Kapitel 5 ↬ Beweg deinen Arsch!
„Wie, erkläre es mir bitte." Fassungslos fährt er sich durch die Haare. Einzelne Schweißperlen rennen ihm auf Grund der Hitze über die Schläfe. „Wie kann man sich so brachial verlaufen, dass man von Mitte in der Köllnischen Heide landet?"
Ich könnte jetzt super kontern, könnte einen dieser ach so spaßigen Witze meines Papas auspacken, die sicher schon einen Bart von hier bis Timbuktu haben, wie man so schön sagt. Aber ich lasse es. Für eine Diskussion diesen Ausmaßes bin ich zu müde und Sebastian viel zu dankbar. Sicher, es hat ihn eine dreiviertel Stunde gekostet mich zu finden, weil ich ihn versehentlich zum falschen Ende des Volksparks in Berlin-Neukölln gelotst habe, aber immerhin hat er mich überhaupt gefunden. Und ich könnte in dieser Sekunde nicht glücklicher sein. Deshalb ist es mir auch egal, dass er einfach unbeirrt weitermacht: „Mal ehrlich, Tessa. Du bist nicht auf den Kopf gefallen, lesen kannst du doch auch. Was ist passiert? Hallo?"
Eigentlich sollte ich ihn darauf aufmerksam machen, dass es klüger wäre auf den Verkehr, statt auf die verpeilte Nichte seines Lebensgefährten zu achten, aber ich bin mir sicher, er kriegt das auch ohne mich ganz gut hin, denn mit einem Male bin ich wirklich schrecklich müde. Meine Augen flackern immer wieder zu, meine Rückenschmerzen, die aus dem Nichts aufgetaucht waren, sind mir egal und ich lege meinen Kopf gegen die kühle Scheibe.
Grau in Grau – wahnsinnig hohe, schrecklich breite und viel zu große Häusern ziehen an mir vorbei und es erinnert mich ein wenig ans Schafe zählen. Ein Haus, noch ein Haus und noch eins.
Es dauert nicht lange und ich sickere in einen traumlosen Schlaf oder zumindest so etwas Ähnliches. Unterm Strich bekomme ich zumindest nichts von meiner Umwelt mit. Was immer es ist, er ist nicht fest aber deutlich erholsamer, als ich die früher so nervigen Mittagsschläfchen in Erinnerung hatte.
Sanft rüttelt Sebastian an meiner Schulter und die ruhige Welt, in der ich mich eben noch befunden habe, ist ätzend laut. Ein Wagen hupt, ein Fahrradfahrer schimpft, ich rieche ranziges Frittenfett und höre Kinder brüllen. Aus einigen Metern Entfernung höre ich Hunde bellen und einen Streit in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Warum besitze ich eigentlich keinen Aus-Knopf, schießt es mir durch den Kopf, während ich mich ganz langsam abschnalle und mich umsehe. Gleich werde ich zum ersten Mal das Zuhause meines Onkels betreten und einem Mann gegenüberstehen, den ich seit geschlagenen 13 Jahren nicht mehr gesehen habe.
Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit, als ich den Rucksack schultere und mir meinen Koffer von Sebastian geben lasse. Mein Herz rast und ein ziemlicher großer Kloß bildet sich in meinem Hals. Warum, weiß ich gar nicht. Es fühlt sich an, als würde ich gleich dem bösen Herrscher eines Reichens gegenübertreten und schon im selben Moment fühlt es sich so schrecklich dämlich an. Dieser Mann ist Teil meiner Familie, der einzig coole Mann eben jener und somit dürfte es eigentlich gar kein Problem sein.
Es ist auch nicht so, als hätte ich keine Karte zum Geburtstag und keine zu Weihnachten bekommen, als hätte er mir nicht zu meinen diversen Schulabschlüssen gratuliert oder nach Fotos von meinem ersten und einzigen Reitturnier, von Paraden, in denen ich spielte, Videos von heimlichen Tricks, die ich Nero beibrachte, ohne mir den Hals zu brechen, gefragt. Irgendwie war er immer da, auf irgendeine Art und Weise. Trotzdem war er nie so richtig präsent, es ist eine komische Sache. Ich kann es nicht beschreiben.
