Ein einzuhaltender Kodex
• Camille Malfoy •
„Autumn killed
summer with
the softest kiss."
Der Morgen des Hogsmeade-Wochenendes war angebrochen und die herbstliche Oktobersonne durchflutete den See, der den Mädchenschlafsaal der Slytherins in einen grünes Glühen hüllte. Camille blinzelte verschlafen durch ihre dichten Wimpern und beobachtete, wie der feine Staub in dem schwachen Licht der aufgehenden Sonne tanzte.
Als die Blondine sich aufrichtete, bemerkte sie, dass Lorraine bereits fertig angezogen vor dem riesigen Fenster stand und den Blick auf den See gerichtet hatte. Ihre hellen Locken glänzten verführerisch und es war kaum zu übersehen, dass sie sich für ihr Treffen mit Garreth Greengrass besonders herausgeputzt hatte.
Emma dagegen, schlummerte friedlich in ihrem Bett vor sich hin. Leise schlüpfte Camille aus den weichen Daunen, die ihren Bettbezug ausfüllten und begann sich wie ihre Freundin hübsch zu machen. Dass sie den Tag mit Regulus verbringen würde, hatte sie mit keinem Wort erwähnt, doch als sich ein winziges Lächeln um ihre Mundwinkel schlich, konnte sie hinter sich im Spiegel erkennen, wie Lorraine ihr einen misstrauischen Blick zuwarf. „Na, worauf freust du dich denn so sehr?"
„Darauf, dass du erkennst, dass Greengrass nicht gut für dich ist", erwiderte sie bloß spitz, was Emma verschlafen mit einem Stöhnen kommentierte. Womöglich hatte sich Camilles Stimme ein wenig zu sehr erhoben. Schuldbewusst starrte sie wieder in ihr eigenes Gesicht im Spiegelbild, während sich die Quidditchkapitänin nun ebenfalls langsam aus dem Bett schälte.
Sanft fuhr die Blondine über die Einkerbung zwischen ihren Augenbrauen, die immer dann aufzutauchen schien, wenn sie sich Sorgen machte. Ihre Bewegung beobachtete sie in ihrem Abbild, ehe sie ihre Gesichtszüge straffte, als hätte sie eine Maske darübergelegt.
Emma tapste über den Marmorboden mit ihren nackten Füßen. Mit erhobenen Augenbrauen musterte sie Lorraine, bloß um sich daraufhin kopfschüttelnd wieder von ihr abzuwenden. „Liebe kann ja gar nicht gesund sein."
Lorraine, die versuchte ihre blonde Lockenmähne in eine Frisur zu zwingen, verdrehte bloß ihre grünen Augen. „Ihr werdet schon auch noch in den Genuss kommen."
„Bis dahin gehen wir aber erstmal den Honigtopf plündern, nicht Camille?" Erwartungsvoll grinsend starrte die Kapitänin die Angesprochene an. Camilles Mund öffnete sich wie der eines nach Luft ringenden Fisches. Womöglich war es Absicht gewesen, dass sie ihren Freundinnen nichts von ihren Plänen berichtet hatte. Doch was sollte auch schon groß dabei sein? Es war ja schließlich kein Date. „Tut mir Leid, ich habe wohl vergessen zu erwähnen, dass ich den Tag mit Regulus verbringen werde."
„Aha!" Lorraine stieß einen triumphierenden spitzen Schrei aus und zeigte anklagend mit dem Finger auf sie. „Plötzlich scheint dir der Status wohl auch nichts mehr auszumachen. Regulus steht kaum besser da als Garreth."
„Rede doch nicht so einen Unsinn", stieß sie zwischen ihren Zähnen hervor und erhob sich. „Regulus und ich sind bloß Freunde, außerdem hat er sich nichts zu Schulden kommen lassen. Es war allein Siriu..."
„Garreth doch auch nicht! Er kann nichts für seine Familie", versuchte die Blondine ihren Schwarm zu verteidigen und hatte ihr Gesicht vor Wut verzerrt. Ein Ausdruck, welcher an dem sonst so sanften Mädchen beinahe fremd wirkte.
„Es ist mir egal, was er sich zu Schulden lassen gekommen hat. Wichtig ist mir, dass du es nicht tust", flüsterte Camille mit zitternder Stimme, doch ihre Freundin schien das nicht im geringsten zu interessieren. So heftig waren die beiden noch nie aneinander geraten, womöglich wäre es ewig so weiter gegangen, wäre Emma nicht eingeschritten. „Jetzt haltet doch bitte mal den Klatscher flach, was ist denn los mit euch beiden? Wenn Lorraine unbedingt mit Garreth ausgehen soll, dann bitte und wenn du eben mit Regulus ausgehst ist das eben so."
„Ich gehe aber nicht mit...", setzte Camille beleidigt an, doch ein weiterer finsterer Blick der Brünetten brachte sie zum schweigen. Tief holte sie Luft, um ihr Gemüt zu beruhigen. „Schön, mach doch", war ihre patzige Antwort, als sie sich schließlich erhobenen Hauptes umdrehte und kaum mehr Lorraines beinahe ebenso zickige Antwort hörte. „Mach ich auch."
