Kapitel 9:
Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten. So vertraut.
So schrecklich vertraut.
Ein altes Lied. Und trotzdem trafen mich die Schreie jedes Mal wieder aufs neue, als wären sie mir nicht so vertraut wie meine eigene Stimme. Ein letzter Hilferuf, dem niemand antwortete. Da war sie wieder, die Panik, die Verwirrung, die letzte Hoffnung, die er immer gehabt hatte. "Hannah, Hilf mir", hörte ich ihn stumm flehen. "Hilf mir."
"Renn, Kleiner", gab ich zurück. "Renn um dein Leben. Ich komme."
Ich hatte schon mein ganzes Leben lang die Wahrheit verbogen, Dinge verschwiegen, Versprechen gebrochen, aber ich hatte noch nie eine Lüge so sehr bereut wie diese. Dabei hatte ich sie gar nicht als Lüge gemeint gehabt. Die besten Absichten zerstörten immer die meisten Leben, das hatte jedenfalls Dad immer gesagt. Nachdem sie alle fort gewesen waren.
Ich musste erneut zusehen, wie er stehen blieb, zurücksah, spürte seine Angst, als er erkannte, was wirklich passierte. "Hannah..."
"Renn, na los! Du musst hier weg!"
"Ich kann nicht einfach so..."
"Natürlich kannst du, verdammt noch einmal! Renn, Ch'te'keau, renn!" Ich hatte es schon so oft gesagt. So oft, dass die Worte keine Bedeutung mehr innehielten, so oft, dass sie gleichzeitig das ganze Universum beschrieben, aber auch das Nichts, das dahinter lag. Sinnlose Worte, die doch mehr wogen als alles andere.
"Ich... ich kann sie nicht alleine lassen."
"Was? Nein, Renn, Kleiner, Renn, verdammt noch mal, verschwinde, du..."
"Ich kann sie nicht einfach so zurücklassen! Ich kann ihnen helfen!"
"Niemand kann ihnen mehr helfen, Kleiner! Verschwinde da! So hilfst du keinem! Du bringst dich nur selbst um!" Jetzt war er es von uns beiden, der ruhiger war. Viel zu ruhig für diese Situation. Dabei sollte ich doch die Leichtsinnige von uns beiden sein!
"Tut mir leid, Hannah."
"Nein, nein, nicht! Bitte!", ich spürte, wie meine Stimme brach. So oft schon hatte ich es erlebt. So oft war ich es durchgegangen. Wie konnte es sein, dass es immer gleich herauskam? "Komm zurück!" Ich spürte, wie mir Tränen über das Gesicht liefen. Ich wusste, was kommen würde. So oft war ich schon hier gewesen. So oft schon. Ein altes Lied.
"Pass auf!" Zu spät. Viel zu spät. Was wäre gewesen, wenn er auf mich gehört häte? Was wäre passiert, hätte er sich versteckt? Was, wenn er nicht so mutig gewesen wäre?
"Hilf mir! Hannah, Bitte!" Sein verzweifelter Schrei ging mir durch Mark und Bein und für einen kurzen Moment schien es mir, als wäre er tatsächlich noch da, als wäre ich tatsächlich damals, als hätte ich tatsächlich nicht eine weitere Chance, ihn zu retten.
"Nein, Kleiner, nicht, nicht, bitte nicht!"
"Lass mich nicht allein!", meine Stimme überschlug sich. Und trotzdem war es nicht genug gewesen.
Als mich jemand hart an der Schulter fasste und schüttelte, fuhr ich aus dem Schlaf, während sein schmerzerfüllter Schrei mir immer noch in den Ohren nachklang. Ich war nicht gekommen. Ich war nicht rechtzeitig gewesen.
Meine Hand zuckte zuerst zu meinem Blaster, als ich ihn nicht fand, konnte ich nicht verhindern, dass ich mir ans linke Handgelenk griff. So leer. So leer.
