Kapitel 17

Lena und Alex ahnten nichts von alledem, was zu Hause ablief, sie wollten es auch nicht wissen.
Der Umbau schritt rasant voran. Die Holzwände waren gedämmt und innen verputzt, das Dach verstärkt, die Leitungen verlegt, der Holzboden eingebaut.
Die Terrasse nahm Formen an.

Als die beiden nach einem Ausflug heim kamen, fielen sie aus allen Wolken: Eine kleine moderne Küche mit Herd und Kühlschrank war eingebaut.
„Du bist verrückt, Slavko!" stieß Alex hervor. „Das bezahle ich aber extra!"
„Habe billig gekriegt!" wehrte der Kroate ab.
„Nein, nein! Nichts da! Die Möbel bezahle ich!" Alex ließ nicht mit sich verhandeln.
„Also gut! 500!" Slavko verzog das Gesicht.

Alex legte 1000 auf den Tisch, zeigte Slavko einen Vogel.
Dafür war am nächsten Tag ein gemütlicher Kaminofen im Wohnraum eingebaut und außen ein Kamin hochgezogen. „Selber schuld!" sagte Slavko nur.

Die beiden schüttelten nur den Kopf.
Zwei Wochen nach ihrer Ankunft fuhr Annegret die Deutschen zu einem Arzt, der in München studiert hatte. Er zog die Klammern, verwickelte sie währenddessen in ein Gespräch über das Oktoberfest. Sie merkte gar nichts von der Prozedur, Alex dagegen war käsebleich.
Dagegen hatte Annegret ein Mittel: ein kräftiger Schluck Sliwowitz aus einem Flachmann!

Der Arzt gab ihr eine Salbe mit, die gegen eine gröbere Narbenbildung helfen sollte. Eine Woche später war von der Wunde nur noch ein feiner Strich zu sehen.


An einem Samstag befahl ihnen Slavko, sich schick zu machen. „Is Fischerfest! Viel Leute, viel Essen, viel trinken, viel tanzen, viel küssen!" berichtetet er aufgeregt.
Als sie alle zusammen ankamen, führte der Kroate sie zu einem reservierten Tisch genau vor der Bühne.
„Bürgermeister hat gesagt, für Engelchen!" erklärte er.
Wieder einmal schüttelten sie den Kopf. Ob sie diesen Bürgermeister heute mal kennenlernen würden?

Eine halbe Stunde später spielte die Band einen Tusch, und Slavko trat auf die Bühne, bekleidet mit einem schwarzen Anzug - und einer Bürgermeister-Kette!

„Der Hallodri! Hat uns ganz schon vorgeführt! Jetzt wundern mich all die Genehmigungen nicht mehr!" rief Alex.

Slavko hielt eine lange Rede, von der sie kein Wort verstanden, aber im Publikum wurde viel gelacht und applaudiert. Plötzlich wandten sich alle Augen zu ihnen beiden.
Slavko winkte sie zu sich. „Kommen, deutsche Freunde!"

Sie ahnten, dass es besser wäre, dem Oberhaupt des Städtchens zu gehorchen.
Als sie oben waren, nahm der Lena in den Arm, rief etwas auf Kroatisch, und alle jubelten ihr zu.
„Du Fischerkönigin!" erklärte Slavko.
„Was? Was heißt das? Bekomme ich jetzt eine Kette aus toten Fischen um den Hals gehängt?" fragte sie erschrocken.

Slavko übersetzte. Wieder lachten alle. Sie sah sich panisch nach Alex an, der lachend am Rand der Bühne stand.
Aber das Lachen verging ihm sehr schnell, als der Bürgermeister erklärte: „Nein! Aber du alle Männer küssen!"

Blitzschnell stand Alex neben ihm. „Nichts da! Sie küsst niemanden außer mir!"
Slavko klopfte sich vor Lachen auf die Schenkel, übersetzte und löste lautes Johlen unter den Gästen aus.

„War Spaß! Wollte einmal sehen, du rennst!" Er hielt sich den Bauch und ahmte Alex nach. „Du da, dann hier - eine Sekunde!"
Der Veräppelte boxte ihn spielerisch.
Dann kam ein junges Mädchen mit einer Krone, die Slavko hoheitsvoll Lena auf den Kopf setzte.
„Jedes Jahr ich wähle schönstes Mädchen!" erklärte er. Er sah Alex an. „Du küssen! Ich nicht! Sonst Annegret....!" Er machte eine Frau mit einem Nudelholz nach.
Und Alex ließ sich nicht lange bitten.

