Kapitel 44

Unruhig tigere ich durch den Pavillon.
Mir ist bewusst, warum Vivien uns angeordnet hat, hier zu bleiben und nicht, alleine und ohne Erfahrung, nach Ced zu suchen. Aber das bedeutet nicht, dass mein Körper da auch mitmacht.
Je länger ich hin und her laufe, desto wärmer wird mir. Ich fange an zu schwitzen. Vor Anstrengung? Weil Ich Angst um Ced habe? Vermutlich beides.
„Vivien wird schon Recht haben, aber warum könnten wir nicht wenigstens schonmal vorsichtig irgendwo suchen, ob wird Ced sehen?" fragt Samira unruhig, woran ich wohl nicht ganz unschuldig bin.
„Nein. Wir müssen hierbleiben. Ced ist derjenige, der seit Jahren den Zwillingen entkommt, wenn er gefangen genommen wird, sind unsere Chancen nicht hoch" erwidere ich und schiebe die Vorhänge leicht zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Es ist unsinnig Vivien schon so früh zu erwarten, schließlich muss sie irgendwie hierherkommen. Vermutlich fliegt sie, das müsste am schnellsten gehen.
„Aber was ist an Vivien so besonders? Ihre Erfahrung?" fragt Matteo vorsichtig.
Oh stimmt ja, Matteo habe ich noch gar nichts vom Zoo erzählt, außer Sammy hat ihn in den letzten Tagen immer wieder informiert.
Fragend drehe ich meinen Kopf zu Samira, doch diese schüttelt ihren Kopf, Matteo weiß also nichts.
„Vivien hat einerseits die Erfahrung eines Wandlers, der auf sich selbst aufpassen muss. Und andererseits ist sie aber auch besonders"
„So besonders wie du?" fragt Matteo nach, obwohl er und Sammy noch nichts von der ganzen Werluchs Sache wissen. Ich seufze.
„Zumindest habe ich von so etwas vorher noch nie gehört. Sie ist ein Schwan UND ein Wolf. Sie kann sich immer entscheiden in welches Tier sie sich wandeln möchte" erkläre ich.
„Und sieht sie dann auch immer anders aus? Also ich meine in ihrer menschlichen Gestalt?"
„Nein, also soweit ich weiß, hat sie immer ihre schwarzen Haare des Wolfes"
„Interessant" meint Matteo, obwohl ihm noch nicht richtig klar zu sein scheint, warum Vivien uns dann ausgerechnet helfen kann. Und ehrlichgesagt, weiß ich das auch gar nicht sicher. Ich habe mir einfach erhofft, Hilfe zu bekommen. Egal von welcher Person aus dem Zoo.
Es hätte vermutlich genauso geholfen, wäre Mandarin gekommen oder Iven und Oren. Alle, außer Juno und Mika, haben wahrscheinlich mehr Überlebenserfahrung als ich und meine beiden Freunde.

„Ich muss euch noch etwas sagen..." fange ich stockend an.
Ich setze mich auf den Boden vor Samira und Matteo und fange dann an von meinem Gespräch mit Frau Simons zu erzählen.
Überraschung ist in Samiras und Matteos Gesichtern deutlich zu sehen, aber auch sie beide sehen die Zusammenhänge und vermuten, dass Frau Simons mit ihrer Theorie richtig liegt.
In meiner Aufregung erzähle ich danach Matteo und Samira die ganze Geschichte über meine Reise. Von den Familien, die wir besucht haben, wie Ced mich mehrmals gerettet hat, dem Zoo und dem Kampf mit Terry.
Während ich erzähle, sagt keiner von beiden etwas. Vielleicht wollen sie mir Raum geben, mir alles von der Seele erzählen zu können oder vielleicht ist aber die Erkenntnis, dass ich ein Werwolf bin, einfach doch zu schockierend.
Wenn ich an meine Reaktion in der Teeküche denken, sind diese hier schon fast ungewöhnlich.
Tja, jeder geht halt anders mit Schock um.

