Kapitel 59
„Hier wohnt Terry also?" fragt Ced und ich nicke.
Wir stehen vor einem fast alleinstehenden großen zweistöckigen Haus am Ende der Straße. Hinter dem Gebäude erstreckt sich eine Gartenfläche mit kurz gemähtem Rasen und akkurat angepflanzten Obstbäumen.
Äpfel, Pflaumen und Birnen liegen verstreut auf dem Boden und stellen das einzige Unordentliche an Terrys Haus dar.
Die Fassade der Villa ist geklinkert, das bedeutet, dass man die Steine deutlich sehen kann. Dünne Säulen rahmen die Ecken und zwei Balkone thronen in Richtung Garten.
Wir beobachten das Gebäude, versteckt auf der anderen Straßenseite hinter einem Glascontainer und Büschen.
Die Gegend, in der Terry wohnt, ist eindeutig nobler als meine. Womit sie ja schon öfters provokant angegeben hat. Viele Leute, die hier wohnen, besitzen einen hohen Zaun und Überwachungskameras. Terrys Familie hat sich nur für den Zaun entschieden, der aussieht als würden rankende Pflanzen zu schwarzem Metall erstarrt sein.
Würden hier Menschen wohnen, würden bestimmt Wachhunde über das Gelände Patrouille laufen, doch Wandler brauchen das nicht.
Terrys Familie selbst ist gefährlicher als jeder Wachhund, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Haus Wachen positioniert haben, ist groß.
Auf der geschotterten Fläche zwischen dem Eingangstor und der Haustür stehen zwei Autos. Ich weiß nicht welche Marken es sind, dafür interessiere ich mich nun mal nicht, aber sie sehen verdammt teuer aus.
„Ich war noch nie in dem Haus drinnen. Warum auch, Terry und ich sind schließlich nicht befreundet"
„Worauf warten wir eigentlich? Wir sollten Oren so schnell wie möglich befreien!" sagt Iven etwas ungeduldig und lugt ebenfalls durch die Zweige hindurch.
„Wir können jetzt nicht hingehen. Es dauert noch etwas, bis es dunkel wird, da fallen wir auf. Obwohl es schon seltsam ist, dass hier so wenig los ist" erwidert Arka.
„Ist doch egal, wir können schließlich auch mal Glück haben" sage ich.
„Spürst du denn etwas in Bezug auf Oren?" greift Ced Ivens Nervosität auf.
„Irgendwie schon" antwortet dieser „Ich spüre seine Angst und kurz nachdem er vorhin geholt wurde, habe ich einen Drang gefühlt mich zu wandeln. Aber es war nicht natürlich, eher wie gezwungen. Danach habe ich keine Signale mehr bekommen"
„Sie warten also" murmelt Ced nachdenklich.
„Warum sollten sie das tun?" denke ich ebenfalls laut nach.
„Vielleicht wollen sie sicher sein, dass sie in Ruhe gelassen werden" meint Arka.
„Oder sie müssen darauf warten, dass die ganzen Patienten aus dem Ärztehaus weg sind" sagt Ced.
„Wir können es nicht wissen, aber wir sollten uns jetzt hier drauf konzentrieren. Die anderen kümmern sich um das Ärztehaus" gebe ich zu bedenken.
Ced nickt und ich beruhige mich ein wenig.
Natürlich bin ich, wie Ced besorgt um das Wohl meiner Freunde, die auf der Parallelmission sind. Aber was bringt es, wenn die Gedanken am falschen Ort sind? Es sorgt nur dafür, dass unsere Konzentration versagt.
Ich richte meinen Blick wieder zu Terrys kleinem Schloss. Es wirkt ruhig und ich kann nicht sagen, ob jemand im Haus ist.
Musik vernehme ich nicht und auch die Lampen, die im Haus brennen, könnten aus Deko Gründen angeschaltet sein.
Bewegungen kann ich durch die Fenster auch keine erkennen, zudem sind bei vielen die Vorhänge zugezogen.
Ein Eichhörnchen flitzt durch den Garten. Ich sehe es nur aus dem Augenwinkel, doch nehme es messerscharf wahr.
Es ist wohl über den eisernen Zaun geklettert und läuft nun schnurstracks auf den Apfelbaum zu. Ist das ein Wandler?
Ich ziehe die Luft durch meine Nase ein. Der Geruch des Busches und des Glascontainers sind stark, schließlich sind sie direkt neben mir, doch ich rieche das Tier, obwohl es Meter von mir entfernt ist.
Ohne Zweifel, es ist ein echtes Tier.
Aber mal ehrlich, welcher Wandler würde sich trauen als Mensch oder in Tiergestalt das Grundstück der berüchtigten Puma Familie Kuguar zu betreten.
