Der verlorene Bruder

• Regulus Black •

„All the memories
come back,
but he never does."

Regulus hatte Sirius entsetzt angestarrt über das, was er gesagt hatte. Sie alle hatten ihn entsetzt angestarrt, auch ihre Eltern die an der Tür gestanden hatten und augenscheinlich jedes Wort mitangehört hatten. Bedrohlich bauten sich Walburga und Orion Black vor ihrem ältesten Sohn auf und in jenem Moment schien es, als wäre ihnen jeglicher Faden der Geduld gerissen.

„Nein, die einzigen, die sterben werden seid ihr. Euer blinder Fanatismus wird euch eines Tages ins Grab bringen. Ihr habt niemanden, ich habe wahre Freunde, eine richtige Familie."

Die Worte klangen in Regulus' Kopf nach. Sirius hatte ihn schon lange nicht mehr als Bruder bezeichnet, denn er hatte ihn längst ersetzt. Die Gewissheit ließ seine Fingerspitzen, so wie seine Gedanken taub werden und so zuckte er nicht einmal mit der Wimper, als sein Vater dem Älteren zwei solch kräftige Ohrfeigen verpasste, dass sich seine Wangen rot färbten.

Sirius stürmte aus dem Zimmer, seine tobende Mutter hinterher. Letztere schrie trotz der Gäste so laut, dass sie jedes einzelne Wort klar und deutlich im Salon hören konnten. „DIESE MISSGEBURTEN BEZEICHNEST DU ALS DEINE FAMILIE?"

Eine Antwort darauf blieb aus, bloß das Geräusch polternder Schritte war zu hören. „Du gehst nirgendwohin! Du bleibst hier und hörst mir gefälligst zu!"

Regulus wich währenddessen den Blicken seiner Cousinen aus, insbesondere dem von Narzissa. Er wollte nicht sehen, was für Enttäuschung in diesem liegen würde, denn er wusste wie sehr sie sich einen ruhigen Abend gewünscht hatte. Wie hatte er bloß denken können, dass Sirius sich daran halten würde? Seine grauen Augen blieben stattdessen an dem schwarzen Flügel hängen, der mitten im Salon in Hochglanz poliert dastand. Er war sich ziemlich sicher noch nie gehört zu haben, dass eines seiner Familienmitglieder darauf gespielt hatte.

Er versuchte sich an diesen belanglosen Gedanken zu klammern, denn dieser hielt ihn beschäftigt vor den grausamen Worten, die in dem Eingangsbereich ausgetauscht wurden.

„Dein Vater und ich sind enttäuscht, nein wir schämen uns, dass ein Kind von uns auf solche Abwege gelangen konnte! Du hast die Ehre der Blacks in den Schmutz gezogen! Bist mit Blutsverrätern, Halbblütern und Schlammblütern befreundet! Du solltest dich etwas schämen! Wir haben das schon viel zu lange geduldet."

„Hör auf meine Freunde zu beleidigen!", schrie es donnernd zurück, sodass der Putz von den Wänden kriselte und Narzissas zierlicher Körper sichtlich erschauderte.

„Du bist eine Beschämung für uns alle, mit deinen nutzlosen Fre-"

„Hör auf! Meine Freunde sind besser, als du es jemals sein wirst!"

Regulus schloss seine grauen Augen, das Unheil erwartend. Er konnte vor seinem inneren Auge das vor Wut verzerrte Gesicht seiner Mutter erkennen und den Zorn in den Augen seines Bruders. Doch waren sie das noch? Immerhin hatte dieser selbst gesagt, dass er nun eine neue Familie hätte. Neue Brüder.

„Beleidigst du mich etwa?", fragte seine Mutter in einem ungewohnt ruhigen Ton, in dem allerdings eine klar und deutliche Drohung lag.

Ihr älterer Sohn schnaubte hörbar laut auf. „Nein, das war ein Kompliment."

„Ich verbiete dir Sarkasmus gegenüber mir!", kreischte sie und Regulus glaubte zu wissen, dass sie in diesem Moment drohend mit ihrem knöchrigen Zeigefinger vor ihm herumfuchtelte. Es war geradezu erschreckend wie genau er die Abläufe der zahlreichen Auseinandersetzungen mittlerweile kannte.

„Ich habe genug von dir und deinem Verhalten!", fuhr sie schrill fort. „Wir haben würdevoll akzeptiert, dass du nach Gryffindor gekommen bist ab-"

„Wahrhaftig würdevoll, ich erinnere mich an das zerbrochene Geschirr und auch an die ruinierten Gemälde. Nicht zu vergessen die Heuler an die Lehrer, die fragten ob es einen Fehler gegeben hat!"