„Also hätte ich gewusst, dass du so viel auf deiner Reise erlebst, wäre ich auf jeden Fall mitgekommen, um dich zu unterstützen" sagt Matteo geschockt, als ich von dem Kampf erzählt habe und mein Mund sich schon ganz trocken vom ganzen Gerede anfühlt.
„Das konnte keiner von uns ahnen" sage ich beschwichtigend.
„Genau" sagt Samira nickend „wir haben alle erwartet, dass du deine wahren Eltern suchst und dann, ob du Erfolg hast oder nicht, zu uns zurückkommen wirst"
„Schon ein seltsamer Zufall, dass ich ausgerechnet heute zurück komme, obwohl das ja sogar mein Plan war. Hätte meine Cousine nur nicht meine Eltern angerufen"
„Da hast du Recht. Aber warum hast du denn nicht deine Cousine vorher informiert?" fragt Matteo.
Ich zucke mit den Schultern: „Es gibt Gründe, warum wir sie nicht so oft sehen, nichts wirklich Schlimmes, aber sie hätte mir nicht geholfen, sie würde niemals lügen" antworte ich leicht verbittert.
Schnell verbanne ich den Gedanken und die Erinnerung aus meinem Kopf. Es geht jetzt nicht um Helene, sondern um Ced!

Und doch kehrt die Stille wieder ein. Ich grübele weiter und überlege, wo das Trio Ced gefangen hält. Aber da mir Hinweise fehlen und Matteo sich nicht an das Symbol auf dem Transporter erinnern kann, komme ich nicht voran.

Plötzlich klopft es an der Tür, überrascht drehe ich meinen Kopf zur Seite. Ist die Stunde etwa schon um und Vivien ist da?
Mein Blick schnellt zu Sammy, die auf ihre Uhr schaut und dann bestätigend nickt. Von der Zeit her könnte es Vivien sein.
Und trotzdem bin ich unsicher.
Es klopft wieder.
Ich nehme meinen Mut zusammen und trete an die Tür. Es kann gar nicht das Trio sein, woher sollten die wissen, dass wir hier sind, versuche ich mir einzureden.
Meine Hand wandert zur Türklinke und ich drücke sie herunter. Vorsichtig öffne ich die Tür.

Ein Glück! Vor der Tür steht wirklich Vivien, die sich umschaut. Dann wendet sie ihren Blick zu mir und meint ganz aufgeregt.
„Oh Gott Irina, endlich! Ich dachte schon, ich bin falsch. Ich bin so schnell geflogen, wie ich konnte"
„Danke, dass du da bist. Wir wissen einfach nicht, was wir tun sollen"
„Verstehe" antwortet sie nickend und wir treten zusammen in den Innenraum des Pavillons.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde setzt sich Vivien auf das Sofa.
„Es ist gut, dass ihr auf mich gewartet habt, das Trio ist nicht zu unterschätzen, Irina, du weißt, wovon ich rede"
Ich nicke bestätigend.
„Aber ihr beide;" fährt Vivien fort „ihr kennt zwar Terry, aber nicht ihre Verwandten. Man könnte sie als brutale Auftragskiller und Geiselnehmer bezeichnen. Und das muss euch auf jeden Fall bewusst sein. Gefangengenommen werden, ist eigentlich das Schlimmste, was euch passieren kann. Und Ced hat es ja auch fast immer geschafft"

