Kapitel 6
Thaer wusste nicht recht, was er tun sollte. Er sass in einer kleinen Barracke, die Hände auf dem Rücken mit imperialen Handschellen gefesselt und er trug immer noch seine imperiale Uniform. Er dankte im Stillen den Richtlinien des Imperiums, dass er wenigstens seine Trupplerrüstung nicht trug. Das wäre dann noch viel weniger lustig gewesen. Da er sonst nichts tun konnte, begann er, nachzudenken. Über Hannah. Über Raen. Über seine Situation. Was dabei herauskam, gefiel ihm überhaupt nicht. Er kannte Hannah schon seit ein paar Jahren. Auch wenn sie es vor der Rebellin behauptet hatte, kannten sie sich tatsächlich nicht aus seinem früheren Job, sondern hatten sich in einem imperialen Verhör das erste Mal getroffen. Er wusste sehr genau, aus welchem Grund Hannah gelogen hatte. Es hätte auf die Rebellin wohl nur weiter bedrohlich gewirkt, hätte sie es gewusst.
Aber warum hatte sie es für ihn getan? Wieso log sie für ihn? Wo sie doch Raens Tod, obwohl sie, laut dessen Aussage, sogar einmal mit ihm ausgegangen war, als sie noch nicht gewusst hatte, dass er ein Imperialer war, kein bisschen gekümmert hatte. Alle diese Tode hatten sie nicht gekümmert und der Ausdruck, in ihrem Gesicht hatte ihm beinahe Angst gemacht. Ihr Blick war so wütend gewesen, so unglaublich wütend auf etwas, dass nicht da war, während da gleichzeitig eine schreckliche Teilnahmslosigkeit in ihren Augen gestanden hatte. Als würde sie das alles nichts angehen, der Krieg, die Toten, die Möglichkeit, Frieden ins Universum zu bringen.
Ja, Thaer hatte schon lange mit den Rebellen sympathisiert. Schon sehr lange, genauer gesagt, seit das Imperium seinen Hüterposten gestürmt und ihn gezwungen hatte, als Soldat beizutreten. Sein Rang kam ebenfalls nicht daher, dass er sich hochgearbeitet hatte, er trug ihn, da Hüter eine spezielle Ausbildung hinter sich hatten, in deren Genuss andere Imperiale nicht gekommen waren. Das sein erstes Treffen mit den Rebellen aber so ablaufen würde, das war nicht geplant gewesen. Thaer starrte stur geradeaus. Wieso hatte Hannah ihm geholfen? Sie hatte ihm nie gesagt, dass sie ihn mochte, sie waren noch nie zusammen ausgegangen und er war sich sicher gewesen, dass ihre Wortgefechte nicht für ihn reserviert waren. Er hatte Hannah, nachdem er gesehen hatte, wie desinteressiert sie an den Leichen der Sturmtruppler vorbeiging, für jemanden gehalten, der dem Tod schon so oft ins Auge gesehen hatte, dass er ein Teil seines Lebens war. Ein Toter schien ihr nichts mehr zu bedeuten, als ein Staubkorn auf dem weissen Hemd, dass Hannah aus irgendeinem Grund immer trug, zusammen mit den dunklen Hosen und dem langen Zopf. Wenn Thaer ehrlich war, dann hatte er Hannah auch genau dafür verabscheut. Natürlich nicht für ihren Kleidungsstil, sondern für ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Toten. Der Gleichgültigkeit, die verriet, dass all diese Menschen ihr nichts bedeuteten.
Dass sie tatsächlich die arrogante, selbstverliebte Schmugglerin war, für die sie alle hielten. Und dann, dann hatte sie ihn gerettet, vor der Kugel der Rebellin. Sogar zwei Mal, einmal trotz ihrem eigenen Nachteil. Er konnte sie nicht einschätzen. Einmal war sie liebenswürdig und freundlich, dann wieder bissig und kalt. Sie schien wie Tag und Nacht zu sein, als würden manchmal ihre guten und manchmal ihre schlechten Seiten überhand nehmen. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, konnte er nicht sagen, was in ihrem Kopf vorging, allerdings hatte er bemerkt, dass Schwierigkeiten ihr auf den Fuss zu folgen schienen. Sie hatte Probleme mit einigen Schmugglergruppierungen, ebenfalls wollte das Imperium sie als Schmugglerin für ihre Waren und Waffen in seinen Dienst stellen.
Sie sprach Corellianisch, was hiess, dass sie Muttersprachlerin war, aber auch die galaktische Hauptsprache hatte keinen wahrnehmbaren Akzent, wenn sie sprach. Dann war da noch ihre Angewohnheit, sich ans linke Handgelenk zu fassen. Thaer hatte es schon unzählige Male erlebt, wie sie es getan hatte und zurückgezuckt war, als hätte sie sich dabei erwischt, etwas Verbotenes zu tun. Und ihr Zusammenbruch beim Rebellentransport. Sie war blass geworden, hatte ihr Handgelenk umklammert, das linke, wohlgemerkt, das, an das sie immer griff, und war beinahe zusammengebrochen. Platzangst kaufte er ihr da wirklich nicht als Erklärung ab. Thaer war überrascht, als sich plötzlich die Türe zur Baracke öffnete und jemand eintrat. Vom hellen Licht des Planeten geblendet, schloss er kurz die Augen, dann sah er zu der älteren Frau auf. Ihre kurzgeschnittenen Haare waren mehr weiss als rot, aber sie wirkte trotzdem wie jemand, der das Befehlen gewohnt war. Ihre Ausstrahlung erinnerte Thaer an einen seiner Vorgesetzten.