Tja, neben mir befinden sich gerade drei von dieser verrückten Sorte und ich bin diejenige, die die Idee dazu hatte.
Just in diesem Moment tut sich etwas an der Haustür, sie wird geöffnet. Stumm winke ich meinen Freunden zu, sodass sie sich ebenfalls das Geschehen ansehen.
Ced hockt sich neben mich und als sich unsere Körper kurz berühren ist seine Haut eiskalt und angespannt. Er trägt zwar über seinem leicht orangenen Shirt eine schwarze Jacke, doch schimmert seine Haut hell, sodass seine Wunden und Narben von den bisherigen Kämpfen deutlich zu sehen sind.
Zusammen beobachten wir, wie ein Mann und eine Frau aus dem Haus herauskommen und in Richtung Autos zu steuern. Beide scheinen etwas älter als meine Eltern zu sein.
Der Mann ist auf jeden Fall Terrys Vater. Da er Bürgermeister von unserer Stadt ist, habe ich ihn schon öfters in der Zeitung oder auf Plakaten gesehen. Seine schulterlangen blonden Haare bewegen sich sanft bei jedem Schritt.
Die grüne Krawatte, die er trägt, sticht aus seinem Outfit, ein schwarzer Anzug, ziemlich heraus.
Auch die Frau, vermutlich Terrys Mutter, hat lange blonde Haare und ist schick angezogen. Ihre vermutlich lockigen Haare hat sie hochgebunden oder hochbinden lassen.
Ihr blaues langes Kleid umfließt ihren Körper und ein bewusster Schnitt im Kleid lässt auf ihre Beine blicken.
Die Frau sieht makellos aus. Man kann nicht abstreiten, dass Terry schön ist und jetzt ist mir auch sehr bewusst, woher sie das hat.
Hinter dem Ehepaar tritt ein Mann hervor, er scheint ungefähr Anfang 30 zu sein und hat dunkelbraune Haare.
Er gehört eindeutig nicht zur Familie. Auch seine Haltung und sein Handeln verdeutlichen das. Er öffnet zuerst dem Bürgermeister und dann seiner Frau die Tür des ersten Autos und reicht ihr eine glitzernde kleine Handtasche.
Bevor sie allerdings einsteigen, schweift der Blick von Terrys Mutter durch die Gegend und bleibt dann in unsere Richtung hängen.
Iven zieht erschrocken die Luft ein und hält sich dann die Hand vor den Mund.
Stocksteif kauern wird dort sekundenlang und beten, dass uns die Frau nicht gesehen oder gerochen hat.
Ich spüre Arkas warmen, aber ungleichmäßigen, Atem in meinem Nacken.
Jetzt bloß nicht in Panik verfallen, denke ich fieberhaft und kralle meine Finger in den feuchten Boden. Wenn wir jetzt auffliegen, werden wir es nicht schaffen ins Haus zu kommen. Vor allem, weil unsere Chancen gerade so gutstehen, da Terrys Eltern offensichtlich gerade gehen wollen.
Dann dringt die glockenähnliche Stimme von Frau Kuguar zu uns herüber:
„Schatz, du solltest wirklich mal dafür sorgen, dass dieser hässlicher Glascontainer dort drüben verschwindet. Er zerstört das schöne Bild unserer Straße"
Mir fällt fast ein Stein vom Herzen, als ich das höre. Sie regt sich nur über den Glascontainer aus, aber nicht über uns.
Ein Glück.
„Natürlich ich werde mich mit den richtigen Leuten in Verbindung setzen" antwortet ihr Ehemann und steigt dann in das Auto ein.
„Ich glaube nicht, dass die ihren Müll jemals selbst weggebracht haben" stößt Iven aus und deutet mit dem Kopf auf den jungen Mann mit den dunklen Haaren, der nun bei der Fahrertür einsteigt und offensichtlich der angestellte Chauffeur ist.
Noch ein letztes Mal dreht sich die Frau um und winkt einem Mann in dunklen Klamotten zu, der langsam aus dem Haus heraustritt.
Auch seine Haare sind dunkel, doch im Gegensatz zum Chauffeur wirkt er stark und nicht so eingeschüchtert und unterwürfig. Aber trotzdem muss er ein Angestellter sein, da Frau Kuguar bestimmend zu ihm sagt:
„Wir sind um 12 wieder da und berichte mir dann, wie die Sache von Terry verlaufen ist. Sie wird es dir mit Sicherheit erzählen"
Er nickt und durch seine Bewegung glitzert etwas an seinem Hals.
Ich schaue genauer hin. Ist das etwa ... ein Halsband?
Ich kann nicht sicher sagen, ob es wirklich ein weißes Halsband ist, welches man Hunden ummacht, aber es sieht verdammt so aus.
