Lena hatte seinem langen Monolog zugehört, ohne ihn zu unterbrechen.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, worum es sich bei seinem Problem handeln konnte, aber er hatte so offen und eindringlich gesprochen, dass sie seiner Bitte nur nachgeben konnte.
„Gut! Holst du mich ab?" fragte sie nur.
Alex atmete auf.
Was für ein Mädchen!
Nein, was für eine Frau!
„Ja! Ja natürlich!" stammelte er.
Sie nannte ihre Adresse. „In einer Viertelstunde bin ich da! Und, Lena? Danke!"

Er raste los.
Als er ankam, stand sie vor dem Haus und wartete auf ihn.
Er riss sie in seine Arme, küsste sie wie ein Verdurstender und danach wie ein Verhungernder, denn er war beides, wie er in diesem Augenblick merkte.

„Danke!" sagte er im Auto noch einmal.
Sonst sprachen sie kein Wort.
Sabine begrüßte Lena liebevoll.
Kein Wunder, dass mein Großer sich in diese Schönheit verliebt hatte! dachte sie.
Olivia fiel Lena um den Hals, konnte aber nichts sagen.

Lena hatte das Gefühl, in einem Film zu sein.
Nur ihre Rolle war ihr ganz und gar nicht klar!
Alex führte sie zu einem Sessel, setzte sich ihr gegenüber.
Die beiden Frauen nahmen auf dem Sofa Platz.

Dann begann Alex mit seiner Beichte, die er ablegen musste, obwohl er nicht gesündigt hatte.
Er berichtete von Evis Plan, mit dem sie ihn reingelegt hatte.
Als er von seiner Reaktion sprach, von dem, was er zu seiner Ex-Freundin gesagt hatte, umwölkte sich Lenas Stirne.
Sie sah ihn entsetzt und ungläubig an.
Ihr Herz wurde zu Stein.
Er bemerkte ihre Reaktion nicht, er war zu sehr in seinem Bericht gefangen.
Doch Sabine fühlte Lenas Abwehr genau, und sie schöpfte Hoffnung.

Er redete weiter, berichtete von der Unterhaltung mit seiner Mutter und Schwester, sprach von seiner Meinungsänderung, von der Verantwortung, die er tragen wollte und musste, von seiner Hoffnung, dass sie diesen Weg mit ihm gehen konnte.
Sabine sah, wie sich Lena entspannte, wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht auftauchte, das sie noch entzückender machte.
Und sie wusste, dass sie zurecht hoffen durfte.
Als er am Ende seines Geständnisses war, sah Alex sie ängstlich an.
Wie würde sie reagieren?
Bekam er jetzt den Todesstoß?

Er sah ihr Lächeln, wusste aber nicht, wie er es einschätzen sollte.
Dann begann Lena zu sprechen.
„Meine Mutter war im dritten Semester, als sie mit mir schwanger wurde. Jahrelang hat sie mir erzählt, dass mein Vater gestorben ist, bevor ich auf die Welt kam. An meinem 18. Geburtstag hat sie mir die Wahrheit gesagt. Mein Erzeuger war ein Kommilitone, der ihr Geld für eine Abtreibung in die Hand gedrückt hatte, als sie ihm von der Schwangerschaft erzählt hatte.
Er hat dann Uni und Wohnort gewechselt, meine Mutter hat mich mit Hilfe ihrer Eltern aufgezogen.
Sie war zu seinen Eltern gegangen, die haben für ihr Söhnchen die Unterhaltszahlungen übernommen, um einen Skandal zu verhindern, abzüglich der Summe für die Abtreibung!
Als ich seinen Namen erfahren habe, bin ich nach München gefahren, wo er eine große Kanzlei leitet. Ich hatte eine großartige Rede vorbereitet, dass ich seine Tochter sei und überglücklich, ihn kennen zu lernen. Dass mein Leben nun wunderbar sein würde, weil ich einen Vater habe! Er hat mich kalt angesehen, vollkommen ohne Gefühl und hat gefragt: Was willst du? Geld? Dann hat er mir ein paar große Scheine hingeworfen. Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin, aber das Thema Vater war für mich damit erledigt!"

