Kapitel 33 ↬ Auf allen Vieren
Ich laufe gänzlich auf Autopilot. Anders kann man meinen Zustand nicht mehr beschreiben und vielleicht erklärt es auch, dass ich am Ende gar keine Ahnung mehr habe, wie und wann ich überhaupt nach Hause gekommen bin. Aber ich habe es geschafft und das ist auch alles, was zählt, schließlich grenzt das in meinem Zustand an ein reines Weltwunder.
Meine Mutter sieht das allerdings ein klein wenig anders, das muss ich kurze Zeit später feststellen.
Möglichst leise versuche ich meine Zimmertür aufzuschließen und streife mir die Schuhe von den Füßen. Sobald ich mir Zugang zu meinem Zimmer verschaffe, begrüßt mich der Duft von heißem Kaffee, auf dem Tisch liegt ein Teller mit zwei Croissants, ich sehe Brezeln, Butter, Konfitüre und sogar Nutella. Das volle Programm erwartet mich und mein Herz geht auf. „Oh Gott, wie geil", flüstere ich leise zu mir selbst und schnappe mir eins der Plunderhörnchen. „Finger weg, junge Dame!" Die Stimme meiner Mutter jagt mir dermaßen einen Schrecken ein, das Hörnchen fällt mir einmal angebissen aus dem Mund und ich verschlucke mich an dem Stückchen Gebäck.
„Meine Güte, musst du mich so erschrecken?" Ich lache über meine eigene Dummheit. Solange, bis ich mich umdrehe. Mit diesen Augen macht sie Medusa Konkurrenz und ich bin mir sicher, aus der Sache komm ich nicht mehr raus.
„Hinsetzen!" Ist alles was sie sagt und allerspätestens jetzt geht mir der Arsch auf Grundeis. Den Dirigententon habe ich lange nicht mehr zu hören bekommen. Bedröppelt folge ich schweigend ihrer Anweisung und lasse mich aufs Bett fallen. Mit meinem Armband spielend, schaue ich auf meine Füße. In ihre Augen zu schauen traue ich mich nicht mehr. Dass sie mit verschränkten Armen auf mich herabsieht, weiß ich auch so, dafür muss ich nicht aufhören mit dem abgenutzten Leder, welches sich mittlerweile dreimal um mein Handgelenk wickeln lässt, zu spielen.
„Kannst du mir mal erklären, wo du so spät herkommst, Fräulein? Kaum bist du mit diesem Vollidioten unterwegs, baust du nur Mist. Hast du dein Hirn hier daheim vergessen oder was?" Wow, sie gibt zu, dass ich eins habe, ist mein erster Gedanke. Ihn auszusprechen, würde ich nie wagen, doch es kostet eine ganze Menge an Selbstkontrolle, dass ich nicht lache. Für ein minimales Zucken meines linken Mundwinkels reicht die Kraft leider nicht mehr aus.
„Sag mal, lachst du mich aus? Ich möchte wirklich mal wissen, was daran so lustig ist, dass ich hier sitze und mir ausmale, was die alles mit dir anstellen. Dir hätte sonst was passieren können, Theresa!" Ihre Stimme wird von Wort zu Wort lauter und je schriller sie wird, umso schneller wird mein Puls. Es brodelt in mir, dass merke ich und auch, wenn ich genau weiß, es ist keine gute Idee, kann ich einfach nicht Klappe halten. Mir steht es Oberkante-Unterlippe. „Ach, du hast dir Sorgen gemacht, ist das so?" Nun bin ich diejenige, die mit verschränkten Armen da sitzt und die Augen verdreht.
„Natürlich, das ist eine große Stadt, was wäre denn gewesen, wenn dich dieser Kerl in irgendeinen Park gezerrt hätte?" Besorgt will sie mir eine lose Strähne hinters Ohr streichen, doch ich sehe ohnehin aus, wie der letzte Penner. Da ist meine Frisur nun wirklich mein geringstes Problem. Ich zucke jedoch weg und stehe auf, um mir dieses blöde Croissant zurück zu holen, mir kracht der Magen. Wenn ich mich jetzt nicht ablenke, werde ich etwas sagen, was ich auf jeden Fall bereuen werde. „Theresa, ich möchte nicht, dass du weiter Zeit mit diesem Typen verbringst. Konzentriere dich einfach auf deine Arbeit solange du noch hier bist. Er ist kein guter Umgang für dich."
