2.
Der Bambus schien undurchdringlich zu sein. Tayen und Metley wanden sich durch die dicht an dicht stehenden Bambusstöcke, die jetzt mitten im Sommer Höhen von zwanzig und mehr Metern angenommen hatten. Tayen brauche nicht nach hinten zu sehen, um zu wissen, dass sie verfolgt wurden. Er spürte etwas hinter sich, etwas Dunkles und Mächtiges. So setzte er alle Konzentration daran, durch das Dickicht des Waldes zu dringen. Metley ging voraus und sprang trotz seiner kräftigen Gestalt gewandt und schnell wie eine der hier so häufigen Mantha-Katzen zwischen dem Bambus hindurch. Sie waren beide hier im Wald aufgewachsen, hatten mehr Zeit hier verbracht als sonst irgendwo. Ausgebildet zu Jägern, Mantha-Jägern, hatten sie den Wald und seine Tücken kennengelernt und waren großartige Ausdauerläufer geworden. Dies sollte ihnen nun zum Vorteil werden, doch weiterhin wusste keiner der beiden, wie ihre Flucht weitergehen sollte. Die Richtung hatten sie, ohne lange zu überlegen und ohne eine andere Wahl zu haben, eingeschlagen und beide wussten sie, was am Ende dieser Route lag: eine weitläufige freie Ebene, nur von flachem Gras bewachsen. Dort waren sie ihren Verfolgern heillos ausgeliefert. Mit einigen schnellen Schritten schloss Tayen zu seinem Bruder auf.
“Wir müssen die Richtung ändern!“, rief er ihm ins Ohr.
“Ich weiß!“, antwortete Metley. “Nur wohin? Egal wohin wir gehen, der Wald endet überall irgendwann!“
“Wir müssen zur Schlucht!“, entgegnete Tayen ihm. “Das ist die einzige Möglichkeit!“
Hätte die Situation es gestattet, wäre Metley nun am liebsten verdutzt stehen geblieben. “Das ist nicht dein Ernst, oder? Da können wir uns ihnen sich gleich ausliefern statt in der Schlucht zu sterben.“
“Es ist die einzige Möglichkeit und du weißt das“, meinte Tayen trocken. “Komm!“
Er schlug einen Pfad westwärts ein.
Die Schlucht ist eine der wichtigsten und zugleich gefährlichsten Stellen auf Corulag. Sie ist der Zugang zu einer der wenigen Trinkwasserquellen (das Wasser auf Corulag besteht fast ausschließlich aus Salzwasser), aber dadurch auch Anzugsort und Brutplatz der gefürchteten Mantha-Katzen. Zudem war das Gebiet von scharfkantigen Felsen und anderen gefährlichen Dingen gesäumt. Doch es war die einzige Möglichkeit, die ihnen noch eine kleine Chance zum Entkommen gab. Tayen stürmte also voraus Richtung Westen, Richtung Schlucht.
Beinahe hätte Tayen den Rand der Schlucht übersehen. Gerade noch rechtzeitig hielt Metley ihn an den Schultern zurück und bewahrte ihn vor einem sicherlich tödlichen Sturz in die Tiefe.
“Schnell, wir müssen uns verstecken!“, sagte Metley und sah sich um. Noch war von ihren Verfolgern nichts zu sehen.
“Nein, verstecken bringt nichts. Sie können mich spüren, sie wissen, wo ich bin“, entgegnete Tayen. “Aber ich hätte eine andere Idee.“
Er sah hinunter auf den Grund der Schlucht, wo die Manthas saßen und übereinander herfielen und schluckte.
“Du willst nicht-“, Metley beendete den Satz nicht.
“Doch“, antwortete Tayen mit belegter, aber dennoch sicherer Stimme. “Ich werde hinunter zu den Katzen gehen müssen.“
“Aber wieso?“, sagte Metley erstaunlich gefasst. Anscheinend hatte auch er begriffen, dass es keinen anderen Weg gab.
“Sie wollen mich lebend und sie wollen nur mich“, entgegnete er. “Versteck dich, Metley. Alles auf diesem Planeten wird sich verändern. Du bist klug, Metley und du bist stark. Ich glaube an dich, Bruder.“
Metley schluckte kurz und sah seinem Bruder noch einmal in die Augen. Seine stahlgrauen Augen waren entschlossen wie eh und je. Der Abschied fiel ihm schwer, doch er wusste genau, wieso er nötig war.
