Kapitel 12 ↬ Ohrfeigen im Prenzlberg
Ich weiß nicht, womit ich gerechnet habe, als ich die hölzerne Tür mit klopfendem Herzen aufstieß.
Aber sicherlich nicht damit, dass sie aus dem Badezimmer ruft.
„Fr. Kaltenbach, hier ist Theresa", rufe ich ihr durch die geschlossene Tür zu. Ich weiß nicht, ob meine Hemmungen daherkommen, dass ich panische Angst habe, etwas falsch zu machen oder, weil ich das Wasser rauschen höre und sie höchstwahrscheinlich – wie jeder normale Mensch – nackt unter der Dusche steht.
Nun ist aber der absolut unpassendste Zeitpunkt für persönliche Empfindlichkeiten oder dummes Kopfkino. Also schlucke ich, atme tief durch und bete zu Gott, dass mein Zögern ihre Lage nicht verschlimmert hat. „Ich komme jetzt rein, ok?"
„Natürlich", antwortet sie und ich versuche irgendwelche Emotionen aus ihrer Stimme zu lesen, schaffe es aber nicht. Dafür bin ich selbst einfach zu aufgewühlt.
Zuerst stelle ich das laufende Wasser ab und erst dann sehe ich mir die alte Dame genauer an.
„Können Sie aufstehen?" frage ich unnötigerweise, einfach, weil ich keine Ahnung habe, wie man in so einer Situation reagiert. Ich könnte ihr mittlerweile eine Insulinspritze in den Bauch rammen, ihr ein Pflaster auf den hypothetisch gesprochen blutenden Finger kleben und sie mit Brei füttern. Und selbstverständlich könnte ich ihr die Theorie ihrer Diabetes Erkrankung vortragen. Von Stürzen in Duschen und absoluter Überforderung des nicht ausgebildeten Personals aka Fußabtreters stand bisher nichts in Felix' schlauen Büchern.
Auf den ersten Blick, sehe ich sie weder bluten noch sich irgendwelche Glieder verrenken. Das dürfte doch schon einmal positiv sein oder?
Trotzdem geht mir ordentlich die Pumpe, als die alte Dame zittrig meine Frage verneint.
Zuerst reiche ich ihr den schneeweißen Bademantel, damit sie mir zumindest nicht erfriert, welchen sie dankbar annimmt. Nichtsdestotrotz bleibt der Zweifel an meinem Handeln und die Verwunderung über die anderen. Wo zum Henker sind sie und warum verdammt nochmal haben sie den Notfall noch nicht bemerkt? Ich weigere mich zu glauben, dass ich hier alleine bin.
Meine Hände sind schweiß nass und anhand ihrer erschrockenen Reaktion auch eiskalt. Mir geht ordentlich die Pumpe, trotzdem bitte ich sie, die Klingel noch einmal zu betätigen, während ich ihr wortwörtlich unter die Arme greife. „Du machst das schon, Kindchen", spricht mir die alte Frau lieb Mut zu und es bedeutet mir viel, das tut es wirklich. Nur leider beruhigt es mich nicht im Geringsten.
Mit einem Ruck ziehe ich Fr. Kaltenbach zumindest schon einmal auf den Badewannenrand. Somit habe ich wenigstens schon einmal eine Chance mir ihre Beine genauer anzusehen. Mir rutscht das Herz gewaltig in die Hose. Ihr linkes Knie ist knüppeldick und blitzblau. „Um Gottes Willen, das sieht ja aus wie 'nen Fußball", rutscht es mir über die Lippen und ich schäme mich prompt.
„Habe ich gut hingekriegt, nicht wahr", meint sie nur trocken und lacht leise. Immerhin nimmt sie mir mein loses Mundwerk nicht übel. Trotzdem bin ich froh, als sie mir beschreibt, wo ich die Rollstühle finde.