Typisch, wenn man schon Angestellte hat, denen schön zeigen, dass man besser ist.
Abartig.
Auch Ced schüttelt angewidert den Kopf. Ihm scheint ebenfalls das Glitzern aufgefallen zu sein.
Zufrieden steigt Terrys Mutter ebenfalls ins Auto. Die Türen schließen sich, wohingegen das Metalltor wie von Zauberhand geöffnet wird.
Es schwingt auf und das schicke schwarze Auto gleitet aus der Einfahrt auf die Straße und das Tor schließt sich wieder.
Die Wache hingegen schließt die Haustür, beobachtet das wegfahrende Auto und macht sich dann auf in den Garten. Vermutlich ist er für den Außenbereich zuständig. Also unsere erste Hürde.
Aber egal, Terrys Eltern sind nicht da, das bedeutet, dass wir gegen zwei Leute weniger kämpfen müssen, um Oren zu retten.
Außerdem klingt die Aussage von Terrys Mutter sehr danach, als würden sie Oren im Haus verstecken.
„Glaubt ihr es gibt noch mehr Wachen?" frage ich in die Runde. Nun können wir wieder etwas lauter sprechen.
„Mindestens eine im Inneren vermute ich" meint Ced grübelnd „Und falls Oren hier ist, natürlich noch das Trio und Herr Doktor Ursus"
„Und wie sollen wir auf das Gelände kommen? Ihr könnt vielleicht fliegen oder klettern, aber ich kann das nicht" gibt Iven zu bedenken und plant schon den nächsten Schritt für unseren Einbruch.
„Vielleicht könnte Ced dich mitverwandeln" denke ich laut nach, doch dieser unterbricht mich kopfschüttelnd
„Das wäre Unsinn, Iven ist danach ohnmächtig, er wäre für uns nur eine größere Last"
Iven und Arka schauen uns verwirrt an, da sie nicht wissen, wovon Ced und ich reden.
Aber das ist im Moment auch nicht so wichtig, denn Ced hat Recht, meine Idee funktioniert nicht.
„Du hast Recht, dann müssen wir dir einfach helfen drüber zu klettern, wir müssen nur aufpassen, dass uns keiner sieht"
„Dort auf der Seite könnte es gehen" sagt Arka und deutet auf die rechte Seite des Hauses, wo noch das eine Auto steht.
„Die Wache ist zur linken Seite in den Garten gegangen, aber rechts haben die Nachbarn eine Mauer gebaut. Dort sind wir unbeobachteter als direkt vorm Eingang"
„Alles klar, ihr beide helft Iven beim rüber klettern und ich fliege herum und schaue, dass uns keiner sieht" sagt Ced selbstsicher.
Vor unseren Augen wandelt er sich, nicht so angeberisch wie sonst, stößt sich dann vom Boden ab und steigt hoch in die Luft. Er achtet darauf, dass er und wir nicht von der Wache gesehen wird.
Als die Luft rein ist, winkt er uns zu und wir drei rennen leise zur entsprechenden Stelle am Zaun.
„Der Zaun ist aber ganz schön hoch, Irina" meint Iven unsicher.
Leider hat Iven recht, der Zaun ist doppelt so groß wie Arka und wirkt etwas beängstigend.
Doch ich bin ein Luchs-Wandler. Klettern sollte für mich ziemlich normal sein, auch in meiner menschlichen Form.
Ich drehe mich zu den beiden um und sage dann: „Ich werde als erstes klettern. Dann steigt Iven auf deine Schultern, Arka und klettert ebenfalls rüber. Als letztes kommst du rüber. Ced wird dann bei uns landen"
„Okay" antworten die beiden und ich trete einen weiteren Schritt an den Zaun heran. Das schwarze Metall ist kalt und glatt.
Hätten die Kuguars einen Zaun mit einfachen Stangen bauen lassen, hätte ich niemals drüber klettern können, doch die Metallpflanzen werden mir Halt geben. Bei dem Gedanken muss ich lächeln. Man sollte mich nicht unterschätzen.
Die Frage ist nur, ob ich zu schwer bin.
Ich setze meinen Fuß schräg auf die erste Rose und ziehe mich hoch. Kurz halte ich die Luft an, doch das Metall hält zum Glück.
Meine Hände finden trotz dem glatten Untergrund Halt und ich habe das Gefühl immer den richtigen Punkt im Zaun zu finden, auf den ich treten kann. Vermutlich ist das mein innerer Kletterinstinkt.
Das herunter Schauen vermeide ich, das würde mich nur ablenken, denn jetzt kommt die schwierigste Stelle.
Oben am Zaun befinden sich Spitzen, die wie Speere aussehen und ich bin zu groß, um mich dort durchzuquetschen und auch meine Beine sind zu kurz, um dort ohne Schaden herüber zu kommen.
