Kapitel 48
Regensburg
Als er zum ersten Mal seit Wochen die Türe der gemeinsamen Wohnung aufschloss, überkam ihn ein totales Glücksgefühl.
Vor Wochen hatte er diese Türe hinter sich zugeschlagen, trotzig, beleidigt, wütend!
Er hatte nicht vorgehabt, so lange weg zu bleiben, hatte geahnt, dass er es ohne sie nicht lange aushalten würde.
Das Schicksal hatte andere Pläne mit ihnen gehabt, aber nun war alles gut!
In der Küche suchte er zu allererst ihren Verlobungsring und steckte ihn ihr an den Finger. „Da bleibt er aber jetzt!" erklärte er und küsste den Ringfinger.
„Wenn du bleibst, bleibt er auch!" konterte sie.
Er sah sie bewundernd an. „Touchè!" räumte er lächelnd ein. Er sah die Geldscheine auf dem Tresen, wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. „Gut! Jetzt bin ich wenigstens flüssig und nicht mehr finanziell von dir abhängig!" Er küsste sie aufreizend lange. „Nur noch sexuell!" knallte er ihr hin.
„Aber das ganz ordentlich!" Seine Küsse wurden fordernder. Lena lachte an seinen wunderbaren Lippen, und er sog dieses Lachen ein.
Ob sie je verstehen würde, wie sehr er sie liebte? dachte er.
Wie sie sein Herz zum Rasen brachte?
Wie sehr er sie begehrte?
Wie sehr er sie brauchte? Ihr Lachen? Ihre Intelligenz? Ihre Schönheit? Sie?
Sie war sein Leben!
Ohne sie war er nichts mehr!
Sia war auf der Fahrt tief und fest eingeschlafen, wachte auch nicht auf, als sie die Tragetasche im Wohnzimmer abstellten.
Er sah Lena an. „Sie schläft! Und ich schlafe jetzt mit dir!"
„Ach ja?" zog sie ihn auf.
„Widerspruch zwecklos!" hauchte er in ihr Ohr, weil er genau wusste, wie erogen diese Stelle bei ihr war. Bei ihm auch, aber das würde später kommen!
Er fand noch viele dieser Stellen bei ihr, ließ sich Zeit, sie alle ausgiebig zu besuchen. Sie wand sich in seinen Armen, flehte um Erlösung. Irgendwann einmal konnte er ihre Bitten nicht mehr ignorieren, nahm sie, aber nur, um sich ihr ganz und gar auszuliefern . Ihr, der Liebe seines Lebens, die er in einem Bus angelächelt hatte, die er auf einer Uni-Feier wiedergetroffen hatte, und die seit dem das Zentrum seines Denkens und Fühlens war.
Sie – Lena!
„Ich liebe dich so sehr!" stöhnte er an ihren Lippen, als er in einem wahnsinnigen Orgasmus in ihr explodierte. Er küsste gefühlt noch Stunden danach diese perfekten, vollen Lippen. Er konnte nie genug davon bekommen, sie zu küssen. Und er konnte von ganz vielen Dingen mit ihr nie genug bekommen!
Er hatte sie schon so oft besitzen dürfen, war schon so oft in ihr gewesen, hatte schon so viele Höhepunkte mit ihr zusammen erleben dürfen, aber er wurde nie satt, bekam nie genug von ihr, von dieser Lust, die sie in ihm erweckte.
Bekam nie genug von dieser Begierde, von dieser Erfüllung, von dieser Befriedigung, die sie ihm verschaffte.
Bekam nie genug von ihrem Körper, ihrer Zärtlichkeit, ihrer Wildheit, ihrem Fordern und ihrem Geben!
Er war süchtig danach, sie zum Stöhnen zu bringen, zum Seufzen, zum Erzittern!
Er war süchtig danach, dass sie ihn zum Stöhnen, zum Seufzen, zum Erzittern brachte!
Er war süchtig nach ihrem Lachen, nach ihren heiseren Liebesschwüren, nach ihren Fingernägeln in seinem Fleisch, wenn sie kam!
Er war süchtig nach ihr! Nach der Liebe seines Lebens!
„Heute muss ich mal ins Krankenhaus wegen der Therapie!" erklärte er beim Frühstück am nächsten Morgen. „Obwohl ich gar nicht glaube, dass ich da noch was machen muss!"
Lena grinste ihn an. „Also, ich würde sagen, körperlich bist du fit!"
„Das meine ich auch!" stimmte er lachend zu und stupste sie auf ihr Näschen.
„Und wenn du diese tiefe sexy Stimme behalten würdest, hätte ich nichts dagegen!" zog sie ihn weiter auf.
„So, so!" gab er zurück. „Meine alte Stimme war also nicht sexy?" Er lächelte sie an. Er wusste selbst dass er ein wenig anders sprach, rauer, fast so, wie er sonst beim Sex gesprochen hatte, wenn er sehr erregt war.