Okay, fuck it. Das war der letzte Tropfen, sie kann mich mal. „Ist das gerade dein Ernst?" fahre ich sie an und werfe wütend das beschissene Croissant zurück auf den Teller. „Ja, das ist mein Ernst. Wir verbieten dir den Umgang mit so einem Typen."
Mein Herz klopft mir nun endgültig bis zum Hals und ich muss mich zwingen kontrolliert zu atmen. „Willst du mich hier eigentlich komplett verarschen?" Erschrocken sieht Mama mich an, doch es ist mir absolut egal. „Zuerst mal: Wir? Dass ich nicht lache. Was kümmert es Papa denn bitte, was ich hier mit wem treibe? Euch interessiert es nicht die Bohne, dass ihr mich in diese ach so große fremde Stadt schickt, ohne mir überhaupt erstmal zu sagen, was ich hier eigentlich soll. Es ist euch scheiß egal, ich soll hier alleine klarkommen. Dann finde ich Freunde, gehe mit ihnen feiern und du schiebst mir hier so eine Szene? Willst du mich komplett verarschen? Daheim hat es dich doch auch nicht gejuckt, wenn ich mit Lotte unterwegs war und das obwohl du weißt, wie schnell sie sich auf irgendwelche Typen eingelassen hat." Nun bin ich diejenige, die von Wort zu Wort lauter und mein gegenüber immer ruhiger wird. Die Sache mit Lotte ist vielleicht nicht unbedingt das beste Argument, doch es entspricht der Wahrheit. Niemand fand so schnell eine Mitfahrgelegenheit wie meine beste Freundin. Als Mama und Heike sich mal dermaßen am Kirmesschnaps betranken, durfte sie Lottes magische Fähigkeiten am eigenen Laib erfahren. Doch diese Anekdote trägt eigentlich nichts zu diesem Streit bei.
Eine Sache brennt mir allerdings noch auf der Zunge, ich werde es nicht auf mir sitzen lassen. „Du kannst mir nicht verbieten, mit wem ich hier auf welche Art meine Zeit verbringe ok? Ich bin ja wohl alt genug, um das selbst zu entscheiden." Zu gerne würde ich ihr vermutliches Kopfkino noch eine Spur verschärfen, doch Aussagen in Richtung ‚Und wenn er mich in einem dreckigen Park bumst' sollte ich vor meiner Mutter dann doch lieber bleiben lassen. So viel Selbstbeherrschung kann ich gerade noch aufbringen.
Aufgebracht rauft sie sich die langen Haare, sie tritt von einem Fuß auf den anderen und weiß eindeutig nicht, wohin mit sich selbst. Jetzt weiß ich auch, von wem ich das habe.
„Du kannst dir nicht von so einem dein Leben ruinieren lassen. Wer weiß, in was der dich reinzieht", unternimmt sie einen letzten Versuch von – was auch immer, das hier werden soll. Es ist der wirklich aller letzte Tropfen, der das Fass nun wirklich endgültig zum Überlaufen bringt. „Davon hast du ja die meiste Ahnung", kontere ich. Wohlwissend, dass mein Bruder alles ist, aber kein Ruin.
In diesem Moment ist mir alles absolut gleichgültig. Dass ich noch immer Neles Klamotten trage, scheint ihr nicht mal aufzufallen. Wütend schnappe ich mir meine Tasche, greife nach den Schuhen am Boden und verdufte wieder. Diesen Mist muss und will ich mir auch nicht geben. In mir kocht und brodelt alles, doch bevor ich den Gedanken ausspreche, der mir seit Beginn im Kopf herumschwirrt, verpisse ich mich lieber. Nur, weil sie damals nicht stark genug war, um meinem Vater zu widersprechen und sich hat schwängern lassen, heißt es nicht, dass ich denselben Fehler machen würde. Mal abgesehen davon, dass ich meilenweit von Felix' Beuteschema entfernt bin, würde mir im Traum nicht einfallen mich diesem Proll an den Hals zu werfen. Die Tatsache, dass meiner Mutter anscheinend genau diese Szenarien im Kopf umhergeistern, lassen mir die Galle aufsteigen. Ekelhaft.