Ich zucke kurz zusammen als die Straßenlaterne mit einem Sirren automatisch eingeschaltet wird. Dass es dunkel geworden ist, habe ich wegen der ganzen Aufregung gar nicht mitbekommen.
Ich schaue nach oben und nur mit einem gezielten Blick kann ich Ceds teilweise weißes Federkleid erkennen.
Arka scheint meine Unsicherheit bemerkt zu haben, denn er ruft leise zu mir hinauf:
„Du musst dich verwandeln, Irina. Spring dann drüber und lande auf dem Boden, das ist am einfachsten"
„Am einfachsten?" stoße ich aus und bei dem Gedanken, über die Speere zu springen, hängen zu bleiben oder mir bei der Landung auf dem Boden was zu brechen, wird mir schlecht.
Vorsichtig versuche ich möglichst guten Halt zu bekommen, schließlich können meine Pfoten keine Stange fest umklammern.
Arkas Idee ist wohl die einzige Lösung.
Obwohl die Situation es eigentlich nicht erlaubt, schließe ich die Augen.
Ich denke an mein Feuer und spüre den Luchs, der durch das Adrenalin in meinem Körper ganz schön aufgeputscht ist.
Plötzlich brennt mein Körper auf und ich muss einen kleinen Schrei unterdrücken. Die Kraft, die in mir lodert, ist intensiver als ich sie kenne. Das muss wegen dem vergangenen Vollmond sein.
Ich reiße die Augen auf und meine Krallen versuchen sich in das Metall zu graben, um Halt zu finden, was allerdings nicht möglich ist.
In meiner Luchsform wackele ich etwas unsicher hin und her und schlucke dann meine Sorgen herunter.
Ich muss auf Arkas Idee vertrauen.
Ich drücke mich von dem glitschigen Metallblättern ab und springe ins Nichts.
Wie ein Vogel im Sinkflug, stürze ich auf den Rasen hinab, der auf Grund meiner anderen Größe als Luchs, viel weiter entfernt wirkt.
Immer näher kommt er, doch als ich erschrocken die Augen aufreiße, weil ich befürchte, dass ich mit voller Länge auf meiner Schnauze landen werde, ist es vorbei. Instinktiv habe ich mich abgerollt und stehe nun aufrecht, auf allen vier Tatzen, auf Terrys Rasen.
Ich hab's geschafft.
Neben mir saust etwas auf dem Boden zu und ihm nächsten Moment ragt Ced über mich hinaus. Er ist neben mir gelandet, als wäre es nichts.
Er nickt mir lächelnd zu, während Iven sich, von Arkas Schultern aus, auf dem Weg macht, den Zaun zu erklimmen.
Ich habe mich zwar selbst nicht gesehen, doch es sieht so aus, als würde er meine Schritte nachahmen.
Oben angekommen, hat er ein ähnliches Problem wie ich, doch geschickt zwängt er sich durch, schneidet sich aber leicht an seinem Arm.
Ich rieche, wie ein wenig Blut aus seiner Wunde tropft.
Schnell klettert er herunter und Ced nimmt ihn unten in Empfang. Inzwischen habe ich mich auch zurückgewandelt und mir ist etwas bewusst geworden.
Und zwar könnte es für Oren gefährlich sein, wenn Iven sich wandelt. Und andersrum genauso. Hoffen wir einfach, dass wir Oren bald finden.
Als letztes klettert Arka hinüber, bei ihm sieht der Zaun gar nicht so hoch und schwer aus. Fast schon anmutig schwingt er sich hoch und verwandelt sich ebenfalls an der Spitze, um, wie ich, herüberzuspringen.
Unten angekommen fällt mir etwas an seinem Kopf auf. Um seine Stirn ist ein schwarzes Band, an dem ein kleiner Kasten gebunden ist. Und dieser ist noch da, als Arka wieder als Mensch vor uns steht. Auch Iven scheint das bemerkt zu haben, denn er fragt flüsternd:
„Was ist das denn da an deiner Stirn, Arka? Ne Kamera?"
Arka nickt und drückt auf einen Knopf, sodass ein winziges rotes Licht aufleuchtet: „Exakt"
„Aber warum?" frage ich verwirrt und runzele die Stirn.
„Das werdet ihr noch sehen, aber ich denke wir sollten uns langsam auf den Weg ins Haus machen" umgeht Arka meine Frage.
Auch Ced wirkt etwas misstrauisch, schüttelt dann aber den Kopf und fährt mit unserem Plan fort.
Leise setzt er einen Fuß vor den anderen und geht in Richtung Haus. Wir tun es ihm nach, denn die nächste Frage ist, wie kommen wir in die Villa hinein?
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