Kapitel 43
„... und das ist der Grund, warum ich denke, dass ich ein Werluchs bin" schließe ich seufzend und schaue hoch zu meinen Eltern, die gegenüber von mir am Tisch sitzen.
Ich kann schon in ihren Augen die gleichfolgende Reaktion sehen: Meine Mutter schaut als würde ihr jemand sagen, dass Aliens in ihrem Garten gelandet werden, meine Vater sieht aus, als würde er eine Mathe Aufgabe lösen wollen und meine Schwester hat einfach nur ein großes Fragezeichen in ihrem Gesicht.
„Ich ähm, wow, also das hätte ich nicht erwartet" sagt meine Mutter überrascht und überfordert.
„Aber ich dachte, das sind nur Geschichten" beginnt Zoe „Schließlich haben die Lehrer in der Schule doch auch immer gesagt, dass es in Wirklichkeit keine Werwesen gibt?"
„Das habe ich bis gestern auch gedacht, aber diese ganzen seltsamen Sachen bei mir stimmen leider zu genau mit den Legenden überein" meine ich schulterzuckend.
„Aber gibt es denn Beweise, ob du das wirklich bist?" fängt mein Vater an und versucht die ganzen verwirrenden Dinge zu ordnen „Vielleicht sind das auch alles nur Zufälle und das mit deinen Haaren ist einfach nur eine Genmutation. Ich habe nämlich auch noch nie von echten Werwölfen gehört, eventuell interpretierst du einfach etwas falsch"
„Aber ich..." versuche ich verzweifelt zu erklären, da ich ja selbst nicht genau weiß, ob die Vermutung von Frau Simons und Ced stimmt.
Doch meine Mutter unterbricht mich und antwortet meinem Vater:
„Darius, Irina hat Recht. Wir kennen doch alle Werwolf Geschichten und es stimmt überein und auch wenn ich selbst auch noch nie ein echtes Werwesen kennengelernt habe, es ist nicht unwahrscheinlich, dass es mehr gibt als wir denken"
„Das stimmt" flüstere ich und denke an die Pferdezwillinge und an Vivien. Aber jetzt ist nicht der richtige Augenblick, die Einzelheiten meiner Reise zu erzählen.
„Aber ich kann es einfach nicht glauben..." meint mein Vater ratlos.
Ich weiß, dass es hier nicht darum geht, was ich bin, er akzeptiert mich so wie ich bin, egal was, es geht um die wissenschaftlichen Möglichkeiten. Diese stellen ihm ein großes Rätsel auf, und nicht nur ihm.
„Glaubst du, dass du dann auch Menschen in Luchse verwandeln kannst?" fragt meine Schwester neugierig und auch meine Eltern schauen mich fragend an. Vermutlich denken sie, dass ich ja wissen müsste, was ich kann, aber da liegen sie falsch. Ich habe keinen Plan, ob ich irgendwelche besonderen Fähigkeiten von angeblichen Werwesen habe.
Deswegen zucke ich nur mit den Schultern: „Ich weiß auch nicht, was am nächsten Vollmond passieren wird. Das werde ich wohl erst dann erfahren"
Meine Mutter legt ihren Arm auf den Tisch und nimmt dann meine Hände in ihre. Langsam streichelt sie mit ihrem Daumen meine Haut: „Wir werden für dich da sein, mein Schatz. Du weißt, dass es uns egal ist, wer oder was du bist, wir wollen nur, dass du glücklich bist"
„Danke" murmele ich lächelnd, aber habe dabei auch ein schlechtes Gewissen, da ich meinen Eltern nicht erzählt habe, wie gefährlich die Sache scheint. Sie wissen zwar, dass ich von Terry verfolgt wurde, aber nichts davon, was sie mir angetan hat.
„Natürlich, da hat Mama recht. Und wir werden auch dafür sorgen, dass wir mehr über Werwesen und Luchse erfahren. Vielleicht können wir dann Dinge voraussehen, die noch passieren könnten" überlegt mein Vater überzeugt und scheint in seinem Kopf wohl schon einige Schritte weiter zu sein.