«Das ist er?», fragte sie jemanden, den Thaer nicht sehen konnte.
Ulean trat ebenfalls in die Türe. «Das ist er, Mon Mothma.»
Er sah zwischen den Beiden hin und her, verwirrt. «Mon... Mothma? Kanzlerin Mon Mothma?»
«General Mon Mothma trifft es eher», korrigierte ihn Ulean. «Generalin der Rebellen.»
«Netter Titel», meinte er zurückhaltend. «Wie komme ich zu dieser Ehre?»
Die Beiden wechselten einen Blick. «Sie sind ein Imperialer Sergeant. Ich denke doch, dass Sie uns einiges zu sagen haben», kam die Rebellengeneralin auf den Punkt.
Thaer lehnte sich seufzend zurück. «Ich dachte, nur Imperiale führen Verhöre.»
«Haben Sie schon viele durchgeführt, Soldat ...»
«Ich heisse Johnson. Thaer Johnson. OI5075, falls Ihnen das etwas sagt, General.»
Sie nickte langsam. «Zu Ihrem Glück habe ich Ihre Nummer noch nie gehört. Sie sind laut meinen Informationen kein Freiwilliger?» Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Ulean sagte kein Wort, während Thaer von Mon Mothma ausgefragt wurde. Sie stand nur an der Türe, die Hand an der Waffe, sollte Thaer eine falsche Bewegung machen.
«Ich war Hüter, General.»
Sie nickte interessiert. «Haben Sie sich bei der Übernahme gewehrt?», hakte sie nach. Thaer schloss kurz die Augen, die Erinnerung an jene schreckliche Nacht schoss in ihm hoch und füllte seinen Mund mit Galle. Nur mit Mühe konnte er die alten Gefühle wieder zurückdrängen.
«Ja», gab er gepresst zu, «wir haben uns gewehrt.»
Mon Mothma nickte erneut, als wüsste sie das alles schon und würde ihn nur prüfen. «Was ist auch Ihrem Freund Grayson geworden?», fragte sie nach. Für Thaer glich das einem Schlag in die Magengrube.
«Grayson?», flüsterte er ungläubig. «Woher wissen Sie überhaupt davon?»
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. «Wir haben unsere Quellen, Johnson. Was ist aus Grayson geworden?» Dieses Mal war es noch schwieriger, die Schuldgefühle unter Kontrolle zu halten.
«Siehabenihnerschossen», presste Thaer so schnell er konnte heraus.
Mon Mothma legte den Kopf schief. «Noch einmal. Ich habe sie nicht verstanden.»
«Sie... haben ihn erschossen. Ermordet. Exekutiert, was auch immer! Würden Sie bitte aufhören, mich Dinge zu fragen, die Sie sowieso schon wissen?» Gegen Ende war Thaer immer lauter geworden, bis er schlussendlich geschrien hatte. Die Waffe, die Ulean auf ihn richtete, war ihm herzlich egal. Die Generalin winkte der Rebellin und diese liess unwillig den Blaster sinken.
Mon Mothma nickte langsam. «Wie haben Sie erkannt, dass ich diese Dinge schon weiss?», fragte sie.
Thaer schnaubte. «Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Stimmfarbe. Das typische eben.»
Jetzt schlich sich ein kleines Lächeln auf Mon Mothmas Gesicht. «Genau das wollte ich hören.»
Thaer sah überrascht auf. «Was?»
«Ich wollte wissen, ob noch etwas von Ihrem früheren Job hängen geblieben ist, Hüter. Sie haben meinen Test bestanden.» Sie nickte Ulean zu, die unwillig seine Handschellen löste. Er stand auf und das so schnell er konnte.
Er mochte es nicht, zu anderen Leuten hochschauen zu müssen. «Woher wussten Sie diese Dinge über mich?», hakte Thaer nach.
Mon Mothma schmunzelte über seine Reaktion. «Dachten Sie wirklich, wir hätten nicht schon während des Transportes ihre ID-Nummer überprüft? Wir haben einen Insider bei den Imperialen, der ihre Nummer schnell in den Grossrechner getippt und uns Informationen geliefert hat. Wir waren ganz schön beeindruckt, als wir erfahren haben, wen die Schmugglerin da erwischt hat.» Sie zwinkerte Thaer zu und verlieh den Worten eine völlig neue Bedeutung, die ihm gar nicht passte.
«Wir sind nicht zusammen oder so!», schnaubte er. «Wir kennen uns nur schon länger. Meine Güte, welcher Idiot hat denn diese Gerüchte verbreitet?»