Nur die Tatsache, dass wir uns schon so unglaublich lange nicht mehr Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, lässt mich innehalten. – Wahrscheinlich ist das die Erklärung. Oder es ist einfach nur das erstbeste, was mir hier gerade so einfällt.
„Die Tür wird dich nicht beißen, Tessa", scherzt Sebastian eher gequält, als gewohnt locker und ich erfahre im Fahrstuhl auch warum.
Betreten sieht er zu Boden, räuspert sich und weicht meinem Blick vehement aus.
Seine peinlichen Versuche ein ihm wohl wichtiges Thema anzusprechen, treiben mich in den Wahnsinn. Solange, bis mir der Kragen platzt: „Jetzt spucke es schon aus!" fauche ich gereizt und starre ihn nieder. Es gehört sich nicht, es ist unhöflich – bliblablub – es ist mir egal. Wenn er nicht gleich mit der Sprache rausrückt, werde ich ihm ganz sicher noch während der Fahrt nach oben den Kopf abreißen.
Mein Theater ist aber völlig überflüssig. Die Fahrstuhltüre öffnet sich in genau diesem Moment. Mein Onkel grinst euphorisch. Bis er mich sieht.
Mit einem Male entgleisen ihm sämtliche Gesichtszüge und mein Herz rutscht mir in die Hose. Die Stille, die auf einmal herrscht ist gerade zu greifbar. Nun dürfte sich auch erklären, warum ich ihn bis zum heutigen Tage nicht an die Strippe gekriegt habe: Zum einen hasst er Telefonate und zum anderen weiß er nicht, dass ich herkomme. Mein Vater, dieser widerliche Vollidiot, hatte sein Wort nicht gehalten und nichts aber auch wirklich gar nichts abgeklärt.
Dessen war ich mir zumindest sicher. Zwar nur für circa 30 Sekunden aber ich war mir sicher.
„Tessa, was, ich meine wie-?" beginnt Onkel Guido zu stottern und kassiert einen flinken Schlag gegen den Oberarm. „Jetzt stottere doch nicht so dämlich rum, nimm sie halt in den Arm, du Gefühls-Legastheniker", stänkert sein Lebensgefährte und drängelt sich an mir vorbei aus dem Blechkasten in Richtung Wohnungstür.
Somit lässt er zwei Gefühls-Legastheniker ein bisschen (sehr) unbeholfen stehen.
„Ich – äh- darf ich?" fragt er mit belegter Stimme und erst, als ich meine Arm weit öffne, tritt er auf mich zu und zieht mich ein Stückchen aus dem Fahrstuhl. In meinem Kopf kreist nur ein Gedanke. Abgesehen von den halb-liebevollen Umarmungen von Riccardo – wann wurde ich zum letzten Mal in die Arme genommen? Nicht diese belanglose Begrüßungs-Scheiße, sondern eine ehrlich, herzliche Umarmung. Eine von der Schön-dass-du-da-bist-Sorte? Das muss Jahre her sein und das warme Gefühl, dass sich in dieser Sekunde in meiner Brust ausbreitet, ist mir so unbekannt.
Ob ich es nun auf meinen Menstruationshintergrund schieben kann oder nicht, ist mir Schnuppe, aber ich muss einige Tränchen wegblinzeln.
„Ich weiß, es ist ausgelutscht: Aber Himmel nochmal, bist du groß geworden, Sonnenschein!" Zum ersten Mal seit Jahren, werde ich nicht nur aus stolzen Augen angesehen. Vielleicht hat Papa ja doch nicht ausgeplaudert, was für eine Versagerin sein Sonnenschein eigentlich ist. Vor allen Dingen werde ich zum allerersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten wieder ‚Sonnenschein' genannt.
„Ja, ehm"- ist alles, was ich als wahnsinnig guter Socializer darauf erwidern kann. Was auch sonst? Das ist der Lauf der Dinge, ich kann es nicht aktiv beeinflussen. Auf solch eine Feststellung kann man einfach nichts sagen, ohne komplett idiotisch zu klingen.
Mit einem Schlag fühle ich mich wieder so schrecklich fehl am Platze, dabei gibt es dafür überhaupt keinen konkreten Anlass. Trotzdem tripple ich auf irgendeine Weise nervös hin und her, solange, bis Sebastian seinen Kopf erneut durch den Türrahmen steckt.