Lächelnd schaue ich zu meiner Familie und bin glücklich, da ich weiß, dass ich auf sie zählen kann. Ich denke, es wäre nun Zeit Ced zu holen.
„Ich muss einmal kurz nach draußen. Bin aber gleich wieder da" sage ich und rücke meinen Stuhl nach hinten. Ich gehe um meinen abgestellten Rucksack herum, mein Vater hat sich sofort über den fehlenden Schlafsack beklagt, und gehe zur Haustür.
Als ich sie öffne und mich nach Ced umschaue, kommt mir Matteo fast in die Arme gelaufen. Aber anstatt, dass er freudig lächelt, wirkt er todesernst.
Erschrocken trete ich hinaus und lehne die Tür hinter mir an, Ced kann ich nirgendwo sehen.
„Oh mein Gott, Irina, was machst du denn hier?" fragt Matteo außer Atmen.
„Ich bin von meiner Reise zurück, aber was ist denn los, Matteo? Du wirkst als hättest du einen Geist gesehen" sage ich lachend.
„Das wäre schön, aber nein. Ich glaube, ich habe eine Entführung beobachtet!"
„Wie bitte?!"
„Ja ja, es war ganz seltsam. Ich sahs an meinem Schreibtisch und dann habe ich diesen fremden Typ gesehen. Vielleicht ein paar Jahre älter als ich und braune Haare"
Oh nein, laut Matteos Beschreibung könnte das Ced gewesen sein!
„Zuerst hat er mich ganz aufmerksam angeschaut. Aber dann ist er in den Garten von Familie Hafling, danach ist ein Auto gekommen und ein paar Leute sind ausgestiegen. Die haben ihn verletzt aus dem Garten geholt und in den Transporter geschmissen. Da bin ich runter gerannt und wollte Hilfe rufen, aber als ich unten ankam, ist das Auto gerade weggefahren. Da vorne stand es" sagt Matteo außer Atmen und zeigt hinter sich.
Schnell eile ich zu der Stelle hin und tatsächlich dort auf dem Boden liegen einige Federn verstreut. Und es gibt nicht genug Zufälle, um sich einzureden, dass das nicht Ceds Federn sind.
„Wer war das bloß?" meint Matteo stockend.
Langsam fange ich an zu nicken und löse meinen Blick von den Federn: „Dieser Junge ist mein Freund"
Matteo zieht überrascht die Luft ein: „Irina, ist das etwa Ced gewesen?! Samira hat von ihm erzählt"
„Ja" krächze ich verzweifelt „Matteo ich brauch deine Hilfe, wir müssen ihn befreien! Die Entführer waren bestimmt das Trio und wer weiß was die mit ihm anstellen!"
„Natürlich helfe ich dir, aber wer ist das Trio?" meint dieser entschlossen.
„Terry und zwei von ihren Verwandten, sie sind schon seit Jahren hinter Ced her und seit neustem auch hinter mir"
„Ist er kriminell oder warum? Und warum sind sie hinter dir her?"
„Es gibt einiges zu erzählen, aber jetzt müssen wir erstmal etwas tun! Wie sollen wir Ced finden? Sie könnten ihn überall hingebracht haben..."
„Hey Irina, wir bekommen das hin. Lass uns zu Sammy gehen, die hat bestimmt eine Idee" meint Matteo und klopft mir auf die Schulter.
„Ja, das stimmt. Hol dein Fahrrad, ich muss noch kurz meinen Eltern Bescheid sagen"
Ich drehe mich um und laufe zurück ins Haus. Mir ist bewusst, dass ich gleich wieder lügen muss oder zumindest nicht die ganze Wahrheit erzählen kann.
Wenn ich meinen Eltern jetzt die Entführung offenbaren würde, würden sie mich niemals Ced suchen lassen. Sie würden vermutlich die Polizei rufen, aber bevor die Ced finden würden, hätte das Trio ihn bestimmt schon so weit weggebracht, dass man ihn nie wieder finden kann.
Ich trete ins Esszimmer und reiße mich zusammen um nicht verzweifelt zu klingen:
„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich den restlichen Tag mit meinen Freunden verbringen. Ich bin heute Abend irgendwann wieder da."
