Die Ungerechtigkeit des Lebens
• Camille Malfoy •
„We never realize how frozen we are
until someone starts to melt our ice."
Das Jahr war vergangen und hatte einem neuen seinen Platz geräumt, mit neuen Vorsätzen, Wünschen und Hoffnungen, die sein Vorgänger zerquetscht hatte wie eine Küchenschabe. Camille hielt nicht viel von Vorsätzen, tatsächlich war sie der Meinung, dass man kein neues Jahr brauchte, um sein Leben einmal gehörig auf den Kopf zu stellen und doch kam es ihr vor, als wäre sie ein neuer Mensch in einem neuen Leben.
Das leichte Lächeln auf ihren hellrosafarbenen Lippen hatte sie seit der Hochzeit ihres Bruders nicht mehr verloren und trug dieses auch, als sie ihre Kleidung in die Schränke in ihrem Schlafsaal sortierte. Es waren alte, aber auch neue Stücke dabei, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Der fliederfarbene Umhang mit den Blumenamplikationen an den Ärmeln stach ihr besonders ins Auge. Tatsächlich gedachte sie diesen zu ihrem Date mit Regulus zu tragen. Ihre Mundwinkel zuckten bei dem bloßen Gedanken daran. Ein Date mit Regulus. Würde sie diesen Satz laut aussprechen, so glaubte sie, würden ihr die Worte auf der Zunge zergehen wie die Toffeebohnen aus dem Honigtopf.
Bloß vereinzelt hatten es Sonnenstrahlen geschafft, sich durch das trübe Wasser des schwarzen Sees zu kämpfen und hüllten den Schlafsaal in ein grünliches Licht. Verstärkt wurde dieser Effekt durch die grünen Vorhänge der Himmelbetten und der einheitlichen Bettwäsche. Camille hasste es. Sie hasste es nicht zu wissen, wie Lorraine und Emma ihre Seiten gestalten würden. Allein die Schminkutensilien und der Harrschmuck auf dem Nachttisch der Blondine und die Zeitschriften über Quidditch auf dem anderen, ließen auf ihre Leidenschaften schließen.
Camille war der Meinung, dass es wichtig war seinem Raum oder wenigstens einem Teil seine persönliche Note verleihen zu können, so wie sie sich in ihrem eigenen Zimmer ausleben konnte. Noch immer sah sie Regulus' Zimmer vor ihrem geistigen Auge. Sie war überrascht gewesen zu sehen, inwiefern sich seine Persönlichkeit in diesem widergespiegelt hatte; nämlich gar nicht. Es schien, als wäre selbst dieses Zimmer darauf ausgerichtet gewesen, seinen Eltern zu gefallen. Die Zeitungsartikel, das Familienwappen und die grünen Akzente. Sie hatte den Black selbst durch diese unpersönliche Einreichung leichter durchschaut, als er es womöglich wahrhaben wollte.
Lorraines aufgeregte, glockenklare Stimme drang durch die Ritze unter der geschlossenen Zimmertür und holte Camille aus ihren Gedanken. Ihr zuvor getragenes Lächeln war etwas verrutscht, doch so schnell, wie die Tür aufgerissen worden war, zogen sich ihre Mundwinkel wieder nach oben. Die blonde Avery ließ sich auf ihr Bett fallen und sah verträumt an den grünen Saum des Baldachins, während ihr die Worte weiterhin aus dem Mund sprudelten: „Camille, du wirst nicht glauben, was Garreth mir zu Weihnachten geschenkt hat!"
Überflüssigerweise deutete sie auf den simplen Stein, der über ihrem Brustbein baumelte. Er war blau, vermutlich ein Aquamarin, und strahlte in derselben Farbe wie ihre vor Freude geweiteten Augen. Camilles Schmunzeln verstärkte sich, weswegen sie es eilig verbarg. Das Collier, welches ihr Dawson geschenkt hatte, bestand aus zig solchen Steinen und funkelte mit den Sternen am Nachthimmel um die Wette, ein Vermögen musste es gekostet haben. Ganz im Gegensatz zu dieser simplen Halskette. Doch für das Leuchten in Lorraines Augen war es nie verantwortlich gewesen. Langsam begann die Blondine zu verstehen. Doch ob sie das auch zugeben würde?
„Sie ist wunderschön, Lorraine", murmelte sie stattdessen und seufzte innerlich. Wenn ihre Freundin glücklich war, sollte sie es auch sein, oder? Sie würde schon wissen, was sie tat. Hoffte sie.