Frech und gar nicht mehr so seltsam, wie eben im Fahrstuhl, grinst er uns an: „Seid ihr festgewachsen?"
Dass dieser ganze wirklich komische Tag, gar nicht so blöd ist, wie ich es die ganze Zeit geglaubt habe, merke ich schnell.
Die Wohnung meines Onkels ist klein, jedoch so stilvoll eingerichtet, dass ich mich sofort wohl fühle. Auf eine Art und Weise fühle ich mich angekommen und weiß gar nicht so recht damit umzugehen.
Der Koffer landet erst einmal in der nächst besten Ecke, ich bekomme trotz der draußen herrschenden Hitze einen heißen Kakao vorgesetzt und werde in der offenen Küche mit den wunderschönen Fliesen, verhört. Neugierig sitzen mir die beiden Männer gegenüber. Guido rutscht unruhig auf seinem Po hin und her, doch jegliches tadeln seitens Sebastian sind zwecklos.
„Ich habe dir eine Kleinigkeit besorgt. Ich weiß, du bist erwachsen und so aber du mochtest es früher so gerne." Mit einem viel zu großen Tamtam und vielleicht auch ein bisschen zu aufgeregt verschwindet er im Wohnzimmer, nur um dann mit einer kleinen, schwarz-goldenen Geschenktüte wieder zu kommen. „Hier, für dich", spricht er stolz und ich könnte schwören, gleich explodiert er vor Freude.
Dass ich selbst wirklich, wirklich neugierig bin, kann ich nur schwer verstecken. Trotzdem nehme ich die zwei kleinen Päckchen nur ganz langsam aus der Tüte. Sie sind nicht groß, gleichen eher einer Zigarettenschachtel und sorgen nur dafür, dass ich meinen anfänglichen Plan, Guido durch langsames Auspacken zu nerven, wieder verwerfe. Was zum Teufel hat er da gemacht?
„Herr Gott, nun mach schon auf!" platzt es schließlich aus Sebastian heraus. Irgendwie besorgt begutachtet er haargenau, wie ich zuerst das Tesafilm entferne, nur um anschließend selbst die Geduld zu verlieren.
Meine anfängliche Skepsis weicht nur zwei Sekunden später einem ziemlich schrillen Schrei und aufgeregtem Hüpfen.
„Tabaluga!?" frage ich ungläubig und ein bisschen weinerlich. In meinen Händen halte ich zwei alte Hörspielkassetten meiner Lieblingskinderserie und weil mein Onkel schon immer der Held meiner Kindheit war, sind es nicht irgendwelche Episoden, sondern ‚Der Bessere gewinnt' und ‚Dunkle Geschäfte', die beinahe mit Abstand wunderschönsten Geschichten dieser nun schon 22 Jahre alten Serie.
In dieser Sekunde weiß ich gar nicht, wo hin mit meinen Emotionen.
Also beginne ich ganz selbst verständlich einfach zu heulen und drücke Guido fest an mich. Auch Sebastian bekommt eine dicke Umarmung und das aus mehreren Gründen. Zum einen habe ich nicht damit gerechnet, dass der Tag noch so wunderschön weitergehen wird und zum anderen habe ich einfach das Bedürfnis in die Arme genommen zu werden. Es fühlt sich an, als müsste ich heute alle verpassten Umarmungen nachholen, die ich so lange unterbewusst vermisst habe. Als müsste ich mir holen, was ich bekomme, bevor es wieder vorbei ist.
Glücklich strahle ich die beiden an und frage nach meiner Übernachtungsmöglichkeit.
Für die nächste Zeit wird der »Wenn, dann da« - Raum der beiden mein Zuhause und ich beschließe, mich ein bisschen umzusehen, sobald die beiden mir eine gute Nacht gewünscht haben. Während mein Onkel bereits früh zum Theater muss, fallen bei Sebastian die ersten beiden Unterrichtsstunden aus, doch trotzdem hauen sie sich müde aufs Ohr.
Ich kann das leider nicht, auch wenn ich körperlich das Gefühl habe, im Stehen einschlafen zu können.