„Fast immer?" frage ich verwundert „Heute ist doch das erste Mal, dass sie ihn geschnappt haben"
Überrascht schaut Vivien zu mir und schüttelt den Kopf.
„Nein, einmal ist es schonmal passiert. Zu dem Zeitpunkt, war ich noch nicht lange in der Gruppe. Ced und ich waren alleine unterwegs, er wollte mich aufmuntern, da ich wegen meiner zweiten Wandlung so verwirrt war. Mir fiel es schwer mich in einen Schwan zu wandeln, weil ich den Wolf gewöhnt war und der Körperaufbau logischerweise ganz anders ist.
Und dann tauchten plötzlich diese Zwillinge auf, ich war gerade in meiner Wolfsgestalt und Ced ein Mensch. Er schrie mir zu, wegzulaufen und man sah ihm an, dass er sich große Sorgen machte. Ich wollte gerade tun was er sagte, als das Mädchen ihn zufassen bekam und eine blutige Wunde auf seinem Arm hinterließ. Geschockt drehte ich um und bemerkt, dass er große Schmerzen hatte und sich nicht wirklich wehren konnte.
Dann bin ich zurück, hab die Zwillinge gebissen, mit Ceds Hilfe ihn befreit und bin dann um mein Leben gerannt. Als wir außer Sichtweite waren, haben wir uns gewandelt und sind weggeflogen"
„Da habt ihr aber wirklich Glück gehabt" sagt Sammy mit offenem Mund.
„Da hast du Recht, vermutlich haben wir uns auch nur befreien können, weil sie nicht damit gerechnet haben, dass ich angreifen würde" antwortet Vivien.
„Das bedeutet Ced wurde gefasst, weil er sich Sorgen gemacht hat. Sorgen um dich Vivien" meine ich stockend. Diese nickt bestätigend.
„Aber das könnte heißen, dass ich daran schuld bin, dass das Trio Ced entführt hat" murmele ich atemlos.
„Warum glaubst du das, Irina?" fragt Matteo.
Ich schaue auf und meine Stimme krächzt: „Ced hat sich so oft für mich aufgeopfert und hat mich gerettet. Bestimmt ist er nicht geflohen, da er sich Sorgen um meine Sicherheit gemacht hat."
„Irina. Rede dir nicht die Schuld ein" sagt Vivien bestimmt und nimmt mich fest in den Arm „Im Moment können wir nicht wissen was genau passiert ist. Und auch wenn Ced sich um dich Sorgen gemacht hat, ist es auf keinen Fall deine Schuld! Du weißt genau, dass Ced das alles freiwillig macht und wusste welche Gefahr besteht mit dir mitzureisen. Wir haben darüber gesprochen.
Aber er hat mir auch gesagt wie viel du ihm bedeutest. Du bist wichtig, hat er gesagt und er hat Recht. Und deshalb werden wir jetzt Ced befreien, ohne dass irgendwer von uns gefangen genommen wird, okay?"
„Okay" antworte ich und drücke sie noch einmal fest. Dann löse ich mich von ihr und Matteo und Samira stehen auf.
„Alles klar. Womit fangen wir an?" fragt Matteo entschlossen und ich lächele ihm dankend zu.
„Wir sollten eine Möglichkeit finden, das Auto mit dem Symbol wiederzuerkennen" sagt Samira nachdenklich und erzählt Vivien von Matteos Beobachtung.
„Du hast Recht, das könnte uns weiterhelfen. Wo ist denn hier in eure Stadt das Industriegebiet? Dort müsste es schließlich einige Transporter mit Logos geben"
„Wir müssen hier aus dem Wohngebiet raus und dann in Richtung Nordwesten, mit den Fahrrädern brauchen wir nicht lange" überlege ich.
„Gut und wo bekomme ich ein Fahrrad her?" fragt Vivien.
„Wir haben eins zuhause stehen, das kannst du nehmen" sagt Sammy.
„Sehr gut. Danke"

