Kapitel 36 ↬ Sag es mir

„Wir sind das reinste Klischee, ist dir das schon mal aufgefallen?" Mit einem strahlenden Lächeln werde ich angeschaut. Ekelhaft.

Der Morgen danach ist unangenehm. Ich stinke, wie ein Iltis, der Belag auf meiner Zunge schmeckt nach Kuhstall und ich sehe aus, als habe ich in der Fritteuse geschlafen. Mein einziger Trost: Zum ersten Mal, seit ich Nele kenne, sieht auch sie wirklich bescheiden aus.

„Inwiefern?" Mit undefinierbaren Lauten streckt sie sich, fährt sich einmal durch die Mähne und blinzelt mich aus müden Augen an. Einen Moment lang muss ich überlegen, wonach sie hier eigentlich fragt. Was habe ich eben von mir gegeben?

„Wir haben die ganze Nacht nichts anderes getan, als zu Tratschen und das über Männer. Wir haben den Bechdel-Test grandios verkackt."

„Den was?" Als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, sieht sie mich an und grinst. Nicht das erste Mal, das muss ich zugeben. Aber dieses Mal ist es nun wirklich nicht nötig, zumindest meiner Meinung nach.

„Hattet ihr das nicht in der Schule?" „Hase, ich war schon froh, wenn pro Stunde nur drei Tische geflogen sind", beginnt sie zu lachen und im ersten Moment halte ich es für einen Witz. Bis sie erklärt, dass die Dokumentationen und Reportagen, die im Rest der Republik mit einer schockiert gerümpften Nase abgewunken wurden, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. „Frau Schlumps, hieß sie glaube ich. Die hat ihren Namen geändert und ist in eine andere Region gezogen. Irgendwo unten in Bayern glaube ich." Ihre Schnürsenkel bindend erklärt sie beiher: „Und das war nur eine Vertretungslehrerin für drei Stunden Bio. Sie hat's keine zwei Wochen geschafft."

Fertig angezogen und deutlich weniger einer Großbaustelle gleichend steht sie schließlich vor mir. „Ich schlage vor, du gehst duschen. Thea, mein Schatz, du stinkst." Augenblicklich laufe ich rot an und trete einen Schritt von ihr weg. „In der Zwischenzeit hole ich Frühstück und du erklärst mir deinen Bäcker-Test." „Bechdel." „Sage ich ja."

Mit einem fröhlichen Lächeln und einer ekelhaften Leichtigkeit in ihren Schritten, öffnet sie die Tür, hält jedoch inne. „Hörst du das?" Ungeachtet meiner Erscheinung trete ich neben sie. „Alter, bumst die schon wieder?" fragt Nele schließlich, schaut auf ihre imaginäre Armbanduhr und schaut mich angewidert an. „Wir hatten nicht mal unseren Kaffee und neben an gibt's schon Frühsport." „Widerlich", finde ich und schüttle mich angeekelt. Nele hingegen scheint von dem Ganzen unberührt. „Gut, dass ich weiß, wo Felix ist, sonst wäre mir jetzt wirklich schlecht." Ohne nach zu denken schieße ich den Vogel ab. „Keine Sorge, der klingt anders."

Während ich mich selbst gerne Ohrfeigen würden, wackelt die junge Frau lediglich anzüglich grinsend mit den Augenbrauen und erklärt, wie falsch man das doch verstehen könne. Gut, dass sie mich kennt, findet sie und merkt dabei wahrscheinlich nicht, dass mir das Thema nicht sonderlich angenehm ist. Und falls doch, macht es ihr wirklich ausgesprochen viel Spaß. „Besorge du mal lieber einen ordentlichen Kaffee", schließe ich das Thema ab und schiebe sie ungeniert aus dem Zimmer. Ich würde gerne noch heute unter die Dusche springen.

Verknotet wie zwei Brezeln sind wir irgendwann einfach eingeschlafen und ich erhoffe mir ein kleines Wunder, wenn ich nun unter das heiße Wasser steige. Dass dies sicherlich nicht eintreten wird, ist mir bewusst, doch meine müden Glieder werden es mir sicherlich danken. Abgesehen von der Tatsache, hat Nele leider recht. Ich kann mich selbst riechen und dieser Fakt ist selten gut.

