Kapitel 34 ↬ Ach fuck ey.




Dass ich mich ein klitzekleines bisschen selbst verabscheue, als ich mein Spiegelbild in den bodenlangen Fenstern des Krankenhauses sehe, ist nun wirklich kein Kunststück. Dass ich es alleine bis hier hin geschafft allerdings schon. Wie? Ich weiß es selbst nicht. Doch irgendwie scheine ich gestern nicht nur einige Male auf meinen Allerwertesten gefallen zu sein, sondern auch in eine ordentliche Portion Glück. Zu laut sagen möchte ich das Ganze lieber nicht. Wer weiß, wenn ich es zu laut sage verfliegt es vielleicht wieder.

Woher dieses gesunde Maß an Selbstbewusstsein kommt, mit dem ich auf den Tresen der Rezeption zuschreite, kann ich mir genau so wenig erklären. An dem freundlichen, einladenden Gesichtsausdruck des älteren Mannes hinter dem durchsichtigen Plexiglas kann es schon mal nicht liegen.

Nichtsdestotrotz versuche ich mein Glück mit einer Notlüge. „Guten Tag, mein Name ist Kirschbaum, ich bin auf der Suche nach meinem Bruder, Nils Kirschbaum. Können Sie mir sagen in welches Zimmer man ihn verlegt hat? Die Nuss geht nicht an sein Handy", freundlich lächle ich den griesgrämig dreinblickenden Pförtner an, kichere, klimpere mit meinen Wimpern. Ich ekle mich vor mir selbst und dass ich aussehe wie eine Mülltonne, versuche ich zu vertuschen, in dem ich – nein, da gibt's nichts zu vertuschen. Es ist mein pures Glück, dass er mich nicht mit einer Hab-mich-Lieb-Jacke abführen lässt. Zumal ich mir in dieser Sekunde gar nicht wirklich sicher bin, ob ich mich als Nils Verlobte oder seine Schwester ausgegeben habe. Bei den ganzen Notlügen in den letzten Tagen kann man schon mal den Überblick verlieren.

Vermutlich liegt es einfach daran, dass er mich gar nicht richtig ansieht und nicht an meinem kurzweiligen Glauben an das Glück, aber ich werde einen Teufel tun und seine Aufmerksamkeit länger als nötig von seinem Handy lenken. Ich glaube er schaut f.r.i.e.n.d.s.

Ein unwichtiges Detail, welches mich für einen kurzen Moment zum Nachdenken bringt. I'll be there for you ist nicht nur der Titelsong sondern auch ein ungeschriebenes Freundschaftsgesetz oder nicht? Wieso erinnert es mich an Lotte und die Tatsache, dass es auch anders aussehen kann? Kopfschüttelnd muss ich mich selbst zwingen mich zu fokussieren. Müdigkeit befeuert mein Gedankenkarussell ungemein. So sehr, dass ich mir selbst manchmal nicht folgen kann.

„Station Vier, Zimmer 451", sagt er schließlich nachdem er mit der Geschwindigkeit eines Faultiers irgendwelche Dinge in seinen aus der Steinzeit stammenden PC getippt hat. „Vielen herzlichen Dank", zische ich gar nicht mehr so höflich, wie noch vor wenigen Sekunden und rolle mit den Augen. Meine Güte, ich habe die meiste Zeit auch echt keine Lust auf die Arbeit aber ich kann doch nicht so patzig zu meinen Patienten sein. Die Senioren würden mich dermaßen in die Schranken weisen, ich wüsste nicht mehr wo vorne und hinten ist. Wrietz oder einer der anderen alten Stoffel würde mir vermutlich seinen Gehstock links und rechts um die Ohren hauen, sollte ich ihnen jemals so patzig und desinteressiert entgegnen.