Sia meldete sich, enthob sie einer Antwort. „Frauen halten immer zusammen!" beklagte er sich und holte seine Tochter.
Er war ein sehr liebevoller, geschickter Vater geworden, und die Kleine entwickelte sich immer mehr zum Papa-Kind.
Lena konnte sich oft nicht sattsehen, wenn er sie mit seinen großen Händen ganz vorsichtig wickelte, badete, eincremte.
Wenn er mit ihr spielte, ihr Geschichten erzählte, denen sie aufmerksam zu lauschen schien.
Sie war weit für ihr Alter, schien ein aufgewecktes Kerlchen zu sein. Lena hoffte, dass sie die geistigen Fähigkeiten ihres Vaters, nicht die ihrer Mutter geerbt hatte.
Nachdem alle gefrühstückt hatten, wollte sich Alex auf den Weg machen.
„Welche Buslinie geht überhaupt zur Klinik?" fragte er Lena.
Sie sah ihn überrascht an. „Warum nimmst du nicht das Auto?" Gut, seine Nobelkarre war weg, aber sie hatten ja noch ihren roten Flitzer, und sie hatte keine dringenden Pläne.
Er schien ihrem Blick auszuweichen. „Ach, da gibt es sicher Probleme, einen Parkplatz zu finden!"
„Sie haben doch ein neues Parkhaus gebaut!" Sie verstand ihn nicht recht. Doch plötzlich machte es Klick in ihrem Kopf. In München hatte er ihr immer stillschweigend die Autoschlüssel gegeben, auch nach Hause war sie gefahren.
Er wollte, konnte im Moment nicht ans Steuer!
„Soll ich dich fahren?" fragte sie leise.
„Das ist ein bisschen viel verlangt, mit der Kleinen!" wehrte er ab.
Sie hielt seinen Blick mit ihren Augen fest. „Soll ich dich fahren?" wiederholte sie.
Er wusste, dass er vor ihr nichts verbergen konnte und nickte. „Das wäre schön, ja!"
Sie packte Sia in die Tragetasche, zog sich an.
Schweigend fuhren sie mit dem Aufzug nach unten. „Du hast ein Trauma!" stellte Lena trocken fest.
„Ich bin ein Feigling!" antwortete er.
Sie verdrehte die Augen. „Männer!" Sie sah ihn von der Seite an. „Wenn du ein Feigling wärst, würdest du nicht ausgerechnet bei mir freiwillig den Beifahrer spielen!"
Er grinste sie an. Sie war eine rasante Fahrerin, sicher, aber flott unterwegs!
Doch er hatte nicht die geringste Angst auf dem Sitz neben ihr. Nur wenn er daran dachte, selbst ans Steuer eines Wagens zu müssen, brach ihm der Schweiß aus.
„Ich habe immer das Gefühl, dieser Motorradfahrer taucht wieder von irgendwoher auf!" berichtete er. „Ich habe ja alle Erinnerungen an den Unfall. Immer wieder läuft alles wie in einem Film vor meinen Augen ab. Wie ich versucht habe, ihm auszuweichen, wie ich abgebremst habe, die Leitplanke, der LKW, der Fahrer, der mich herausgezogen hat, bevor ich ins Koma gefallen bin!"
„Vielleicht solltest du darüber mit einem Fachmann sprechen!" schlug sie vor.
„Ja!" gab er zu. „Das hatte ich vor!"
„Also bist du auch kein Feigling!" konstatierte sie. Er drückte dankbar ihre Hand. Sie verstand ihn immer!
Am Empfang bat er die Dame, die ihn schmelzend anlächelte, bevor sie Lena mit dem Baby in der Tragetasche sah, um einen Termin bei einem Unfallarzt.
„Versicherungskarte?" knallte sie ihm hin.
Er versuchte, ihr zu erklären, dass alle seine Papiere bei dem Unfall verbrannt waren.
„Ohne Versicherungskarte kein Termin!" antwortete sie kurzangebunden und wollte sich an den nächsten in der Schlange wenden.
Doch Lena war nicht bereit, sich zu abwimmeln zu lassen. Sie gehörte ihr Leben lang nicht zu einer so privilegierten Schicht wie Alex, der von allen Karten die Gold-Version zu besitzen schien, dem sich alle Türen wie von Geisterhand geöffnet hatten. Sie wusste, wie das Fußvolk behandelt wurde, wie sich Leute wie sie durchsetzen mussten.
Sie gab Alex die Griffe der Tragetasche in die Hand, sucht aus ihrer Handtasche ein Bündel Papiere heraus. Sie hatte ihm den Stapel zusammengestellt, hatte ihn dann eingesteckt.
„Hier der Unfallbericht, die Unterlagen aus Slowenien, der Versicherungsschein und ein Kontoauszug!" erklärte sie scharf. Eine Visitenkarte legte sie quasi als Bonus oben drauf.