Ein bisschen zu schwer atmend komme ich nach dem kurzen Sprint wieder in ihrem Zimmer an. Inzwischen sind wir nicht mehr alleine und mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen, als ich Felix dabei zu sehe, wie er die Frau mit Leichtigkeit vom Badewannenrand in ihr Bett befördert. Sofort legt er ihr Knie ein wenig hoch und bittet sie, es auf gar keinen Fall zu bewegen.
„Theresa hat mir ganz super geholfen", spricht Regina, wie Felix sie nennen darf, als sie mich erblickt. Wirklich abkaufen tut es ihr aber niemand. Meine Wenigkeit mit eingeschlossen.
Tief atme ich ein und aus, bevor ich den Rollstuhl auf den Gang schiebe und einfach neben ihrer Zimmertür stehen lasse.
Inzwischen muss er sich irgendwo Verbandszeug organisiert haben, beziehungsweise realisiere ich erst jetzt, dass es einen Verbandskasten neben der Tür gibt. Ob mir das Ding weitergeholfen hätte, weiß ich nicht aber es hat etwas Beruhigendes an sich, dass ich nun wenigstens weiß, dass es existiert.
„Meinst du es ist sehr schlimm?" frage ich ihn nervös, bekomme jedoch keine Antwort. Vielleicht hat er mich akustisch nicht verstanden. Also wiederhole ich meine Frage. Viermal. Immer noch nichts. Was ist denn jetzt bitte sein Problem? Unterdessen sieht mich Frau Kaltenbach einfach nur lieb lächelnd an und versucht mir so sicherlich zu vermitteln, dass es ihr gut geht. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht, als Felix den Verband noch einmal verrückt, spricht jedoch Bände. Tapfer blinzle ich die Tränen weg, denn es tut mir wirklich in der Seele weh, sie so leiden zu sehen.
„So, Regina. Das haben wir erst Mal. Harry ist gleich fertig, dann schick' ich ihn zu dir, ja?" Wieder nickt sie nur, statt wie sonst, freundlich zu sprechen.
Das mit dem freundlich sein, sollte sie vielleicht auch Felix noch einmal beibringen, denn statt sich mir irgendwie zu zu wenden, packt er mich ruppig am Arm und zerrt mich auf den Gang. „Du tust mir weh", jammere ich und schaue ihn entsetzt an. Hackt's bei ihm?
Darauf braucht mir niemand zu antworten. Ein Blick in seine Augen reicht und ich merke, er ist wieder da. Der bescheuerte Großstadtproll. Super. Ganz toll. Dabei habe ich für den Bruchteil einer Sekunde geglaubt, nach dem gestrigen Fauxpas zumindest ein bisschen Ruhe zu bekommen. Ein Weltwunder habe ich nicht erwartet aber meine naive Seite glaubte an einen wirklichen Mentor und keinen Deppen, der mich vor Papiermist parkt.
Kurz lasse ich jedoch meinen Blick abschweifen und sehe auf die Abdrücke, die sein starker Griff hinterlassen hat.
„Heulen kannst du zuhause", keift er und schubst mich ein Stückchen zurück. „Wie dumm bist du eigentlich? Ist dir klar, was du da angerichtet hast?" zischt er zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. Also jetzt ist er völlig durchgedreht. „Hast du auch nur eine Sekunde dran gedacht, was du da hättest anrichten können?" schiebt er hinterher. Mein Puls kocht.
Trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust und baue mich vor ihm auf. Gut, einschüchtern wird es den ignoranten Macho wohl nicht, aber was soll's. Meinem Ego gibt es einen kleinen Kick „Sag mal, willst du mich komplett verarschen? Mich würde viel eher interessieren, wo ihr alle wart, als sie den Knopf gedrückt hat, huh? Ich habe nichts weiter getan, als ihr zu helfen, während ihr sonst was gemacht habt."
Meine Stimme schnellt einige Oktaven in die Höhe und unter normalen Umständen hätte mich das sicher tierisch genervt. Doch jetzt fühle ich mich einfach nur gründlich verarscht. Das kann er doch nicht gerade wirklich ernst meinen? Gestern so, heute so oder was?