Im Fahrstuhl angekommen drehe ich mich absichtlich nicht nach links, um den riesigen Spiegeln aus dem Weg zu gehen. Stattdessen ignoriere ich jeden Besucher oder Patienten der zu- und wieder aussteigt und zücke stattdessen mein Handy. »Bin in einer Stunde bei dir, muss noch was klären« tippe ich schnell und sende die Nachricht ab. Im selben Moment öffnet sich die Fahrstuhltür und ich stolpere in jemanden rein, als ich den Folterkasten verlassen will. Wo wir wieder beim Thema Glück wären – oder eher dem schnellen Kommen und Gehen dessen. Mit dampfenden Reifen scheint es davon gefahren zu sein, denn anders kann ich mir diesen absolut blöden Zufall nicht erklären.

„Ey, kannst du nicht-", der Fremde hält inne und ich bin versucht mich einfach stumm zu verkrümeln. Mein Plan wird jedoch durchkreuzt: „Tessa?" verwirrt sehe ich auf, als ich merke, dass mir die Stimme bekannt vorkommt. Mit einem Blick in sein verwundertes aber lächelndes Gesicht schießt nur eine Sache durch meinen Kopf: Wenigstens bin ich auf der richtigen Station. „Ich dachte schon, du hast uns vergessen", lacht er nervös. Nicht sicher, ob er es nicht doch auch ein bisschen ernst meint, stimme ich in sein nervöses Lachen ein und hoffe das Beste. Fahri spricht, als kennen wir uns schon Jahre, doch irgendwie stört es mich nicht im Geringsten. „Komm, ich bringe dich hin", sagt er schließlich. Dass ich in dieser sich ewig anfühlenden Minute nicht ein Wort von mir gegeben habe, scheint keine Rolle zu spielen. Was hätte ich auch sagen sollen? Sorry, dumm gelaufen aber witzige Geschichte; lustig, dass du's ansprichst aber jo. Klingt nicht wirklich nach einer guten Option. Auch, wenn es der Wahrheit entspräche. Auf die Nase muss ich das Nils bestem Freund trotzdem nicht binden.

Eine deutlich bessere Option fällt mir aber auch nicht ein, als ich Fahri stumm den Gang entlang folge. Kurz vor dem Ende des Flures hält er an. „Er hat zwar grade noch eine alte Schulfreundin zu Besuch aber er freut sich sicher riesig dich zu sehen", noch immer grinst Fahri breit. Bevor ich aber abwinken kann, hat er die Tür schon halb aufgerissen und das Erste, was Nils von mir zu hören bekommt ist mein: „Ach ne, dann geh ich-" „Jetzt schon?" fragt er und richtet sich ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu breit grinsend und ein bisschen zu euphorisch auf. Ein wenig erschrocken rutscht die junge Frau, die bis gerade eben noch an seiner Seite saß ans Bettende. Wie eine ‚alte Schulfreundin' sieht die Dame ganz sicher nicht aus. Dass Nils bei diesem penetranten Parfüm noch nicht schlecht geworden ist, wundert mich genau so.

„Sorry, ich wollte nicht...also ich wusste nicht", beginne ich peinlich zu stottern und merke, wie mein Gesicht langsam aber sicher die Farbe einer Tomate annimmt. Das leise aber leider doch hörbare Kichern dieser wahnsinnig schönen Frau macht es nicht besser. Sämtliche meiner Komplexe tanzen Samba und das ohne triftigen Grund. „Lass erstmal rein gehen", sagt Fahri und legt kurzerhand seinen Arm um meine Hüfte. Dass er mir so absolut keine Fluchtmöglichkeit liefert, war sicher alles andere als ein Versehen und dafür würde ich ihn wahnsinnig gerne boxen. Während dieses elfengleiche Wesen mit den langen, pechschwarzen Haaren, dem perfekt sitzenden Make Up und einem irgendwie edel aussehenden Jogginganzug schöne Augen in Richtung Nils wirft, stehe ich dort, sehe aus wie ein Massencrash auf der A4 und wünschte, ich wäre einfach direkt zu Felix gegangen. Ein einziger Blick in ihre Richtung reicht und mir geht sofort durch den Kopf, wie viele Kleidungsstücke ich beim Shoppingtrip mit meiner Mutter wieder zurück auf die Stange hätte hängen sollen. Apropos Mama. Vielleicht sollte ich eher diese Baustelle angehen, als mich hier mit Nils und seiner angeblichen Schulfreundin auseinander zu setzen. Ihr wäre das sicher auch wesentlich lieber. Wenn Blicke töten könnten, läge ich jetzt im Keller dieses Gebäudes und das in ganz, ganz vielen Einzelteilen. Rein optisch war das hier ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Ich bereute meine Entscheidung her zu kommen mit jeder Sekunde mehr.