Ich begann, es zu reiben, immer und immer stärker, nur um etwas zu fühlen und während meine Haut immer röter und wunder wurde, versuchte ich verzweifelt, vollkommen aufzuwachen und zu verstehen, wo ich war. "Was... was ist passiert?" Meine Stimme brach in der Mitte des Satzes. Rau vom Schlaf, müde hörte sie sich an, verletzlich, obwohl ich mich dafür am liebsten geschlagen hätte, vor allem, als sich meine Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnten und Ulean entdeckte, die über mir stand. Sie musste es gewesen sein, die mich wachgerüttelt hatte, schliesslich spürte ich ihre Hand immer noch auf meinem Arm. Ich schüttelte ihn ab und rückte ein wenig näher an die Wand, weg von ihr und weg von Mon Mothma, die weiter hinten im Raum stand und Ulean herabwürdigende Blicke zuwarf. Irgendetwas war vorgefallen. Irgendetwas hatte Ulean getan, das Mon Mothma überhaupt nicht gefiel.
"Wir holen Sie ab, Catallan. Sie wollen doch nicht zu spät zu Ihrer ersten Mission kommen, oder?" Mon Mothma hörte sich alles andere als begeistert an und ich konnte mich nur fragen, was wohl losgewesen war. Wie lange die Beiden mir beim Schlafen zugesehen hatten. Dann dämmerte es mir: Ich hatte wieder im Schlaf gesprochen.
Ich rappelte mich so schnell ich konnte auf und bemühte mich, meinen Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das durfte doch nicht wahr sein. Wie viel hatten sie gehört? Wie viel hatten sie herausfinden können, ehe mich Ulean geweckt hatte? Ich hielt mein Handgelenk noch immer umklammert, nicht in der Lage, loszulassen, auch wenn meine Haut brannte wie Feuer.
Hemd geraderücken, Zopf richten, Rücken durchstrecken. Kinn nach oben. Keine Panik. Alles war gut. Niemand wusste es. Niemand wusste irgendwas. "Hilf mir, Hannah!", schallte seine Stimme durch meinen Kopf, aber ich schloss nur kurz die Augen. Nichts als ein Echo. Nichts als ein altes Lied. Die Geschichte war bereits geschrieben worden und niemand, niemand konnte sie ändern. So gerne ich das auch würde.
Uleans Blick wirkte beinahe mitleidig, als sie mein Gesicht musterte. Als ihr Blick weiter nach unten rutschte, an meinem Handgelenk, um das ich meine Finger klammerte, hängenblieb, wurde mir alles zu viel. Für einen kurzen Moment nahm Mon Mothmas rechte Hand Blickkontakt mit mir auf, dann hastete ich aus der kleinen Hütte.
Mon Mothma versuchte, sich mir in den Weg zu stellen, aber anstatt anzuhalten, rempelte ich sie an. Sie konnte mich mal. Auch, wenn sie keine Ahnung hatte, wer ich war.
Ich lehnte draussen an der Baracke und fragte mich, was ich hier überhaupt noch machte. Es hatte sich wirklich gut angefühlt, Mon Mothma anzurempeln und ich schämte mich dafür. Ich sollte nicht so wütend auf sie sein. Auf sie alle. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen. Obwohl ich es nicht gerne zugab, ich dankte Ulean aus tiefstem Herzen, dass sie mich aufgeweckt hatte. Ich hatte schon lange nicht mehr so schlecht geträumt und die Bilder standen mir sogar jetzt noch schmerzhaft echt vor Augen. Das Schlimmste war allerdings, dass ich auch so wusste, wie alles enden würde. Weil es vor langen Jahren eben kein Traum gewesen war, sondern Realität und ich war nicht dagewesen, um sie zu verhindern.
Ulean trat zuerst aus der Baracke und sah sich suchend um. Als sie mich entdeckte, atmete sie sichtbar aus, als hätte sie erwartet, dass ich verschwinden würde. «Sie sind ja immer noch da», stellte sie fest.
Ich zuckte die Achseln. «Wo sollte ich sonst hin? Ich wäre keineswegs schnell genug, um zu einem X-Flügler zu gelangen, ihn anzuwerfen und dann damit zu verschwinden. Ihr wärt schneller als ich. Ausserdem habe ich den Helm in der Baracke gelassen. Es ist bekannt, dass man mehr als lebensmüde sein muss, um einen X-Flügler ohne Helm zu fliegen.»
