Kapitel 45
„Jetzt müssten wir gleich im Industriegebiet sein!" ruft Samira zu uns nach hinten zu, da sie mit dem Fahrrad voranfährt, Matteo neben ihr. Vivien folgt und Kieron und ich bilden das Schlusslicht.
„Wer ist dieser Ced eigentlich?" fragt mich Kieron nun und es wundert mich, dass diese Frage noch nicht vorher kam.
„Er ist auch ein falscher Wandler und hat mich vor Terry beschützt und mich sozusagen in seine Familie aufgenommen"
„Wow, das ist echt nett von ihm. Seid ihr denn in einer Beziehung?" fragt Kieron und ich schaue zu ihm herüber, während sich Viviens Körper deutlich anspannt. Doch Kieron wirkt nicht aufdringlich oder eifersüchtig, es scheint ihn einfach nur zu interessieren.
„Ähm. Also nein wir sind nicht zusammen. Außerdem kennen wir uns doch erst so kurz und ich hatte andere Probleme als mich zu verlieben" antworte ich nun doch lachend.
Hätte ich mich in Ced schockverliebt, wäre das eindeutig schlimmer gewesen, da ich mach mir ja jetzt schon unglaubliche Sorgen, weil er mir etwas bedeutet. Aber natürlich nicht auf die Art nach der Kieron gefragt hat.
„Leute: ab hier fängt das Industriegebiet an und Matteo wird sich umschauen. Sagt aber auf jeden Fall Bescheid, wenn ihr einen weißen und evtl. verdreckten Transporter mit einem Logo auf der Seite und hinten seht" meine beste Freundin wieder und unsere Truppe schaltet einen Gang zurück, damit wir ordentlicher schauen.
„Da vorne ist ein weißer Transporter" sagt Kieron und deutet zu seiner rechten. Alle bremsen ab und Matteo wirft einen Blick auf den Transporter und schüttelt dann den Kopf:
„Nein, so sah es nicht aus. Das Logo war bunter. Glaube ich zumindest"
„Na dann weiter geht's" sagt Sammy und schwingt sich wieder aufs Fahrrad.
In den nächsten Minuten finden wir immer mal wieder Transporter oder bunte Logos, aber bei allen schüttelt Matteo den Kopf.
Nun stehen wir vor einer Kreuzung im menschleeren Industriegebiet.
„Wir sollten uns aufteilen" überlege ich laut.
„Aber nur Matteo weiß doch wie das Logo aussieht?" erwidert Kieron.
„Ja, aber wenn irgendwer einen Transporter findet, ruft derjenige Matteo an und er kommt vorbei" erkläre ich meinen Gedanken.
„Das ist eine gute Idee" bestätigt Vivien.
Ich überlege und meine dann: „Ich denke Vivien und ich gehen hier diese Straße rechts entlang, Sammy willst du nach links gehen, das ist nämlich eine Sackgasse"
„Ja klar kein Problem" antwortet Samira und Vivien nickt mir zu.
„Dann fahren ich und Matteo weiter geradeaus" schließt Kieron.
„Exakt. Ich vermute auch, dass wir bald weitere Transporter finden sollten und wenn wir nach 15 Minuten immer noch nichts von wem anderen gehört haben, rufe ich euch an" sage ich.
„Alles klar. Los geht's" meint Matteo und unsere Gruppe teilt sich auf.
„Vivien?"
Vivien und ich gehen die Straße entlang und werfen Blicke auf die Höfe, ohne einen passenden Transporter gesehen zu haben.
„Ja?" fragt diese und dreht ihren Kopf zu mir.
„Ich muss dir noch etwas erzählen"
„Kann das nicht warten, bis wir Ced gefunden haben?"
„Ich fürchte nicht, denn ich bin noch mehr in Gefahr als wir eigentlich dachten"
„Oh, na dann erzähl mal"
Und dann erzähle ich Vivien vom Treffen mit Frau Simons, von der Geschichte und der Erkenntnis, dass ich ein Werluchs bin, den es eigentlich gar nicht geben sollte.
Viviens Augen weiten sich und sie streicht sich durch ihre schulterlange Haare, die genau die gleiche Farbe haben wie meine.
„Das macht es natürlich wirklich komplizierter"
„Ja, glaubst du Ced wusste damals wirklich noch nichts von Werwölfen, als er meinte, dass ich wichtig wäre" meine ich nachdenklich.
„Ich denke nicht, dass er genau wusste, was du bist. Aber er wusste, dass du besonders bist. Deine Haare, Augen, deine Wandlung. Er hat mir die Dinge erzählt, über die ihr schon nachgegrübelt habt. Auch mir war bewusst, dass du besonders bist. Aber dass du ein Werwesen bist, macht dich wichtig"
„Aber warum sollte ich wichtig sein? Du bist doch auch besonders..."
„Ja" antwortet Vivien langsam und versucht die richtigen Worte zu finden „Weißt du, was ich bin, ist eine Genmutation. Etwas was sich erklären lässt, aber halt super selten passiert. Ich bin wissenschaftlich zu erklären und einfach nur der Kategorie Spurius abzustempeln"
„Aber warum bin ich wichtiger als du? So gesehen bin ich doch auch nur eine Genmutation"
Vivien bleibt stehen, legt ihre Hände auf meine Schultern und schaut mir fest in die Augen.