“Machs gut, Bruder“, sagte er, dann rannte er davon, so schnell ihn seine Füße trugen. Tayen stand am Rand der Schlucht. Er verdrängte alle Gedanken über seinen Bruder und über seinen waghalsigen Plan. Er konzentrierte sich. Die dunkle Macht, die er seit geraumer Zeit fühlte, war stark und nicht mehr fern. Er wusste, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er atmete einmal kräftig durch, dann machte er sich an den Abstieg.
Auf halbem Weg nach unten sah sich Tayen um. Noch hatte keine der Katzen ihn bemerkt, doch er hing auch sicher noch gut sieben Meter über dem Boden. Seit jeher fragten sich die Jäger seines Dorfes, wie die Mantha-Katzen aus der Schlucht hinein- und wieder herauskamen. Noch hatte keiner einen anderen Weg aus der Schlucht gefunden als durch Klettern oder er war nicht ins Dorf zurückgekehrt. Tayen kletterte weiter nach unten. Das Klettern war ihm schon früh beigebracht worden, dies sollte der einfachste Teil des Plans sein. Schwierig würde es erst werden, wenn Tayen den Grund der Schlucht erreicht hatte. Er schon sich langsam und sicher immer weiter nach unten. Fünf Meter über dem Boden, vier Meter, jetzt nur noch drei... dann hielt er inne. Ein Knurren konnte er vernehmen, laut und deutlich und nur knapp unter ihm. Langsam wandte er den Kopf um und sah zweieinhalb Meter unter ihm in zwei schwarze Augen. Eine der Katzen stand direkt unter ihm, hinter ihr ein paar weitere. Offensichtlich war er nun bemerkt worden. Er bewegte sich nicht, sondern verharrte still auf einem Fleck. Der Schweiß floss über seine Stirn und seine Arme zitterten leicht. Nun konnte er sich keinen Fehler mehr erlauben und musste auf die Hilfe seiner Verfolger hoffen. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie sich die vorderste Katze sprungbereit machte. Nun hieß es, schnell zu sein. Tayen spürte den Sprung, bevor er ihn sah und drückte sich von der Felswand ab. Er hörte das Heulen der Katze, deren Sprung ins Leere gegangen war, dann kam er hart auf dem Boden auf. Er schien sich nichts gebrochen zu haben, nur seine linke Schulter schmerzte ein wenig. Ein kurzen Moment der Orientierung brauchte er, der ihm fast das Leben gekostet hätte. Als er wusste, wo er sich befand, machte er einen kleinen Hopser nach hinten, der ihn vor dem zuschnappenden Maul einer Katze bewahrte. Er war umzingelt von den fast zwei Meter langen Bestien mit ihrem braunen Fell, mindestens zwanzig waren um ihn herum. Er wusste genau, was nun zu tun war. Schnell drehte er sich um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Er wusste, dass es aussichtslos war, vor Manthas zu fliehen. Sie waren, vor allem auf der Jagd, schneller als jeder Mensch und jedes andere Tier auf Corulag. Doch momentan hatte er keine andere Möglichkeit. Er rannte, er rannte um sein Leben. Er rannte so lang, bis ein auf dem Boden liegender Stein seine Flucht jäh bremste. Er knallte mit dem Gesicht in den Staub der Schlucht, doch Tayen rappelte sich sofort wieder hoch. Die Katzen waren nur noch zwei Meter von ihm entfernt. Wo blieben nur seine Retter? Hatte er sich etwa verschätzt? Wollen sie ihn gar nicht lebend? Wollten sie nur seinen Tod? Er hatte nun keine Zeit zum Überlegen. Er kroch zurück, tastete sich mit den Händen nach hinten. Die Manthas standen vor ihm, Schaum tropfte ihnen von den Mäulern. Die Vorderste setzte zum Sprung an und Tayen schloss innerlich bereits mit seinem Leben ab, als ein Surren ertönte. Eine halbe Sekunde später bohrte sich ein blutrotes Lichtschwert in den Kopf der Katze.
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