Die Tür knallt ins Schloss und ich zwinge mich, nicht zu schreien. Tief durchzuatmen, entspannt mich aber auch keines Wegs. Was allerdings am wenigsten hilft, ist das leise Kichern, dass ich aus Richtung des Gemeinschaftsbades vernehme. Triumphierend lacht sich Luca ins Fäustchen. Nur bekleidet durch ein weißes Badetuch, ihre Klamotten zusammen geknüllt in der Hand steht sie dort und freut sich. Mir wird sofort schlecht. „Na, Ärger im Paradies?" fragt sie grinsend. „Halt's Maul, bevor ich dich dazu zwinge", keife ich zurück. „Theresa?!" höre ich meine Mutter auf einmal hinter mir. Ich habe nicht einmal mitbekommen, wie sie die Tür geöffnet hat. Klasse.
„Genau, Theresa. So redet man doch nicht mit Vorgesetzten", kommt es auf einmal aus dem Mund, dieser blöden Ziege. Gleich vergesse ich mich. „Vorgesetzten? Dass ich nicht lache." „Also wirklich, Theresa. So haben wir dich nicht erzogen! Dieser Einfluss hier ist nicht gut für dich. Ich frage mich wirklich, ob das so eine gute Idee war"- „Das du hier auftauchst? Ja, das frage ich mich auch und weißt du was? Ich habe die Antwort." Mitten im Sprechen merke ich, dass das, was gleich meinen Mund verlassen wird, alles ist, aber keine kluge Entscheidung. Ich stoppe aber nicht, sondern lasse zum ersten Mal in meinem Leben meinen Dampf ab. „Das war eine richtige Scheißidee. Ich bin alt genug und brauche hier keinen Aufpasser. Also kannst du ruhig wieder deine Taschen packen, ich komme hier prima alleine klar."
Eine Chance irgendetwas darauf zu erwidern gebe ich keinem der beidem. Stattdessen mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe die Treppen runter nach draußen. Erst dort schnaube ich durch, hoffend, dass sich das Verlangen jemandem die Fresse einzutreten, schnellstmöglich wieder legt. Einfach drauf los schreien kommt in der Stadt nicht sonderlich gut, ich habe hier auf die Schnelle keinen Wald in den ich mich verziehen kann und auch sonst keines meiner üblichen Ventile. Drogen oder Alkohol sind für maximal eine Sekunde attraktiv und somit bleibt mir nur der Gang in mein neues Lieblingscafé. Viel Geld habe ich nicht mehr einstecken aber es reicht, um mir einen großen Latte Macchiato mit etwas Zimt-Zucker zu besorgen und mich im Späti um die Ecke zum tausendsten Mal mit Zigaretten und einem Feuerzeug einzudecken. So oft, wie ich den Kram verlege, sollte ich vielleicht darüber nachdenken, aufzuhören, doch der erste Zug tut so wahnsinnig gut. Das Brennen in meiner Lunge und das Verlangen kräftig zu husten ignoriere ich gekonnt.
Was fällt dieser Hure eigentlich ein, sich einzumischen? Und wie kann meine Mutter mich bis auf die Knochen vor ihr blamieren? Was zur Hölle, hat Felix ihr eigentlich getan? Der Monolog in meinem Hirn besteht zu 100 Prozent aus Fragen, die ich mir zu 99 Prozent beantworten kann. Warum meine Mutter Felix nicht leiden kann? Weil er Luca ans Bett gebunden und vergessen hat. Warum sie mich blamieren muss? Weil es meine Mutter ist. Warum Luca sich einmischt? Weil sie eine Fotze ist.