„Verstehst du nicht, Irina? Du könntest sehr viel mehr bewirken als du denkst. Warum wirst du gejagt, warum von einem Arzt untersucht? Die Antwort ist einfach und du weißt sie schon. Dich dürfte es nicht geben. Werwesen dürfte es nicht geben. Aber du existiert und irgendwo da draußen gibt es einen anderen Werluchs, doch wir kennen seine Absichten nicht. Aber du..."
Sie tippt auf meine Brust und fährt fort: „Deine Ansichten sind gut: du willst Respekt und Gerechtigkeit. Du könntest das System verändern. Du kannst den ganzen "reinrassigen" Chefs zeigen, was ein Wandlermädchen kann, das als falsch abgestempelt wurde. Zeig ihnen, dass es kein falsch gibt. Das hier ist Evolution und die verdammte Natur.
Verstehst du Irina? Deswegen bist du wichtig"
Ich kann sie nur anstarren und mein Kopf kommt mit dieser Botschaft noch nicht wirklich klar.
Stimmt es was Vivien sagt? Bin ich so wichtig, sodass ich das System ändern könnte? Unsere festgefahrene Gesellschaft besser machen?
Viven hat zwar Recht, dass ich Gerechtigkeit und Respekt auf der Welt will, aber nur mit meiner Existenz kann ich doch nichts ändern. Wie sollte ich das alles schaffen?
„Aber Vivien, wie sollte ich das hinbekommen. Ich bin doch machtlos im Vergleich zu anderen" sage ich und meine Gedanken wandern zu Terrys Familie.
Vivien nickt und ihr Griff um meine Schultern lockert sich: „Ja, jetzt wirst du es auch nicht alleine schaffen. Und es verlangt auch keiner von dir. Aber so oder so werden Leute kommen und dich kennenlernen, sie werden sehen, was du bist und Fragen stellen. Der Tag deiner ersten Wandlung, nein der Abend als dieser fremde Luchs dich gebissen hat, haben dein Leben verändert und ich denke nicht, dass sich das wieder zurückdrehen lässt"
Nachdenklich nicke ich mit dem Kopf. Ich verstehe, was Vivien meint, ich kann nicht damit rechnen, dass jeder mir glaubt, dass ich ein normaler falscher Wandler bin. Wandler sind schlau und durchschauen Lügen viel zu gut. Aber trotzdem kann ich mir noch keine Zukunft vorstellen, in der ich die Gesellschaft ändern sollte.
Plötzlich vibriert mein Handy und ich greife in meine Jackentasche: Es ist Kieron, der mich anruft.
Ich gehe dran und Vivien schaut mir neugierig zu.
„Ja. Kieron was ist los?"
„Wir haben das Logo gefunden!" meint Kieron freudig.
„Wirklich? Das ist ja großartig. Wir kommen zu euch. Bis gleich!" rufe ich euphorisch und lege auf.
„Sie haben das Logo gefunden" meine ich zu Vivien.
Erleichtert schwingen wir uns wieder auf Fahrrad, fahren den Weg zurück zur Kreuzung und biegen dann nach rechts in Kierons und Matteos Straße ein. An der Kreuzung treffen wir Samira, die von Matteo angerufen wurde und zusammen fahren wir zu den beiden Jungs, die in einiger Ferne zu sehen sind.
Meine Gedanken über das Gespräch mit Vivien verbanne ich erstmal in den hinteren Teil von meinem Kopf. Schließlich hatte die Suche nach Ced jetzt höre Priorität, als eine mögliche Revolution.
„Wo ist der Transporter?" ruft Vivien als wir vor den beiden Jungs anhalten und sie fast von Sammys ausgeliehenem Fahrrad herunterspringt.
Kieron weicht einen Schritt erschrocken zurück, er scheint mit Viviens Energie noch nicht ganz klarzukommen.
„Wir haben keinen Transporter gefunden, aber das hier" meint er und zeigt dann auf eine Werbetafel hinter uns. Dort ist ein Plakat zu sehen auf dem verschiedene Blumen und Ranken ein Logo bilden. Darunter steht in Großbuchstaben „Gelände der alten GÄRTNEREI zu VERKAUFEN". Allerdings ist das Plakat nicht wirklich groß und fällt fast von der Wand.
„Wie habt ihr das denn bitte gesehen, das Plakat ist doch total unauffällig und alt?" spricht Sammy meinen Gedanken aus.
„Schaut auf der anderen Seite steht ein Transporter, den ich mir angeschaut habe. Und dann habe ich die Spiegelung vom Plakat in den Fenstern gesehen und es sofort wieder erkannt. Das Logo war auf dem verschmutzten Transporter drauf, ich bin mir 100 % sicher" sagt Matteo stolz und deutet auf den Transporter.
„Sehr gut, Matteo" meine ich lächelnd und zeige beide Daumen nach oben.