Zusammen treten wir aus dem Pavillon heraus und wollen gerade aus dem Waldstück herausgehen, als Vivien plötzlich stehen bleibt und sich umschaut.
„Was ist los, Vivien?" frage ich und drehe mich zu meiner Freundin um.
„Hier ist jemand" flüstert diese und besorgt schauen sich jetzt auch meine anderen Freunde um. Auch ich suche mit meinen Augen die Bäume und den Boden ab, aber kann niemanden sehen. Ob sich Vivien getäuscht hat?
Plötzlich und ohne ein Geräusch zu machen saust etwas aus dem Himmel auf den Boden zu und eine für mich noch nicht sichtbare Gestalt landet hinter einem Baum.
Wie angewurzelt kann ich nur geschockt in die Richtung starren, während Vivien einen Satz macht und zu der Gestalt springt und sie an den Baum drückt.
„Wer bist du?! Gehörst du zu den Pumas? Hast du uns belauscht?!" verhört sie die Person, die nur erschrocken die Luft einzieht.
Schnell komme ich zu Vivien geeilt, um mir die Person anzusehen und muss fast lachen, als ich sehe, wer derjenige ist, den Vivien gerade am Baumstamm fixiert.
„Kieron! Was machst du denn hier?" frage ich und bewege Vivien dazu meinen Schulfreund nicht mehr festzuhalten. Nur widerwillig lockert diese ihren Griff und Kieron reibt sich seine Handgelenke.
„Naja ich wohne hier. Was ist denn hier los, Irina? Samira? Matteo? Ihr seid auch hier?" antwortet Kieron verwundert und entfernt sich einige Schritte von dem Baum und Vivien.
Oh, das hatte ich wirklich vergessen. Kieron wohnt ja hier im Internat, sodass dieser Waldabschnitt sozusagen sein erweiterter Garten ist.
„Hätte ich gewusst, dass ihr mich gleich festnehmt, hätte ich euch vorgewarnt"
„Aber warum saßest du denn hier im Baum und hast dann so einen Ninja Angriff gemacht?" fragt Samira und hebt einen Eulenfeder vom Boden auf.
„Ich hatte von meinem Zimmer aus gesehen, dass ihr in den Wald geht und ich wollte fragen, ob alles okay ist. Aber als ich hier ankam wart ihr schon im Pavillon und ich wollte euch nicht stören. Im Baum habe ich dann gewartet und dann kamst du und das kam mir sehr seltsam vor"
Kieron deutet mit dem Kopf in Viviens Richtung „und als ihr rausgekommen seid, wollte ich schauen, ob sie euch bedroht, aber anscheinend war ich zu laut und meine Absichten wurde missverstanden"
„Das stimmt. Aber du brauchst dir keine Sorgen machen, das ist Vivien, eine Freundin von mir" sage ich und Vivien nickt ihm zu.
„Aber was macht ihr denn hier?" fragt Kieron immer noch etwas verwundert, aber neugierig.
„Ein Freund von Vivien und mir wurde von Terry und ihren Verwandten entführt und jetzt wollen wir ihn suchen" schießt es aus mir heraus.
Geschockt schaut Vivien mich an und nimmt mich dann zur Seite, sodass die anderen uns nicht hören können: „Bist du dir sicher, dass du ihm vertrauen kannst?"
„Ja, er ist ein falscher Wandler und wurde von Terry fertig gemacht, er würde sie niemals unterstützen" meine ich bestimmt.
„Na gut" antwortet Vivien immer noch unsicher, was ich ihr nicht verübeln kann.

„Komm Vivien, wir gehen schonmal zu mir nach Hause und holen das Fahrrad, wir treffen uns dann gleich mir und ihr könnt das hier noch klären" sagt Sammy zu uns und verschwindet mit Vivien aus unseren Augen.
Matteo, Kieron und ich bleiben etwas unentschlossen zurück.
„Das ist schon krass. Ich hätte niemals gedacht, dass Terry jemand entführen würde " murmelt Kieron, der anscheinend jetzt erst den Ernst der Lage begriffen hat.
„Ja ich auch nicht, aber ihre Verwandten scheinen so etwas öfters zu tun" meint Matteo.
„Und was wirst du jetzt tun?" frage ich Kieron unsicher.
„Ich? Naja, vielleicht kann ich euch irgendwie helfen. Verpetzen werde ich euch auf jeden Fall nicht" sagt dieser schulterzuckend.
„Du könntest mit uns Ced suchen" meine ich überrascht, verwundert darüber, dass Kieron uns helfen möchte. Will er einfach nur nett sein oder hat das einen anderen Grund?
„Das kann ich machen, ich hole mein Fahrrad und dann können wir los. Wartet kurz auf mich"
Mit diesen Worten wandelt sich Kieron und fliegt in Richtung Schule.
Ich blicke ihm nach, während Matteo seine Stimme erhebt und ihm ebenfalls nachschaut:
„Meinst du, wir können ihm vertrauen?"
„Ich hoffe es" antworte ich leise und bete, dass mein Vertrauen für Kieron keine falsche Entscheidung war.

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