Kapitel 54
Nervöse hüpfe ich von einem Fuß auf den anderen und schaue auf das Mehrfamilienhaus, das in einigen Metern vor uns aufragt. In diesem Haus wohnt Arka Bach, vermutlich der Werluchs, der mich vor 15 Jahren verwandelt hat.
„Aufgeregt?" fragt Ced und streicht mit seinen Fingerspitzen über meine Hand und kleine Regentropfen fallen auf seine Haut.
Seine schwarze Jacke hat er geschlossen, während der Wind über meine Armhaare gleitet, da ich meinen Reißverschluss aufgelassen habe. Der Grund dafür ist, dass mir gerade so unglaublich warm ist, wahrscheinlich weil ich so nervös bin.
Auch mein innerer Luchs hüpft aufgeregt in mir umher, von Angst scheint nicht die Rede zu sein, vielleicht sieht mein Luchs Arka Bachs Luchs wie einen Vater an?
Irgendwie eine seltsame Vorstellung und ich weiß nicht, ob mir die Vorstellung gefällt, mein Luchs könnte in den nächsten Minuten sich untergeben benehmen, schließlich ist es in irgendeinem Sinne, auch wenn ich die Motive noch nicht genau weiß, Bachs Schuld, dass ich ein kompliziertes Luchs Leben führen.
„Das kannst du laut sagen" antworte ich auf Ceds Frage und wende meinen Blick von dem Haus ab. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass das das richtige Haus ist, die Adresse stimmt und auch wenn ich viele Meter und Wände von dem anderen Werluchs entfernt bin, kann ich ihn riechen. Und das ist wirklich nicht normal, andere Wandler und besonders Luchse kann ich aus einiger Entfernung schwach wahrnehmen.
Aber jetzt ist der Geruch so intensiv, als würde er neben mir stehen. Logischerweise müsste Arka Bach auch schon von meiner Anwesenheit wissen, ein seltsames Gefühl.
„Ich glaube mir sollten langsam zur Haustür gehen, der Regen wird stärker" sagt Ced und auf seine in die Höhe gehaltene Hand fallen wie aufs Stichwort dickere Tropfen.
Schon auf dem Weg hierher hatte es geregnet, zwischendurch sogar ziemlich schlimm, deswegen sind wir auch nur in Tiergestalt unterwegs gewesen. Das hat dafür gesorgt, dass unsere Klamotten jetzt nicht nass sind. Wenn wir uns allerdings das nächste Mal wandeln, wird unser Fell und Gefieder wohl noch etwas trocknen müssen.
„Na gut, Arka Bach weiß vermutlich eh schon, dass wir hier sind"
„Wie kommst du darauf?"
„Sein Geruch ist sehr intensiv und das gilt vermutlich auch für meinen" erkläre ich und Ced scheint es zu verstehen, auch wenn er nicht über einen ausgeprägten Geruchssinn verfügt, stattdessen können seine Augen bei Tag alles messerscharf erhaschen.
„Dann wollen wir mal, wofür waren wir sonst tagelang unterwegs?" meint Ced lächelnd und setzt einen Fuß in Richtung Mehrfamilienhaus.
„Also eigentlich war die Reise gedacht, um meinen Eltern zu finden" antworte ich und erinnere mich an den Tag zurück, als ich zuhause meinen Koffer für die Reise durch Halbdeutschland gepackt hatte.
„Aber niemand konnte damit rechnen, dass du mich triffst und nach deinen Eltern jetzt noch deinen 'Schöpfer' finden musst"
„'Schöpfer' klingt irgendwie so, als wäre er ein Gott" gebe ich ernst zu bedenken und bekomme eine Gänsehaut.
Ced scheint meine Sorgen zu bemerken und legt seinen Arm auf meine Schultern: „Hey Irina, wenn der Typ blöd ist, dann gehen wir einfach wieder, wir sind freiwillig hier und wenn irgendwas ist oder dir was nicht gefällt, dann sag mir Bescheid. Festhalten kann er uns nicht"
„Okay" antworte ich und nicke ihm dankend zu.
Er nickt ebenfalls und seine Strähnen werden durch den Regen leicht an seine Stirn geklebt.
Entschlossen eilen wir zur Haustür, da wir dort vor dem Regen geschützt sind.
Ich suche das Klingelschild ab und drücke auf die entsprechende Taste, die ganz oben ist: Arka und Sara Bach.
Schon nach wenigen Sekunden ertönt ein Surren und die Tür lässt sich aufdrücken. Verwundert schaut Ced zu mir und auch ich bin etwas überrascht, denn normalerweise spricht man erst mit der Gegensprechanlage.
„Er weiß, dass wir es sind" flüstere ich zu Ced, dieser nickt und beginnt dann leise die Treppe hinaufzusteigen.
Ich folge ihm und blicke nach oben, dort wohnt mein 'Schöpfer' und jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Als wir die letzten Treppenstufen erreichen, kann ich schon im Türrahmen eine Frau stehen sehen, die lächelnd zu uns schaut und Ced ihre Hand reicht.