Was ich mir nicht beantworten kann? Wie komme ich aus dem Streit wieder raus, ohne mich zu entschuldigen? Ich bin im Recht, ganz eindeutig. Hätte ich andere Worte wählen müssen? Absolut. Würde es etwas bringen, wenn ich Mama Felix erkläre? Wohl kaum. Ob ihn überhaupt erklären kann? Nein. Ihr gegenüber zu erzählen, dass ich mich mitten in der Nacht am Ku'damm herumtrieb und mich um Verletzte eines illegalen Autorennens kümmerte, war genau so sinnvoll wie Staubfegen in der Sahara. Oder so sinnvoll wie dieser Vergleich. Diese ganze Situation ist richtig, richtig große Kacke. Abwesend kicke ich einen kleinen Stein vor mir her. Dass ich schon zwei Mal ziellos um den Block gelaufen bin, fällt mir erst auf, als ich eine mir bekannte Stimme vernehme. „Ey, das tut weh", beschwert sie sich. Das Grinsen ist deutlich herauszuhören und es gibt nichts, was mir in diesem Moment lieber wäre. „Was machst du denn hier?" frage ich, obwohl ich ihre Antwort schon kenne. „Operation Alcatraz", antwortet sie, noch immer schmunzelnd. Dass sie, wenn sie könnte, am liebsten abhauen würde, ist längst kein Geheimnis. Stumm nicke ich daher in die Richtung einer kleinen Bank am Straßenrand und eben so still stimmt Regina mir zu.
Erleichtert ausatmend lässt sich die alte Frau neben mich fallen, verschränkt zufrieden die Arme vor der Brust und lässt ihren Kopf in den Nacken fallen. Vereinzelte Sonnenstrahlen scheinen ihr ins Gesicht und sie wirkt einfach zufrieden. Ein Gesichtsausdruck, den man an ihr auch nicht täglich sieht. Sofort beruhigt es mich und ich kopiere ihre Pose.
Wie lange wir tatsächlich einfach so neben einander sitzen, kann ich gar nicht sagen, doch es ist mein Handy, dass uns aus der Ruhe bringt. Einige Male vibriert es und auch, wenn ich versuche, es zu ignorieren, es klappt nicht. Was, wenn etwas ist frage ich mich direkt und krame es doch aus der Hosentasche. Ich hätte dieses blöde Teil einfach aus lassen sollen. Verwirrt sehe ich auf das Display. Felix. »Alter« »Sei froh, dass du heim bist« »Wäre sonst hart unangenehm geworden« »Puh«
Wirklich verstehen tue ich nicht, was er mir hier geschrieben hat und doch muss ich grinsen. »Hätte das nicht in eine Nachricht gepasst?« tippe ich und noch währenddessen bekomme ich eine weitere Nachricht: »Papa lässt mich hier tausende Fragen zu „meiner neuen Freundin" beantworten. Wusste gar nicht, dass wir zusammen sind :D«
Meine Nachricht schicke ich nicht mehr ab, dafür überrumpelt mich seine letzte dann doch zu sehr. Sein ‚Puh' trifft dann wohl den Nagel auf den Kopf. Demnach ist alles, was ich antworte ein einfacher Lachsmiley. Der Idiot soll sich ausruhen und ich sollte eigentlich auch endlich mal schlafen. Da passt es mir nicht wirklich in den Kram, dass ich mir Gedanken um den Vogel machen muss. Vermutlich sprechen einfach nur die Narkosemittel aus ihm.
Den Grad meiner Erschöpfung kann ich schon gar nicht mehr definieren. Es wundert mich, dass ich nach all der Scheiße nicht schon längst auf dem Boden liege.
Gerade hätte ich jedoch wirklich große Lust mich einfach mit etwas chinesischem Take-a-way oder einer simplen Fünf-Minuten-Terrine vor irgendeinem Film zu parken, statt die verdienten drei Tage durch zu schlafen. Vielleicht ein bisschen Captain Jack Sparrow, ein wenig Harry Potter, ja von mir aus sogar einen elendig langen Schinken, wie Titanic. Hauptsache abschalten. Das wäre es jetzt. Doch dafür bräuchte ich Geld für Essen. Und mein Bett. Und mein Zimmer. Da ich nichts dergleichen (mehr) habe, muss ich mich mit dem letzten Rest meines Getränks und der Bank gegenüber des Cafés zufriedengeben. Und mit Regina.
