Kapitel 23 ↬ Immer noch nicht gut.
◤ FELIX ◢
So zumindest der Plan.
Dass das nicht einmal ansatzweise funktioniert, hätte mir eigentlich vorher klar sein müssen. Aber so richtig rund läuft mein Hirn einfach noch nicht.
Eines muss ich Tessa aber zu Gute halten: Sie unterhält mich bestens und lässt mich fast schon ein bisschen nostalgisch werden.
Vielleicht liegt es daran, dass sie ein Mädchen ist aber sie hat Glück. Bei meinem ersten Bingo Nachmittag, nach langer Zeit der unterhalterischen Dürre, kam mir tatsächlich eine Lesebrille entgegengeflogen. Bei ihr scheint das Ganze ein bisschen glatter zu laufen, trotzdem bereitet es mir ziemlich große Freude, sie so panisch zu sehen. Bisher hatte sie immer Glück, sah weitestgehend die guten Seiten der Rentner. Außer heute. Weckte man den Ehrgeiz der Bewohner, konnte das ganze schon mal, naja, spannend werden. Wobei ich auch unseren Bewohnern zu Gute halten musste: Sie haben es allesamt faustdick hinter den Ohren. Einige Sprüche sollte ich mir unbedingt mal merken.
Vielleicht sehe ich es auch deshalb als meine Aufgabe an, die Herrschaften noch ein bisschen anzufeuern, sobald Tessa das Schiff einigermaßen schaukelt. „Bei jedweden Befindlichkeiten können sich die Damen und Herren gerne an unsere Praktikantin, Frau Ziegler, wenden", verkünde ich daher mit meinem zuckersüßesten Lächeln. Dass ich sie damit den Wölfen zum Fraß vorwerfe, ist mir deutlich bewusst und es nimmt mir ein bisschen die Schwere, die schon den ganzen Tag auf mir liegt. Problem an der Sache? Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange das Marihuana noch in meinem Körper rumgeistert.
Diese Unsicherheit dauert aber gar nicht so lange, denn mir wird ziemlich schnell bewusst, dass meine Gedanken in seltsamer Geschwindigkeit die verschiedensten Areale umkreisen.
Ist ein Ständer nicht einfach nur ein menschliches „Daumen hoch" und bedeutet, ich mag dich? Aber mochte ich Luca wirklich? Irgendwie schon, sonst hätte ich in der Dusche nicht gestanden. Und wo ist eigentlich Tessa hin? Was wollen die Bewohner mit einem Toaster als ersten Preis an diesem Bingo-Nachmittag? Wenn ich Hubert jetzt einen Apfel gebe, gebe ich ihm dann festen Saft?
Frische Luft, das ist es was ich brauche, doch ich brauche den Fenstergriff nur zu berühren und schon werde ich angesehen, als leugne ich den Holocaust.
„Alter, was geht denn mit dir?" zischt Luca irgendwann. Was soll schon sein, denke ich und starre weiter aus dem Fenster.
Was macht Tessa mit einer Müslischale auf dem Weg zum Heim? Und sollte ich nicht eigentlich hinter ihr her?
„Ich geh pissen", nuschle ich in Lucas Richtung und schlurfe einfach an ihr vorbei. Wann hatte mich ein Johnny das letzte Mal derart aus der Bahn geworfen? So lange war es doch gar nicht her, ich war kein Anfänger, geübter Raucher und trinkfest. Was zur Hölle stimmt denn heute nicht mit mir?
Statt aber eines der beiden Geschäfte zu verrichten, sehe ich mich lange im Spiegel an, stütze mich auf dem Waschbecken ab und frage mich ernsthaft, warum ich mich nicht einfach mal zusammenreißen kann. Das kühle Wasser, was ich mir ein paar gefühlte Ewigkeiten später ins Gesicht spritze, spült ein paar wenige wirre Gedanken weg und ich habe das Gefühl langsam aber sicher Herr meiner Sinne zu werden. Auch, wenn meine rot unterlaufenen Teller etwas ganz Anderes sagen.