„Das eine hat mit dem andern überhaupt nix zu tun. Is dir klar, dass du Regina wirklich hättest verletzen können? Als sie mir jezeigt hat, wie du sie hochjehoben hast, ey ich dacht ich fall vom Glauben ab." Dieser hochnäsige Blick, dieses Alleswissende, Alleskönnende – es macht mich wahnsinnig. In nur einem einzigen Blick kann Felix so wahnsinnig viel Arroganz und Abneigung mitschwingen lassen, es ist zum Kotzen. „Ick hab's von Anfang an gesagt, wir brauchen Fachkräfte ey."
Viel mehr ärgert mich jedoch, dass ich darauf nichts kluges Kontern kann. Nichts mehr als: „Wenn du mir vielleicht auch mal was beibringen würdest, statt mich einfach nur vor irgendwelchen Büchern zu parken, dann wäre das nicht passiert. Ich wollte ihr nur helfen!" Ich habe Recht, das weiß ich und davon wird er mich nicht abbringen. Vielleicht bringt er auch deshalb so spielend leicht mein Fass zum Überlaufen.
Hämisch lacht er auf. Er macht sich zuerst stumm über mich lustig und als wäre das nicht schon schlimm genug, macht er auch noch seinen Mund auf. Und als kleine Kirsche auf dem Sahnehäubchen, klingt es genauso verspottend und abwertend wie die ganzen dummen Sprüche gegen meinen Onkel gestern: „Dir ist aber schon klar, dass du nur ne Praktikantin bist, näh? Du hast hier nix zu melden. Sei froh, dass du deinen Kram im Personalraum machen darfst, ya. Außerdem, was juckt's dich? In drei Monaten bist du hier weg und keinen wird mehr interessieren, ob du ne Spritze gegeben oder die Bücher gelesen hast. Komm mal von deinem hohen Ross runter, ya, du kleine Provinzprinzessin meinst echt du wärst es?"
Tja und was soll ich sagen. In mir staut sich in wenigen Sekunde alles auf, was er und sein bescheuerten Freund vom Stapel gelassen haben. Ohne, dass ich es wirklich kontrollieren kann passiert es und Felix hat eine kleben.
Wie oft ich mir genau das in dieser kurzen Zeit hier gewünscht habe, kann ich schon nicht mehr an beiden Händen abzählen. Eigentlich sollte es mich wahnsinnig befriedigen, in seine dumme, verwirrte Visage zu blicken.
Doch stattdessen bin ich mindestens so überrascht, wie der Berliner Affe vor meiner Nase. Erschrocken starren wir uns an, meine Hand pocht, wie Hölle und ich kann nichts weiter tun, als zu zu sehen, wie sich seine Wange rot verfärbt und meinen Handabdruck abbildet.
Scheiße. Ich bin tot.
Dieser Ansicht bin ich auch noch eine geschlagene Woche später. Doch es ist nichts passiert. Und mit nichts meine ich absolut überhaupt gar nichts. Nicht ein Wort hat er seitdem mit mir gesprochen und selbst Luca hält ihre beschissene Fresse. Kein blöder Spruch, kein Auslachen. Beide haben es meisterlich geschafft, zu tun, als sei ich überhaupt nicht da. Ob ich mich nun darüber freuen oder aufregen soll, weiß ich nicht. Sicher, ich habe meine Ruhe und das ist genau das, was ich mir die ganze Zeit erhofft habe. Trotzdem ist es seltsam.
Unruhig schaue ich also sieben lange Tage immer wieder über meine Schulter, abwartend, ob er mit einem Messer hervorspringt und mich absticht. Nichts dergleichen passiert. Stattdessen nimmt mich Gaby unter ihre Fittiche und verbietet mir, mich mit den dämlichen Büchern herumzuschlagen.
