Kapitel 68

Kurz entschlossen machte er Schluss und fuhr nach Hause. Er hatte schon wieder ein paar Aufsehen erregende Neuentwicklungen und Verbesserungen abgeliefert in den letzten Wochen. Er würde ein paar Tage wegfahren mit seinen beiden Mädchen.
Vielleicht nach Südtirol?

Er hatte da schöne Tage mit seinen Eltern verbracht, als Livy noch klein war. Er erinnerte sich an eine Ferienwohnung in Kaltern, mit einem umlaufenden Balkon, auf dem den ganzen Tag ein sonniges Fleckchen zu finden gewesen war. Vielleicht hatte seine Mutter die Adresse noch.

Lena war von dem Vorschlag begeistert, er hatte es gewusst! Sie war immer für jeden Blödsinn zu haben. Sabine hatte tatsächlich den Namen des Gästehauses in einem Fotoalbum notiert. Er suchte im Internet, während seine patente Lena schon packte. Nach einem kurzen Anruf war die Unterkunft für eine Woche gebucht. Länger konnten sie nicht bleiben, weil Lenas Prüfungen anstanden.

Innerhalb einer Stunde saßen sie im Auto, Alessia gluckste begeistert in ihrem Kindersitz. Ausflüge waren immer sehr spannend!

Sie kamen gut durch, erreichten am frühen Abend das malerisch in einem Weinberg gelegene Anwesen.
Die Vermieter erinnerten sich sogar noch an seine Eltern, an ihn als Zehnjährigen, an Livy, die zwei gewesen war.

„Deine Eltern waren  als junges Paar oft hier!" berichtete Helmut, der gleich beim du blieb. „Sie haben fast schon zur Familie gehört!" Er freute sich unbändig, dass der Sohn seiner Jugendfreunde sich an sein Haus erinnerte. Er und seine Christa hatte damals mit Sabine und Klaus viel unternommen.

„Der Klaus war ja unheimlich geschickt. Der hat mir in die Heizung ein Teil eingebaut, das viel Öl gespart hat." erzählte er, als alle noch im Flur standen.
Alex lachte. „Ja, das war sein erstes Patent, da hat er noch studiert! Du warst wohl sein Versuchskaninchen!"

„Jetzt lass die Leute doch erst Mal rein!" schimpfte Christa ihren redseligen Mann und begrüßte Lena und die Kleine herzlich.
Lena war begeistert von der Wohnung. Sie hätten sich eine Suite im teuersten Hotel leisten können, aber die gemütlich eingerichteten Räume waren eher ihr Ding. Alex wusste das genau.
Sie war auch noch nie in den Dolomiten gewesen, genoss die traumhafte Aussicht.

„Hätten wir euch was einkaufen sollen?" fragte Christa, die das süße Mädchen auf dem Arm hatte.
Lena lächelte. „Nein, danke! Wir haben es beide nicht so mit dem Kochen, aber wir gehen leidenschaftlich gerne zum Essen!"
„Dann kommt doch heute Abend zu uns!" schlug die Vermieterin vor. „Mein Sohn mit seiner Frau und seinem Kleinen kommen auch. Ich habe einen Topf Gulasch auf dem Ofen, dazu gibt es Speckknödel und Salat!"

Lena lief das Wasser im Mund zusammen. Sie sah Alex fragend an. Natürlich stimmte der zu, hätte auch zugestimmt, wenn Gulasch nicht zu seinen Lieblingsgerichten gezählt hätte!

Er legte den Arm um seine Süße, küsste sie zärtlich. Christa spürte die Liebe, die die beiden umgab wie eine wunderbare Aura.
„Ich nehme die Kleine mit nach unten, dann könnt ihr in Ruhe auspacken!" schlug sie vor, und Alex fand diese Idee vorzüglich.

Auspacken war immer etwas, wofür er zu haben war. Sein Freund natürlich auch, der sich begeistert meldete.
„Um sieben gibt es Abendessen!" informierte sie Christa noch und schob ihren Ehemann zur Türe hinaus.
Alex sah auf die Uhr. Eineinhalb Stunden, das würde für eine abgespeckte Liebesrunde reichen!

„Mein Freund mammelt schon eine ganze Weile!" flüsterte er ihr ins Ohr, während er sie in Richtung Bad schob. „Die engen Jeans! hat er sich beschwert! Das neue Parfum!! Das knappe Shirt!"
Lena kicherte. „Den solltest du mal erziehen, den Mammler!" meinte sie keck.