Immerhin reicht ein Schluck Leitungswasser aber aus, um mich soweit wieder zusammenzuflicken, dass ich wenigstens einen klaren Gedanken fassen kann.
Leicht angesäuert laufe ich auf den Eingang zu, verschränke die Arme vor der Brust und warte bis Prinzesschen sich wieder zu ihrem Dienst begibt. Ich meine, sicher, Luca und ich können die Kacke auch alleine schaukeln aber ihr Vertrag sagt sicherlich etwas Anderes.
Warum genau es mich so nervt, wie sie fröhlich lächelnd über die Straße schwebt, weiß ich nicht. Jedoch wirkt es auf mich, wie ein rotes Tuch.
„Wo warst du?" frage ich zickig und verschränke noch einmal extra trotzig die Arme vor der Brust. Ich bin so damit beschäftigt, böse zu gucken, dass ich Al gar nicht bemerke.
„Tatjana ist mit mir eine Runde um den Block gelaufen." Und warum zuckt Tessa dann so erschrocken, denke ich mir, sage aber: „Und wieso war sie vor dir hier, Al? Lüg' mich nicht an."
Ohne mit der Wimper zu zucken oder gar eine winzige Sekunde zu überlegen, haut er trocken raus: „Na, weil ich ihr beweisen wollte, dass ich alleine die Stufen hochkomme. Siehste? Ich bin kein Baby mehr. Schon lange nicht." Und ich kann mich alleine verarschen, Danke. Trotzdem sage ich nichts und nicke nur stumm ins Innere des Haues.
Noch während ich zwar außer Hör – aber nicht außer Sichtweite bin, kann ich beobachten, wie Tessa ihn zurück hält, lächelt, irgendwas redet und ihn dann einfach in die Arme nimmt. Es stört mich immens, wie schön ich das finde. Trotzdem beschließe ich den Cool Man zuhause zu lassen und einfach weiter zu beobachten, was passiert. Schon anhand der Art, wie er sich mit einem Male kerzengrade aufrichtet, merke ich, dass er wieder einen seiner Schübe hat und ich muss kurz durchschnaufen.
Al ist wirklich ein toller Mensch und auch mich lässt nicht kalt, dass die Demenz immer weiter fortschreitet. Nicht mehr lange und das Bild wird sich drehen. Die klaren Momente werden kürzer und die Schübe zum Alltag. Dass er nicht der erste Patient mit diesem Krankheitsverlauf ist, macht es nicht einfacher. Nur leider habe ich keine Zeit mehr für Sentimentalität, denn ich höre, wie Luca aus dem Gemeinschaftsraum stürzt. „Felix?" ruft sie durch die Gänge und ich habe eigentlich gar keine Lust, zu antworten. Tue es aber trotzdem, wie jeder charmante Berliner es tut: „Wat?"
„Wrietz' Blutdruck geht durch die Decke, schaue dir das mal an."
Ich schäme mich für meinen instinktiven Gedanken „Bah ne ey, gar keen Bock jetze" und laufe deshalb an Luca vorbei, kopfschüttelnd über mich selbst, in das Zimmer des meist verhassten Patienten. Leider muss ich gestehen, die Kleine hat Recht. Irgendwas stimmt hier nicht und es dauert nicht lange, bis ich auch weiß warum.
„Wer hat Ihnen heute die Tabletten gebracht?" Wütend – nicht ganz sicher auf wen – stehe ich vor dem Stinkstiefel und versuche irgendwie auf Möglichkeiten zu kommen, seinen Blutdruck wieder runter zu holen, um ihn stabil zu kriegen, bevor er seinem Anwaltssohn eine geharnischte SMS schreibt.
„Keene Ahnung wie die Puppe heißt. Braune Haare, weiße Klamotten." Antwortet er abfällig und lässt sich übertrieben dramatisch in seine Kissen sinken. Ich hasse den Typen, das tun wir alle aber trotzdem kann ich nicht glauben, dass Tessa nicht mal Bildchen sortieren kann.