Ich wechsle Reginas Verband – auch ich habe mir das Privileg der Vornamen erarbeitet - , ich darf Al Thrombosespritzen setzen, nachdem er einen herben Rückschlag erlitten und Bettruhe verordnet bekam und auch der Antrag auf das zu Beginn versprochene Heimzimmer ist im Gange.
Es läuft viel zu glatt.
Selbst die wöchentlichen Gespräche mit Lotte lassen mich nicht runterfahren. Somit warte ich quasi schon auf die nächste Katastrophe, nur passiert nichts der Gleichen.
An Tag sechs, meinem ersten Samstag, an dem ich arbeiten darf, reicht mir Gaby im Personalraum eine Tasse Kaffee, bevor sie mich bittet ihr zu folgen. Wie auch schon an meinem ersten Arbeitstag im Heim führt sie mich zu ihrem „geheimen" Raucherplatz.
„Pass ma uff, Kleinet. Morgen is ja Sonntach, richtich?" Ist das jetzt eine rhetorische Frage oder nicht? Ein wenig verwirrt antworte ich nur mit einem stummen Nicken und warte darauf, dass sie zum Punkt kommt. „Jeden zweeten Sonntach im Monat teilen wir die Gruppen und machen eenen Ausflug. Moin bin ick dran." Immer noch sehe ich sie verwirrt an, denn ich weiß nicht, worauf sie hinaus will. Morgen ist mein einzig freier Tag der Woche und bisher hat auch sie mich nicht mit irgendwelchen Heiminterna versorgt. Zumindest nicht mit wichtigen, dafür könnte ich nun theoretisch Memoiren schreiben, was die Bewohner anbelangt.
„Ick wollt dich fragen, ob de nich Lust hast, das Ding moin mit mir zu planen. Ick hab da zwa schon so'nen paar Ideen, wollt dich aber nochma nach deener Meinung fragen."
Darauf hätte ich sicherlich einiges antworten können, doch stattdessen rutscht mir raus: „Gut, das war mein freier Tag." Übel nimmt es mir der kleine Stöpsel aber nicht. Gaby lacht lediglich, rudert aber auch nicht zurück. Sie möchte wirklich, dass ich mit von der Partie bin und so unsympathisch mir diese Stadt auch ist, irgendwie freue ich mich darauf, ein bisschen mehr kennenzulernen.
Allen voran, als ich merke, dass wir auf derselben Wellenlänge schwimmen.
Der Ausflug startet erst um 10 Uhr mit nur einem Teil der Heimbewohner. Teil zwei darf in zwei Wochen an einem Trip teilnehmen. Das Ausschlafen ist aber nicht das einzige, was mir sehr gefällt.
Sobald wir die Reisegruppe in einem Stück zu den S-Bahnen gebracht haben – was mich alleine schon sehr verwundert, ich hätte nicht damit gerechnet, dass die Herrschaften noch so fit sind – lässt Gaby endlich die Bombe platzen.
„So meene Lieben. Heut jeht es in den Prenzl Berg zur" – Über dramatisch lässt sie eine Pause, sieht jedes Gruppenmitglied einmal an und ich bin mir nicht sicher, ob sie einen Trommelwirbel erwartet. Fast ärgere ich mich, keine Posaune zur Hand zu haben, als sie feierlich verkündet, wir würden nun eine Latte Macchiato – Tour machen.
„Verarscht du mich?" frage ich sie leise flüsternd, als wir in einem Vierer, zusammen mit Regina und Hr. Jaschke platznehmen.
Doch die junge Frau sieht mich nur todernst an. Keine Miene verziehend zückt sie einen Flyer aus dem Jutebeutel. Die Latte Macchiato-Tour scheint es also wirklich zu geben. Im Vorfeld hat sie sich wirklich Gedanken gemacht, eine Route ausgearbeitet und verteilt kurz vor dem Prenzlauer Berg im Berliner Stadtteil Pankow einen Plan an jeden Teilnehmer.