Das Gespräch mit Regina hat mir jedoch vor Augen geführt, dass ich noch eine ganze Menge mehr Scheiße verzapft habe, als nur der Streit mit meiner Mutter. So, wie Malte und ich Nils haben stehen lassen, ist es ein Weltwunder gigantischen Ausmaßes, dass er mich nicht schon in hohem Bogen rausgeschmissen hat. Und somit ist auch irgendwie klar, dass ich mich eben nicht um die Baustelle ‚Mutter' kümmern konnte. Denn diese war einfach verschwunden, hatte mir nur einen beschissenen Brief dagelassen und mich ratloser zurück gelassen, als ich es ohnehin schon bin. Immer und immer wieder spielten sich einzelne Zeilen in meinem Unterbewusstsein ab und es fiel mir wahnsinnig schwer es zu verdrängen. Aber ich musste. Wenn ich hier nicht eine Baustelle nach der anderen anging, dann würde ich gnadenlos untergehen. Eine Option, die ich mir nur für äußerste Notfälle offenhalte.

Warum Nils mich allerdings nicht herausgeschmissen hat, erklärt sich aber schon in den nächsten dreißig Sekunden. Dieser Mann hat einen absoluten Dachschaden, er hat nicht mehr alle Latten am Zaun, die Schrauben locker – alles zusammen!

„So, wolltest du noch irgendwas oder war's das?" fragt er dieses Modelgleiche Mädchen vor seiner Nase in solch einem süßlich geheuchelten Ton, dass nicht nur mir die Spucke wegbleibt. „Bitte?" fragt sie empört und es ärgert mich wahnsinnig, dass nicht mal ihre Stimme einen kleinen Makel aufweist. Klänge sie wie eine winzige Maus oder ein polnischer Truckfahrer wäre es deutlich einfacher für mich und meine Unsicherheiten gewesen. Irgendeine offensichtliche Schwäche hätte mich da wirklich gefreut. „Naja, Tessa und ich haben da noch was zu besprechen und, wenn du nichts mehr hast, dann..." Das Ende seines Satzes bleibt unausgesprochen. Alle Anwesenden wissen, er schmeißt sie gerade raus. Und ich frage mich wirklich wer ihm derart das Hirn vernebelt hat. Sein Kopf hat doch bei dem Unfall gar nichts abbekommen oder habe ich da etwas nicht mitbekommen?

„Allet klar, komm", sofort springt Fahri auf und hackt sich bei der jungen Frau unter. Dass sie nicht rücklinks vom Bett segelt ist ein wahres Kunststück.

Irgendetwas zischt sie noch, doch ich verstehe sie nicht richtig. Und so stehe ich prompt, immer noch wie bestellt und nicht abgeholt in Nils' Zimmer und weiß schon gar nicht mehr, was ich eigentlich hier wollte. Die Aktion ging viel zu schnell und ich wünsche Fahri die Pest an den Hals. Natürlich nicht offen heraus, dass würde mir Nils wohl noch weniger verzeihen als die Tatsache, dass ich hin hier in diesem Krankenhaus abgeliefert und eiskalt vergessen habe.
Erst, als ich Nils leise lachen höre, bemerke ich, dass ich die ganze Zeit wie angewurzelt dort gestanden und die Tür angestarrt habe. Meiner Nervosität oder der knalligen Farbe in meinem Gesicht, hilft das leider überhaupt nicht.

