Loyal
Londyn Rowlins
Die Kingston High ohne Kylie Brown war wie Pommes ohne Ketchup, Winter ohne Schnee oder ein Hotdog ohne Wurst im Brötchen. Es fehlte einfach was. Egal was man sich einredete, die Kingston High war ohne ihre Queen ein anderer Ort.
Zula und ich waren vorher im Flur gegeneinander gelaufen. Das war kurz vor der ersten Unterrichtsstunde gewesen. Wir hatten uns seit der öffentlichen Bekanntgabe, dass Kylie Brown vermisst wird, nicht mehr gesehen. Wir drei waren einen Monat Zuhause geblieben, weil uns Kylie's Verschwinden fertig gemacht hatte. Da es der Monat vor den Sommerferien war und man im Unterricht sowieso fast nur Filme geschaut hatte, hatten sich die Lehrer einverstanden erklärt. Dann hatten wir drei Monate Sommerferien gehabt.
Jetzt waren wir hier. Ich hatte lange überlegt, wie ich mich verhalten und was ich sagen sollte, wenn ich Star und Zula sehen würde. Sollte ich sie ignorieren? Als ich Zula allerdings angeschaut hatte, waren all meine Zweifel, ob wir noch befreundet waren, dahingeschmolzen. Wir waren uns in die Arme gefallen und waren gemeinsam in den Unterricht gegangen. Wir hatte Physik gehabt und eigentlich war Star in dem gleichen Kurs wie wir. Als sie nicht aufgetaucht war, wussten wir, dass da etwas faul war. Also waren wir spontan zur Mädchentoilette gegangen, wo wir sie vermutet hatten.
Wir waren quasi wieder vereint, aber irgendwie fühlte sich das nicht richtig an. Es war komisch nur zu dritt durch die Flure zu laufen oder nur zu dritt hinten im Unterricht zu sitzen.
Jetzt versuchten wir zwei Mathestunden hinter uns zu bringen. Der neue Mathelehrer Mr Gomez war jung, aber nicht halbwegs so gutaussehend wie Mr Matthews, unser Lehrer in amerikanischer Geschichte.
Flashback
Ich musste zugeben, dass ich mich in der High School noch nie wirklich angestrengt hatte, aber das wollte ich jetzt ändern. Ich war auf dem Weg zu Mr Matthews Raum und wollte ihm vorschlagen, ob ich eine Präsentation in amerikanischer Geschichte halten könnte, um meine Note noch zu retten.
Ich wollte gerade die Türe öffnen, doch sie war abgeschlossen. Welcher Lehrer schloss in den offenen Pausen, wo die Schüler zu ihm gehen konnten, die Türe ab?
„Ist alles okay?", fragte eine tiefe Stimme.
Ich drehte mich um. „Oh hi, Mr Daniels." Er war unser alter Englischlehrer. Der älteste an der Kingston High. „Ich will zu Mr Matthews, aber seine Türe ist abgeschlossen.
„Ach, manchmal schließen sich die alten Türen von alleine ab", brummte er und holte aus seiner Hosentasche einen Schlüsselbund hervor. „Hier, benutz den. Ein Universalschlüssel." Er warf einen Blick auf seine alte Armbanduhr, die scheinbar mit ihm gealtert war. „Ich muss zu einem Elterngespräch. Du kannst mir die Schlüssel nach Schulschluss vorbeibringen. Ich vertrau dir, Londyn."
Ich grinste. Mein Dad war Brite, so wie es auch Mr Daniels war. Deswegen mochte er mich auch. Mr Daniels kaufte oft in dem Teeladen meiner Eltern in der Stadt ein, wo es ausschließlich englische edel Teesorten zu kaufen gab.
„Alles klar. Dann bis später."
Als er weg war, schloss ich die Türe auf und was ich in dem Raum sah, schnitt mir die Luft ab. Kylie lag auf dem Lehrerpult und Mr Matthews war über sie mit nackten Oberkörper gebeugt, während sie sich innig küssten. Ich fühlte mich wie in einem falschen Film. In so einem bescheuerten Teenie Film. Ja, ich hatte geglaubt, dass das immer nur in Serien passieren würde, aber nein. Hier stand ich. Das hier war die wirkliche Welt. Und diese zwei Personen waren Kylie Brown, einen meiner besten Freundinnen, Queen der High School, und der neue Geschichtslehrer.
Die zwei schreckten auseinander.
„Oh mein Gott!", kreischte Kylie hysterisch auf.