„In Ordnung, aber sei vor 21 Uhr zu Hause. Schließlich müssen wir noch besprechen, ob du morgen wieder zur Schule gehst" meint meine Mutter.
„Hmpf" murmele ich, weil ich nicht weiß, ob das so einfach gehen wird. Ich muss Ced befreien und wenn ich das hoffentlich geschafft habe, habe ich mir eigentlich das Ziel gesetzt mehr über meine Vergangenheit herauszufinden. Und dabei ist es nicht zu vermeiden, dass ich mich wieder auf Reisen begebe.
Aber das kann später geklärt werden, jetzt ist erstmal wichtig, dass Ced gerettet wird!
Schnell verlasse ich das Haus. Bevor ich aufs Fahrrad steige, schließe ich noch flink die Knöpfe von meiner Jacke, und mache mich dann mit Matteo auf den Weg zu Samiras Haus.
Dort angekommen wähle ich ihre Nummer und rufe sie auf ihrem Handy an, ihre Eltern müssen schließlich noch nicht direkt erfahren, dass ich wieder da bin.
„Hey Irina, wie war das Gespräch mit Frau Simons?" fragt Sammy, als sie ans Telefon geht.
„Äußerst interessant, aber wir haben ein Problem... Ced wurde von Terrys Verwandten entführt!"
„Wie bitte?!"
„Ja, Matteo ist bei mir, er konnte es beobachten. Wir brauchen deine Hilfe, ich weiß einfach nicht weiter"
„Ich komme! Wo seid ihr beide denn?"
„Sozusagen vor deiner Haustür"
„Alles klar. Ich komme runter und dann beratschlagen wir uns. Wo machen wir das am besten?"
„Ich weiß nicht. Matteo, wo könnten wir uns am besten besprechen?"
Matteo überlegt: „Im Pavillon, vielleicht ist dort gerade keiner drin?"
„Sehr gute Idee" ruft Samira durchs Telefon.
Innerhalb von wenigen Minuten steht Samira vor uns und springt mir in die Arme.
„Du hast mir so gefehlt!"
„Du mir auch!" sage ich und drücke sie ganz fest. In den letzten Tagen war Ced immer mein engster Vertrauter, aber jetzt wieder mit Sammy vereint zu sein, fühlt sich sehr gut an.
„Na komm, wir retten jetzt deinen Ced!" sagt Sammy entschlossen und schwingt sich aufs Fahrrad.
Wir tun es ihr nach und radeln los in den Wald zum Pavillon.
Dort angekommen stellen wir unsere Fahrräder an einen Baum und schauen in Richtung Pavillon Fenster. Die Vorhänge sind offen, was bedeutet, dass die Hütte frei ist.
Schnell flitzen wir hinein, ziehen die Vorhänge zu und schließen den Riegel, sodass keiner mehr hereinkommt.
Während meine beiden Freunde sich auf die Sitzmöglichkeiten setzen und Samira Papiere und Stifte hervorholt, wandere ich gedankenverloren durch den Raum.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell nach meiner ersten Wandlung wieder in den Pavillon kommen werden. Schließlich ist man nur bei seiner eigenen oder bei der Wandlung von seinem Schützling dabei, normalerweise geht man nicht einfach so hier her.
Es fühlt sich an, als würden wir ein kleines Verbrechen begehen.
Auch als mein Blick über die Einrichtung wandert, schwelge ich in Erinnerungen, wieder keine positiven. Meine Wandlung war unglaublich schmerzhaft und ich dabei so überfordert, weil mir Sammy auch nicht helfen konnte.
Alles kam anders als gedacht, was man an den, immer noch vorhanden, Kratzspuren auf dem Holz sieht. Meine Kratzspuren.
Es fühlt sich an als wäre diese Irina vor ein paar Tagen jemand ganz anderes gewesen. Jemand mit einem unterbewussten Hass auf den Luchs.
Jetzt sehe ich die Dinge gar nicht mehr so. Der Luchs hat mir die Augen geöffnet, die Probleme, die ich dadurch habe, sind nicht abzustreiten, aber jetzt sehe ich die ganzen Probleme unserer Gesellschaft, die ich vorher kannte, aber mich nie richtig betroffen haben.
