Kapitel 53

Gefühlt habe ich die letzten Tage mein Handy nicht beachtet, nicht berührt und es gekonnt ignoriert. Jede Nachricht wurde auf von mir vorher auf stumm geschaltet und Anrufe auf Vibration.
Es ist seltsam das kalte Metall jetzt wieder in meiner Hand zu spüren.
Ich drehe mein Handy um und schaue durch die durchsichtige Hülle. Ein Polaroid Bild steckt dort. Und darauf sind Samira, Matteo und ich zusehen. Im Hintergrund kann man meine Freunde Nataniel und Lina auf unserem Schulhof erkennen.
Das Foto ist nur wenige Wochen alt. Eine Mitschülerin hatte die Kamera zu ihrem Geburtstag bekommen und wir hatten sie nach einem Bild für uns gefragt.
Damals war vieles noch anders, wir alle lächeln, als wäre alles okay. Und das war es auch, eigentlich war alles okay. Damals war mein größtes Problem die Frage, wann meine erste Wandlung endlich passieren würde.
Es ist seltsam meine anderen Freunde so zu sehen, als wäre das Bild in einer Parallelwelt aufgenommen. Vor ein paar Jahren bin ich mit meiner Familie in den Sommerferien nach Norwegen gefahren und dann habe ich Teile von meinen Mitschülern und Freunden vergessen. Nicht auf die Art, dass man kurz vergisst, was man vorhat, sondern es erst wieder weiß, wenn man die Person wieder sieht.
Das war ein sehr seltsames Gefühl, als ich dann zum Beispiel Josie wieder gesehen habe, sind ganz viele Erinnerungen aus unseren letzten gemeinsamen Jahren hochgekommen und das war mir unglaublich peinlich, obwohl sie nicht sehen konnte, was in mir vorgeht.
Und genau so ein ähnliches Gefühl habe ich jetzt, ein Gefühl aus Scharm und schlechtem Gewissen. Natürlich war es logisch, dass ich die letzte Zeit viel an mich selbst und an den Zoo denken musste, es ist überlebenswichtig, aber keinen Moment habe ich an meine Freunde gedacht, die ich nicht eingeweiht habe.
Sie wissen nicht, wo ich seit Tagen bin und was denken sich wohl die Frettchen Zwillinge? Vor meiner Abreise habe ich sie über meine Wandlung eingeweiht und dann verschwinde ich plötzlich. Ich bin eine unverantwortliche Freundin.

Ich seufze und drehe das Bild schnell um und lasse den Bildschirm aufleuchten. Vielleicht sollte ich erst mit den kleinen Dingen anfangen. Ced hat mich gestern Nacht überzeugt und ich bete, dass das hier kein Reinfall wird. Es ist Donnerstagmittag und niemand von meiner Familie ist zuhause, aber ich könnte sie jetzt in ihren Mittagspausen erreichen.
Sobald ich meine mobilen Daten einschalten, ploppen unzählige Nachrichten und verpasste Anrufe auf und ich wische sie erstmal weg.
Schnell gehe ich auf WhatsApp und öffne den Chat mit Lina. Ich überlege kurz und tippe dann eine Nachricht darüber ein, dass ich im Moment eine Auszeit brauche, um mich selbst zu finden und dass sie sich keine Sorgen machen sollte, wenn ich noch länger fehlen sollte. Noch ein paar positive Emojis und ich schicke die Nachricht ab. Auch an Nataniel und Jodie schreibe ich eine Nachricht, was schon für ein bisschen besseres Gefühl sorgt.
Dann schließe ich die Chats und widme mich seufzend den verpassten Anrufen und Nachrichten meiner Eltern.
„Irina, bitte komm nach Hause, wir wollen nicht die Polizei rufen"
„Bitte melde dich, wir machen uns Sorgen. Wir können dir bestimmt helfen"
„Denk an dein Versprechen!"
„Bitte komm zurück"
Und noch mehr ähnliche Nachrichten haben meine Eltern geschickt und auch angerufen haben sie ganz oft, besonders am Tag nachdem ich aus dem Fenster geklettert bin.
Nur noch zwei Anrufe von heute Morgen bleiben übrig, doch einer verwundert mich und sorgt für einen wachsenden Knoten im Hals.