Noch immer bin ich mir nicht so richtig sicher, was ich davon halten soll, also stopfe ich das Papier einfach in die Taschen meiner Jeansjacke.
Sobald wir zusammen aus der Bahn aussteigen, fühle ich mich wie in einem anderen Film, es ist völlig surreal, wie unterschiedlich die verschiedenen Bezirke einer zusammengehörigen Stadt sind. Wie der letzte Tourist versuche ich jedes Fleckchen in mich aufzunehmen und mir fällt sofort auf, dass es hier schon so ganz anders riecht, als in Kreuzberg oder Mitte.
Auf den ersten Blick sehe ich junge Berufstätige, die mit einem seichten Lächeln auf den Lippen in die Bahn hüpfen. Mein viel zu aktives Unterbewusstsein malt sich Hintergrundgeschichten aus, zu den wenigen Menschen, die an mir vorbeilaufen. Sicherlich wohnen hier wohlhabende Familien in den restaurierten Altbauten, daher gibt es hier bestimmt die zahlreichen Kindergeschäfte, die ich bei meiner langsamen dreihundertsechzig Grad Drehung erblicke. Spielplätze und kinderfreundliche Cafés sind sicher nicht weit.
Aus meinem komischen Film holt mich nur eine starke Schulter, die mit ordentlichem Nachdruck gegen meine rammelt. „Lauf doch, ey."
„Wow. Es kann sprechen!" antworte ich nur spottend. Woher der plötzliche Ego-Boost kommt, weiß ich nicht, doch Felix' dummer Blick ist Genugtuung vom aller feinsten.
Versauen lasse ich mir die gute Laune aber definitiv nicht. Viel mehr freut es mich, dass sich Regina direkt bei mir unterhakt und interessiert auf den Plan schaut, den Gaby ihr vorhin gereicht hat. „Ich habe mich schon lange auf heute gefreut", beginnt die alte Frau ihre Erzählungen. Die Ausflüge seien definitiv das Highlight der alten Herrschaften und so störe es sie nicht im Geringsten, dass ein ganz, ganz geringer Teil der Gebühren, die sie monatlich bezahlten, dafür verwendet wurde. „Dafür gibt man doch gerne sein Geld aus", scherzt sie und folgt Gaby in das erste Café.
Hier erwartet uns auch die erste Überraschung, denn Gaby verkündet feierlich, dass sie hier die Ausflugsgebühren wieder an die Bewohner verteilen würde. „Dann habt'a auch wat, um euch wat schönet zu koofen. Die Führung is für umme."
Während sich alle wirklich darüber freuen, bin ich wieder mal verwirrt, als ein junger, gutaussehender Mann auf unsere Reisegruppe zugelaufen kommt. In den ersten Sekunden danach, erklärt sich jedoch, das Warum.
Peinlich berührt sehe ich weg, als er Gaby seine Lippen viel zu leidenschaftlich auf ihre drückt. Für den Bruchteil eines Moments scheinen sie zu vergessen, wo sie hier eigentlich sind, trotzdem ist es irgendwie niedlich, wie sie ein wenig errötet, sobald er sich von ihr löst. „So Leudde, ich bin Ali und ich führe euch heut ein bisschen rum", bringt er direkt wieder ein bisschen mehr Respekt an seine Person. Nur leider nicht ganz so erfolgreich, wie er sich das vielleicht ausgemalt hat, denn Hr. Jaschke, dem ehemaligen Grenzsoldaten, fällt nichts Besseres ein, als trotzig die Arme vor der Brust zu verschränken und trocken zu kontern: „Is ja supi, dass de dich nich Führer nennst."
„Äh. Joa." Meint Gaby darauf hin lediglich und ich sehe genau, dass sie sich sofort bei ihrem Freund entschuldigt, während eine junge Dame kleine Gläschen des ersten Kaffees verteilt.