„Willst du eigentlich die ganze Zeit dort rumstehen oder setzt du dich?" fragt er schließlich und rutscht wie selbstverständlich, wenn auch recht umständlich, an den Rand des Bettes und klopft auf den Platz, auf dem eben noch diese wunderschöne Frau gesessen hat. Unsicher spiele ich mit meinem Armband und sehe, ohne es bewusst zu merken, zwischen der Tür und dem Bett hin und her. „Das eben war nur eine gute Freundin. Sie arbeitet mit Fahri im Tattoostudio." Warum ich so erleichtert ausatme, wie ich es tue, kann ich mir selbst nicht erklären. Schließlich kann sich eine ‚gute Freundin' auch schnell in etwas anderes verwandeln, das habe ich oft genug miterlebt – nicht, dass mich das irgendetwas angehen würde. Nils kann schließlich tun und lassen, was und mit wem er möchte. Aber meine Komplexe und ich sind irgendwie froh über diese Auskunft.

„Höre mal, Nils, es tut mir wirklich Leid, wie Malte dich heute angegangen ist", sage ich deshalb, ignoriere Nils' seltsamen Blick, nach meiner offensichtlichen Erleichterung und lenke vom Thema ab. Ich muss loswerden, was ich schon viel früher hätte sagen sollen. „Wir hatten eine ganze Menge Stress in letzter Zeit und es tut mir wirklich, ehrlich Leid, dass ich dich nicht früher besucht habe." „Schätze das bedeutet, du bist auch jetzt nicht wegen mir hier, oder?" Zieht er da gerade eine Schnute? Der Blick in seinen Augen bricht mir beinahe das Herz, bevor ich jedoch etwas erwidern kann, was vermutlich eh nur eine Notlüge gewesen wäre, beginnt er zu lachen. „Wärst du nicht eh schon grün und blau, würde ich dir eine knallen", antworte ich erleichtert, kann es mir aber nicht verkneifen in sein ansteckendes Lachen einzusteigen.

Diese lockere Stimmung tut gut. Gerade nach den letzten zwei Tagen ist es Balsam für die Seele. Somit ist es auch wirklich kein großes Wunder, dass mich die Müdigkeit jetzt erst richtig einholt. Zum ersten Mal seit über 48 Stunden fühle ich die Schwere dieser Zeit in den Knochen. Ich gähne und bringe Nils damit zum lächeln.

„Was hältst du davon, wenn wir einen Film schauen? Die haben tatsächlich recht guten Empfang hier in der Bude", findet er und zwinkert mir zu. Es ist mir völlig egal, also nicke ich stumm und lasse mich darauf ein, dass er wieder ein Stück beiseite rückt und mich wieder einlädt mich neben ihn zu setzen. Alles ist besser, als zu reden.

Dieses Mal nehme ich die Einladung nur zu gerne an, streife mir die Schuhe von den Füßen und setze mich neben ihn. Oder zumindest habe ich es vor. Bis mich seine überraschend schrille Stimme erschreckt: „Oh Shit, fuck, au, warte." Keine Sekunde ist mein Allerwertester auf seinem Bett und schon verkacke ich. Wir haben nicht aufgepasst und ich habe mich elegant auf seinen Infusionsschlauch fallen lassen. Zum Glück hält der Zugang in seinem Handrücken. „Sorry, das war ne blöde Idee." Ich will mich schnell verkrümeln, doch Nils ist schneller. „Nicht bewegen", spricht er. Er will witzig sein, locker und easy klingen. Diese Info ist nur leider nicht an seinem leicht schmerzverzerrten Gesicht angekommen. „Shit", zische ich leise, vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und schließe die Augen. Vielleicht träume ich den ganzen Zirkus hier ja auch einfach, wer wusste das schon? Ich, denn es ist kein Traum.