„Ein verpasster Anruf von Zoe, 7:50 Uhr"
Meine Schwester hat versucht mich anzurufen, das hat sie seit Monaten nicht mehr gemacht, es muss wichtig sein...
Schnell schaue ich auf die Uhr.
Verdammt, die Pause ist seit einigen Minuten vorbei! Aber egal, ich muss jetzt mit ihr sprechen.
Ich wähle ihre Nummer und halte mir das Handy ans Ohr.
Bitte geh ran, denke ich, während es am anderen Ende klingelt.
„Hallo hier ist Zoe" meldet sich endlich die Stimme meiner Schwester.
„Zoe, hier ist Irina!"
„Irina, endlich meldest du dich, Mama und Papa machen sich so Sorgen um dich" antwortet sie mit Trauer, Vorwurf und Erleichterung in ihrer Stimme. Ich schüttle betrübt den Kopf und horche dann aber auf, da ich aus meinem Handy laute Autogeräusche höre.
„Ich weiß, es tut mir auch leid, aber es ist wirklich wichtig. Aber wo bist du, ich höre Autos?"
„Ähm... ich bin in der Stadt in der Nähe der Autobahn"
Verdutzt horche ich auf.
„Zoe, warum bist du da?"
„Naja," fängt sie etwas unsicher an „Mama war so traurig und dann bin ich vorhin los, um dich zu suchen"
„Oh mein Gott, wissen Mama und Papa, dass du dort bist?" stoße ich nervös aus. Der Gedanke meine kleine Schwester alleine an irgendeiner Autobahn stehen zu sehen, macht mir Angst. Auch wenn ich weiß, dass sie wegfliegen könnte.
„Hmm... nein, sie wissen es nicht" murmelt sie leise und ihre Antwort wird fast vom lauten Hupen übertönt.
„Zoe, du musst unbedingt nach Hause! Das kann gefährlich sein"
„Ich gehe nur nach Hause, wenn du das auch machst!" erwidert sie nun trotzig und entschieden.
Ich seufze: „Ich kann nicht, Zoe. Ich habe meine wahren Eltern gefunden und muss jetzt noch eine andere Person treffen, erst dann kann ich nach Hause kommen"
„Du hast deine Eltern gefunden?"
„Ja, aber das ist eine lange Geschichte. Und du musst jetzt sofort nach Hause, vertrau mir. Mama und Papa und machen sich schon wegen mir Sorgen, du darfst sie nicht alleine zurücklassen"
„Das ist einfach zu sagen, wenn man die erste ist, die gegangen ist" kontert meine kleine Schwester meine Argumente gekonnt.
„Du weißt, warum ich das tun musste"
„Ja, aber du bist ein zweites Mal gegangen"
„Willst du mir ein schlechtes Gewissen einreden? Weil dann hast du es geschafft" sage ich und wische mit meiner Hand über mein Gesicht, das, auf Grund des Stresses, glüht.
„Sehr gut, heißt das du kommst zurück?" fragt meine Schwester zufrieden.
„Das kann ich erst, wenn ich demnächst mit dieser anderen Person gesprochen habe. Aber dann komme ich zu euch"
„Versprochen?"
„Ja, ich verspreche es" antworte ich nickend.
„Na gut. Dann flieg ich jetzt wohl wieder nach Hause, aber du solltest unbedingt noch mit Mama und Papa sprechen, die machen sich wirklich Sorgen" seufzt meine kleine Schwester.
„Das hatte ich vor, aber als ich gesehen habe, dass du mit mir heute Morgen reden wolltest, wollte ich zuerst dich sprechen. Und war anscheinend eine gute Idee"
„Tja" meint Zoe und ich höre ihre Schritte auf einem Kiesweg „Ich glaube ich sollte lieber sagen, dass ich nicht in der Schule war, weil ich mich schlecht gefühlt habe, sonst machen die sich nur noch mehr Sorgen" spricht meine Schwester ihre Gedanken laut aus.
„Das stimmt" antworte ich nur, erleichtert darüber, dass sie sich auf den Weg nach Hause macht.
„Ich leg jetzt auf. Bis dann Irina und denk an dein Versprechen"
„Das mach ich, auf Wiedersehen Zoe" sage ich noch und lege dann auf.
Ich hätte nie gedacht, dass meine Schwester sich auf Machen würde, um nach mir zu suchen. Zuhause scheint wirklich die Hölle los zu sein.
Es wird höchste Zeit, dass ich meine Eltern anrufe. Ich atme noch einmal tief durch und wähle dann zuerst die Nummer von meiner Mutter.

