Prolog

Es ist kalt, für eine Sommernacht im Juli ist es ziemlich kalt.
Mein T-Shirt wärmt mich nicht wirklich und auf meinen Armen bildet sich eine Gänsehaut. Die Holzbank, auf der ich sitze, ist auch schon nicht mehr warm, obwohl die Sonne heute sehr lang geschienen hatte.
Meiner Frau, die neben mir sitzt, ist ebenfalls kalt, ich spüre es. Nicht nur ihre Hände sind so kalt wie meine, sondern auch spüre ich sie als wären wir eine Person. Meine rechte Hand umfasst ihre und ich lege ihr meinen Arm um die Schulter um sie zu wärmen. „Danke, mein Schatz" sagt sie leise und schmiegt sich an mich. Ich lächele und lehne meinen Kopf an ihren.
So sitzen wir hier draußen auf dieser Bank. Grillen zirpen und man hört Frösche trotz der späten Zeit leise im nahegelegenen Teich quaken. Wir lächeln einander an und ich streichele meiner Eline über den Rücken. Verträumt schaue ich in die Ferne.
Man könnte uns für ein frisch verliebtes Paar halten, doch wir sind seit über zwei Jahren verheiratet.
Kennen tun wir uns seit der Universität. Dort haben wir uns in der Bibliothek getroffen und wurden dann nett gebeten nach draußen zu gehen, weil wir ein wohl ein viel zu lautes Gespräch über ein Buch geführt haben. Wir wollten das Gleiche ausleihen und haben dann gemerkt, dass wir uns ziemlich gut verstehen und nicht weit voneinander entfernt wohnen. Dann sind wir oft zusammen zur Uni gegangen und nach ein paar Monaten waren wir ein Paar.
Ich denke gerne an die Zeit zurück, doch mehr liebe ich das Jetzt mit meiner Liebsten.

Als Eline anfängt zu sprechen, schaue ich in ihre tiefen grünen Augen: „Wie hat dir die Party gefallen? Also ich fand das Essen gut, aber die Stimmung war etwas naja ...".
Ich grinse „Meinst du etwa die Stimmung als Timo betrunken zur Musik gesungen hat? So schlecht war er doch gar nicht"
Wir beiden fangen an zu lachen. „Aber ja, das Essen war gut. Aber ich glaube, dass Anne und Sven dafür echt lange in der Küche gestanden haben. Ich habe sogar ihren Sohn gesehen, obwohl der doch vor einem Jahr ausgezogen ist, vielleicht hat der ihnen geholfen"
„Das kann sein, er will schließlich jetzt eine Ausbildung zum Koch bei den Menschen in der Stadt machen. Ich habe ihn einmal dort getroffen"
Ich nicke und schaue dann auf die Uhr, Halb 4: „Ich glaube, wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Wollen wir fliegen?"
„Ach nein, lass uns lieber gehen, ich bin zu müde. Ein Mondscheinspaziergang ist doch auch sehr romantisch"
Sie kommt mir näher und gibt mir einen Kuss auf den Mund. Dann streiche sie durch meine Haare, sodass ein paar schwarze Strähnen sich lösen. Ich streiche sie zurück und stehe dann auf. Ich strecke ihr meine Hände entgegen und sage gespielt nobel:
„Gewiss Madam Corvus, würden Sie mich nun begleiten und mit mir den Juli bei Vollmond genießen?" Galant greift sie meine Hände, steht auf, hackt sich in meinem Arm unter und erwidert dann: „Oh gerne Herr Darius Corvus, was für ein romantischer Ehemann Sie doch sind!"
Lachend gehen wir den asphaltierten Weg entlang. Durch einen Park und dann zu unserem Viertel. Da wir eher ländlich wohnen, sind kaum Straßenlaternen am Rand, außerdem benötigen manche unserer Nachbarn in der Nacht schließlich kein Licht.
Für die anderen, die, wie wir, nicht nachtaktiv sind, stehen kleine altmodischen Straßenlaternen am Rand.
Und heute gehen wir die kurzen Strecken nicht durch die Dunkelheit bis das nächste Licht kommt, weil der Mond unseren Weg beleuchtet. Immer wieder hört man ein Rascheln in den Bäumen, doch das ist für mich schon so normal, dass ich nicht mal das Bedürfnis habe, zu schauen, wer dort so einen Krach macht.
Wir spazieren in einem lockeren Tempo um eine Kurve und hören ein lautes Geräusch.