Er grinste. „Echt? Hab ich nicht vor! Ich bin ganz zufrieden mit ihm!"
Jetzt lachte sie laut los. „Ja! Ich auch!" prustete sie los.
Dann verschloss er ihr lieber den Mund mit seinen Lippen, bevor sie noch mehr so dumme Vorschläge machen konnte.
Schließlich hatte er einiges zu erledigen in der knapp bemessenen Zeit.

Erst duschen, dann ausziehen, dann abtrocknen und dann......!

Als sie nach unten kamen, saß die Familie schon um den Tisch. „Sorry! War doch mehr zum Auspacken, als ich gedacht hatte!" entschuldigte sich Alex mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Markus, der Junior, lachte los. So viel hat die Kleine doch gar nicht an! dachte er, verbiss sich aber die anzüglichen Worte. Doch seine Blicke sprachen Bände.
Während des Essens erinnerten sich die jungen Männer daran, dass sie vor rund zwanzig Jahren zusammen gespielt hatten.

„Gibt es das Lager im Weinberg noch?" fragte Alex. Dort hatten sie einige harmlose Kämpfe gegen Angreifer aus dem Ort ausgefochten. Sie hatten sich damals sehr gut verstanden.
Lena unterhielt sich mit Amelie, Markus' Frau blendend. Die Südtirolerin war Grundschullehrerin in Elternzeit, ihr Sohn Kilian zwei Monate älter als Alessia.

Die Kinder turnten im großen Laufstall herum, lachten und kicksten die ganze Zeit. Kilian half seiner neuen Freundin aufzustehen, sie ordnete seine Bauklötze.
Amelie beobachtet die Tochter der Gäste aufmerksam. Die war ganz schon schlau für ihr Alter!
„Die ist gut drauf!" sagte sie schließlich. „In dem Alter!"
Alex griff stolz nach Lenas Hand. „Meine Frau beschäftigt sich viel mit ihr!" erklärte er.

Da bemerkte Alessia, dass die Eltern gekommen waren, stemmte sich hoch und rief: Mamama iiii! Bababa iiii!"

Amelies Augen wurden noch größer. „Fängt sie schon an zu sprechen?"
„Schon eine ganze Weile!" antwortete Alex. „Das heißt: Mama lieb! Papa lieb!"
Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Na, da sind wohl ein paar perfekte Gene zusammen gekommen!"

Die beiden Deutschen ließen das so stehen, hatten keine Lust, schon wieder mal Erklärungen abzugeben.

Beim Nachtisch berichtete Markus, der seit ein paar Monaten den Weinberg übernommen hatte, von den Schwierigkeiten, auf biologischen Anbau umzustellen.

„Die anderen Winzer sind sture Holzköpfe! Wenn ich jetzt Bio-Wein anbaue, hilft das nicht viel, weil er mit dem Zeug der anderen von der Genossenschaft zusammengeschüttet wird. Ich bräuchte halt einen autarken Weinkeller, aber die Bank verweigert mir den Kredit, obwohl der Markt da wäre. Der Filialleiter ist der Sohn des größten Weinbauers im Tal!"

Alex sah ihn aufmerksam an. „Wie viel kostet denn so ein Anbau?" fragte er interessiert.
„Na, so mit eineinhalb Millionen müsste man schon rechnen. Wenn es was Gescheites werden soll!" gab der junge Winzer bereitwillig Auskunft.

„Und das rechnet sich?" wunderte sich Alex. Er hatte keine Ahnung, ob mit Wein so viel Geld zu verdienen war. So groß war die Anbaufläche um das Anwesen herum doch gar nicht.

„Ja, klar! Wir haben in den letzten Jahren einige Flächen dazugekauft. Ich habe eine Zeitlang während des Studiums an der Börse gezockt und ganz gute Gewinne gemacht. Die habe ich dann immer gleich bei Kollegen investiert, die aufgeben wollten, weil der Nachwuchs nicht interessiert war. Langfristig schwebt mir auch noch eine kleine, feine Brennerei vor. Ich habe auch ein paar Marillenbäume gepflanzt, die anfangen zu tragen." Amelies Blick lag stolz auf ihrem Ehemann, der für seine Ziele lebte und kämpfte.

Alex sah Lena an, die schon zu grinsen begann. Sie kannte ja mittlerweile seinen Kontostand, wusste auch um den Wert seiner 10prozentigen Anteile an der Firma.
Sie erinnerte sich, wie glücklich er gewesen war, als er Chris seinen LKW und Mirko seinen Anbau bezahlt hatte. Beide Unternehmungen hatten sich als Geldquellen herausgestellt, beide zahlten ordentlich zurück, obwohl Alex das gar nicht eingefordert hatte. Er akzeptierte aber auch den Stolz der Freunde.