„Hallo hier ist Eline Corvus"
„Mama? Ich bin's Irina..."
Und dann hole ich Luft und erzähle meiner Mutter die ganze Geschichte, von dem Trio, von meinen Sorgen, dem Arztbesuch und von meinen zukünftigen Plänen den Werluchs zu finden.
Immer wieder unterbricht mich meine Mutter und fragt nach und ich erkläre ihr geduldig jedes kleine Detail, es reicht mit den Lügen.
Als ich fertig bin, meint sie: „Schatz, wenn wir gewusst hätten, dass es dir so schlecht geht und dass du verfolgt wirst. Dann hätten wir die Polizei gerufen und dich beschützt, wir hätten Terry verklagen können"
„Aber wir haben doch keine Beweise" antwortete ich schulterzuckend.
„Aber ich dachte dein Freund wird auch verfolgt und diese anderen Wandler würden dich doch bestimmt auch unterstützen?"
„Ja, allerdings ist das, was sie machen, doch nicht ganz legal. Das meintest du doch vorhin auch"
„Ach stimmt. Man Schatz, in welche Situationen kommst du denn nur?"
„Ich will es ja auch nicht, glaub mir"
„Ich weiß, ich hätte mir nur gewünscht, du wärst ehrlicher zu uns gewesen, schließlich hatten wir schon Mal ein Abkommen, dass du uns sagst, wo du bist und das hat ja nicht so wirklich funktioniert"
„Ja, das tut mir leid" kann ich nur murmeln.
„Das sollte dir auch. Aber dir sollte auch klar sein, dass wir für dich immer eine offene Tür haben werden, auch wenn du deine neuen Freunde als zweite Familie siehst. Wir haben einfach nicht erkannt, dass du erwachsen und selbstständig geworden bist"
„Wirklich, meinst du das ernst?" frage ich glücklich.
„Ja, auch wenn es mir schwer fällt das zuzugeben. Aber trotzdem würde ich dich bitten, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, du bist noch nicht volljährig und dann helfen wir dir und Ced gegen dieses Trio vorzugehen. Das verspreche ich, wenn du versprichst, so schnell wie möglich, also nachdem du alles erledigt hast, zurück zu uns zu kommen"
„Das verspreche ich, auf jeden Fall!" rufe ich auf und ich wische mir eine Freudenträne aus den Augen.
„Ich muss jetzt leider los, mein Schatz. Aber ich hoffe für dich, dass am Vollmond nichts schlimmes passiert" sagt sie mitfühlend.
„Das hoffe ich auch. Hoffentlich kann ich den Werluchs vorher treffen"
„Bestimmt, ich drück dir die Daumen. Ich liebe dich. Bis bald, Irina"
„Bis dann. Ich liebe dich auch, Mama"

Ehrleichtert lege ich auf und setze mich seufzend auf das Bett vom Ced im Chaos Zimmer. Es hat wirklich gutgetan, meine Mutter nicht anzulügen.
Schnell rufe ich noch meinen Vater an und erkläre ihm, wie meiner Mutter, alles. Er reagiert sehr ähnlich und willigt dann dem Versprechen von mir und meiner Mutter ein.
Als ich auch hier auflege fühlt sich mein Mund ganz trocken an. Gefühlt habe ich stundenlang telefoniert und so viel übertrieben ist das auch gar nicht.
Jetzt wo ich schon dabei bin, spreche ich noch kurz eine zusammenfassende Sprachnachricht über das gerade gesehene ein und schicke sie in die WhatsApp Gruppe von Matteo, Sammy und mir.
Nach kurzem Überlegen, tippe ich aber noch eine zusätzliche Nachricht an Sammy.
Mich hat es wirklich überrascht, dass Zoe sich auf die Suche nach mir gemacht, deshalb bitte ich meine beste Freundin auf Zoe aufzupassen, zumindest wie weit das möglich ist. Dann kann ich mir in dem Punkt weniger Sorgen machen.
Zum Glück antwortet sie direkt und verspricht mir ihr Möglichstes zu tun. Ich dank ihr und lege dann mein Handy zur Seite und schließe die Augen.
Ced hatte wirklich Recht, das hat sehr gutgetan.