Vorsichtig lehnt Nils über mir, zieht den Schlauch unter meinem Rücken hervor und stupst mir kurze Zeit später auf die Nase. „Mach die Augen wieder auf, Operation geglückt", flachst er und der Schmerz ist aus seiner Mimik verschwunden. Mir ist das immer noch peinlich und so lasse ich mich weiter nach unten sinken. „Tut mir Leid", flüstere ich leise und lasse zu, dass er mir die durch mein hin und her rutschen zerzausten Haare aus dem Gesicht streicht. „Halb so wild." Seine Stimme ist ruhig und ich weiß nicht wieso aber ich fühle mich schrecklich wohl in genau dieser Sekunde. Es ist ein komisches Gefühl. Allen voran macht es aber auch keinen Sinn, es muss an meiner Müdigkeit liegen. Genau wie der Kloß, der sich in meinem Hals bildet, sobald ich einen Funken zu lange in diese warmen Augen schaue. Ich bin so müde, ich habe vergessen etwas zu trinken, das muss es sein.

Peinlich berührt räuspere ich mich also und richte mich auf. Bedacht darauf ihm nicht wieder die wichtigen Vitamine –oder was auch immer man ihm da durch die Venen jagt – zu entreißen. Beinahe knallen unsere Köpfe aneinander. „Sorry ich-" will ich anfangen und merke schon wieder, wie mir die Hitze zu Kopf steigt.

„Okay. Du musst dich entspannen", lacht er leise und ohne, dass ich es wirklich realisiere liege ich mit meinem Kopf auf seinem unverletzten Arm, mein Kopf wird gestreichelt und ich sehe auf den Laptopbildschirm auf seinem Schoss. Weiß der Geier, wo er den so schnell her hat. Doch wirklich lange zerbreche ich mir darüber nicht den Kopf. Stattdessen schaue ich ein zweites Mal auf den Bildschirm und beginne ungläubig den Kopf zu schütteln und mir auf die Unterlippe zu beißen. Laut los lachen kommt bestimmt nicht gut an. „Im Ernst? Fast and Furious?"

„Hey, der Film ist super", höre ich ihn schmollend protestieren. „Na dann, überzeuge mich vom Gegenteil", sage ich entschlossen nach kurzer Diskussion über den Sinn dieser elendig langen Filmreihe. Vielleicht sollte Nils nicht vergessen, wieso er überhaupt gerade hier liegt. Den Sinn hinter Autorennen werde ich einfach nicht verstehen und so ist es kein Wunder, dass mir nach nicht einmal einer halben Stunde immer wieder die Augen zu fallen. Bei jedem blinzeln überrasche ich mich quasi selbst, wenn ich feststelle, dass ich noch wach bin.

Überraschend ist eher, zu was ich letztendlich einschlafe. Leise flüstert Nils: „Ich habe mir unser erstes Date eigentlich anders vorgestellt." Ganz, ganz zart streichelt er mir über den Oberarm und so absurd sich diese Situation anfühlt, mindestens genau so schön ist es auch. Ich atme tief ein, nehme seinen Duft auf und lasse meine Augen schließlich zufallen. Wenn ich meinen Kopf für einen Moment abschalte und alles ausblende, was ich gelesen habe, was in Filmen passiert, was man mir anderweitig weiß machen wollte, dann ist es doch eigentlich ganz schön. Einfach nur Stille, einfach nur Ruhe und kein Karussell.

Es ist eine Mischung, eine Kombination aus einem unsanftem Ruckeln, einem Vibrieren und den Klängen einer Schießerei, die mich schließlich aufwecken.

Wo, was, wie, wer – ich bin schrecklich desorientiert und brauche einen Moment, bis ich mich nicht mehr fühle, als sei ich überfahren worden. Mein Gesicht liegt nicht mehr an Nils' Brust sondern in einem Kissen. Er ist nicht mehr dicht neben mir, sondern mit verschränktem Armen gefühlte Kilometer entfernt. Was ist passiert? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich habe doch nur geschlafen, das muss doch selbst ich fehlerfrei über die Bühne bringen können.