Auch nicht, als es darum ging, den Tanz zu eröffnen. Als hätten sie im Leben nichts anders gemacht, drehten sie sich zu Walzerklängen auf dem Podium. Glücklich lächelten sie sich an.
„Ich bin im Himmel, Engelchen! Oder muss ich Hoheit jetzt mit Majestät ansprechen?" flüsterte er.

Sie kicherte. „Und du bist der Prinzgemahl?" Als die Worte heraus waren, erschrak sie bis aufs Blut! Warum konnte sie denn nicht nachdenken, bevor sie redete!
Alex erriet ihre Gedanken. „Das bin ich schon eine ganze Weile, Königin der Herzen! Und ich bin und bleibe es sehr gerne!" Sein Blick lag ernst auf ihr, und sie wich ihm nicht aus.

„Das ist gut!" sagte sie leise.
„Das ist gut, dass du das gut findest!" antwortete er und zog sie noch ein wenig näher an sich.

„Du tanzt wahnsinnig gut!" meinte er eine Weile später. „Das ist ungewöhnlich für ein so junges Mädchen!"
Sie lächelte ihn an. „Ich musste 10 Jahre lang ins Ballett. Meine Mutter war der Meinung, diese Investition erhöht meinen Marktwert!"

Er hörte die tiefe Bitterkeit aus ihren Worten heraus. Sie sprach sehr wenig über ihre Verwandten, und er drängte sie auch nie. Wenn sie das Bedürfnis dazu hätte, wäre er da, um zuzuhören, das wusste sie.
Dann war dieser Tanz zu Ende. Sie hatten gar nicht wahr genommen, dass die Band den Walzer zweimal gespielt hatte, weil es allen so gefallen hatte, dem schönen Paar zuzusehen.

Unmittelbar nach diesem Glücksmoment begann Alex' Leidensweg. Alle männlichen Gäste wollten mit seinem Mädchen tanzen. Sie flog von Arm zu Arm. Eine Weile stand er stolz am Rand der Tanzfläche, beobachte sie.
Doch immer mehr hatte er das Gefühl von Verlust. Sie sollte neben ihm sein, er wollte den Abend mit ihr verbringen, er wollte sie im Arm halten, sie küssen!
Zum Donnerwetter! Sie war sein Mädchen!

Slavko beobachtete den neuen deutschen Freund, bekam tiefstes Mitleid mit ihm.
Nach dem nächsten Stück ergriff er das Mikro und sprach ein paar Worte zum Publikum.
Männliches Murren war zu hören, aber der letzte Tänzer brachte Lena zu Alex zurück.

„Was hast du gesagt, du Schurke?" fragte Alex den Kroaten.
„Hab gesagt, machen Männer in Deutschland nicht, nehmen nicht Liebste weg ganze Abend! Hab gesagt, du traurig!" Er knuffte Alex in die Seite. „Ich gelogen für dich!"

Dann endlich konnte Alex mit seiner Süßen aufs Podium, und er bewachte sie den Rest des Abends sehr aufmerksam.
In den Tanzpausen aßen sie sich durch die verschieden Stände mit Spezialitäten, tranken hin und wieder einen Schluck Wein.

Sie unterhielten sich in allen möglichen Sprachen und mit Händen und Füßen mit allen möglichen Menschen, lachten mit den Einheimischen und den Touristen, auch wenn sie oft nicht genau wussten, worüber.
Sie fühlten sich wohl, jung, frei, glücklich, verliebt.
Um Mitternacht gab es ein für das kleine Städtchen riesengroßes Feuerwerk.
Alex stand hinter ihr, die Arme fest um sie geschlungen, sein Kinn lag auf ihrem Scheitel.

Er sah nicht alle Formationen, die den Himmel erleuchteten, denn er war inGedanken bei seinem Vater. „Siehst du Dad, was ich mir da geangelt habe? Das habe ich doch auch gut gemacht, oder?" Und durch den ganzen Lichterschein saher den Stern blinken. Er wiegte sein Mädchen zu den Tönen, die das Spektakel begleiteten. Er fühlte eine solche Zärtlichkeit in sich, dass er das Gefühl hatte, daran zu ersticken.

Doch er wusste ziemlich sicher, dass das nicht geschehen würde. Deshalb genoss er einfach, so fühlen zu können.
Er genoss es, fast abzuheben vor Glück.
Er genoss es, mit 30 verliebt wie ein Schuljunge zu sein.
Er genoss es, ein so schönes Mädchen im Arm zu halten.
Er genoss es, sie lieben zu dürfen. Sie schmiegte sich in seine Arme, wusste, glücklicher konnte sie im Leben nicht werden, denn mehr Glück konnte sie nicht überleben.