„Willst du mir jetzt endlich erzählen, was du hier machst?" fragt die alte Frau schließlich in ungewohnt ungeduldigem Ton und holt mich aus den Gedanken. Ihre Hand legt sich sanft auf meinen Oberschenkel, zwei, drei Mal klopft sie darauf, wie es nur eine liebe Omi tut. Eine Wunderwaffe. Seltsame Situation irgendwie, schließlich ist sie strenggenommen eine fremde Frau und trotzdem habe ich das Bedürfnis, ihr mein Herz auszuschütten. Eine Umarmung wäre jetzt auch nicht verkehrt. „Hab mich mit Mama gestritten", ist entgegen des Gefühls in meiner Brust das einzige, was über meine Lippen kommt. Noch im Sprechen fällt mir nämlich auf: Um den Grund des Streits zu erklären, müsste ich Felix metaphorisch gesehen ins offene Messer werfen.
„Freust du dich nicht, dass sie extra hergekommen ist?" lautet Reginas eigentlich unschuldige Gegenfrage, die meinen Puls wieder in die Höhe schießen lässt. „Na sicher freue ich mich", der Sarkasmus trieft schon jetzt „wirklich, ich find's klasse, dass sie extra herkommt. Ohne Ankündigung. Und vor allem: Sie müsste mir gar keine Überraschungsbesuche abstatten, wenn sie mich nicht hier her abgeschoben hätten, weißt du, das-" „Ist eine super Sache, weil wir dich sonst nicht hätten", fällt mir Regina ins Wort. Ihre Stimme klingt ernst aber lieb. Ehrlich und herzlich.
Augenblicklich bin ich ruhig. Mit großen, vielleicht ein kleinwenig feuchten Augen starre ich sie an. „Ehrlich?" Ungläubig klappt mir die Kinnladen ein bisschen nach unten. „Klar!" Breit lächelt mich die tolle Frau an, bevor sie zwinkert und hinzufügt: „Dein Chaos bringt endlich mal wieder Schwung in die Bude! Was würden wir ohne dein loses Mundwerk Felix gegenüber machen?" Vielleicht sind ‚loses Mundwerk' genau die Stichworte, die ich gebraucht habe, damit sich mein schlechtes Gewissen endlich meldet. Doch egal, was es letztendlich ist, das Lachen vergeht mir.
Es braucht einen kleinen Stupser gegen den Oberarm, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Apropos. Was hat der kleine Prinz denn? Männerschnupfen? Im Heim sagen sie, er kommt erstmal nicht. Oder hast du dir seine Position schon erschlichen?" Gute Frage. Tja, was hat der kleine Prinz denn? Dass er sich für mich geprügelt hat, kann ich Regina schlecht erzählen, sonst kommt sie noch auf ganz falsche Gedanken und gründet wohlmöglich noch einen Fan Club mit Felix' Vater. Also sage ich das erste, was mir beim panischen durch die Gegend schauen einfällt. „Fahrradunfall."
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern sieht sie mich an, die Augenbrauen ungläubig in die Höhe gezogen und mit einem Mundwinkel schmunzelnd: „Also ich kann mir ja einiges vorstellen und habe in meinen tausend Jahren hier auf dieser Welt schon vieles gesehen. Aber unseren kleinen Muhammad Ali auf einem Fahrrad? Veräppeln kann ich mich alleine, Kindchen." Es ist offiziell. Ich liebe diese Frau. Und so ist es mir absolut schnuppe. Alles ist mir so unendlich egal. Deshalb schütte ich Regina wortwörtlich mein Herz aus und erzähle ihr alles, was in den letzten 48 Stunden passiert ist. Nur die Alila-Geschichte lasse ich außen vor. Nicht etwa, weil ich ihm nicht glaube oder, weil das alles für meinen behüteten Allerwertesten immer noch wie ein mieser Krimi klingt, nein. Ich erzähle Regina nicht von Alila, weil ich das Gefühl habe, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Felix mir von seinem wohl traumatischsten Erlebnis erzählt hat. Es fühlt sich an, als sei ich nun Teil einer kleinen, geheimen Gruppe und auch, wenn es bescheuert ist, so zu denken, ich würde einen Teufel tun und Alilas Namen in den Mund nehmen. Von dem miesen, fiesen, kleinen Teufelchen, dass sich mit einer bösen Vorahnung in mein Unterbewusstsein geschlichen hat, ganz zu schweigen. Niemals würde ich Regina gegenüber erwähnen, dass mich das leise Gefühl beschlich, dass diese Alila Sache noch um einiges weiter ging, als er mir erzählt hatte. Irgendetwas sagte mir, da ist noch was. Weil ich selbst aber nicht wahr haben will, was mir durch den Kopf geistert, werde ich das tun, was ich am besten kann: Verdrängen.