„Ced und Irina, schön euch kennenzulernen, mein Name ist Sara. Kommt rein, Arka macht gerade Tee und wartet dort auf uns" sagt sie und schüttelt dann auch meine Hand.
Sara scheint Anfang 30 zu sein und sieht mir recht ähnlich, sie ist nur ein paar Zentimeter größer, ihre Haare sind aber so lang wie meine, nur etwas bräunlicher als meine komplett Schwarzen.
Ich kann nicht sagen, welches Tier sie ist, aber ein Wandler ist sie auf jeden Fall.
Ced und ich betreten nun doch etwas offener, auf Grund des netten Empfangs, die Wohnung von Sara und Arka.
Sie ist maritim eingerichtet, überall sind kleine Leuchttürme und Möwen Deko zu erkennen. Mein Blick fällt auf Ced, denn seine Kindheit sah ja genauso aus, doch es lässt sich kein Schmerz oder eine andere zweifelnde Emotion in seinem Gesicht erkennen. Anscheinend beobachtet er eher jedes kleine Detail.
Wir folgen Sara nach rechts in ein Wohnzimmer mit kleinem Balkon, dann weist sie uns an, uns auf die zwei Stühle zu setzen, die etwas verloren im Raum neben dem Sofa stehen.
Es ist eindeutig, diese Stühle wurden für Ced und mich dort hingestellt, anscheinend waren Sara und Arka ähnlich aufgeregt wie ich.
„Ich gehe schnell in die Küche und bringe euch eure Tassen mit, Früchtetee ist doch okay, oder?" fragt Sara, während Ced und ich uns niederlassen.
„Aber natürlich" antworte ich lächelnd und lege dabei meine Jacke über die Lehne, zum Glück ist sie nicht so nass, dass Wasser auf den Teppich, der auf dem Holzfußboden liegt, tropfen könnte.
Sie strahlt uns an und verlässt schnell den offenen Raum.
„Ein wirklich netter Empfang" flüstere ich Ced zu.
„Natürlich, wir möchten doch schließlich, dass ihr euch wohlfühlt" ertönt plötzlich eine dunklere Stimme und ein großer Mann tritt mit zwei Tassen in der Hand ins Wohnzimmer, hinter ihm kommt Sara und drückt uns jeweils eine rot-blaue in die Hand.
Der Duft von Beeren kann allerdings nicht den Geruch von dem vor mir stehenden Luchs verdecken, das ist Arka und seine Präsenz sorgt dafür, dass ich ihn mit offenem Mund anstarren muss.
Er scheint ebenfalls Anfang 30 zu sein und ragt mit einem Kopf Unterschied über Sara hinaus. Seine braunen Haare sind so lang wie Ceds, doch er hat sie ordentlich gestylt, sodass sie stimmig mit seinem rasierten Bart sind.
Auch auf Ced scheint dieser Mann einen besonderen Eindruck zu haben, da er ihn ebenfalls anstarrt, allerdings mit geschlossenem Mund.
„Es ist schön euch kennenzulernen, vor allem dich Irina, mein Name ist Arka, aber das weißt du vermutlich schon" sagt Arka schmunzelnd und setzt sich mit Sara aufs Sofa.
„Ähm ja, also danke, dass wir Sie besuchen dürfen" stottere ich heraus und halte mich an meiner Tasse fest und nehme einen Schluck.
„Ihr könnt uns gerne duzen" sagt Sara lächelnd und trinkt ebenfalls ihren Tee.
„Ich sehe euch an, dass ihr viele Fragen habt, über die Wandlung, Werwesen und besonders über den Vollmond, auch Frau Professor Doktor Zea hat so etwas angedeutet. Was wollt ihr zuerst hören?" fragt der Werluchs wissend und lächelnd uns freundlich an.
„Oh, naja es gibt so viel, was ich wissen möchte" fange ich an und überlege mir meine erste Frage „Wie bist du ein Werluchs geworden und wie war deine erste Wandlung?"
„Das ist eine gute Frage und sie bringt uns weiter in der Geschichte als du denkst, Irina. Ich weiß nicht genau, wer mich gebissen hat, aber es muss irgendwann im Kindergartenalter gewesen sein, anscheinend wurde ich bei einem Waldausflug gebissen.
Damals wohnte ich mit meinen Eltern einige Stunden Autofahrt von hier entfernt und es hielten alle für einen Unfall mit einem Hund und ich war zu jung, um mich an Details zu erinnern" fängt Arka an zu erzählen.
„Entschuldigung, dass ich dich unterbreche, aber die Ärztin hat mir erzählt, dass wenn man gebissen wird und noch nicht im Wandlungsalter ist, sich die Augenfarbe ändert. Ist es denn keinem aufgefallen, dass du bernsteinfarbene Augen bekommen hast?" frage ich, weil Arka dieselbe Augenfarbe hat wie ich, Luchs-typisch.