Alex nahm Markus unter dem Vorwand, eine Zigarette rauchen zu wollen, mit nach draußen.
Er überlegte, wie er dem fast fremden jungen Südtiroler seinen Vorschlag schmackhaft machen konnte.
„Also!" begann er vorsichtig. Er wollte auch nicht als ein Protz dastehen, der mit Geld nur so um sich warf. „Also, zwei Millionen könnte ich dir anbieten, rückzahlbar wie es sich ergibt."

Markus blieb der Mund offen stehen. Sollte der Junge, mit dem er damals gespielt hatte, ihm seinen Lebenstraum ermöglichen. Sollte er sich da lange zieren?
„Zu welchem Zinssatz?" fragte er, als er seine Sprache gefunden hatte.
Alex lachte. „Zu dem, den ich bei der Bank zur Zeit bekomme! Ich glaube, das sind 0,05 Prozent!"

Markus wischte sich über sein Gesicht. „Warum machst du das?"
„Ich hab einfach Spaß daran! Ich denke mir eine Maschine aus, die Leute kaufen sie, ich bekomme eine Menge Geld dafür!" erläuterte er lächelnd. „Außerdem schadet es nicht, ein paar Karmapunkte zu sammeln!" Er berichtete von dem Kumpel, der seine Liebe zweimal gerettet hatte und von dem Kroaten, der sie immer aufs Beste verköstigte, von seinem türkischen Lebensretter, dem er auch auf die Beine hatte helfen können.

Der Winzer hielt ihm die Hand hin, er schlug ein. Amelie sah die feuchten Augen ihres Mannes, als die beiden zurückkamen. Während er erzählte, liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Christa und Helmut nahmen den Gast in die Arme. Da hatte das Schicksal aber ordentlich angeschoben, dass der Deutsche sich an sie und seinen Urlaub als Kind bei ihnen erinnert hatte.

Auch Amelie umarmte ihn. „Gott segne dich!" flüsterte die junge Frau und zeichnete ein Kreuz auf seine Stirne.
„Das kann nie schaden!" antwortete er gerührt, und er hatte keine Ahnung, wie sehr er Gottes Segen und auch ganz viele Karmapunkte in der nächsten Zukunft brauchen würde.

Christa brachte einen Obstbrand zum Anstoßen auf das großartige Angebot des jungen Deutschen, und ein Flasche Genossenschaftswein.
Alex, der einen guten Tropfen durchaus zu schätzen wusste, verzog ein wenig das Gesicht, verstand, dass der junge Winzer sich mit dieser Qualität nicht zufrieden geben wollte.

Die Kinder waren engumschlungen eingeschlafen, sahen so friedlich und süß aus, dass Alex ein paar Fotos machen musste.
„Eure Kleine ist aber auch pflegeleicht!" staunte Amelie.
Ja! Jetzt! dachte Lena. Aber sie waren eigentlich beide dabei, die schwierige Anfangszeit zu vergessen.

Sie lüfteten das Geheimnis von Alessias Zeugung nicht. Evi hatte an diesem losgelösten Abend keinen Platz in ihren Gedanken.
Etwas beschwipst, auch vor Glück, gingen sie weit nach Mitternacht nach oben. Ihre Tochter wachte kaum auf, schlief in ihrem Zimmer gleich weiter.
Alex schloss noch das Babyphon an, ließ sich dann müde ins Bett fallen. Lena kuschelte sich an ihn, das musste jede Nacht sein! Lächelnd glitten sie in einen zufriedenen Schlaf hinüber.

Am nächsten Tag machten sie eine Autorundfahrt über verschiedene Bergstraßen und Pässe. Lena kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, konnte sich nicht satt sehen. Alex genoss ihre Begeisterung unendlich.

Als Alessia unruhig wurde, machten sie sich zu einer leichten Alm-Wanderung auf, die Kleine saß in einer Halterung auf seinem Rücken, Lena hielt er an der Hand.
Noch nie hatten sie sich so sehr als Familie gefühlt wie an diesem Tag.
Sie sang ein paar Wanderlieder, wenn gerade niemand auf den Wegen unterwegs war, Alessia klatschte den Takt auf seinem Kopf mit.

Lachend versuchte er, ihre kleinen, flinken Hände festzuhalten. „Ich bin doch kein Schlagzeug!" maulte er gespielt ernst.
Die Kleine lachte, hopste in der Halterung auf und ab und rief: „Bababa oooooo!"

Lena konnte nicht anders, als sie abzuküssen. Danach tanzten die Eltern verliebt auf dem breiten Ziehweg, waren glücklicher als je in ihrem Leben.
Bald war die erste Alm erreicht, sie ließen sich leckere Makkaroni mit Käse schmecken, Alessia klaute Alex immer wieder ein Hand voll, stopfte sie grinsend in den Mund. Danach hätte sie eine Dusche gebraucht.