Meine Gedanken kreisen so wild, dass ich Angst habe, einfach umzukippen. Meine Gefühlswelt fährt genau so Achterbahn und ich muss beinahe traurig feststellen, dass mich nicht einmal das Hörspiel beruhigt, was die Männer mir geschenkt haben. Nicht die kühle Dusche, nicht das leckere Abendessen und auch nicht Tabalugas sanfte Stimme. Leider helfen nicht einmal die Schmerztabletten, die ich mir aufgrund meiner Unterleibsschmerzen eingeworfen habe. Nichts macht mich müde genug, um endlich einzuschlafen und deshalb sehe ich mich um. Es ist nicht die feine englische Art, interessiert mich aber trotzdem und so finde ich zwischen den verschiedensten Batterien und Karabinerhaken, nicht nur abgelaufene Hustenbonbons und Tesafilm, sondern auch ein altes UNO-Spiel und ein zerfleddertes Foto. Die Ecken sind abgeknickt, das Bild mehrfach gefaltet und die Farbe geht langsam ins bräunliche.
Mit der Taschenlampe, die ich in einer der kleinen Kisten gefunden habe, setze ich mich aufs Bett und sehe mir das Foto genauer an.
Eine junge Frau, vielleicht im Alter meiner Mama sieht sehnsüchtig aus dem Fenster. Irgendjemand fotografierte sie von hinten. Bei ganz genauem Hinsehen finde ich einen Ring auf dem Fensterbrett liegen und nur, wenn ich mich konzentriere, kann ich durch die Vorhänge erkennen, worauf sie schaut. Grauer Beton mit Stacheldraht auf seiner Spitze.
‚Was will mein Onkel mit dem Foto einer Frau, die sehnsüchtig auf die Berliner Mauer schaut', frage ich mich, kann mir aber keinen Reim darauf bilden, denn ich finde keinen weiteren Hinweis. Weder auf der Rückseite des Bildes, noch in den restlichen Kistchen in dem einfachen hölzernen Regal.
Erst kurz bevor ich endlich einschlafe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Sebastian erzählte einmal, sein Großvater habe für sein Leben gerne fotografiert und daher habe er sein Faible für Kunst. Schwachsinn, denke ich. Erdkunde ist sicher nicht das schwerste Fach und Sebastian ist ein gewitzter Mensch. Wenig Arbeit, viel Lohn für den Fall, dass das Theater-Ding meines Onkels nichts wird. Im Vollsuff hat mir Sebastian diesen kleinen Fakt einmal anvertraut und bis heute weiß Guido von nichts.
Gedanken, wie diese lassen mich erneut in einen traumlosen Schlaf gleiten, aus dem ich nicht wachzukriegen bin. Zumindest behauptet das mein Onkel am nächsten Morgen.
Wie ein Schluck Wasser in der Kurve hänge ich über meiner vor Fruit Loops beinahe überquellenden Schüssel. Den Kopf in meiner Handfläche abgestützt, fällt es mir schwer, meine Augen aufzuhalten. Es ist kaum zu übersehen, dass mich auch Sebastians Späße nicht auf Hochtouren bringen werden, egal wie viel Mühe er sich gibt.
„Ist denn alles in Ordnung?" fragt er irgendwann besorgt. Ich freue mich allerdings mehr darüber, dass er seine schlechte Heinz Erhardt Imitation endlich bleiben lässt. Also antworte ich – eher weniger authentisch mit einem knappen „Hm." Es ist ja auch alles in Ordnung. Also irgendwie zumindest.
Ich habe lediglich unterschätzt, wie laut fahrende Autos sein können und wie schwer es ist, Schlafgewohnheiten zu ändern. Sonst bin ich eher der Fenster – auf- Sauerstoff – rein- Typ. Nur musste ich leider zu einer ziemlich unchristlichen Uhrzeit feststellen, dass ich mir diese Marode besser schnell abgewöhne. Vermutlich war ich deshalb auch nicht wachzukriegen.
Bevor Sebastian aber noch weiter fragen kann, geht die Haustür auf. Eine mir unbekannte Stimme ruft: „Hab isch gebracht Schetefan. Hat sich gemacht schön." – Eh. Joa, denke ich und bin gespannt, was mich für eine Person erwartet, doch stattdessen knallt die Haustür wieder zu und kurze Zeit später trottet Stefan in die Küche. Müde Augen wandern einmal durch den Raum, er nimmt mich wahr, zwinkert, als würde er mich begrüßen und dreht sich wieder um. Na das nenne ich mal eine Begrüßung.