„Jedenfalls ist das Interagieren mit Ungeziefer nicht akzeptabel!", gab sie schreiend zurück, woraufhin Sirius zurückbrüllte: „Diese Familie ist Ungeziefer!"

Regulus hielt den Atem an und versuchte sich krampfhaft vor seiner versammelten Familie nicht anmerken zu lassen, dass ein Stich soeben durch sein Herz gezogen war wie die Klinge eines Messers. Er sah in die Augen seiner Tante und seines Onkels, die aussahen, als würden sie sich in Grund und Boden schämen für ein Kind, welches nicht einmal ihr eigenes war. Geradezu empört sahen sie aus, mit so jemandem das Blut zu teilen.

„Du bist eine Schande," erklang es von der anderen Seite der Tür in einem gedämpfteren Ton, als hätte Walburga Black die Zeit genutzt, um ihre zitternde Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Sieh dir deinen Bruder Regulus an, er hat vernünftige Ansichten, er ist der geborene Erbe. Doch du bist nichts weiter als eine Blamage für unsere Familie."

Dieses Mal blieb Regulus' Herz einen Satz stehen. Er hatte noch nie gehört, dass seine Mutter so über ihn sprach. Hatte sie tatsächlich gemeint, was sie gesagt hatte? Denn er hatte immer geglaubt, er wäre bloß ein Ersatz für Sirius. Der Trostpreis, weil das Original Macken hatte.

„Halt den Mund!", brüllte Sirius jäh einen Raum weiter und holte seinen jüngeren Bruder zurück in die Realität. „Mir reichts, ich hau ab."

Schritte polterten die Treppe hinauf und wurden allein durch das Geschrei der Frau übertönt. „Dir wurde noch nicht freigestellt zu gehen, Junge!"

Regulus' Augen huschten zu denen seines Vaters, der seinen Blick erwiderte. Mit langen Schritten hatte dieser den jüngeren erreicht und eine Hand auf seine Schulter gelegt. „Sieh nur, was aus deinem Bruder geworden ist."

Das stimmte nicht recht, denn Sirius war schon immer so gewesen. Regulus schluckte bloß und versuchte den stechenden Augen seines Gegenübers standzuhalten, als dieser den Anflug eines Lächelns andeutete. „Du bist dagegen der Beweis, dass dies keineswegs unser Verschulden war. Du hast bewiesen, dass wir es keineswegs verdient haben aufgrund eines Fehlschlags verurteilt zu werden. Du bist unser wahrer Sohn."

Regulus Mundwinkel zuckten vor Unaufrichtigkeit. So lange hatte er sich gewünscht eben diese Worte aus dem Munde seiner Eltern zu hören und doch hörte es sich nun so falsch an. Als hätte er es nicht verdient.

Das Augenmerk wurde von dem jüngeren genommen und erneut auf Sirius gerichtet, denn die verbliebenen in dem Salon begannen lauthals darüber zu diskutieren, was soeben vorgefallen war. Regulus beteiligte sich nicht daran. In seinen Ohren klingelten die Worte seines Bruders wider. „Ich hau ab."

Wohin? In sein Zimmer? In ein anderes Land? Ihn beschlich eine fiese Vorahnung, weswegen er sich heimlich aus dem Raum stahl. Ohnehin kümmerte sich niemand um ihn und in diesem Moment war er froh darüber in den meisten Augen unsichtbar zu sein. Im Eingangsbereich konnte Regulus seine Mutter lauthals Flüche ausstießen hören. Diese hatte sich in den Raum verzogen, in dem das Vermächtnis der Blacks am Leben erhalten wurde. Ein prächtiger Stammbaum, der bis ins Mittelalter zurückreichte. Früher hatte Regulus sich gar nicht an den zahlreichen Namen und Daten satt sehen können. Nun konnte er bloß noch auf die vereinzelten hässlichen Brandflecken starren und sich fragen, was für Namen hinter diesen gesteckt hatten. Würde Sirius genauso enden? Wie Andromeda und Alphard?

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Seine Mutter war gewiss nicht ohne Grund in jenem Zimmer. Zwei Stufen gleichzeitig nehmend, sprintete Regulus die Treppe hinauf. Er durfte es nicht so weit kommen lassen!