Sie atmete ein paar Mal durch, kam in die Gegenwart zurück.
Sie sah Alex an. „Wenn du mir jetzt hier und heute gesagt hättest, dass du von diesem Kind nichts wissen willst, wäre ich aufgestanden und gegangen! Dann wär's das gewesen! Aber da du deine Meinung geändert hast, will ich dir sagen: Wir versuchen, das zusammen durchzustehen! Ich weiß nicht, was aus uns beiden wird, aber wir werden es herausfinden!"

Alex wandte während ihrer Rede den Blick nicht von ihr.
Sein Herz raste.
Verdammt!
Das war knapp gewesen! dachte er. Wenn er ihr gleich von seiner Reaktion auf Evis Eröffnung erzählt hätte, hätte er sie verloren!
Das Gespräch mit seiner Mutter und seiner Schwester hatte seine Gedanken geklärt, und er durfte sie behalten!
Sie würde bei ihm bleiben!
Er würde das wunderschöne Mädchen nicht verlieren!

Sabine und Olivia zogen sich zurück, Alex brauchte keine Fürsprecher.
Die beiden mussten jetzt alleine bleiben.
Alex küsste Lena, verlor beinahe den Kopf voll und ganz.
Das Mädchen war der Wahnsinn!
Er war verliebt!
Er liebte!
Ja!
Zum ersten Mal liebte er!
Er wusste es genau!
Er fühlte es genau!
Und er musste sie jetzt haben!
Unbedingt!
Er starb in ihren Armen!
Er löste sich auf!
Er musste mit ihr schlafen!
Mit der ersten Liebe seines Lebens!

„Komm mit nach oben!" flehte er.
„Natürlich!" antwortete sie.
Wie in ihrer ersten Nacht taumelten sie hinauf, fühlten, fühlten, fühlten!
Zu seinem Glück fand er eine fast volle Schachtel mit Kondomen in der Schublade.
Er zwang sich, sich zu erinnern, seit wann die Dinger da drin lagen.
Ah ja! Im Winter waren Livy und seine Mutter zwei Wochen auf den Kanaren gewesen, da hatte er einmal eine Puppe hierher abgeschleppt.
Sicherheitshalber schaute er noch nach dem Verfalldatum, alles im grünen Bereich.
Lena nahm zwar mit Sicherheit die Pille, aber er musste sie schützen, bis er beim Arzt gewesen war.

Livy und Sabine saßen im Wohnzimmer.
Als die Lustgeräusche von oben zu ihnen drangen, lächelten sie sich an und machten den Ton des Fernsehapparates lauter.
„Die ist richtig für ihn!" stellte Sabine fest. „Lena tut ihm gut!"

Zum Frühstück trafen sich eine übernächtigte Lena, ein auf dem Zahnfleisch daher kommender Alex mit einer grinsenden Olivia und einer strahlenden Sabine.
„Was ist heute eigentlich für ein Tag?" brummte er mit tieferer Stimme als normal.
Seine Schwester grinste ihn an. „Nachdem gestern Samstag war, wird heute wohl Sonntag sein!"

Alex versuchte ein schiefes Grinsen. „Es hätte ja auch schon Montag sein können!"
Lena wurde ein wenig rot, war er entzückend fand.
Er hat durchaus recht! dachte sie. Auch sie hatte keine Ahnung gehabt, wie lange sie durchs Bett getobt waren!
Hoffentlich hatte die beiden anderen nichts gehört!
Aber dann war ihr das plötzlich ganz egal!
Sie war verrückt nach diesem Typen mit den Zauberhänden und dem Wahnsinnskörper.

Er ahnte, woran sie dachte, streichelte sanft ihre Finger.
Sabine beobachtete ihren Sohn glücklich.
Sie und ihr Mann hatten den Sex auch sehr geliebt.
Die Kinder hatten mit Sicherheit das eine oder andere mitbekommen!
Und die beiden jungen Leute, die die Augen kaum aufbrachten, erinnerten sie sehr an vergangene Zeiten.
Irgendwie sind die beiden wie wir! flüsterte ihre Seele ihrer großen Liebe zu, und sie glaubte ein leises Lachen als Antwort zu hören.