Eigentlich hätte ihr vorher klar sein müssen, dass es keine gute Idee war, den alten Stoffel mitzuschleppen. Umso froher bin ich deshalb darüber, dass Felix sich dem alten Herrn annimmt und ich weiter mit Regina schlendern darf. Dass sie mir dabei zwar ihr halbes Leben erzählt, ist nicht unbedingt angenehm, doch alle ist besser, als dieser Klotz. Irgendwo freut es mich zwar, dass sie mir ihr Vertrauen schenkt, nur fällt mir wieder einmal mehr auf, wie miserabel meine Smalltalk Skills sind.
Auch mit Café Nummer drei, in welchem eine Familie türkische Köstlichkeiten anbietet, verbessere ich mich nicht. Stattdessen ertappe ich mich einmal wieder dabei, dass ich meine Stereotypisieren dringend überdenken sollte.
Während Regina sich ‚erleichtern' geht, wie sie ihren einfachen Toilettengang ein bisschen spektakulärer gestalten wollte, als er letztendlich war, zücke ich meinen Block. Irgendwie habe ich das dringende Bedürfnis Tommi von meinem Tag zu erzählen. Da mein letzter Brief noch nicht ungeöffnet an mich zurück geschickt wurde, schüre ich die Hoffnung, dass er ihn zumindest geöffnet hat. Vielleicht habe ich ja wieder Glück?
Gerade, als ich die ersten Worte niedergeschrieben habe, tritt die Eigentümerin des Geschäfts neben mich und stellt uns den Kaffee, so wie das Gebäck, was ich zuvor erst einmal googeln musste. Baklava sei ein in Zuckersirup eingelegtes Gebäck aus Blätter- oder Filoteig, gefüllt mit gehackten Walnüssen, Mandeln oder Pistazien. In unserem Fall bestellte Regina gleich alle drei Varianten. Ob sie gelesen hat, wie viele Stopps Gaby noch geplant hat?
Statt mir unsere Bestellung aber einfach wortlos auf den Tisch zu stellen, so wie ich es in der Stadt mittlerweile gewohnt bin, schaut sie auf meinen Block. Dumm und naiv, wie ich war, habe ich mich bereits darauf eingestellt, Google Übersetzer benutzen zu müssen, damit sie mich versteht. Tatsächlich muss ich mich konzentrieren, aber nicht aus demselben Grund, wie ich angenommen habe. Mich beschallt kein harter türkischer Akzent, sondern fieses Berlinerisch mit viel rassistischerem Hintergrund, als ich jemals angenommen habe.
„Wat schreibense? Ein Buch? Na da fragense die Richtige. Mir stehts nämlich bis hier mit den Weibern hier im Prenzlauer Berg", wettert sie los und ich starre sie nur mit offenem Mund an: „Eins im Wagen, eins am Wagen, eins im Bauch, so schettern die hier die Straße runter. Schön is dit nich! Die Weiber hier denken doch, die sind was Besseres. Weil sie Kiiiiinder haben! Huch! Is ja ganz was Neues, dass man sich fortpflanzen kann. Gucken Se, da draußen, schon wieder zwei Rinder. Wie die aussehen! Man könnte würgen, wer geht denn über so wat noch drüber? Friseur? Braucht so eine nich. Mal wat anderet als ne Jack-Wolfskin-Jacke? Nee, is nich. Der Alte zahlt ja, den haben se sicher mit dem Blag."
Viel interessanter als ihr Geblubber oder die Tatsache, dass sich bei mir das schlechte Gewissen breit macht, finde ich jedoch, was sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite abspielt.
Dieselbe Bumsmöhre mit derselben Nutte, mit welcher Felix vor dem Heim schon einmal fast eine Nummer geschoben hat, parkt an der Straße. Dieses Mal sieht es jedoch weniger nach einem Liveporno und viel mehr nach einem Streit aus.
Was genau mich dazu reitet, weiß ich nicht, doch ich stehe auf, gebe vor eine rauchen zu wollen und lausche.
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