Die anderen Gäste lachten mit Lena um die Wette. Die Kleine war zu süß! Wie immer genoss das Mädchen ihr Publikum, je mehr Leute lachten, desto mehr drehte sie auf.
Fröhlich zogen sie weiter, Alessia winkte ihren Verehren gnädig zu. Auf der zweiten Alm gab es Kaiserschmarren, auf der dritten eine Käseauswahl und ein Glas Wein für die Erwachsenen, Milch für Alessia.

Am Abend setzten sie sich zur Familie Schweiger auf ein Glas Wein. Markus hatte einen Finanzplan aufgestellt, den er Alex erklärte. Doch der kapitulierte bald. „Davon verstehe ich gar nichts!" erklärte er. „Ich baue Maschinen, kassiere die Kohle und gebe sie wieder aus!"

Alle lachten über den aufgedrehten langen Lulatsch, der die Augen nicht von seiner schönen Frau lassen konnte.
„Wie lange seid ihr schon verheiratet?" fragte Christa.
„Viel zu kurz!" antwortete Alex.

Dann dachte er nach. „Seit Juli, oder? War das jetzt dieses Jahr?" Er wusste es im Moment wirklich nicht. Vom Gefühl her war er schon immer mit Lena zusammen, wusste nicht, wie er früher ohne sie gelebt hatte.

Arbeit, die ihm Spaß machte.
Dann nach Hause, noch mal los, Sex, der wenig Spaß machte.
Tage und Nächte mit Evi, die nicht den geringsten Spaß machten.
Das war sein Leben gewesen – fünf lange Jahre lang.
So viel Zeit vergeudet!
Aber er war froh, dass sein Herz frei gewesen war für seine Frau, als sie in sein Leben trat!

Sie verwuschelte seine schon wieder zu langen, wilden Haare. „Ja! Das war heuer! Unglaublich, oder?" Sie fühlte wie er. Die Zeit, bevor sie sich kennengelernt hatten, zählte nicht!
Sie war unendlich dankbar, dass sie sich an jenem Tag von Tobias getrennt hatte, dass sie nicht seinem Blick und seinem Lächeln ausgewichen war, weil sie ja in einer festen Beziehung steckte.
„Aber wir waren schon ein Jahr zusammen, also meistens jedenfalls!" zog sie ihn auf.

Die Blicke der anderen Erwachsenen wurden sehr neugierig. Und so erzählten Alex und Lena ihre nicht ganz gewöhnliche Geschichte abwechselnd.
Vom ersten Treffen, vom Wiedersehen, auch von Evi, dem Kind, der Hütte in Kroatien, den Freunden und ... und ... und!

„Boa!" stieß Amelie, die ein besonderes Faible für Liebesgeschichten hatte, schließlich hervor. „Unglaublich!" Sie sah von Alessia, die im Laufstall mit Kilian spielte, zu Lena. „Aber sie ist dir aus wie aus dem Gesicht geschnitten!"
Lena lächelte. „Die Gene gehen oft seltsame Wege! In unserem Fall bin ich sogar dankbar dafür!"

Oben in der Ferienwohnung nahm er seine Süße in die Arme. „Wenn man unsere Geschichte so anhört, klingt das alles schon sehr dramatisch, oder?"
Sie lächelte ihn sehr gefährlich an, legte noch gefährlicher den Kopf schief. „Unsere Geschichte war dramatisch, ist dramatisch! Dramatisch umwerfend!"

Lachend wickelten sie ihre Tochter, die dabei schon fast auf dem Tisch einschlief. Sie saßen noch eine Zigarettenlänge auf dem Balkon in der seltsam milden Nacht. Der Vollmond stand über ihnen, Klaus' Stern blinkte wie verrückt.
„Hast recht, Dad!" rief er in die Nacht. „Sie ist der Hammer!"

Die Tage verflogen viel zu schnell. Lena dachte nicht ein einziges Mal an die Prüfungen. Es gab keinen Grund nervös zu sein. Sie fühlte sich sicher, und wenn es nicht klappte, war es ja auch nicht schlimm. Sie musste niemandem etwas beweisen, wurde zu ersten Mal in ihrem Leben geliebt und musste nicht einmal etwas tun dafür.
Ihr Mann liebte sie, weil sie Lena war, ganz einfach!

Leicht, glücklich, jung, verliebt kamen sie zu Hause an. Evi und alles, was mit ihr zusammenhing, war vergessen. Sie waren am absoluten Gipfel des Glückes angekommen, auch, weil sie einem jungen Winzer seinen Lebenstraum erfüllen konnten.
Doch von diesem Gipfel stürzten sie unendlich tief.


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