Auch mein Blutdruck ist jetzt mindestens auf 180, als ich aus dem Zimmer stürme, Luca anweise sich um ihn zu kümmern und mich auf die Suche nach der kleinen Idiotin mache.
„Samma, spinnst du jetzt völlig? Bist du jetzt auch zu dumm ein paar Bildchen zu zu ordnen?" fahre ich sie an, sobald ich sie aus Als Zimmer kommen sehe. Dass auch Wrietz nach ihr ruft, wundert mich nicht. Die präziseste Beschreibung hat er sicherlich nicht abgelassen und auch die abfälligen Kommentare dem Pflegepersonal gegenüber habe ich großzügig überhört. Nichtsdestotrotz kann es nicht angehen, dass sie falsche Medikamente verabreicht und mich dann auch noch anguckt, als hätte ich sie nach dem Ausstreben der Dinosaurier gefragt.
„Wovon redest du bitte?" Vier Worte, die dafür sorgen, dass ich ihr wahnsinnig gerne den Hals rumdrehen würde. Nur leider halten mich ihre ohnehin schon glasigen, braunen Augen davon ab. Vielleicht hätte ich den Cool Man doch einpacken sollen...
Statt aber wirklich durchzudrehen – und darauf hätte ich wirklich Bock! – halte ich die Hand auf und zeige ihr die kleine, weiße Tablette, die den Blutdrucksenkenden Mitteln leider ziemlich ähnlich sieht.
Kurz atme ich tief durch, bevor ich versuche, ihr zu erklären, was daran schief gelaufen ist: „Das hier ist Süßholzwurzel und das in der Süßholzwurzel enthaltene Glycyrrhizin ist ein sehr wirksames Mittel zur Blutdrucksteigerung. Besonders Schwindel durch zu niedrigen Blutdruck kann damit gelindert werden. Menschen mit normalem Blutdruck oder Bluthochdruck sollten Süßholz nur in geringen Mengen zu sich nehmen. Die kleine Tablette hier hat also eine viel zu hohe Glycyrrhizin-Konzentration. Ok?"
Ob ich das aber grade erzähle oder in China fällt ein Sack Reis um. Tessa hat keine Ahnung und so verdrehe ich nur die Augen, atme wieder deutlich hörbar ein und aus und schließe für eine Sekunde die Augen. Ich möchte sie wirklich, wirklich gerne köpfen.
Dennoch benötigt es nur einen Satz und sie nimmt mir sämtlichen Wind aus den Segeln. „Ich habe die Medikamente nicht verteilt, das war Luca. Sie war der Meinung ich verkacke eh nur und hat es auf Teufel komm raus selber machen wollen."
Nun ist die Dorftante diejenige, die mir mit trotzig verschränkten Armen gegenüber steht. Zu meinem Leidwesen hat sie auch noch Recht.
„Man ey, ich will mich nicht ständig um die Scheiße kümmern", seufze ich lauter, als geplant und bin nur Sekunden davon entfernt, beleidigt, wie ein kleines Kind mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen.
„Not my problem", kommt es von ihr und sie verdünnisiert sich ohne ein weiteres Wort. Und nimmt den Funken Mitleid, da ich sie grundlos angekackt habe, gleich wieder mit. „Ich werde zu alt für diese Scheiße", flüstere ich eher zu mir selber und beschließe, es ist Zeit für mein Mittagessen.
Leider können mich aber auch meine Dosen Ravioli nicht runterfahren lassen. Ständig kommt Luca angeschissen, benimmt sich als arbeite sie zum ersten Mal in der Einrichtung und ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber ihre Finger gehen heute Nachmittag besonders oft auf Wanderschaft. Gott, stresst die Alte mich. Ich muss regelrecht die Flucht ergreifen und stolpere als erstes in Tessa. Mehr oder minder.