Ein Knacken, ein Rascheln, ein verletztes Stöhnen.
Eline schaut besorgt zu mir, denn diese Art von Lautstärke ist nicht normal für unsere Gegend.
Dann hören wir ein helles Schreien, ein Schaben auf dem Steinweg, der hinter der nächsten Ecke anfängt und ein tiefes Knurren. Jetzt ist mir wirklich mulmig zumute, denn dort wo das gerade passiert, ist in der Nähe unser Haus. Ich versuche durch die Büsche und Bäume zu lugen, doch es ist nichts zu erkennen. Dann schießt etwas in den Himmel, ein Vogel, wir hören das Flattern seiner Flügel.
Wir blicken gemeinsam nach oben, doch außer den Wolken ist nichts zu erkennen.
Dann ist es still.
Ich drehe mich zu meiner Frau um und reiche ihr meine Hand, sie ergreift sie schnell. Danach bedeute ich ihr an, dass wir zu unserem Haus gehen und dabei schauen sollten, was da gerade passiert war und ob wer oder was noch da ist. Obwohl ich nichts dabei gesagt habe, nickt sie als hätte sie jedes Wort in meinem Kopf gehört. Als wir langsam und vorsichtig weitergehen, blicke ich noch einmal kurz nach hinten.
Ich sehe niemanden und höre auch kein Geräusch, alle nächtlichen Wanderer in den Bäumen, wurden wohl auch vertrieben. Aber wir können nicht einfach nach Hause gehen, wir müssen vorher dieses Hindernis überwinden. Als ich auf den Boden hinter mich blicke, liegen dort schwarze Federn. Mich wundert dies nicht, schließlich sind Eline und ich gerade in einer sehr ungewohnten und schon fast gefährlichen Situation. Und da wir kein wirkliches Kämpfer-, sondern eher ein Überlebenskünstlerblut, in uns tragen, bereiten sich unsere Körper auf eine Notfall Flucht vor.
Ich drehe mich wieder nach vorne und gehe weiter, dabei merke ich den starken Druck in meiner Hand.
Gerade möchte ich meiner Liebe zunicken und ihr Mut machen, doch da hören wir etwas: ein Weinen. Nicht das eines Erwachsenen, sondern das eines jungen Kindes. Erschrocken schauen wir uns an. Unsere Instinkte bewegen uns schon ganz von alleine, sofort laufen wir in unsere Straße und unter unseren Schuhen fliegen die Steine ein weiteres Mal zur Seite. Elin schlägt neben mir die Hände vor den Mund und auch ich bin fassungslos. So schlimm haben wir beide es wohl nicht erwartet.

Vor uns liegt ein Kind, es kann höchstens ein Jahr alt sein und jetzt sehen wir auch den Grund, warum es weint: Es hat eine schlimme Wunde am Arm und blutet fürchterlich, schon die Steine um es herum haben sich rot gefärbt. Keine Gestalt weit und breit ist zu sehen, welches das Kind wohl angegriffen hat, auch die Frösche haben wieder in der Ferne angefangen zu quaken. Entschlossen gehe ich zu dem kleinen Wesen und nehme es hoch.
Das Blut färbt nun auch mein helles T-Shirt, doch das ist mir egal, das Kind und meine Frau zu beschützen ist mein einziger Gedanke.
Ich streiche mit meiner freien Hand über den Kopf und die Haare des Kindes. Es sind rabenschwarze Haare. Das Kind beruhigt sich etwas und weint etwas leiser an meine Brust gelehnt, das Adrenalin lässt wohl nach und jetzt ist es nur noch erschöpft. Ich spüre und rieche, dass das Kind nicht so ist wie ein normaler Mensch.
Es ist wie wir.

Eline kommt zu mir und betrachtet das Kind und streicht behutsam über den Rücken:
„Es ist ein Mädchen und wir müssen es versorgen. Komm schnell, wir gehen mit ihr nach Hause!" meint sie dann.
Ich nicke und wir eilen die paar Meter nach Hause. Während ich das Mädchen halte, schließt Eline die Tür auf, macht Licht an und holt Verbandszeug aus unserer Abstellkammer. Ich schließe die Haustür und gehe mit dem Mädchen ins Badezimmer. Dort ziehen wir dem Kind die blutigen Sachen aus und verarzten sie.
Da ich in meiner Lehrer Vorbereitungszeit Erste-Hilfe-Kurse besuchen musste, weiß ich genau Bescheid. Als wir fertig sind, legen wir sie in eine Decke gewickelt auf unser Sofa im Wohnzimmer. Wir setzten uns dazu und es dauert über eine Stunde bis sich die Kleine beruhigt hat vor Erschöpfung eingeschlafen ist, dann gehen wir in die Küche, um das Geschehene zu verarbeiten und zu besprechen.

„Eline, ich glaube sie ist wie wir, hast du ihre Haare gesehen? So schwarz wie unsere..."
„Ich weiß, aber es gibt hier in der Nähe keine anderen Raben. Aber was ist mit ihren Eltern, wo sind sie? Sind sie vielleicht schwer verletzt oder schon tot?"
„Wir werden sie suchen und wir werden auch dieses Wesen finden, was das Mädchen verletzt hat. Es muss ein Raubtier sein, denn an ihrem Arm war eindeutig eine Bisswunde. Aber wenn wir die Eltern nicht finden, dann ...", ich zögere, bevor ich weitersprechen kann, spricht Elin meine Gedanken aus: „Darius, du willst sie behalten, habe ich recht? Aber das können wir nicht so einfach machen..."
„Ich weiß, aber wenn wir ihre Eltern nicht finden, dann wird sie in ein Kinderheim gebracht und dann kann sie doch lieber direkt bei uns leben. Hier, bei ihresgleichen, wir beide werden doch immer für die Kleine da sein"
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Mädchen zu uns gehört und auch Eline scheint sie zu mögen, denn bevor sie mir antwortet, schaut sie liebevoll in Richtung Wohnzimmer und sagt dann:
„In Ordnung Darius, wenn wir ihre Eltern nicht finden, dann bleibt Irina bei uns"
„Irina?" frage ich lächelnd.
Sie wird rot und meint dann: „Ich dachte Irina sei vielleicht ein guter Name. Sie ist so lieb und friedvoll"
Ich gehe zu ihr, umarme sie und gebe ihr einen Kuss auf den Mund, daraufhin entspannt sich ihr Körper. Dann nehme ich eine Strähne ihrer langen schwarzen Haare zwischen die Finger und sage:
„Dann haben wir bald wohl eine Tochter und sind Eltern. Eltern von unserer kleinen Irina" 

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