Kapitel 22

Ein paar Tage später stand dann der Kennenlern-Abend mit Bills Eltern bevor.
Olivia war mehr als nervös, probierte eine Stunde lang verschiedene Outfits durch, bis sie sich für ein elegantes, halblanges, schwarzes Kleid entschieden hatte.
Bill lächelte, als sie hereinkam. „Trauerkleidung? So schlimm sind sie auch wieder nicht! Zieh doch das rote Spitzenkleid an und trag deinen Kopf hoch!" sagte er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme.

Er selbst war allerdings auch ziemlich aufgeregt, er wusste, seine Mutter wachte wie eine Löwin über ihn.
Sie war Deutsche, hatte bei einem Auslandsstudienjahr in Amerika seinen Vater kennengelernt und war ihm in sein Heimatland Großbritannien gefolgt.
Lange hatten sie versucht, ein Kind zu bekommen, zehn Jahre nach der Hochzeit hatte es endlich geklappt.

Als er sich entschlossen hatte, in Deutschland zu studieren, hatte es viele Tränen gegeben.
Doch er hatte sich mit Unterstützung seines Vaters durchgesetzt.
Seitdem war sie überzeugt, er würde verhungern, verdursten, überfallen und ausgeraubt, von einem Auto überfahren, von einem Dachziegel erschlagen oder von einem Tsunami erwischt werden. Fast täglich musste er sie davon überzeugen, dass er am Leben und bei bester Gesundheit war.

Eine weitere Angst von ihr war, dass er an eine Glücksritterin geriet, die sich sein nicht unbeträchtliches Vermögen aus dem Erbe seiner Großeltern unter den Nagel riss.
„Meinst du nicht, dass ein Mädchen mich wegen meines fantastischen Aussehens lieben könnte?" hatte er sie vor der Abreise aufgezogen. „Oder hast du dich vielleicht in Dad's Kohle verliebt? Schließt du von dir auf andere?"

Sie antwortete mit einem liebvollen Knuff auf seinen Arm. Gut, die Eltern ihres geliebten Marc hatten damals ähnliche Befürchtungen gehabt, als ihr Sohn sie, die kleine deutsche Studentin, aus Amerika mitgebracht hatte.
Aber selbstverständlich waren die Dinge da anders gelegen als bei ihrem Augenstern!

Bill hatte sie bei seinem letzten Telefonat gebeten, Olivia am Leben zu lassen, aber sie hatte nichts versprochen.

Schließlich betraten die jungen Leute das Restaurant, in dem die Eltern einen Tisch reserviert hatten. Olivia war noch nie hier gewesen, die Preise waren astronomisch.
Mr. Graham begrüßte sie freundlich mit Wangenküsschen, die Mutter übersah sie und fiel ihrem Sohn um den Hals, nickte ihr dann gnädig zu.
Eine Weile schwiegen alle, die Mutter taxierte das Mädchen. Hübsch ist sie ja! dachte sie widerwillig.

„Und Sie studieren mit meinem Sohn?" fragte sie schließlich.
„Nein, ich bin vier Semester unter ihm und studiere Jura!" Sie sah der Frau in die Augen.
Trag den Kopf hoch! hatte Bill gesagt, wie sie sich erinnerte.

„Oh! Eine Advokatin! Pass auf, was du sagst, Lovely!" scherzte der Vater.
„Und Ihre Eltern? Haben sie eine Kanzlei?" bohrte Astrid weiter.
Bill drückte Olivias Hand. Diese Frage würde wieder alte Wunden aufreißen! In diesem Moment hasste er seine Mutter.

Doch seine Süße blieb ganz gelassen. „Mein Vater ist vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er war Maschinenbauingenieur, wie mein großer Bruder. Meine Mutter hat Geographie und Geschichte für Lehramt studiert, aber ihren Beruf nie ausgeübt. Mein Vater hatte es so gewollt, er hat gut verdient, weil er eine Reihe von Patenten besaß."

Die Sprachgewandtheit der jungen Dame imponierte Bills Mutter. Ihr Selbstbewusstsein eigentlich auch. Und der frühe Tod des Vaters erweckte ihr Mitleid.
Sie hatte Probleme damit, ihre Inquisition fortzusetzen. Doch hier ging es um ihren Sohn!
Als die Bestellung aufgeben war und die Getränke auf dem Tisch standen, fuhr sie fort.
„Sie wissen wahrscheinlich, dass unser Sohn nicht unvermögend ist?" schoss sie den nächsten Pfeil los.

Bill zog scharf die Luft ein. Er sollte das Ganze jetzt abbrechen, sie ging deutlich zu weit!
Sein Vater griff nach ihrer Hand, wollte sie etwas zur Räson bringen. Das hätte sie auch diplomatischer formulieren können! Sie musste sich doch erinnern, wie sie unter den Anfeindungen seiner Eltern damals gelitten hatte!

Doch Olivias Kampfgeist war erwacht. Bevor Bill einschreiten konnte, antwortete sie: „Ich weiß, dass Ihr Sohn ein wunderbarere Mensch ist, sehr empathisch und offen! Ich weiß, dass ich ihn liebe, ihn bewundere, seine Intelligenz und seinen Humor sehr schätze! Und nein, nach seinem Kontoauszug habe ich ihn bisher noch nicht gefragt!" Sie legte ihre Hand aufreizend sehr hoch auf seine Oberschenkel, blinzelte ihm zu. „Aber Schatzilein, nach dem nächsten Quickie werde ich das tun!"

Zuerst prustete Bill los, dann stimmte sein Vater ein. Astrid wollte bitterböse dreinschauen, was ihr aber nicht gelang. Eine Weile kämpfte sie gegen den Lachanfall, verlor aber auf ganzer Linie. Die Kleine war gut!

Der Ober, der die Vorspeisen brachte, fand eine lachende Familie vor, die sich vor ein paar Minuten noch eisig angeschwiegen hatte.
Die Mutter hob ihr Glas, stieß mit Olivia an. „Ich bin Astrid, ich denke, mein Herzblatt hat gut gewählt!"

„Das denke ich auch, Löwenmutter!" antwortete Livy.
Als sie mit Marc auf du trank, musste sie noch eine Spitze loslassen. „Ich bin froh, dass Bill nach dir zu kommen scheint!"

Astrid lachte auch darüber, sie hatte es ja nicht anders verdient!
Von da an wurde es ein entspannter, harmonischer Abend mit hervorragendem Essen und ein paar Gläsern gutem Wein.
Sie verabredeten sich für den nächsten Tag in Bills Wohnung zu seiner Geburtstagsparty.


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