Wie lange ich letztendlich mit Regina dasitze, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Was ich am Ende dieses Gesprächs aber weiß: Ich war eine absolute Ziege und muss mich dringend entschuldigen.
„Danke dir, meine Liebe", sage ich ehrlich und helfe der alten Frau auf die Beine. Dass sie noch immer mit ihrem Oberschenkelhalsbruch zu kämpfen hat, tut mir selbst wahnsinnig weh. Mein schlechtes Gewissen ist überdimensional groß, egal, wie oft sie mir schon versichern wollte, es sei alles in Ordnung. „Lass dich mal drücken, du kleiner Terrorzwerg", schmunzelt sie und zieht mich kurz in eine Umarmung. Dass die Bewohner mir so schnell ans Herz wachsen würden, hätte ich in diesem Leben nicht mehr für möglich gehalten und zum ersten Mal seit einer verdammt langen Zeit schleicht sich ein Gedanke in mein Unterbewusstsein, der mir so noch gar nicht bewusst geworden ist: Irgendwann ist die Zeit hier vorbei und ich werde nach Hause gehen müssen.
„So und jetzt mach dich ab, krieche auf allen Vieren zu ihr sag ihr, dass du sie lieb hast." Lauten Reginas Abschiedsworte, bevor sie sich zurück in den Eichhof schleicht.
Kurz schaue ich ihr von der anderen Straßenseite zu bis sie sicher im Heim verschwindet, bevor ich selbst die Stufen nach oben laufe. Lucas Stimme ist die erste, die ich wahrnehme. Es treibt meinen Kotzreiz in die Höhe, doch ich lausche trotzdem ein bisschen. »Ey, als ob das meine Schuld ist...jetzt komm halt mal runter, so wild ist das nun wirklich nicht...ich kriege das schon hin« Was auch immer es ist, ich hoffe sie kriegt es nicht hin.
Statt mich aber weiter mit Lucas was auch immer auseinander zu setzen, muss ich den letzten Rest meines Mutes zusammenkratzen und zu Kreuze kriechen.
Gerade, als sich meine schweißnasse Hand um den Türgriff legt, vibriert mein Handy. Natürlich muss ich als Prokrastinations-Queen einen Blick darauf werfen.
»Ich brauche deine Hilfe bitte«
Dass ich nicht ganz selbstlos direkt darauf reagiere und auf dem Absatz kehrt mache, erklärt sich von selbst. Regina hat Recht, ich werde mich entschuldigen müssen. Doch ein kühleres Gemüt meiner Mutter, wäre von Vorteil. Außerdem hat er Bitte gesagt und wann kommt das schon mal vor?
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Meine Lieben, ich krieche hier grade aus meiner Versenkung und schaue ganz vorsichtig mal um die Ecke. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass von mir mal etwas kam und das tut mir unendlich leid, ehrlich! Diese Geschichte hier liegt mir am Herzen und das sehr. Ohne Stahlblau hätte ich einige Menschen nicht kennengelernt, die mir sehr viel bedeuten und die ich nicht mehr missen möchte.
Dass die Überarbeitung so lange gedauert hat, damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe eindeutig unterschätzt, wie viel ich hier bisher geschrieben habe und wie komisch es ist, seinen eigenen Kram zu lesen :D
Aber nun gut, lange Rede kurzer Sinn: Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen und es sind noch ein paar von euch bereit die Reise mit Thea und mir weiter zu gehen. Auch, wenn es vermutlich nicht ganz un-chaotisch ablaufen wird♥
Fühlt euch gedrückt, bleibt gesund! :)
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