„Und wo ist diese alte Gärtnerei? Bestimmt haben sie Ced dorthin gebracht" fragt Vivien.
„Ich googele schnell" antwortet Sammy und tippt auf ihrem Handy etwas ein.
„Ich glaube, ich habe davon auch schonmal was in der Zeitung gelesen, dass die Besitzer der alten Gärtnerei pleite gegangen sind und die Stadt da etwas Neues machen will, aber wegen Beschädigungsgefahr keiner hingehen soll. Das war erst vor einer Woche glaube ich" meint Kieron nachdenklich.
„Du liest so genau Zeitung?" frage ich überrascht.
„Nein" antwortet dieser lachend „aber Sora und Tom wollten mit mir und Olivia dahin gehen, aber dann hat Olivia den Artikel gefunden und die beid überzeugt lieber etwas anderes zu machen"
„Ich hab's gefunden" meint nun auch Sammy und zeigt uns auf Google Maps die Umgebung der alten Gärtnerei.
„Das ist ja in der Nähe von den Siedlungen mit Bauernhöfen" stellt Matteo fest.
Und da fällt mir etwas ein.
„Oh mein Gott! Da war ich doch neulich erst! Dort ist die Praxis von Familie Kaiser und gar nicht weit entfernt davon ist die Gärtnerei. Vermutlich bin ich sogar dran direkt dran vorbeigekommen, ohne es zu wissen"
„Wer ist denn diese Familie Kaiser?" fragt Kieron.
„Sie sind eine Luchs Familie und ich wollte wissen, ob sie mit mir verwandt sind. Wisst ihr was, wir fahren jetzt zu denen hin und fragen, ob sie etwas über die Gärtnerei wissen. Kommt!" erkläre ich den anderen und ich schwinge mich auf mein Fahrrad. Die anderen tun es mir nach und zusammen fahren wir aus dem Industriegebiet in Richtung Bauernhofsiedlung.
Ced ist nun seit mehreren Stunden schon verschwunden und ich trete energisch in die Pedale, da es langsam anfängt zu dämmern.
Endlich erreichen wir den Hof der Familie Kaiser und ich steige vom Fahrrad herunter, meine Freunde weise ich an am Eingangstor zu warten.
Schon vom Weiten sehe ich das Licht durchs Küchenfenster leuchten: die Familie scheint zuhause zu sein. Hätte mich aber auch gewundert, wenn nicht, ist ja schließlich Sonntagabend und Bente und Phillip sind schließlich noch recht jung.
Erleichtert atme ich tief ein und drücke dann auf die Klingel.
Ich habe mir schon vorher überlegt den Kaisers nichts von der Entführung oder Ced zu erzählen. Sie kennen ihn nicht, als ich hier war, war ich noch alleine unterwegs. Und ich will diese netten Leute nicht noch in zusätzliche Schwierigkeiten bringen, die ich sowieso schon mitgebracht habe.
„Irina, was machst du denn hier?" fragt Frau Kaiser überrascht und freundlich als sie die Tür öffnet und mich dort sieht.
„Hallo, ich wollte Sie noch etwas fragen"
„Natürlich komm rein. Ach, kennst du die Leute dort hinten?" fragt sie und zeigt auf den Hof.
Ich nicke „Ja das sind meine Freunde"
Zusammen gehen wir in die Küche, wo der Rest der Familie am Küchentisch sitzt und zu Abend isst.
„Oh hallo, Irina" meint Bente fröhlich.
„Hi. Ich hoffe ich störe nicht, ich wollte nur kurz etwas fragen" erwidere ich etwas schüchtern „Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, was mit der alten Gärtnerei hier in der Nähe ist?"
Frau Simons überlegt und antwortet dann: „Die Besitzer sind wegezogen und die Stadt hat das Gebiet gekauft. Ist eine große Fläche, wurde abgesperrt damit sich dort niemand verletzt.
Uns wurde gesagt, dass die Hütte einsturzgefährdet ist. Wolltest du dort etwa mit den Freunden hin?"
„Ja, das hatten wir tatsächlich vor, aber dann wohl lieber nicht" lüge ich.
„Das ist wohl besser, heute ist auch wieder ein Auto der alten Gärtnerei zum Grundstück gefahren, die fangen bestimmt ab morgen an dort zu arbeiten. Da solltet ihr euch lieber von fernhalten. Und ihr zwei auch" sagt Herr Kaiser an seine beiden kleinen Kinder gerichtet.
Ich muss schlucken, im Auto, dass Herr Kaiser gesehen hat, war bestimmt Ced und das Trio drin.
„Ja da haben Sie wirklich Recht, vielen Dank und guten Appetit noch" schließe ich schnell und verlasse fast schon fluchtartig das Haus.
Bei den Anderen angekommen, werde ich schon mit neugierigen Blicken empfangen.
„Und?" fragt Samira aufgeregt.
„Heute ist ein Auto von der alten Gärtnerei zum Gelände gefahren, dass muss das Trio gewesen sein" meine ich stockend.
„Gut, dann ab zur alten Gärtnerei!" sagt Vivien entschlossen.
„Ja, jetzt retten wir Ced!"
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