Also schlurfe ich wenig später im Bademantel durch den Gang, halte meine Utensilien fest im Arm und hoffe, Luca nicht zu begegnen. Wer weiß, vielleicht braucht sie nach der Nummer ja auch eine Erfrischung. Wir sind sicherlich nicht die einzigen, die hier hausen, da ich aber noch nicht einen anderen Nachbarn gesichtet habe, beschließe ich kurzer Hand die Tür des Gemeinschaftsbades abzuschließen.

Weit genug entfernt, damit es nicht nass wird aber nah genug an meiner Dusche platziere ich das Handy, lasse die Radio App laufen und mich sowohl von Musik, als auch von warmem Wasser berieseln. Der Moment, in dem mich das Wasser trifft, ist wohl der schönste in meinem bisherigen Leben. Tatsächlich gab es sicher schon schöneres, doch gerade fühlt es sich an, wie der Himmel.

Länger, als gewöhnlich lasse ich einfach die Wärme auf meine Haut rieseln, genieße jeden Tropfen und habe eigentlich überhaupt gar keinen Elan, um mich oder meine Haare zu waschen. Im Hintergrund trällert irgendwer, irgendwas und doch hat die weibliche, leicht rauchige Stimme eine unfassbar entspannende Wirkung auf mich, Was sie singt fliegt eher über meinen Kopf hinweg. Stattdessen konzentriere ich mich nur auf die Melodie, trommle sanft auf meinen Oberschenkel und wiege meinen Kopf im Takt hin und her.

Wie lange ich letztendlich unter der Brause stehe, ohne aktiv dazu beizutragen, dass ich mich sauberer fühle, weiß ich nicht. Heftiges Hämmern gegen die Tür holt mich schließlich aus meinem kleinen Stückchen Himmel und ich höre eine aufgeregte Stimme quietschen. Gott, ist mir das egal.

Ich achte gar nicht erst darauf, was mir diese Schnepfe an den Kopf knallt, als ich gute zehn Minuten später, tatsächlich gewaschen an ihr vorbei spaziere. Lässig werfe ich mir das Handtuch über die Schulter, ziehe den Gürtel meines Bademantels noch einmal eine Spur enger und ignoriere ihr Gezeter völlig.

In meinem Zimmer angekommen begrüßen mich weder frische Croissants, noch ein warmer Kaffee. Stattdessen erwische ich Nele mit einem Stück Papier in der Hand, welches sie mal so absolut gar nichts angeht.

Erschrocken zuckt sie zusammen und versucht den Brief verschwinden zu lassen. Ihre Birne läuft knallrot an. Unter anderen Umständen wäre das hier wohl eine willkommene Abwechslung. Vielleicht würde ich mich sogar freuen, dass dieses Mal nicht ich diejenige bin, die sich zur Kartoffel macht. Jetzt kocht mein Blut.

„Geht's noch? Was soll die Scheiße!?" schreie ich eine Spur zu laut. Leicht erschrocken von meiner eigenen Lautstärke benötige ich selbst eine Sekunde, um zu reagieren. Shampoo und Duschgel knallen auf den Boden, als ich auf Nele zu springe und ihr das Papier aus der Hand rupfe. „Thea, es tut-" „Vergiss es, ich will, dass du verschwindest!" Zu meinem Glück fängt sie nicht an zu diskutieren, ich höre keine Entschuldigungen und schon gar keine an den Haaren herbei gezogenen Erklärungen. Was will sie mir schon vorlügen, sie war neugierig. Fertig aus.

Meine Atmung ist viel zu schnell, ich spüre meinen Puls durch die Adern rauschen. Frische Luft. Ich brauche frische Luft.

Mit einem gezielten Griff schnappe ich mir die Kopfhörer, mein Handy und stürze zur Tür. Es ist mein Glück, dass ich an dem Spiegel vorbei husche, sonst wäre ich in Bademantel und mit dem Handtuchturban auf dem Kopf nach draußen gestürzt.

Dieser miserable Anblick nimmt mir sämtlichen Wind aus den Segeln und auch, wenn ich immer noch das dringende Bedürfnis habe, die Welt anzuschreien, lasse ich mich einfach auf den Boden sinken. Genau so, wie ich bin.