„Shit!" Mr Matthews zog sich schnell sein Hemd über und lief rot an.
„Was glotzt du so?", fauchte Kylie mich an.
Ich konnte mich nicht bewegen und meinen Mund hatte ich auf noch nicht zuklappen können. Ich dachte noch immer, dass das hier ein Traum war.
„Es ist nicht das, was du glaubst. Es ist anders, als es aussieht", sagte Mr Matthews panisch.
Lustig. Ich hatte zwei gesunde Augen.
„Ich regel das", beruhigte Kylie ihn und warf mir einen strengen Blick zu. Dann lief sie zu mir, packte mich am Arm und zerrte mich nach draußen.
Als wir in einer ruhige Ecke waren, platzte Kylie vor Wut. „Wie konntest du hier einfach so reinplatzen?!"
„Ich - ähm", stammelte ich. Mich überforderte die Situation und meine Gedanken fuhren Achterbahn.
„Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlierst, dann werde ich in der ganzen Stadt herumbrüllen, dass du Zula's Bruder hinter ihrem Rücken geküsst hast!"
„Ich hatte nicht vor es jemanden zu sagen und dass mit Donte war nicht meine Schuld! Ich war betrunken!"
„Tja, mal sehen wem Zula von uns eher glauben würde." Sie sah mich herausfordernd an.
„Du bist so hinterhältig und - "
„ - Hey, pass lieber auf, was du sagst!", schnitt sie mir das Wort ab.
„Verdammt, ich sage es ja niemandem!"
„Schwör es bei deinem Leben!"
„Das tue ich."
„Gut." Sie kam einen Schritt auf mich zu. „Denn wenn nicht zerstöre ich dich und du weißt, dass ich dazu fähig bin."
Flashback End
Letztes Jahr hatte ich tatsächlich erfahren, zu was dieses Mädchen alles fähig war...
In der Pause saßen wir zu dritt an dem begehrtesten Tisch der Cafeteria. Bloß eine Person fehlte, die am immer am lautesten gewesen war - Kylie.
„Hört zu, ich will, dass wir weiter machen und wir unser Leben wieder genießen können", sagte Zula auf einmal.
Ich verschluckte mich an meinem Glas Wasser. „Wie meinst du das?"
„Sie ist weg. Das ist eine Tatsache. Daran können wir nichts ändern. Die Polizei wird sie finden und wenn nicht, dann - " Zula räusperte sich. „Habt ihr schon mal dran gedacht, dass sie gar nicht gefunden werden will?"
Ich nickte langsam. Zula hatte recht. Ich sah zu Star, die auf den vollen Teller vor sich starrte. Sie hatte nicht einen Bissen genommen. Ihre Augen waren völlig leer. Sagen tat sie nichts.
„Also, habt ihr schon den Neuen im Mathekurs gesehen? Ich glaube, er heißt Mike. Der ist echt extrem süß", lenkte Zula ab. Jungs waren Themen gewesen über die wir normalerweise gesprochen hatten.
Ich fand es gut, dass wir das weitermachen wollten. „Meinst du den mit dem lockigen braunen Haar?"
Zula nickte energisch.
Ich grinste. „Auf den hab ich auch schon ein Auge geworfen."
Star schlug mit der Faust auf den Tisch. Das Besteck klirrte und mein Wasserglas schwappte über. Die Schüler, die uns schon die ganze Zeit beobachtet hatten, zuckten zusammen. Auf einmal wurde es ganz leise in der Cafeteria.
„Unsere beste Freundin wird seit Monaten vermisst und ihr redet ernsthaft über Jungs?!", rief sie wütend.
„Was sollen wir denn machen, Star? Es liegt nicht in unserer Hand etwas zu tun. Wir können nichts machen", sagte Zula und schaute beunruhigt über ihre Schulter.
„Hör bitte auf so zu sein", bat ich Star.
„Wie bin ich denn?", fragte sie angriffslustig.
Ich schluckte. „Ich erkenne dich gar nicht wieder."
„Wir müssen weitermachen", pflichtete Zula mir bei. „Du weißt schon. Wir alle haben uns den Sommer über verändert, seit sie nicht mehr da ist. Aber die Welt hört sich nicht auf zu drehen. Das solltest du einsehen."
„Tut mir leid, dass ich sie nicht einfach so vergessen kann wie ihr alle!", fauchte Star wütend. "Und sie hat übrigens einen Namen! Es ist Kylie von der wir hier sprechen! Kylie hätte uns niemals im Stich gelassen!"
Mit diesen Worten verließ Star die Cafeteria.
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