Ulean musterte mich mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht. «Was haben Sie gegen uns?», fragte sie schliesslich frei heraus.
Ich hob eine Augenbraue. «Nur weil du mich aus einem Alptraum aufgeweckt hast, heisst das noch lange nicht, dass ich dir meine Lebensgeschichte erzähle.»
«Sie geben also zu, dass es ein Alptraum war?»
Ich zuckte die Schultern. «Deine mitleidigen Blicken haben dich verraten. Wieso sollte ich leugnen, wenn ich sowieso schon weiss, dass ich wieder im Schlaf gesprochen habe?»
«Sie wissen, dass Sie das tun?»
«Wie kommst du darauf, dass ich es nicht weiss?» Sie schwieg einen Moment.
«Danke», murmelte ich leise.
Sie sah auf, ziemlich überrascht. «Entschuldigung?»
«Danke!», wiederholte ich lauter.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf, als würde sie nicht verstehen. «Ich verstehe immer noch nicht.»
Ich seufzte. «Du verstehst sehr wohl. Du willst doch nur noch einmal hören, wie ich dir danke, oder?»
Jetzt ging Ulean endlich ein Licht auf. «Weil ich Sie geweckt habe?»
Ich schnaubte. «Ich bin sicher, das hast du von dir aus gemacht. Mon Mothma hat dir wahrscheinlich vorgeschrieben, zu warten, bis ich unbewusst irgendetwas sage, dass sie gegen mich verwenden kann.»
«Wie schön, dass Sie eine so hohe Meinung von mir haben, Catallan», ätzte die ehemalige Kanzlerin, die gerade aus der Baracke kam. Ich neigte den Kopf ein wenig, ein ehemaliges Zeichen von Respekt, mein spöttisches Grinsen machte allerdings allzu klar, dass ich mich über Mon Mothma lustig machte.
«Immer gerne, Madame.» Ich spie ihr das letzte Wort vor die Füsse als sei es ein Schimpfwort.
«Kein Grund, ausfällig zu werden», warnte sie mich.
Ich schnaubte. «Würde ich ausfällig werden wollen, dann hätte ich Ihnen ganz andere Dinge an den Kopf geworfen.»
Sie überhörte meine Bemerkung. «Sie wissen ja, wo unser Hafen ist. Wollen Sie sich nicht schon einmal auf den Weg machen?»
«Ich dachte, so ein Kontrollfreak, wie Sie sind, wollten Sie mich selbst hinbringen. Ich habe sogar extra auf Sie gewartet.»
«Was sind Sie doch grosszügig», spottete Mon Mothma. «Sie dürfen gerne schon einmal vorgehen.»
Ich blieb standhaft stehen. «Wenn ich meinen Blaster zurückbekomme, denke ich vielleicht noch einmal darüber nach. Sie schicken mich in einen Auftrag, der in gefährliche Gefielde führt. Da will ich nicht unbewaffnet aufkreuzen.»
«Das ist nicht unser Problem. Sie werden immer so nah bei ihrem Team bleiben, dass die Sie beschützen können und Sie keine eigene Waffe benötigen.»
«Ich werde wahrscheinlich mit einigen alten... Kollegen sprechen müssen. Alleine. In meiner Welt vertraut man nicht so schnell einem Trupp Fremder. Also, wo ist mein Blaster?»
«Dort, wo Sie ihn nicht finden werden, Catallan. Sie brauchen ihn nicht.»
«Ich brauche ihn sehr wohl.»
«Das liegt nicht mehr in Ihrem Ermessen. Sie dienen jetzt der Galaxis und stehen unter meinem Kommdano. Und wissen Sie, was ich Ihnen befehle? Sich zum Landeplatz zu verziehen und zwar schnell!»