Überraschenderweise treffe ich sie im Gemeinschaftsraum an. Während ich sie ihm Türrahmen stehend beobachte, räumt sie das dreckige Geschirr auf den silbernen Wagen, sammelt benutzte Bingo-Karten ein und wirft sie in den kleinen Sack, den sie sich um einen der Griffe gebunden hat. Ich weiß nicht warum es eine beruhigende Wirkung hat, sie so friedlich zu sehen, aber es ist der Fall. Vielleicht sollte ich das ändern, denke ich, tue jedoch irgendwie das Gegenteil.
Kurz bevor sie ein bisschen zu übermütig wird und viel zu viele Untertassen stapelt, trete ich hinter sie und fange das Geschirr auf. „Wow, ich glaube nicht, dass du so viel verdienst." Ich muss ihr Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass sie mit den Augen rollt. Ich ärgere sie viel zu gerne, als das ich nicht wüsste, wie sie tonlos versucht angepisst zu sein. Die Betonung dabei liegt auf versucht.
„Man, das sollte nur heißen, zerdepper nicht das gute Geschirr", seufze ich auf und bin kurz versucht sie mit einer der angesabberten Gabeln in die Seite zu pieken, halte aber inne, schließlich hat auch die Gabel ihren Stolz.
„Ich kann dich echt nicht leiden, weißt du das?" spricht sie völlig gelassen, als unterhielten wir uns über das schwüle Wetter. „Du willst darauf aber nicht wirklich eine Antwort oder?" Stumm schüttelt sie daraufhin den Kopf. Und genau so ruhig, wie sie angefangen hat, versandet die Unterhaltung auch. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe, ihr zu helfen, denn keine zwei Minuten, nachdem wir die Spuren des Nachmittags beseitigt haben, geht das Chaos von vorne los.
Luca hat mich gefunden, beklagt sich über Wrietz, den alten Stinkstiefel und beschließt, dass ich derjenige sein werde, der das Schiff schaukelt. „Weißt du was?" – Mitten im Satz unterbreche ich mich selbst und danke Allah, dass sich mein Hirn in letzter Sekunde vor meinen Mund stellt, sonst würde ich meines Lebens nicht mehr froh, spräche ich meinen Gedanken zu Ende aus: ‚Du bist ganz schön anstrengend, wenn du keinen Schwanz im Mund hast.'
Fragend sieht Luca mich an, doch ich sage nichts mehr. „Tessa, mach ma Pause, Luca kann den Boden wischen." Nicht mein intelligentester Einfall, das steht fest aber es genügt, um die beiden Frauen zum Schweigen zu bringen und mich um Wrietz zu kümmern.
Trotz der Tatsache, dass sich sein Blutdruck wieder völlig normalisiert hat, dreht der alte Mann völlig durch und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich ihn runter kriegen soll. Aus Verzweiflung tue ich also etwas, was ich definitiv bereuen werde.
„Dr. Stahl?" frage ich ins Handy und möchte am liebsten jetzt schon wieder auflegen. Ich könnte jetzt prima um den heißen Brei herumreden, ich könnte Tessa mit nur einem Satz loswerden oder tatsächlich einfach auflegen und so tun, als wäre es ein Versehen gewesen. Nur tue ich nichts von alle dem: „Wir brauchen bitte Ihre Hilfe. Herr Wrietz hat versehentlich die falschen Medikamente von Frau Huber verabreicht bekommen. Eigentlich ist sein Zustand stabil, nur lässt er sich nicht beruhigen. Denken Sie, Sie können sich darum kümmern?"
Besonders begeistert ist der Arzt des Hauses nicht, doch er weiß genau an wen er sich mit seinem Groll zu wenden hat. Somit höre ich ihn laut schnauben, vernehme, wie er sich für den Anruf bedankt und verspricht sofort nach ihm zu sehen.
Ein Problem weniger.
Das nächste steht bereits im Flur, ein paar Meter vor mir und mir geht der Tag gehörig auf den Sack. Statt mich also schnellstmöglich darum zu kümmern, lenke ich meine Aufmerksamkeit kurz auf das vibrierende Handy und muss grinsen, als ich Matze's Nachricht lese. »Heute Abend, spontaner Slam im Klunker Kranich. Selbst Schuld, wenn du meinen guten Dübel in Muddis Blumenkübel stopfst.« Huch, und ich dachte es wäre der Aschenbecher gewesen. Egal.