Es tat gut mit Regulus Zeit zu verbringen. Besonders nach dem Streit mit Lorraine kam Camille diese Art von Auszeit sehr gelegen, zumal sie die Anwesenheit ihres Mitschülers, besonders nach ihrem jüngsten Gespräch, sehr schätzte. Er hatte ihr die furchtbare Wahrheit gnadenlos ins Gesicht gesagt. Womöglich brauchte sie so etwas hin und wieder in dieser Scheinwelt.
Der junge Black schien zu verstehen, was in ihr vorging. Womöglich dank der Tatsache, dass er einst etwas ähnliches mit Sirius durchzustehen gehabt hatte. Im Drei Besen hatten die alten Freunde, dank des großen Ansturms auf das urige Wirtshaus, an einem Tisch ganz in der Nähe von Lorraine und Garreth Greengrass Platz nehmen müssen.
„Wenn sie diese Gedanken hat, kannst du ohnehin nicht viel dagegen tun", hatte Regulus bloß mit einem Schulterzucken bemerkt und ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm gelegt. „Liebe verstärkt manchmal wohl den Drang nach Freiheit."
Auf diese Aussage hin musste Camille hell auflachen. „Liebe sollte einen nicht in Gefahr bringen und wenn sie es doch tut, kann sie wohl kaum wahrhaftig sein. Ich würde niemals wollen, dass derjenige, den ich liebe einem Risiko ausgesetzt ist."
„Ich habe auch verstärkt gesagt", schmunzelte er anscheinend sichtlich amüsiert über ihren poetischen Ausbruch. Sie selbst biss sich peinlich berührt auf die Unterlippe, tatsächlich klang die Aussage selbst in ihren Ohren nun wahrlich kitschig. „Womöglich war dieser Gedanke immer in Lorraine verborgen gewesen", mutmaßte er leise weiter und nahm einen Schluck seines Schwarztees.
Camille wiegte nachdenklich den Kopf in ihren Händen und beobachtete dabei heimlich den Fünftklässler. Wie so oft fiel ihr die Außergewöhnlichkeit seiner Gesichtszüge auf. Seine grauen Augen waren durchzogen von einem eisernen Blau und waren umrahmt von dunklen Wimpern. Die hohen Wangenknochen waren ähnlich ausgeprägt wie die ihrer und sie musste das Bedürfnis untergraben diese mit ihrem Finger nachzuziehen. Seine dunklen Haare waren in den letzten Monaten länger geworden und ließen ihn Sirius noch ähnlicher sehen.
Sie realisierte, dass sie ihm all die Jahre Unrecht getan hatte. Er war nicht der, den sie zu kennen glaubte. Nicht mehr, doch womöglich hatte sie ihn nie wirklich gekannt, sondern hatte der Sicht ihrer Eltern glauben geschenkt. „Es tut mir Leid", wisperte sie, ehe sie sich umentscheiden konnte.
Abrupt setzte Regulus sich auf und saß ihr nun starr wie eine Kerze gegenüber. In seinen grauen Augen schien ein Sturm aus Panik zu toben und untermalte die Nervosität, die sich in seine Stimme geschlichen hatte. „Was tut dir Leid?"
„Dass ich all die Jahre so schlecht von dir gedacht habe", erwiderte sie in einem beinahe beiläufigen Ton und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Lange sahen die beiden sich in die Augen, versuchten die Gefühlslage des anderen zu verstehen, doch schlau wurden sie nicht auseinander.
Beinahe wurde es Camille zu intim, als könne Regulus auf den Grund ihrer Seele blicken. Ehe sie sich versah, hatte er seine Hand auf ihre gelegt und ihre Finger miteinander verschränkt. Die Luft einziehend wandte sie eilig den Blick ab, als könne dieser sie verraten. Dass sie den jungen Black ein wenig zu gern hatte, war ihr vermutlich schon immer bewusst gewesen. Womöglich war dies einer der Gründe gewesen, weshalb sie es in erster Linie nie gewagt hatte, das Verhältnis zwischen ihnen wieder gänzlich aufzubauen.
Denn wenn sie sich ihren Gefühlen hingeben würde, müsste sie versuchen ihre Eltern davon zu überzeugen irgendwann einer Heirat mit Regulus zuzustimmen. Mit demjenigen, der in ihren Augen immer bloß ein klägliches Abbild eines vernünftigen Erben gewesen war. Ein Nachrücker einer in Schande gefallener Familie. Das Risiko war zu groß, dass sie am Ende mit einem gebrochenen Herzen dastehen würde. Womöglich sogar mit zweien. Regulus hatte so etwas wahrlich nicht verdient.
Respektvoll zog Camille ihre Hand zurück und bettete diese zusammen mit ihrer anderen in ihren Schoß. Mit einem Räuspern versuchte sie die angespannte und äußerst unangenehme Situation ein wenig aufzulockern - ohne Erfolg. Stumm starrte Regulus in seinen halbleeren Krug und wirkte so verschlossen wie in all den letzten Jahren, in denen sie kein Wort miteinander gewechselt hatten.
Ihr war bereits aufgefallen, dass einige Umstände diesen Zustand in dem jungen Black hervorrufen konnten. Es war beinahe wie ein Abwehrmechanismus. Doch so schnell diese auftauchten, umso länger dauerte es, sein wahres Gesicht wieder zum Vorschein zu bringen.
Doch Camille wollte sich an ihren persönlichen Kodex einhalten. Wenn man jemanden liebte, setzte man denjenigen keiner Gefahr aus.
Selbst dann nicht, wenn man selbst diese Gefahr sein sollte.
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