Erst das erneute Vibrieren gibt mir den notwendigen Wachrüttler. Oder viel mehr das, was ich auf dem Sperrbildschirm lesen kann. Eine beachtliche Reihe von Nachrichten und verpassten Anrufen erstreckt sich über meinen gesamten Handybildschirm. Alle von Felix.
»Okay. « »Hast du dich verlaufen? «»Ach komm schon, so schwer ist es auch nicht. « »Zimmer 424. « »Thea? « »Ey ich will echt nicht stressen... «»Aber du bist schon 2h drüber mein Herzblatt.« »Komm schon, dein Schatzi macht sich Sorgen <3.« »Ok sorry, musste sein.« »Aber mal ehrlich, zwinge mich nicht dich zu suchen. « »Als guter Freund macht man sich da schon mal so seine Gedanken.« »Schließlich haben wir ja Erfahrung mit dem Thema, nicht wahr?«

Ich weiß beim besten Willen nicht wieso, doch ich habe das dringende Bedürfnis mich Nils gegenüber zu rechtfertigen. „Nils, ich-" „Alles gut, keinen Stress. Aber vielleicht solltest du dich mal los machen." Den Ton in seiner Stimme kann ich nun wirklich weder einordnen, noch leiden. Was sollte das denn bitte? Es ist eine Mischung aus Trotz und – nein es ist nur Trotz, mit dem ich ihm entgegne: „Stimmt. Schwiegerpaps ist bestimmt auch schon da."

Mit dem letzten Rest Würde, was ich mir noch einbilden kann, sammle ich meine sieben Sachen und verschwinde. Was stimmt denn eigentlich mit mir nicht? Wir haben überhaupt nichts gemacht, was seine Reaktion rechtfertigt. Meine leider auch nicht, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Wütend schnaube ich einmal durch, ziehe mir auf dem Flur meine Schuhe wieder an und lasse mich für einen Moment an der Wand hinab gleiten. Ohne mich um irgendwelche Nachrichten zu kümmern, die er mir zuvor geschrieben hat, tippe ich einfach ein schnelles 'Komme' und raufe mir danach die Haare. Wie groß ist wohl die Chance, dass ich mir dermaßen das Licht ausschießen kann, dass meine Wenigkeit und jeder Beteiligte dieses Wochenende einfach vergessen? Nicht sehr groß, nehme ich an.

Die Beine an den Brustkorb gezogen sitze ich auf dem Boden, meine Stirn liegt auf meinen Knien und ich schließe meine Augen. Die Dunkelheit hat etwas Beruhigendes, also lasse ich die letzten Momente Revue passieren. Ich mag vielleicht kein Vollprofi in Sachen Beziehungen sein, meine Wahrnehmung ist vielleicht ein bisschen verkehrt und meine Menschenkenntnis lässt in letzter Zeit nun wirklich zu wünschen übrig, aber, wenn ich nicht völlig daneben liege, dann haben wir einen Film geschaut. Nicht mehr und nicht weniger. Habe ich mich wohl gefühlt? Sicher. Habe ich die Umarmung genossen? Natürlich. Aber wieso zum Teufel macht er da ein Drama raus? Oder liegt das Problem vielleicht doch eher an mir, reagiere ich über?

Wieder vibriert mein Handy. Himmel nochmal, wie ungeduldig konnte man bitte sein.

Statt wie ein normaler, gut erzogener Mensch anzuklopfen, abzuwarten bis ich herein gebeten werde und Felix ordentlich zu begrüßen, reiße ich sauer Zimmertür Nummer 424 auf und poltere direkt los. „Alter ihr Kerle macht mich fertig, ich checke hier überhaupt nichts mehr."

„Thea, Hey. Grüß dich. Schön, dass du's einrichten konntest. Darf ich vorstellen, Papa Wagner."

Ach fuck ey.

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