Wie ein Häufchen Elend sitze ich dort, suhle mich in Selbstmitleid und weiß nicht wohin mit mir. Mein Spiegelbild zeigt eine jämmerliche Version meiner selbst. Tiefe Schatten unter den Augen, klatschnasses, dunkles Haar, welches platt an meinem Kopf klebt. Es macht mich wütend, dass ich einfach nur dort sitze und jammere, dass ich nicht weiß, was ich tun und fühlen soll. Wann war ich bitte so eine Null geworden? Alles, was mir durch den Kopf geht sind nur halbgare Brocken Irgendwas, nichts halbes und nichts ganzes. Bin ich traurig? Nicht richtig. Bin ich sauer? Ja und Nein, denn ich kann nicht mal genau sagen, worauf. Auf die Verletzung meiner Privatsphäre? Schon irgendwie.

Vielleicht bin ich ja auch einfach clever gewesen, denn, wenn Nele den Brief gelesen hätte, dann hätte sie mir einen Vortrag gehalten mit all den Dingen, die ich nicht hören möchte. Allen voran die Fragen: Wieso hast du den Brief nicht gelesen, worüber habt ihr eigentlich gestritten und warum hast du so viel Schiss vor einem blöden Stück Papier?

Und so schließt sich der Kreis und ich lande wieder in einem Nichtssagenden Loch von Ich – habe – keine – Ahnung.

Bevor ich mir aber selbst vorgaukeln kann, dass es in Ordnung ist, einfach mal dort zu sitzen und sich in Selbstmitleid zu suhlen, schmeißt sich mein inneres Karussell in Schale. Sämtliche Verdrängungsschubladen in meinem Kopf tun sich auf und der kleine Teufel in meinem Hirn scheint eine Diashow vorzubereiten. Zahlreiche Probleme werden aufgeführt, ich erinnere mich an längst vergangenen Scham, an Grundschulszenarien, die ich so gerne verdränge, die Tatsache, dass ich Felix nicht verstehe wird aufgetischt. Das Karusell dreht sich und mir wird schwindelig. Angetrieben von einer ganzen Menge Angst vor der kommenden Zeit und der Ungewissheit, die diese mit sich bringt dreht und dreht sich alles.

Angespannt sitze ich also da und ertrage apathisch in die Ecke starrend alles, was ich mir selbst vor Augen führe. Ich knechte mich selbst und warte ab, wie lange es wohl dauert, bis mir eine Sicherung durchknallt.

Wie lange ich schließlich dort sitze, kann ich gar nicht sagen. Es fühlt sich an, als habe sich ein Schalter umgelegt. Als habe der Rummel in meinem Kopf geschlossen. Eine einzige Erinnerung wird mir immer und immer wieder vorgespielt. ‚Komm endlich aus dem Arsch'. Mit in die Hüfte gestemmten Fäusten stand Lotte vor mir. Es hatte nichts mit meinem eigentlichen Leben zu tun, ihre Wut richtete sich lediglich auf die Tatsache, wie lange ich in Riccardo verliebt gewesen war, ohne einen Ton darüber zu verlieren. Nichtsdestotrotz passt es gerade einfach prima und ich nutze den kleinen Drill-Sergeant in Form meiner besten Freundin als Motivation.

Mental schreibe ich mir eine to-do-Liste, hake simple Dinge ab und beschließe meinen freien Montag auszunutzen. Wenn ich es jetzt in diesem sicherlich nicht lange dauernden Anflug der Motivation nicht tue, werde ich es gar nicht tun.

Frisch angezogen, die nassen Haare zu einem Dutt, den ich unter Garantie am Abend bereuen werde, schnappe ich mir Handy, Kopfhörer und Powerbank. Ein essentiell wichtiges Gerät, wie sich bei einem kurzen Blick auf mein Handy herausstellte.

