Need You Now
Stardust Conner
"Wie kann ich euch behilflich sein?" Der Polizist nippte an seiner Kaffeetasse, um seine begonnene Nachtschicht zu überstehen. Er sah gelangweilt und müde aus. Er starrte die ganze Zeit nur auf seinen Bildschirm. Uns hatte er nur einen kurzen Blick zugeworfen. Ich bezweifelte, dass er sich auf seinem Rechner irgendwas für die Arbeit anschaute.
Wie schon damals ergriff wie immer Kylie das Wort: "Ich bin Kylie Brown."
Der Polizist, dessen Augen zuvor noch vor seinem Bildschirm geklebt hatten, spuckte plötzlich den Kaffee in einem hohen Strahl aus. Tatsächlich kümmerte es ihn in diesem Moment gar nicht, dass er womöglich den Computer ruiniert hatte, sondern er starrte Kylie nur mit großen Augen an. Wahrscheinlich drehten sich in seinem Kopf gerade die Zahnräder und Bilder von dem verschwundenen Mädchen, das in allen Nachrichtensendungen des Landes zu sehen war, tauchten in seinem Gedächtnis auf.
"Heilige Scheiße", war alles, was er hervorbrachte. "Ähm - einen Moment bitte." Er schien überfordert zu sein, entschied sich aber dann nach dem Hörer zu greifen und den Sheriff von Gracetown anzurufen.
" ... Tut mir leid, Boss ... Ich weiß, aber es ist dringend ... Kylie Brown - sie ist hier ... Ja, ich weiß ... Ja, sie ist es wirklich ... Okay, verstanden." Der Polizist legte auf. "Der Sheriff ist unterwegs. Setzt euch doch so lange." Er zeigte auf Kylie. "Und nicht weglaufen."
Wenn das ein Witz sein sollte, dann war es ein ziemlich schlechter.
Wir setzten uns auf die Stühle, die an der Wand standen. Unsere Hände waren noch immer ineinandergeschlungen. Wir hatten uns nicht losgelassen.
"Wirst du ihnen sagen, was passiert ist?" Ich hoffte, dass sie zumindest ihnen erzählte, was geschehen war. Sie musste mit jemanden darüber sprechen. Nur so konnte ihr geholfen werden.
"Nicht heute. Irgendwann aber. Es ist schwer - schwer, mich zu öffnen."
Ich nickte verständnisvoll. "Wann immer du bereit bist."
Ich ließ sie nicht aus den Augen. Es war noch immer so surreal, dass sie wirklich hier war und ich hatte immer noch Angst, dass ich mir sie nur vorstellte. Dass wir unsere Hände hielten, gab mir Sicherheit, dass ich sie nicht wieder von der einen Sekunde auf die andere verlieren würde.
"Ist alles okay?", fragte ich nach einer Weile. Sie schien nervös und schaute sich die ganze Zeit um, als würde sie nach möglichen Fluchtwegen suchen.
"Ich habe Angst."
Ich rutschte näher zu ihr. "Das brauchst du nicht. Ich bin hier."
Sie lächelte zaghaft und wollte gerade etwas sagen, als ein Mann das Revier betrat. Ich erkannte ihn als Sheriff anhand des Sterns an seiner Brust. Er starrte Kylie ungläubig an. Er kannte sie. Natürlich tat er das. Die Polizei hatte schon öfters mit Kylie Ärger gehabt. Alkohol, Sachbeschädigung, Auseinandersetzungen in der High School und so weiter. Ihre Akte musste voll sein.
"Deine Eltern werden sofort benachrichtigt, aber jetzt kommst du fürs Erste mit", sagte er.
Wir gingen ihm hinterher. Er stoppte vor einer Türe. Besprechungsraum.
"Du bleibst draußen. Conner, richtig?"
Ich nickte und fühlte eine plötzliche Leere, als Kylie meine Hand losließ. Was war, wenn sie plötzlich nicht mehr aus dem Raum kommen würde und ich mir alles nur eingebildet hatte? Ich musste bei ihr sein. "Dürfen Sie sie überhaupt befragen? Sie ist noch nicht volljährig."
"Du wartest, Fräulein - und zwar hier", sagte er entschlossen und machte die Türe hinter sich und Kylie zu.
Ich sank auf einen Stuhl und zählte die Sekunden.
Schon nach wenigen Augenblicken waren die Browns in das Polizeirevier gestürmt. Mrs Brown hatte wie eine Furie gedroht, dass wenn sie nicht sofort in diesen Raum kommen würde, ihre Anwälte diese Behörde niederbrennen würden.
Es lief alles wie in einem dramatischen Film ab. Die Browns umarmten ihre Tochter stürmisch und drückten sie fest an sich, als wollten sie sie am liebsten gar nicht mehr loslassen. Tränen flossen und Taschentücher wurden aufgebraucht.
So erinnerte ich mich an diese Nacht, die ich nie wieder vergessen würde.
Meine Eltern hatten schnell die Tatsache vergessen, dass ich mich nachts aus dem Haus geschlichen hatte, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich Kylie gefunden hatte. Zuerst hatten sie mir nicht geglaubt, bis der Polizist meine Aussage bestätigte, der mich nach Hause gefahren hatte.
Diese Nacht war hart zu verarbeiten. Die nächsten Tagen flogen an mir vorbei. Kylie ging nicht zur Schule - noch nicht. Ich hatte sie seit Tagen nicht gesehen und das machte mich nervös. Bis jetzt wusste noch niemand, dass Kylie wieder zurück war - noch nicht. Das würde sich bald ändern. Es machte mich fiebrig mit niemanden darüber reden zu können. Nicht mit Zula, Londyn oder Isaac - mit niemandem.
So blieb mir nichts anderes übrig, als in meinen Gedanken zu versinken. Ich fragte mich, ob wieder alles so wie früher sein könnte - bis ich realisierte, dass es nie mehr so wie damals sein wird - weil ich nun wusste, warum sich mein Herz in ihrer Nähe so komisch benahm.
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