„Wagner? Wenn Sie dann mal fertig sind, kriege ich dann mal Ihre Aufmerksamkeit", wettert Herr Jaschke direkt in seinem besten Grenzsoldaten-Ton, sobald ich mein Handy in der weißen Hose verschwinden lasse. Irgendwie ist das alles witziger, wenn er Tessa auf den Sack geht und nicht mir.
„Wie kann ich Ihnen helfen?" sülze ich in meinem besten ‚Fick dich'- Unterton und muss mich dann damit aus einander setzen, wie böse er auf Herrn Fischer sei. Schließlich habe sich dieser einfach erlaubt seinen Bingo Preis auszutesten, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Dass es sich dabei um einen billigen Gymnastikball handelt, mit dem der alte Mann ohne Aufsicht aufgrund seiner Beinprothese und seines miserablen Gleichgewichtssinns nichts anfangen kann, steht dabei nicht zur Debatte. Auch, wenn es ein wunderbares Totschlag-Argument wäre, muss ich mich in die Zeit meiner Schulpraktika zurückversetzen und die gestandenen Herren behandeln, wie Kindergarten – Kinder. Gott, ist das alles ätzend, denke ich und erinnere mich daran, dass Tessa längst zurück sein müsste und das hier doch eine spitzen Chance für sie wäre, ihre Geduld zu testen oder ihr die Tätigkeiten einer fantastischen Pflegekraft noch näher zu bringen. Schließlich gehört es auch dazu Streit zu schlichten und den bösen Buben Manieren bei zu bringen. Zumindest, wenn es sich bei mindestens einer Partei um den stursten Mann Europas handelt.
Gerade, als ich mich auf den Weg nach draußen machen will, um die Dorfprinzessin einzusammeln, kommt mir Luca entgegen geschrubbt. Meine Fresse, geht sie mir heute auf die Nerven. War die Alte schon immer so anstrengend oder liegt das an mir?
„Spinnst du jetzt völlig?! Was schiebst du mir den schwarzen Peter zu?" zischt sie, noch bevor sie wirklich vor mir steht. Dr. Stahl war also schon da. Cool. Ohne mich aber auf ihre Zickerei einzulassen, schneide ich ihr mit passender Geste das Wort ab. „Nicht jetzt", schließlich sehe ich in diesem Moment, wie meine Schwester mit Tessa am Arm durch die Tür gestolpert kommt. Hat sie geweint? Obwohl ist mir eigentlich auch Schnuppe.
„Sag mal, arbeitet ihr auf dem Dorf nach Stand der Sonne oder bist du einfach nur zu blöd, die Uhr zu lesen?" wettere ich direkt los. Der heutige Tag geht mir einfach unglaublich auf die Nerven und ich wünsche mich auf Matze's Terrasse zurück. Dieser Zustand von ausgeknipstem Licht scheint einfach eine super Alternative zu sein. Gerade in diesem Moment. „Ich tippe auf B", fügt Luca hin zu und ich kann das selbstgefällige Grinsen beinahe schon riechen. Der Spaß würde ihn schon vergehen, wenn ich mit ihr fertig war, doch das ist Nebensache.
Stattdessen springt Nele sofort, wie der kleine Terrier unserer Oma, dem sie manchmal ähnelt vor Theresa: „Noch so'n Spruch, Kieferbruch, Püppchen." Ich muss zugeben, es ist mir wirklich ein inneres Fest, wie Luca die Spucke im Hals stecken bleibt. Nur ist auch das nebensächlich, als ich beobachte, wie Nele ihre Hand nicht nur fest um Tessas Handgelenk, sondern auch um meins legt. „Und Flix, du kommst jetzt mal schön mit, ich hab da noch 'nen Hühnchen mit dir zu rupfen, Bruderherz." Hatte sie gerade wirklich vor Publikum meinen Kindergarten-Spitznamen heraus posaunt? Ich würde sie köpfen!