„Das war nicht besonders auffällig, ich hatte schon vorher hellbraune Augen und bei manchen Menschen kann sich im Kindesalter wirklich die Augenfarbe ändern. Deswegen ist keinem etwas aufgefallen, die Ärzte untersuchten mich auf Tollwut und übrig blieb nur eine Bisswunde an meinem Bein, die ungewöhnlich schnell verheilte"
Arka stoppt und deutet mit der Hand auf sein rechtes Bein, doch die Hose verdeckt seine Haut, sodass seine Bisswunden nicht zu sehen ist.
Aber auch ich habe eine Bisswunde, sie ist an meinem Arm, allerdings ist sie so gut verheilt, dass man nur noch ein paar helle Striche erkennen kann. Das muss die Bisswunde von Arka sein, als er mich gebissen hat.
„Jahrelang ahnte niemand etwas von dem Luchs in mir drin und auch ich spürte nichts Auffälliges. Dann aber, kurz nach meinem 16. Geburtstag, starb meine Mutter an Krebs. Mein Vater und ich zogen in eine andere Stadt, nicht weit von hier, aber meinem Vater ging es immer schlechter und anstatt sich Hilfe zu holen, fing er an Alkohol zu trinken. Immer öfter war er fort und auch an dem Abend, wo ich meine erste Wandlung hatte. Ich wusste, dass Vollmond war, schon am Tag davor, ich war ruhelos und mir war nach wärmer als mir normerweise im Juli war. Teilweise zitterte ich und fühlte mich seltsam wütend.
Am Vollmondtag war mein Vater lange auf der Arbeit gewesen und hatte mir versprochen am Abend mit mir Essen zu gehen. Ich ging zu dem vereinbarten Restaurant und freute mich auf ein paar schöne Stunden. Doch nach ewigen Warten kam er nicht, ich rief ihn an und als er ranging hörte ich, dass er betrunken war und auch eine Stimme von einer Frau hörte ich im Hintergrund.
Das machte mich rasend und ich legte auf. Wütend rannte ich davon, meine Beine waren kräftiger als normal und ich gelangte in einen kleinen Wald.
Vermutlich hat es mich dort natürlich hingezogen, denn hätte ich mich das erstmal vor dem Restaurant gewandelt, hätte ich wohl noch ganz andere Probleme gehabt.
Zumindest zerriss es mich im Wald plötzlich und ich hatte unglaubliche Schmerzen, du weißt vermutlich welche ich meine"
„Ja, es war schrecklich" flüstere ich nickend.
„Ja, das war es und ich war nicht darauf vorbereitet, ich kannte keine Wandler und die Wut durch den Schmerz der Wandlung hat mich blind gemacht. Ich begriff gar nicht was geschah als ich auf einmal auf vier Pfoten stand, ich war wie in einem Fibertraum. Ich rannte los und stand plötzlich auf einem Campingplatz, niemand bemerkte mich, aber ich hörte ein Baby schreien und das hat mich fertig gemacht, es war viel zu laut für meine neuen Ohren.
An das was dann passiert ist kann ich mich kaum noch erinnern, ich nahm das Kind und lief davon, hinter mir hörte ich die Schreie der Eltern. Irgendwann kam ich in eine Wohngegend und einige Vögel, keine Wandler, griffen mich plötzlich an, sodass ich das Kind blutend zurückließ und nach Hause gelaufen bin. Dort habe ich es geschafft meine Wut zu zügeln und mich zurückzuverwandeln, dann bemerkte ich meinen Fehler und machte mich sofort auf dem Weg, zurück zu dem Ort wo ich das Kind gelassen hat. Doch es war verschwunden, damals dachte ich die Vögel hätten es mit sich genommen und getötet"
Ich lausche Arkas Worten und kann mir bildlich vorstellen wie dieser wütende Luchs durch die Gegend prescht und von jedem Geräusch weiter gereizt wird.
Als ich mich das erste Mal gewandelt habe, war ich nicht wütend und Samira hat dafür gesorgt, dass ich mich nicht alleine gefühlt habe, aber genau das war Arka: alleine.
„Und du hast nie erfahren, was mit diesem Kind passiert ist?" fragt Ced, der die ganze Zeit ebenfalls leise zugehört hat.
„Nein, ich dachte ja, dass es tot sei, aber jetzt wo du vor mir stehst, ist es sicher, Irina. Dieses Kind hat überlebt und es gibt keinen Zweifel daran, dass du es bist"
Ich nicke, weil ich es mir auch schon gedacht habe, das Puzzle ist gelöst, jedes Teil fügt sich nahtlos ineinander.
„Ja Arka, ich spüre es auch und deswegen habe ich auch noch so viele Fragen an dich..."
„Und ich werde sie dir alle beantworten" antwortet der Werluchs, dessen damalige Wut nicht mehr zu spüren ist.
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