Auch das Stück Papier findet seinen Weg in meine Hosentasche. Es ist lächerlich, dass ich es nicht gebacken kriege diese blöden Zeilen zu lesen. Schon der Anfang hat mir jedoch den Rest gegeben. Ich brauche Hilfe und ich brauche Freunde. Letzteres wächst definitiv nicht auf Bäumen, somit muss ich mit den geringen Ressourcen arbeiten, die ich zur Verfügung habe. Entgegen meines ersten Impulses Regina und Albert aufzusuchen, zücke ich vor dem Wohnheim angekommen mein Handy. Vielleicht habe ich Glück und er wurde derart mit Schmerzmitteln zugepumpt, dass er mir helfen wird. »Du schuldest mir noch was. Verrate mir mal, wo Nele wohnt.«

Zu meiner Überraschung lässt seine Antwort keine Minute auf sich warten. Fragen stellt er mir keine, nur die Adresse und sogar ein Google Maps- Link tauchen in unserem Chat auf. Es sollte mir zu denken geben. Es hätte mir sagen müssen, dass die Geschwister bereits miteinander gesprochen haben. Nur leider kam mein völlig überreiztes Gehirn nicht zu diesem Schluss.

Ich laufe wie auf Autopilot dem Pfeil auf meinem Handy hinterher und obwohl ich eigentlich Frühstück hatte mitbringen wollen, bin ich froh am Ende in der richtigen Ecke anzukommen. Schon auf halber Strecke bereute ich mein Vorhaben zutiefst. Wenn ich den Link, den Felix mir geschickt hat, ordentlich betrachtet hätte, wäre mir sicher aufgefallen, dass sich die angegebenen, knappen 23 Minuten nicht auf den Fußweg beziehen.

Hätte ich ein Taxi rufen können? Ja.
Hätte ich diverse U-Bahn Verbindungen nutzen können? Korrekt.
Brauchte ich die frische Luft und die körperliche Anstrengung, um meinen Kopf durchzupusten und mich selbst durch elendiges nach Sauerstoff japsen abzulenken? Ebenfalls korrekt.

Vor einem wirklich großen und wirklich hässlichen Gebäude bleibe ich stehen. Es ist grau, die Fenster teils verhangen von hässlichen Gardinen und der Putz überall nur nicht an den Wänden. Ein letztes Mal schaue ich auf mein Handy.

Nele wohnt im 13. Stock und ich frage mich nicht zum ersten Mal, weshalb sie so auf ihrem Bruder herumhackte, als wir ihn im Vergleich dazu, nur lächerliche vier Stockwerke tragen mussten. Alles in mir betet und hofft auf einen Fahrstuhl.

Nachdem ich willkürlich irgendeine Klingel betätigt und mich klischeehaft als Telekom-Mitarbeiterin ausgegeben habe, trete ich ein. Ein beißender Geruch empfängt mich und treibt mir sofort Tränen in die Augen. Hat sie nicht die Worte Studentenwohnheim und WG benutzt? Wieso riecht es hier so stark nach Urin und verfaulten Eiern?

Auf der Suche nach dem Fahrstuhl finde ich den Ursprung des Gestanks und bin nicht nur erschrocken und überfordert sondern auch peinlich berührt. Am Fuße von vier Stufen, die zu den Fahrstühlen hinauf führen liegt ein in mehrere Decken gehüllter Mann. Die Haare stehen ihm wild zu Berge, mitgenommen aussehende Plastiktüten vollgestopft mit allerlei Klamotten bauen ihm ein improvisiertes Bett. Ein angebissenes Sandwich und zwei leere Bierflaschen liegen auf der zweiten Stufe. Der Anblick ist mir neu und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich damit umgehen soll. Wecke ich ihn, checke, ob alles in Ordnung ist? Bin ich ekelhaft und ignoriere es?

Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich einige Schritte entfernt vor dem schlafenden Mann und werde schließlich mächtig erschrocken, als sich jemand an mir vorbei drängt. „Das ist Herbert, der beißt nicht, alles gut." Umständlich versucht der junge Mann sein Fahrrad an Herbert vorbei zu hieven. „Warte, ich helfe dir", sage ich und versuche mir damit selbst vorzugaukeln, dass ich nett bin. In Wahrheit nutze ich den jungen Mann einfach nur, um mein Gewissen zu beruhigen und mich an dem schlafenden Mann vorbei zu schleichen.

„Danke dir." Ich ernte ein ehrliches Lächeln und werde von zwei tiefen Grübchen einen Moment abgelenkt. Schneller, als ich gucken kann bin ich in ein Gespräch verwickelt.