„Warte mal, was?" fährt Theresa ungläubig dazwischen und wieder muss ich bei Neles Kommentar mein Lachen unterdrücken. Die Kleine ist heute wirklich on fire!
„Ja glaubst du etwa ich gehöre zu den armen Schweinen, die sich von dem hier flachlegen lassen?" Beleidigt dampft Luca daraufhin ab und eigentlich müsste ich meiner Schwester einen Keks dafür geben. Hat sie großartig gemacht!
Nur leider kann ich mir die Spitze gegen unsere Praktikantin nicht verkneifen: „Also ich wusste ja, dass du dumm bist. Aber für so dumm habe selbst ich dich nicht gehalten." Kurz muss ich über die Möglichkeit nachdenken, schüttle meinen Kopf und sage lachend: „Als ob ich Nele flachlegen würde, ey. Da ist nichts dran. Kein Arsch, keine Titten" – „Pass mal lieber auf, dass du nicht gleich ohne Schwanz dastehst, mein Lieber", kontert meine Schwester und ich muss ihr darauf hin einfach einen kleinen Luftkuss zu werfen. Der Stress von heute Morgen ist wie weggeblasen.
Doch meine Schwester wäre nicht meine Schwester, wenn auch dieser Moment keine zwei Minuten später wieder gehörig zerfickt worden wäre.
Triumphierend baut sie sich vor uns auf, nachdem sie uns in den Personalraum gezerrt hat. Ihre plötzliche Autorität, die sie hier versucht an den Tag zu legen ist beinahe schon niedlich und beeindruckt mich kein Bisschen. Bei Tessa sieht das anders aus. Sie sitzt kerzengerade und ich ertappe sie dabei, wie sie erst Nele und dann mich einmal gründlich abcheckt. Haben wir was im Gesicht oder was soll das?
Anstatt mir aber weiter darüber Gedanken zu machen, zwingt Nele mich dazu zu hören.
„Mir sind da ein paar unschöne Dinge zu Ohren gekommen, die ich ansprechen möchte. Eure Rivalität schädigt dem Betriebsklima und im Endeffekt nur euch selbst. Besonders meinem Bruder und deshalb möchte ich das ändern." Jap, ich würde sie umbringen. Hackt's bei ihr? Einwände sind aber nicht erlaubt und werden schon beim Öffnen meines Mundes unterbunden. „Ich habe mich super unterhalten mir dir und möchte, dass wir Samstag zusammen weggehen. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sie neu in der Stadt, hatte es bis hier her nicht sonderlich einfach und Berlin hat so viel Tolles zu bieten, das werden wir ihr zeigen. So, habt ihr mich verstanden?" beendet Nele ihre Rede und sieht einmal in die Runde. An ihrem Blick merke ich sofort, dass Tessa nicht zugehört hat. Wie immer.
Trotzdem gebe ich – aus welchen Gründen auch immer - nach, überlege kurz und sage: „Ja, ok, wenn's unbedingt sein muss. Samstag haben wir Frühdienst." Tessa hingegen scheint darauf noch weniger Bock zu haben, als ich. Nur scheint sie meine Schwester doch nicht so gut zu kennen, denn sie versucht dagegen anzugehen. Natürlich vergebens.
Wie von einer pinken, fluffigen Tarantel gestochen, springt sie daraufhin peinlich auf und ab und klatscht in ihre Hände. Was ein Mädchen. „Perfekt, dann hole ich euch Samstag nach der Arbeit ab, wir gehen was Essen und dann gucke ich mit – sag mal, wie heißt du eigentlich, haben wir schon darüber geredet?" wendet sich Nele mitten in ihren fröhlichen Samstagabendplanungen an ihr neues, soziales Projekt. „Das ist Theresa", komme ich ihr zuvor und kann es nicht lassen noch eine kleine Spitze einzustreuen. Schließlich weiß ich, welch großer Fan sie von ihrem Namen ist.