Piep.
Piep.
Ich reiße meine Augen auf. Mein Handy klingelt, wegen einem Anruf. Verwirrt richte ich mich vom Bett auf, bin ich etwa eingeschlafen?
Tatsächlich, vor einer Stunde habe ich mit Sammy geschrieben, danach bin ich wohl eingeschlafen.
Ich schaue auf das Display, eine unbekannte Nummer ruft mich an.
Wer das wohl ist? Ich gehe ran und sage: „Hallo, hier ist Irina Corvus?"
„Irina, schön, dass ich Sie erreiche. Hier ist Frau Professor Doktor Zea" sagt die Stimme freundlich.
Oh, das hatte ich schon fast vergessen. Neugierig lausche ich der Nachricht der Psychologin.
„Ich möchte Ihnen mitteilen, dass der Werluchs zugestimmt hat Sie und Ced zu treffen"
„Wirklich, das ist ja toll!" rufe ich aus und reiße mich dann aber doch zur Professionalität zurück.
„Es freut mich ebenfalls, sein Name ist Arka Bach und er wohnt ..."
Schnell krame ich einen Zettel aus der Schublade und notiere die Informationen. Überraschender Weise kenne ich die Stadt in der Arka Bach wohnt, dort in der Nähe ist ein großer Freizeitpark. Von hier aus müssten es allerdings einige Stunden zu Fuß sein.
„... Ach ja, Herr Bach meinte, dass sie ihn ab Samstagmorgen treffen können, ich habe ihn überzeugt, denn dann haben Sie noch genügend Zeit über den bevorstehenden Vollmond zu sprechen" schließt die Ärztin freundlich.
„Vielen Dank, das ist wirklich sehr nett von Ihnen" meine ich, nachdem ich mir alles aufgeschrieben habe.
„Selbstverständlich. Grüßen Sie Ced von mir und viel Erfolg" mit diesen Worten legt sie auf und ich starre den Zettel an, auf dem die Adresse steht.
Unglaublich, wie einfach das ging!
Ich mache einen Luftsprung und lege dann den Zettel sorgfältig gefaltet zwischen Handy und Handyhülle.
Auch in meinem Inneren fängt der Luchs an aufgeregt zu toben, da ich bald den Ursprung des Rätsels finden werde.
Lächelnd öffne ich die Tür des Chaos-Zimmer und gleite die Treppen nach unten in den Flur. Dort stehen Vivien und Ced und scheinen sich zu unterhalten, doch als ich zu ihnen komme unterbrechen sie das Gespräch und schauen gespannt zu mir.
„Und wie war's?" fragt Ced neugierig.
„Muss gut gewesen sein, so wie Irina uns hier anlächelt" sagt Vivien grinsend.
„Sie hat Recht, ich hab mit meinen Eltern geredet und Frau Professor Doktor Zea hat mich angerufen und mir die Adresse vom Werluchs gegeben, am Samstag können wir ihn treffen!" meine ich glücklich und tippele aufgeregt hin und her.
Auch Ced fängt an zu lächeln und klopft mir auf die Schulter:
„Sehr gut, das heißt wir gehen morgen wieder auf Reisen?"
„Das heißt es!" antworte ich strahlend.
„Na dann mal los mit euch an die Vorbereitungen" sagt Vivien grinsend und hält mir ihre Hand zum High Five hin.
Entschlossen schlage ich ein.
Es geht wieder los. Auf zur Lösung und somit vermutlich zur letzten Reise!  

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