Der Fahrstuhl ist eng und hat gerade so Platz für Nico, sein Fahrrad und mich. „Du bist neu hier, oder Thea?" fragt er, noch bevor sich die eisernen Türen schließen und ich nicke. Gelogen ist es nicht. „Und ziemlich ruhig, wie es aussieht." Seine Grübchen kommen erneut zum Vorschein und ich merke, dass ich mal wieder erröte. „Sorry, ich habe einfach ein bisschen Schiss vor dem sich androhenden Gespräch", gebe ich zu und drücke mich gehobener aus, als ich bin, in der Hoffnung ein bisschen Humor in die angespannte Situation bringen zu können. „Na das klingt ja Prima", antwortet er und trieft gerade zu vor Sarkasmus. Sympathisch, denke ich mir und höre auf, nervös mit meinen Fingerknöcheln zu knacken.

„Ey, halt mal die Türen!" brüllt es plötzlich durch den Eingang, ich höre ein Grummeln, ein genuscheltes ‚Sorry Herbert' und schließlich über die Fliesen schlitternde Schuhe. Ein gefühlt drei Meter großer, junger Mann hat sich gehörig verschätzt, nutzt die Wand gegenüber des Fahrstuhls als Prellbock und stolpert in die aller letzte freie Ecke des viel zu kleinen Kastens, in dem wir stehen. Nico beginnt schallend zu lachen und ich kann nicht anders, als ihn verwirrt anzustarren. Die Töne, die er von sich gibt sind unbeschreiblich. Es ist die Definition eines gackernden Huhns und mir bleibt die Spucke im Hals stecken.

„Ja ach komm, halt's Maul, Heldt", zischt der junge Mann und fährt sich schnaubend durch das feuerrote Haar. „Sag mir lieber, wen du dir hier wieder aufgegabelt hast." Anzüglich zwinkert er in die Richtung des noch immer gekrümmten Mannes und ich werde wieder rot. „Hey, ich bin Konstantin." Er streckt mir die Hand entgegen, doch ich zögere einen Moment, bevor ich sie schüttle. „Thea", antworte ich knapp. Bevor sich die zwei Jungs aber weiter irgendwelche Blicke zuwerfen können, setze ich nach: „Und bis vor einer Minute kannte ich keinen von euch beiden. Ich bin auf der Suche nach einer Freundin."

„Sie will zu Nele", fügt Nico schließlich hinzu. Schön, dass er sich beruhigt hat. Hätte er noch länger gelacht, hätten mir sicher die Ohren geklingelt. „Uh", kommentiert Konstantin nur und drückt die Nummer 13. Endlich fahren wir nach oben, denke ich. Zumindest bis ein kräftiger Ruck den Kasten durchfährt. Mein Puls schnellt in die Höhe und ich reiße die Augen auf.

„Keine Sorge, das alte Ding funktioniert prima." Konstantins Stimme klingt ruhig und er schenkt mir ein beruhigendes Lächeln. Es hilft nicht sonderlich gut, doch er behält recht und wir kommen wohl behalten oben an. Alleine bei dem Gedanken, ich müsste noch zehn Stockwerke weiter nach oben, dreht sich mir der Magen um. Erleichtert atme ich also auf, auch, wenn ich noch warten muss, bis sich die Jungs aus dem Aufzug geschält haben.

„War trotzdem nett", sage ich und lächle den beiden zu, bevor ich mich aus dem Staub machen will. Eigentlich. „Hach ja, sie hat's also wieder getan", seufzt Nico theatralisch auf und legt sich die Hand auf die Stirn. Er gibt sich, als würde er gleich in Ohnmacht fallen und sein rothaariger Kumpel spielt mit. „Schon wieder verleugnet sie unsere Liebe, ich fasse es nicht!" „Was?" Ich bin verwirrt, meine Augenbrauen sind der Art in die Höhe gewandert, ich muss aufpassen, dass sie sich nicht in meinen Haaren verfangen.

Maximal verwirrt sehe ich den beiden zu, wie sie drei, beziehungsweise sechs große Schritte auf eine Tür direkt neben dem Fahrstuhl zu gehen und während Nico sein Fahrrad am Treppengeländer einige Schritte weiter hinten ankettet, macht Konstantin eine einladende Geste in die angrenzende Wohnung. „Sie hält uns für bescheuert, merkst du's?" fragt Nico seinen Kumpel grinsend und könnte dabei nicht richtiger liegen. Selbstverständlich halte ich die beiden für irre, so wie sie mir hier gegenüber treten.