„Hm", kommentiert Nele und ist mit einem Mal gar nicht mehr so hyperaktiv, sondern seltsam nachdenklich. „Nimm's mir nicht übel aber das ist langweilig. Ich nenne dich Thea, klingt niedlich." Die kriegt auch alles kaputt, denke ich und verdrehe die Augen. Daraufhin kann „Thea" nichts mehr sagen, denn Nele hat leider irgendwie recht. Klingt jetzt weniger nach Pferde-Tussi.
Noch einen Moment sehe ich dabei zu, wie Nele breit grinsend die ersten Restaurants vorschlägt, während mein Handy vibriert. Konventionell ist sicherlich anders, doch was ich da lese, macht mich seltsam glücklich.
„Sind wir mit der Therapie dann fertig? Ich hab da noch ne Abmahnung zu verteilen", sage ich, muss mich zwingen das Grinsen abzuschrauben und verlasse den Raum.
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Meine Süßen, bitte verzeiht mir die wieder viel zu lange Wartezeit.
Ich glaube jetzt ist der Knoten erstmal wiedergeplatzt, auf die nächsten Kapitel freue ich mich riesig, eines aus Felix's Sicht wird noch folgen und dann sind wir wieder bei Thea.
Weswegen ich diese Bemerkung aber angefangen habe:
Heute früh hat sich Felix' Geschichte unvorhergesehen noch einmal geändert, deshalb habe ich auch die Alila Stelle in Kapitel 22 leicht umgeschrieben, das wollte ich euch nur wissen lassen, damit ihr euch in den nächsten Kapitel nicht wundert. Die Änderungen füge ich euch unten nochmal ein.
Vorher aber noch mal ein kräftiges Schautaut an die platzierteste WhatsApp Gruppe Europas (und das schlechteste Wortspiel der Welt), schließlich wart ihr der letzte nötige Arschtritt :D Danke dafür!♥
Anyways: Bleibt weiterhin safe, bis hoffentlich bald!♥
→ Hier die Änderung zu Alila:
„Es ist okay", schließe ich also ab und könnte es eigentlich dabei belassen. Nur leider ist mein Mund schneller, als mein Kopf. „Ich werde euch da nicht drin rumpfuschen. Nicht, dass dir dieselbe Scheiße passiert, wie mir mit Alila. Hätte ich einfach einmal meinen Mann gestanden, wäre sie nicht abgehauen. Vielleicht wäre sie dann auch nicht alleine zum Bahnhof gegangen. Vielleicht wäre sie noch da, wenn ich nicht so reingeschissen hätte."
Scheiße, denke ich, als ich mich selber das sagen höre, was ich besonders heute, an ihrem achten Todestag nicht einmal denken möchte.
Diese Worte haben offensichtlich nicht nur mich überfahren. Mit großen Augen und geöffnetem Mund sieht Malte mich an. „Sorry Mann, ich habe da gar nicht dran gedacht", sagt er leise. „Ich auch nicht", lüge ich und muss meinen Blick abwenden. Was natürlich nichts nützt, mein Gegenüber kennt mich.
Wortlos legt er seinen Arm kurz über meine Schultern, drückt mich zwei, drei Mal an sich und fragt: „Willst du verdrängen oder reden?"
Eigentlich möchte ich gar nichts. Oder anders gesagt: Ich weiß nicht, was ich möchte. Also zucke ich planlos mit den Schultern. Wobei das auch nicht ganz stimmt. Ich würde total gerne zugeben, wie fertig mich die Sache immer noch macht. Schließlich ist es meine Schuld, dass sie nicht mehr da ist, dass ihre Familie nicht mehr einen Block weiter wohnt, dass mein Vater sich nicht mehr mit seinem Vater zum Laufen gehen trifft, dass ihr großer Bruder keine Lehre mehr macht, sondern die Knastfenster von innen putzt und ihr Cousin noch einige Jahre den Putzeimer für ihren Bruder hält. All die Scheiße geht auf meine Kappe und ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt jemand weiß. Geschweige denn, ob ich es aussprechen kann und will.
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