Mon Mothma zuckte die Schultern. «Das weiss ich leider nicht, Johnson.»
Thaer verdrehte die Augen. «Gut für diese Person.»
Die Generalin nickte zustimmend. «Würden Sie Widerstand leisten, wenn Sie auf eine Mission mit anderen Rebellen geschickt würden?», fragte sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen.
Thaer konnte gar nicht glauben, was er da hörte. «Bitte? Mission mit anderen Rebellen? Was soll das heissen?»
«Das soll heissen, dass es viel zu wenig Rebellen gibt, als dass wir einen Hüter wie Sie einfach hier vergammeln lassen könnten. Einen Hüter mit wahrscheinlich wichtigen Informationen über das Imperium.»
Thaer starrte sie an. «Aber... ich könnte ein Spion sein!» Thaer verfluchte sich gleich darauf, dass er das gesagt hatte. Er wollte sie schliesslich nicht misstrauisch machen.
Mon Mothma zuckte die Schultern. «Manchmal muss man im Leben gewisse Risiken auf sich nehmen und wir sind momentan nicht in der Lage, Rücksicht auf Risiken zu nehmen.»
Thaer schluckte. «Aber...»
Sie winkte ab. «Ich weiss, was Sie sagen wollen, Hüter. Dass es keine gute Idee ist, herumzuposaunen,wie schlecht es uns geht. Das ist korrekt, wenn es nicht schon die ganze Galaxie wissen würde, genauso wie ihre... Kollegin Catallan.»
Thaer runzelte die Stirn und ignorierte für einen Moment seinen mit schmerzhaften Erinnerungen behafteten Titel. «Wie meinen Sie das?»
«Sie hält uns für den letzten Dreck und lässt uns das auch spüren. Vor allem Ulean kann sie scheinbar nicht leiden.»
Thaer musterte die Rebellin genauer und erkannte, dass ihre Nase stark geschwollen war. «Sie hat sie mit dem Ellbogen im Gesicht getroffen, nicht wahr?», fragte er, denn er kannte die Blessur sehr gut. Er selbst hatte sie oft davongetragen, als er noch als Hüter gearbeitet hatte. Ulean machte sich nicht einmal die Mühe zu widersprechen.
«Sie sieht auch nicht besser aus», knurrte sie, was Thaer ziemlich überraschte. Er hatte Hannah nicht als jemanden eingeschätzt, der es zuliess, in einer Prügelei selbst erwischt zu werden. Er hielt sie für jemanden, der seinem Gegner zwei kräftige Schläge erteilte und ihn dann liegen liess, längst verschwunden war, wenn der Andere sich wieder aufrappelte. Wie Ulean aussah, war Hannah aber nur einmal zum Zug gekommen. Vielleicht waren die Rebellen doch nicht so schlecht trainiert, wie er vermutet hatte.
Thaer dachte noch einmal nach. «Und das, was ich davon habe, ist, dass ich nicht die ganze Zeit in dieser Baracke sitzen muss, oder?»
«Ist das nicht genug?», Mon Mothma runzelte die Stirn. «Mehr können wir leider nicht garantieren. Wir sind pleite.»
Thaer schüttelte den Kopf. «Ich will kein Geld.»
«Was dann?»
«Ich will kein Druckmittel sein. Ich will gehen können, wo hin ich will und nicht von einer Laune von Hannah abhängig sein.»
«Sieh mal einer an», grummelte Ulean, «er darf ihren Namen aussprechen.»
Sie wurde von Mon Mothma mit einem bösen Blick zu schweigen gebracht. Dann drehte sie sich wieder zu Thaer. «Dem ersten Teil können wir nachgeben, allerdings dürfen Sie dann von niemandem gesehen werden, wenn Sie zu ihrer Mission aufbrechen und zurückkommen.» Wenn Sie zurückkommen, schien die Generalin noch sagen zu wollen, tat es aber nicht, schliesslich kannte Thaer das Risiko, das er eingehen würde, sehr gut. «Mit dem Rest warten wir noch, bis wir uns sicher sind, dass Sie zu uns gehören. Sie werden also bis auf weiteres überwacht und es ist Ihnen nicht gestattet, einen eigenen Weg einzuschlagen. Sie werden ihrem Team überall hin folgen, sollten Sie das nicht tun, werden wir Sie als imperialen Spion brandmarken und, falls wir irgendwo auf Sie treffen sollten, Ihnen einen Blasterschuss durch den Kopf jagen. Verstanden, Hüter?»
Thaer salutierte vor ihr. Schon als Hüter hatte man so seinen neuen Boss anerkannt, beim Imperium war salutieren allerdings verpönt. Es fühlte sich also durchaus richtig an, die Rebellengeneralin mit der altmodischen Geste zu akzeptieren. «Ich akzeptiere, General.»
Sie nickte ihm freundlich zu. «Ihr Team holt Sie ab. Sie fliegen noch heute Nacht.» Dann waren sie uns Ulean verschwunden und Thaer war wieder allein. Wenigstens trug er die Handschellen nicht mehr.
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