Die Empfangsdame musste lächeln, ob sie wollte oder nicht. Sie raffte die Blätter zusammen, sah kurz darüber und wählte eine Nummer.
Sie schrieb etwas auf einen Terminzettel. „Dr. Franzen, Zimmer 1.00.45. erster Stock, Unfallstation. Er erwartet Sie in 15 Minuten!" informierte sie die beiden und schob alles zusammen unter der Glaswand durch.
Alex beobachtete seine Süße mit höchster Bewunderung. Sie war wohl etwas lebenstüchtiger als er!
Engumschlungen stiegen sie die Treppe nach oben, fanden auch den Raum gleich. Sie setzten sich in den Wartebereich. Absolut pünktlich wurden sie aufgerufen.
Dr. Franzen war ein überraschend jugendlicher Chefarzt, die Chemie zwischen den dreien stimmte vom ersten Augenblick an. Er sah verzückt in die Tragetasche auf die schlafende Sia.
„Ja! So scheinen sie immer kleine Engel zu sein! Aber wehe, wenn sie wach sind! Ich habe zwei solche Monster zu Hause!" erklärte er platzend vor Stolz. „Zwillinge! Ein halbes Jahr alt!"
Dann las er aufmerksam die Unterlagen durch. Nur den Kontoauszug hatte Lena wieder eingesteckt.
„Gut! Also, die Kollegen in Slowenien raten uns, neurologisch abzuchecken, dass noch alles in Ordnung ist. Weiter sollten Sie eine Reha zum Muskelaufbau machen und eine logopädische Behandlung wegen der Schädigung an den Stimmbänder aufgrund der Intubation und des Komas!" berichtete er. „Wie würden Sie Ihren derzeitigen Zustand selbst beschreiben? Haben Sie irgendwelche Ausfälle? Lähmungserscheinungen? Migräneanfälle? Gedächtnisprobleme? Angstzustände? Wie würden Sie Ihre Fitness einordnen?"
Alex berichtete wahrheitsgetreu, dass er sich rundum wohl fühle, dass das Sprechen noch etwas anstrenge, erzählte aber auch von seiner Panik, sich wieder selbst ans Steuer zu setzen.
„In Ordnung!" erwiderte der Arzt. „Also, ich kann Ihnen natürlich eine ambulante Reha verordnen, kein Problem. Aber das ist ausgesprochen zeitaufwändig, und ehrlich gesagt, nicht so sehr wirkungsvoll. Wenn Sie Rad fahren, ab und zu ins Fitnesscenter gehen und ansonsten normal leben, reicht das aus. Die Arme scheinen gut verheilt zu sein, die Schrauben müssen halt in einem Jahr wieder raus, das sind zwei, drei Tage stationärer Aufenthalt.
Wegen der Stimme sollten wir ein paar Sitzungen ausmachen, damit Sie sich nicht eine Art Schonsprechen angewöhnen. Sie scheinen die hellen Töne zu meiden, weil sie schmerzen, aber wenn wir da nichts machen, brummen Sie in ein paar Monaten nur noch.
Wegen der posttraumatischen Störung würde ich mir keine Sorgen machen. Sie können ohne Problem als Beifahrer unterwegs sei, das ist auch nicht selbstverständlich. Viele Unfallopfer setzen sich zeitlebens nicht mehr in ein Auto, egal, ob rechts oder links.
Kaufen Sie sich einen tollen neuen Wagen, dann wird es sicher bald in Ihren Fingern kribbeln, ihn zu fahren.
Was wir auf alle Fälle machen, ist ein CT vom Schädel, damit wir sicher sein können, dass kein Blutgerinnsel übriggeblieben ist."
Er lächelte nach diesem langen Monolog das hübsche Paar an. „Einverstanden?" fragte er nach.
In diesem Moment klopfte es. Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte ein junger Mann den Kopf herein.
„Chef? Hätten Sie eine Minute?"
Lena begann zu lachen. „Hallo, Herr Dr. Böllmann!" begrüßte sie den Freund.
Der sah sie verblüfft an. „Nicht Ihr schon wieder! Wer hat dieses Mal den Türstock geknutscht?"
„Alex! Und es war ein sehr großer Türstock!" erklärte Lena.
Steffen umarmte die beiden herzlich, besprach kurz sein Problem mit einem seiner Patienten mit Dr. Franzen.
„Da Sie sich zu kennen scheinen, könnten Sie die beiden zur Röntgenabteilung bringen!" schlug der Chefarzt vor. „Ist soweit alles klar?" fragte er noch nach.
Alex hatte keine weiteren Fragen, war mit den Auskünften sehr zufrieden. Dr. Franzen schrieb noch ein Rezept für eine logopädische Behandlung und verabschiedete sich.
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