Der Anblick, der sich ihm bot, ließ den jungen Black innehalten. Sirius' Zimmertür stand sperrangelweit offen und dessen Besitzer war gerade dabei jegliche Habseligkeiten in eine riesige Tasche zu werfen. Sein Gesicht war grimmig verzogen, doch auch Erleichterung spiegelte sich in seiner verzerrten Miene wider. Das Rot und Gold, welches sich so sehr von den anderen Zimmern unterschied, leuchtete ihm geradezu entgegen und ließ Regulus schlucken. Im jähen Moment hatte er all seine Pläne Sirius dazuzubekommen sich zu entschuldigen und alles geradezubiegen über den Haufen geworfen.

Langsam näherte sich der Slytherin mit bedächtigen Schritten. Sirius hatte nie in diese Familie gehört. War es nicht ziemlich egoistisch von Regulus ihn zum Bleiben bewegen zu wollen? Am Türrahmen hielt er inne. „Das wars dann wohl", sagte er leise und war sich beinahe schon sicher gewesen, dass sein Gegenüber diese Worte gar nicht gehört hatte. Doch dem war nicht so.

„Yep", antwortete Sirius, während er sich seine Schuhe anzog und der Jüngere war erstaunt darüber, dass er selbst im Anbetracht der Situation ein schwaches Lächeln zu Stande brachte. „Du bist frei."

„Komm mit mir, du musst nicht hierbleiben, Reg", erwiderte er vorsichtig und mit einem flehenden Ausdruck in den Augen. Der Vorschlag überraschte Regulus, doch er hatte dennoch sofort eine klare Antwort darauf. „Ich kann nicht."

Sirius nickte, als würde er ihn verstehen. Es war das erste Mal in all ihren Jahren als Brüder, in denen er Verständnis für seine Situation andeutete. Sie konnten schließlich nicht alle so mutig sein. Mit dem Besen geschultert und einem Koffer in der anderen Hand, zwängte er sich an ihm vorbei. Es würde das einzige sein, was er aus seinem Elternhaus mitnehmen würde. Das Haus, in dem er aufgewachsen war. Fiel es ihm wirklich so leicht?

Regulus glaubte, dass Sirius dies schon länger geplant haben musste. Doch was hatte in zuvor aufgehalten? Würde er bleiben, wenn er ihn darum bat? Denn auch wenn beide Brüder sich in den letzten Jahren immer mehr entzweit hatten, wollte Regulus nicht, dass er ging. Der Slytherin musste den Drang unterdrücken einen Versuch zu unternehmen, denn tief im Inneren wusste er, dass es bloß egoistisch wäre seinen Bruder von seinem Glück abzuhalten. Also fragte er stattdessen: „Wo wirst du hingehen?"

„Zu den Potters," antwortete der Ältere wie selbstverständlich und trat einen Schritt an ihn heran, um ihm auf die Schulter zu klopfen. „Dann heißt es wohl jetzt fürs erste Lebe wohl."

Regulus schluckte und nickte, widerstand dem Drang ein letztes Mal von ihm umarmt zu werden. Es war kein Abschied für immer. Sie würden sich in Hogwarts wohl noch eine Weile über den Weg laufen. Doch das war etwas anderes, denn dort benahmen sie sich wie Fremde. Wie zwei Personen, die nicht denselben Nachnamen teilten. In diesem Moment wurde das gesamte Haus durch eine laute Explosion erschüttert und eines der Quidditch-Poster in Sirius' Zimmer segelte zu Boden.

„Sie versucht deinen Namen von der Tapete zu sprengen", hauchte Regulus und war gespannt auf Sirius' Reaktion, doch dieser grinste bloß. „Wurde auch Zeit", sagte er mit dem Zucken seiner Schultern, ehe er begann die Treppe hinunterzusteigen.

Allein blieb Regulus zurück und widersetzte sich dem verblieben Drang sich seinem Bruder in dem Weg zu stellen. Es war besser so, versuchte er sich einzureden und so blieb er am Geländer der Treppe stehen, als Sirius ein letztes „Auf Wiedersehen, Mutter!", rief.

Er hatte sich noch immer nicht vom Fleck bewegt, als weitere explosive Geräusche in seinen Ohren klingelten und seine Mutter kreischte: „RAUS AUS MEINEM HAUS! LEB DOCH AUF DER STRASSE, WIE DEIN GESINDEL!"

Und er stand auch noch immer bloß dort, als die Haustür schließlich krachend ins Schloss fiel.

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