Camilles türkisblaue Augen wanderten zu Emma, die sich stumm auf ihr Bett gesetzt hatte. Hinter ihr schwammen einige winzige Fische an dem Glas vorbei und zogen ein ähnlich trübes Gesicht wie die Kapitänin der Slytherinmannschaft. „Was ist los?", fragte sie verwundert, denn wenn sie sich recht entsann, war sie selbst im Zug nicht besonders gesprächig gewesen.
Emma zuckte bloß mit den Schultern, doch presste beide ihrer kirschroten Lippen aufeinander, als wollte sie die Worte nicht herauslassen, die ihr doch so offensichtlich auf der Zunge lagen. Auch Lorraines Konzentration wurde nun auf die Brünette gelenkt, welche sie stumm mit ihren großen blauen Augen bedachte, als täte es ihr leid, die gesamte Aufmerksamkeit zuvor für sich beansprucht zu haben. Schließlich schien sich Emma einen Ruck zu geben, den Blickkontakt brechend. „Ihr habt doch sicherlich von dem Angriff vor ein paar Tagen gehört...", murmelte sie mit so leiser Stimme, dass sie kaum lauter, als ein Flüstern war.
Lorraine nickte mit gerunzelter Stirn. „Du meinst den in dem Muggelvorort? Es hieß, dass... dass Todesser dafür verantwortlich gemacht wurden."
Ihre monoton klingende Stimme zitterte und ein flüchtiger Blick zu Camille genügte. Sie beide waren sich bewusst, dass ihre Väter keine unbedeutende Rolle in Voldemorts Reihen und dem Krieg, der in der Welt der Zauberer wütete, spielten. Doch es schickte sich nun einmal nicht über die dunklen Seiten ihrer Familien zu sprechen. Besonders in Emmas Gegenwart hatten sie dieses Thema stets gemieden. Sie würde es nicht nachvollziehen können. Dabei war sich Camille ziemlich sicher, dass Emma sich über vieles im Klaren war und womöglich genauso ungern darüber sprach, wie sie selbst.
Die Brünette hob endlich den Kopf, in ihren braunen Augen glitzerten Tränen. „M-meine Cousine...Dorcas", tief luftholend fuhr sie mit bebender Stimme fort: „Sie... war eines der Opfer..."
Camille senkte ihren Kopf. Ihr war nicht entgangen, dass sowohl ihr Vater, als auch Lucius in den letzten Tagen der Weihnachtsferien selten anwesend gewesen waren. Geradezu waren sie unauffindbar in Malfoy Manor gewesen. Doch der Gedanke, dass sie maskiert durch die Straßen liefen, wollte nicht so richtig in ihren Kopf hinein. Das wollte er noch nie, weswegen sie aufgehört hatte, es sich vorzustellen. Dabei wusste sie selbst, dass es jämmerlich war, sich etwas vorzumachen.
Anders als sie selbst, war Lorraine nach vorn geeilt und setzte sich auf die Bettkante neben ihre trauernde Freundin, ein Arm tröstend um sie gelegt. Die Tränen, die zuvor in Emmas braunen Augen geglitzert hatten, lagen nun feucht auf ihren Wangen, gestoppt von ihren Wangenknochen. Noch immer tränenverschleiert sah sie zu Camille, die langsam ihren Kopf hob. Die Blodine schluckte, meinte etwas anklagendes in ihrem Blick entdecken zu können und hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Doch sie blieb. „Das tut mir sehr Leid, Emma."
Fragmente eines brünetten Mädchens mit Grübchen, wie Emma sie hatte, schoss ihr ins Gedächtnis. Dorcas Meadowes. Wenn Camille sich recht entsann, war sie ein Jahrgang über ihnen gewesen. Eine Ravenclaw. Es dauerte bloß wenige Sekunden, da saß auch die junge Malfoy bei ihren beiden Freundinnen auf dem Bett. An Emmas anderer Seite. Für eine Weile weinte die Kapitänin der Quidditch-Mannschaft, sie schluchzte und bebte. So schwach und zerbrechlich hatte Camille ihre sonst so toughe Freundin noch nie erlebt. „Warum sie?!", fragte sie geradeheraus, eine Frage, die niemand im Raum hätte beantworten können. Sie war an eine höhere Gewalt gerichtet. Eine, die ihrer aller Leben in den Händen hielt, wie ein Puppenspieler die Fäden einer Marionette.
„Das Leben ist nicht fair", schluchzte sie erneut auf uns vergrub das Gesicht in beiden Händen, als könne sie dieser grausamen Welt nicht einmal mehr einen Blick schenken. Camille tauschte mit Lorraine einen Blick aus und stumm gaben sie dem weinenden Mädchen recht.
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