Lena fühlte die Offenheit in diesem Haus.
Da gab es keine Verklemmtheit wie bei ihrer Mutter und ihren Großeltern, bei denen die drei Buchstaben S-E-X sicher niemals hintereinander ausgesprochen worden waren.
Deshalb war sie auch als Unfall entstanden, weil die Mutter wohl an Bienchen und Blümchen geglaubt hatte.

Und anstatt der Tochter ein ähnliches Schicksal zu ersparen und sie gründlich aufzuklären, hatte auch sie das Thema Sex strikt unter den Teppich gekehrt.
Alex fühlte, dass sie in Gedanken ganz woanders war.
„Woran denkst du?" fragte er leise.
Sie lächelte ihn auf diese gefährlich Art und Weise an, sah die drei der Reihe nach an.
„Ich fühle mich wohl bei euch! Ihr tut mir gut!" sagte sie.
Sabine schossen die Tränen in die Augen.
Halt sie fest, Alex! dachte sie und drückte Lenas Hand. Ich werde alles für euer Glück tun!

Plötzlich fing Lena an zu lachen, die drei am Tisch sahen sie fragend an.

Die ließ den Blick nicht von dem tollen Mann mit dem Bartschatten, den verstrubbelten Haaren und den schweren Augenlidern.
„Wir, wir, wir habe zwei nicht ganz schlechte Nächte hinter uns...." Sie sah ihn schelmisch an. „...bekommen zu dritt ein Kind......!" Wieder schüttelte sie ein Lachanfall. „Da....da....da könntest du mir eigentlich deinen Nachnamen verraten!" japste sie nach Luft schnappend.

Die anderen stimmten in ihr fröhliches Lachen ein.
Alex sah seine Mutter schelmisch an. „Was meinst du, Mammilein? Soll ich?"
Sabine hielt sich den Bauch.
„Borchert!" antwortete er dann der süßen Kleinen grinsend. „Und du?"
„Kormann!" Noch immer schüttelte sie sich von Lachen.

Er zog eine Visitenkarte aus dem Portemonnaie, gab sie ihr.
Dr. Alexander Borchert
Leitender Direktor
Maschinenfabrik Holbein

und eine Reihe von Telefonnummern, las sie.

Er wollte nicht protzen damit, das wusste sie genau, aber langsam musste sie ja etwas aus seinem Leben erfahren.
„Und du studierst auch Jura?" fragte seine Mutter. „In welche Richtung möchtest du?
„Ich werde Staatsanwältin! Ich kriege die schweren Jungs hinter Gitter! Und an dem Tag, an dem mein Vater einen Prozess gegen mich verliert, werde ich feiern!"
In Alex zog sich sein Herz zusammen.
Ob dem Vater klar war, was er aufgegeben hatte?

„Hat er... hat er geheiratet? Hat er Kinder?" fragte er vorsichtig.
Lenas Mund wurde zu einem schmalen Strich, doch sie entspannte sich schnell wieder.

„Ja, er hat eine reiche Erbin geheiratet, die ihn wie ein Hündchen hält."
Sie hatte viel Zeit mit der Suche nach Informationen im Internet über die Familie verbracht. „Aber vielleicht liebt er es ja auch, als Mann an der Seite von Geraldine de Grande durch die Presse gereicht zu werden. Er hat sogar ihren Namen angenommen.
Sie haben zwei Söhne, Marcel und Pascal, 17 und 15 Jahre alt, die ein Nobelinternat besuchen, weil sie aus allen Schulen rausgeflogen sind. Der Ältere hat schon ein paarmal vor Gericht gestanden, wegen Drogendelikten und Körperverletzung. Sie sind beide hässlich wie die Nacht finster, kommen wohl nach der Mutter!"
Sie sah sehr zufrieden aus, als sie mit ihrem Bericht zu Ende war.
„Na, es scheint ja so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit zu geben!" stellte Olivia fest und nahm der ganzen Situation die Schwere.


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