Zumindest solange, bis Nico auf eine kleine Schiefertafel in Form einer Wolke zeigt. Mit bunten Kreidestiften geschrieben, stehen sechs Namen dort. Jeder hat seine eigene Farbe und die Ränder sind mit Penissen, Blümchen, Bienchen, Wolken und Smileys versehen. Nele Wagner, Konstantin Nemke, Birte Rompf, Sina Walczyk, Nico Heldt und Dorothea Zumbühl.

„Ihr seid ihre Mitbewohner?" stelle ich unnötigerweise fest, merke quasi wie bei mir der Groschen fällt und schäme mich direkt danach, als ich die Gesichter der Jungs betrachte. „Mensch Thea, hätte ich einen Keks, ich würde ihn dir geben", grinst Konstantin breit und erntet einen Schlag gegen den Oberarm von Nico. „Jetzt ärgere sie doch nicht schon wieder. Kein Wunder, dass Nelli nix erzählt hat." Ich liebe die Jungs schon alleine für diese Aussage. Nelli also, huh?

Diese einfache Bemerkung reicht aus, um sich mein Vertrauen zu sichern. Ob das so gut ist, ist durchaus fragwürdig aber naja.

Schon beim ersten Schritt in die WG meiner Freundin beantworten sich sämtliche Fragen. Es gibt zwei Garderoben und während die vorderste mit feinsäuberlich an Kleiderhaken hängenden Mänteln, Strickjacken und sogar Ballettschuhen glänzt, gleicht die hintere einem Grabbeltisch aus dem 1€-Shop. Schwer zu erraten, wo ich Neles Klamotten finden würde. Ohne den Jungs weiter Beachtung zu schenken, steige ich über eine Sammlung an Vans und Chucks und laufe den langen Flur entlang. An jedem Zimmer hängt eine kleine Schiefertafel, wie auch schon an der Wohnungstür und irgendwie finde ich es ziemlich niedlich.

Die beiden Jungs besitzen die Zimmer am Anfang des Flures, gegenüber vom jeweils anderen. In der Mitte komme ich an Dorotheas und Birtes Reich vorbei. „Hier sind Küche und Bad, je nachdem wie lange du bleibst", erklärt Nico und Konstantin fügt bei: „Ja, Nico macht heute Bolognese, die musst du probieren!" Ein rosiger Glanz legt sich um die Wangen des dunkelhaarigen Mannes, der gute zwei Köpfe kleiner ist, als sein Kumpel. „Legendär sag ich dir!" Es scheint ihm Spaß zu machen, seinen Mitbewohner zu foppen und ich muss grinsen.

„Danke, aber ich muss wirklich erstmal zu Nele." Gespielt geknickt ziehen die beiden gleichzeitig eine Schnute und blinzeln mich aus dunkelbraunen und strahlend blauen Augen an. „Na gut", sagt Konstantin schließlich und schiebt mich ungeniert an das Flurende. Links käme ich in Sinas Reich, nach rechts führt es mich direkt in die Höhle des Löwens.

Scheppern kommt aus ihrem Raum und erst jetzt höre ich gedämpfte Metalmusik. Vielleicht trägt sie Kopfhörer und hat die Lautstärke voll aufgedreht, ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass ich da wirklich ungerne rein gehen würde.

„Obwohl, wenn ich's mir recht überlege-" will ich sagen, drehe mich um und lande geradewegs mit dem Gesicht in einer überraschend muskulären Brust. Blaue Augen funkeln mich an, er wackelt anzüglich mit den Augenbrauen. „Na, na, nicht so stürmisch", feixt Konstantin. „Das wird schon", findet Nico mit einem Grinsen auf den Lippen, die etwas ganz anderes aussagen.

Ehe ich mich versehe, klopft der Fuchs gegen die Tür und die kleine Ratte neben ihm reißt sie ohne Worte des Löwen auf und schiebt mich direkt auf die Schlachtbank.


Tolle Typen sind das, wirklich.

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