Eine Erklärung bekomme ich nicht, das scheint ganz normal zu sein und auch Sebastian hat akzeptiert, dass der Morgen nicht unbedingt meine Uhrzeit ist. Ein kurzer Blickwechsel, ich setze meine Kopfhörer auf und öffne die Skype-App. Hunger habe ich keinen mehr, also stehe ich auf, greife noch nach meiner Kaffeetasse und folge Stefan aufs Sofa.
Dass mir Sebastian etwas zuruft, nehme ich wahr, reagiere aber nicht. Irgendwie bin ich in komischer Laune. Keine Lust auf gar nichts, weder traurig noch glücklich. Komisch eben. Also schließe ich die App wieder, lasse auf Spotify die Top 50 Playlist laufen und warte ab, bis Stefan seinen Kopf auf meinen Schoss legt.
„Na Großer. Du bist ganz schön alt geworden, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Da schimmert schon ein bisschen grau, mein Lieber", spreche ich und fahre ihm über den Kopf.
So sitzen wir eine ganze Weile da: Stefan ignoriert mich, ich fahre mit meinen spärlich vorhandenen Fingernägeln über seinen Kopf und höre dabei Musik. Das funktioniert ziemlich gut. Zumindest solange, bis eine Hand voll schwarze Plastikbeutel in meinen Schoß fliegt.
„Mach dich nützlich, wenn du schon den Tisch nicht abräumst und geh mit Stefan raus. Auf der Kommode liegt dein Schlüssel, ich muss los", lauten seine knappen Worte und es stört ihn nicht, dass er aus vier Augen entgeistert angesehen wird.
Ich möchte aber auch nicht riskieren, dass ich aus meiner Bleibe fliege, also richte ich mich auf und lege dem schwarzen Pudel seine Leine an. „Los, Stefan. Wir müssen einen guten Eindruck machen", sage ich, bekomme ein tiefes Bellen als Antwort und so fügen wir uns unserem Schicksal.
Es ist ein Weltwunder, dass ich mich nicht wieder verlaufe, schließlich vage ich mich zwei Blocks zu gehen. Ob Stefan nicht mehr Auslauf bräuchte, weiß ich gar nicht, doch um ehrlich zu sein, will ich einfach nur unter gar keinen Umständen wieder irgendwo landen.
Interessant ist der Spaziergang aber trotzdem. Zuerst begegnen wir einem älteren Mann, der sich einen Verkaufsstand um den Bauch geschnallt hat und mir feurig und leidenschaftlich etwas erzählt, was ich zwei Sekunden später schon wieder vergessen habe. Als kleine Kostprobe gibt er mir sein Produkt mit, einen Anti-Glückskeks mit dem eingebackenen Zettelchen: „Du hast alles in dir, was du zu deinem Unglück brauchst."
Gruselig, wie gut es zu mir passt aber trotzdem reiner Müll. Und genau dort landet das Ding auch, denn der Keks schmeckt scheußlich.
Als nächstes begegnen wir einem kleinen ausländischen Kind, welches sich glücklich auf Stefan stürzt und ich werde das Gefühl nicht los, dass auch das zur Normalität gehört, die beiden scheinen sich zu kennen. Die Mama des kleinen Jungen hingegen mustert mich skeptisch, bevor sie ihrem Sohn etwas zuflüstert. Was es ist, verstehe ich nicht. Ich könnte nicht einmal erraten, um welche Sprache es sich handelt.
Zu guter Letzt begegnen wir der Postbotin, die mich sogleich fragt, in welche Wohnung ich gehöre.
Vielleicht wird Berlin doch gar nicht so unfassbar ätzend, schießt es mir durch den Kopf, während ich die Post sortiere. Eigentlich bin ich nicht davon ausgegangen, dass mich etwas interessieren könnte.
Allerdings finde ich in dem doch beachtlichen Briefestapel etwas, was meine Aufmerksamkeit erregt.
Auch, wenn der Name meines Onkels auf dem Umschlag steht, ich erkenne die Schrift ganz genau und mache mir gar nicht erst die Mühe, Guido um Erlaubnis zu bitten.
Schnell und mit klopfendem Herzen reiße ich den Brief auf und verliere keine Minute später den Boden unter den Füßen.
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