Oder vielleicht doch?
Und dann musste sie es zum ersten Mal sagen. Sie war sich schon ein paar Tage sicher, und nun musste sie die Worte auch aussprechen.
„Ich liebe dich, Alex!"
Ihre leisen Worte schrien in seinem Herzen, das vor Glück beinahe still stand.
„Danke!" brachte er gerade noch hervor. Er versuchte, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln, wegzuschniefen.
„Heul ruhig!" knallte sie ihm hin. „Auch große Jungs dürfen das!" Ihr trockener Humor ließ seine Tränendrüsen versiegen, das Lachen stieg wieder einmal hoch in ihm.
„Du bist ein freches Biest!" flüsterte er in ihr Ohr.

Und irgendwie kam es ihr vor, als hätte sie noch nie ein größeres Kompliment gehört.
Nach dem Feuerwerk ging das Fest weiter. Deutsche Urlauber setzten sich zu ihnen an den Tisch, erzählten von Ferien in diesem gastfreundlichen Land. Die Männer ernteten so manche bösen Blicke ihrer Ehefrauen, weil sie die Augen nicht von Lena lösen konnten.
Aber sie wussten auch genau, dass so ein schönes Mädchen ein paar Ligen über ihnen spielte.
Um drei Uhr am Morgen bat Slavko sie um den letzten Tanz des Abends, den Alex ihm auch bewilligte.

„Wir Freunde!" sagte der Bürgermeister des wunderschönen Fischerstädtchens am Meer. „Wir euch lieben wie Bruder und Schwester!"
„Warum wir?" fragte sie, glücklich lächelnd.
Er sah sie ernst an, suchte nach Worten. „Ihr Glück bringt! Wenn ihr Freunde, dann immer Freunde!"
„Danke, Slavko!" brachte sie nur heraus. Das war das Leben mit Alex! dachte sie.
Vor ihm hatte sie kaum Freunde gehabt. Sie war nicht offen genug gewesen für zwischenmenschliche Beziehungen.

Sie hatte Typen kennengelernt, war mit ihnen ins Bett gegangen, war weitergezogen. Mit Frauen hatte sie so ihre Probleme gehabt, weil die sie immer als Konkurrentin gesehen hatten.
Auch bei Livy hatte sie nicht verstanden, dass jemand sie um ihrer selbst mochte!
Ihr Vater hatte nicht das geringste Interesse an ihr, ihre Mutter sah in ihr nur den Hemmschuh für ihr eigenes Leben und später dann die Chance, dieses überraschend hübsche Mädchen lukrativ zu verheiraten.

Ihre Großeltern hatten sie geduldet, aber nie geliebt.
Sie hatte sich immer ziemlich wertlos gefühlt.
Bis sie das Studium begonnen hatte. Die Professoren hatten sie gelobt und gefördert.
Seit sie Alex kannte, war sie offener geworden anderen Menschen gegenüber.

Da war Steffen im Krankenhaus, da waren die Trucker, da waren Sabine, Olivia und Bill, da waren Slavko und seine Familie. All die verschiedenen Typen konnten Freunde werden, wenn sie das zuließ! Und sie würde alles zulassen, denn es gab Alex!

Ihr Leben hatte neu begonnen, an diesem Freitag auf der Uni-Feier! Oder eigentlich schon im Bus, an dem Tag, als ihre beiden Autos in den Werkstätten waren!
„Du verliebt?" fragte Slavko, der ihren schwärmerischen Blick richtig deutete.
„Ja, Slavko! Ich bin sehr, sehr verliebt!" antwortete sie.

„Er auch!" meinte er nur und brachte sie wieder zu Alex zurück.
Engumschlungen machten sie sich auf den Heimweg. Der Vollmond beleuchtete ihren Weg.

Obwohl es schon so spät war, schlugen sie den Weg zu ihrem Strand ein, legten sich in den Sand, berührten sich kaum, genossen die Sekunden, jede einzelne!
Sie kamen sich näher, umarmten sich, genossen die Nähe und dämmerten in einen glückdurchströmten Schlaf hinüber, hörten als letztes das leise Schlagen der Wellen ans Ufer. Es war eine absolut tropische Nacht, es kühlte kaum ab. Sie kuschelten sich im Schlaf ganz eng aneinander, umschlangen sich ganz und gar.


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