Die Schimpfworte, die so laut in meinem Kopf widerhallten, dass ich sicher war, dass Mon Mothma sie auch hören konnte, waren einige der Schlimmsten, die ich kannte. Ich fühlte die Hitze in meinen Wangen, wusste ganz genau, wie kurz davor ich war, alles zu versauen. "Mörderin!", hätte ich am liebsten gebrüllt. "Mörderin!", schallte es durch meinen Kopf, als würde nicht nur ich, sondern eine ganze Menschenmenge brüllen. "Mörderin!"
Ich drehte mich stumm um und ging. Ulean blieb kurz zurück, als wollte sie etwas mit Mon Mothma besprechen, dann hastete sie mir hinterher. "Catallan..."
"Was?", schnauzte ich. "Sie wusste es!", ging es mir wieder durch den Kopf. "Sie wusste es und sie hat nichts dagegen getan. Ihre Schuld. Ihre Schuld, ihre Schuld, ihre Schuld."
"Was ist eigentlich Ihr Problem?", gab Ulean etwas verdutzt zurück. "Zuerst danken Sie mir und sind mehr oder weniger umgänglich und dann benehmen Sie sich wieder, als wollten Sie mir gleich den Hals umdrehen!"
"Oh, ich kann dich beruhigen, Ulean. Es geht hier nicht um dich."
Ihr Blick wurde nur noch kritischer. "Also kennen Sie Mon Mothma wirklich von früher."
Ich blieb abrupt stehen. "Wie kommst du denn auf diesen Mist?"
"Sie meint, sie kennt Sie irgendwoher. Sie weiss nur nicht woher. Und so, wie Sie sich gerade benommen haben..." Sie zögerte. "Wir wissen übrigens, dass Catallan nicht ihr richtiger Name ist. Wir haben Sie überprüft. Mit einem Lügendetektor."
Ich packte sie am Kragen, was sie dazu brachte, sich auf die Zehen stellen zu müssen, um nicht in meinem Griff zu schweben. Ich funkelte sie wütend an. "Ach, Neunmalklug, noch eine weitere clevere Beobachtung? Warum beantwortest du dir deine Fragen nicht selbst, wenn du alles so viel besser weisst?"
Sie versuchte verzweifelt, sich loszumachen, aber ich hielt sie eisern fest. "Lassen Sie los, Catallan! Ich... Ich hab's nicht so gemeint, okay? Ich war nur neugierig! Hören Sie auf damit! Hören Sie auf oder ich lasse Sie erschiessen!" Als sie bemerkte, dass das nicht zog, änderte sie die Taktik. "Wenn Sie mich nicht sofort loslassen, dann erschiessen wir ihren Freund!"
Nicht ohne ihr einen letzten dreckigen Blick zuzuwerfen, liess ich sie fallen. "Zufrieden?", knurrte ich.
Sie richtete ihre durcheinandergeratene Kleidung mit einer knappen Geste und versuchte, mich in Grund und Boden zu starren. Ich ignorierte sie. "Sie müssen ihn ja wirklich mögen, wenn..."
"Ach, halt die Klappe!", fuhr ich sie an. "Ja, stellen dir vor, Catallan ist nicht mein richtiger Name. Weisst du eigentlich, wie dämlich es wäre, meinen echten Namen in diesem Bussiness zu verwenden? Ich wäre schon drei Mal tot! Und was hast du eigentlich für ein Problem mit Thaer und mir? Es tut mir ja leid für dich, dass du einsam bist und, so wie ich dich kenne, auch einsam sterben wirst, aber das heisst trotzdem nicht, dass es dich irgendetwas angeht, wen ich als meinen Verbündeten und wen ich als mehr sehe. Thaer ist nichts anderes als ein alter Freund." Kurz über die Worte nachdenkend, fügte ich noch hinzu: "Und weisst du, was? Von mir aus könntest du ihn umbringen. Ich habe nur leider jemandem versprochen, auf ihn aufzupassen und dieser Jemand würde aus dem Grab auferstehen und mich umbringen, bräche ich dieses Versprechen." Eine kleine Lüge konnte schliesslich nicht schaden. Ich wollte ja nicht, dass Ulean das Gefühl hatte, sie könne mich, sollte Thaer irgendwann wegfallen, mit irgendjemand anderem, den ich kannte, erpressen.
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