„Wie sah den der Wagen aus?" fragt Sammy gerade Matteo, was mich aus meinen Gedanken reißt. Schnell setze ich mich zu ihnen und höre gespannt, während Sammy aufgrund von Matteos Erklärungen eine Skizze zu dem Auto malt.
„Es war ein kleiner Transporter. Weiß, aber ziemlich verdreckt. An das Kennzeichen kann ich misch nicht mehr erinnern. Aber irgendwas war auf der Seitentür zu sehen. Ein Logo oder ein Schriftzug, da bin ich mir nicht mehr sicher. Wenn ich es sehen würde, würde ich es wohl erkennen, aber so kann ich es dir leider nicht beschreiben"
„Hm okay, aber es ist wenigstens ein Anfang." meint Samira und beendet ihre Skizze. „Was glaubst du Irina, wo würden sie Ced hinbringen?"
„Ich weiß es nicht. Irgendwo wo man ihn nicht so einfach finden kann"
„Im Haus von Terry vielleicht?" grübelt Matteo.
„Nein, das glaube ich nicht. Wenn rauskommen würde, dass die Familie Kuguar einen Jungen in ihrem Haus gefangen halten würde, würde das ihre Bürgermeister Karriere kaputt machen. So ein Risiko gehen die nicht ein" überlege ich.
„Ein weiteres Problem haben wir auch noch," beginnt meine beste Freundin „wenn wir den Ort finden, wo sie Ced gefangen halten, dann wird er doch bestimmt auch bewacht. Ich weiß nicht, wie viel Erfahrung du durch die paar Tage Überlebenskampf bekommen hast, aber ich hab keine Karate-Skills und wenn Matteo jemanden beißen würde, könnte man aufgrund des Giftes ihn nachverfolgen und ihn wegen schwerer Körperverletzung einsperren. Wie wollen wir uns also gegen mögliche Wachen wehren?"
Da hat Sammy leider Recht, keiner von uns kann kämpfen und den Kampf mit Terry habe ich auch nur knapp gewonnen und sie ist in meinem Alter. Ich glaube nämlich, dass sie einen erwachsenen Wandler als Wache hinstellen werden und wenn das auch noch wer aus der Puma Familie ist, kann ich gleich aufgeben.
Wir brauchen Unterstützung, und zwar von jemanden, der eventuell schon Kampf Erfahrung hat oder sich zumindest mit dem Trio auskennt.
Als einziger würde mir da nur Ced einfallen, oder?
„Ich hab's!" rufe ich aus und springe auf.
„Was hast du?" fragt Matteo.
„Ich weiß, wen wir um Unterstützung bitten können!"
Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin! Wofür habe ich den sonst die ganzen Telefonnummern von meinen neuen Wandler Freunden. Schnell wähle ich Auras Nummer und stelle den Lautsprecher an.
Doch zu meiner Verwunderung meldet sich nicht Auras Stimme, sondern Vivien.
„Hallo hier ist Vivien"
„Vivien, ich bin's Irina!"
„Oh hi, Aura ist gerade unterwegs, deshalb bin ich an hier Handy gegangen. Wie läufts bei euch?" fragt Vivien fröhlich.
„Es ist was Schreckliches passiert, Vivien! Ced ist vermutlich vom Trio entführt worden, als ich bei meinen Eltern war"
„Ach du Scheiße!" ruft Vivien geschockt aus und ich höre, wie sie durchs Haus die Treppe hoch rennt, dann meldet sie sich wieder und sagt: „Irina, ich komme. Ich kann in einer Stunde da sein und bis dahin unternimmst du nichts, du kannst nicht alleine gegen das Trio klarkommen!"
„Ich bin nicht alleine, meine beiden Freunde helfen mir" sage ich verblüfft über Viviens direkten Worte.
„Das ist gut, wir können Unterstützung gebrauchen, aber trotzdem; macht auf keinen Fall was Unvorsichtiges! Bleibt einfach, wo ihr seid. Schick mir am besten einen Standort auf mein Handy und dann finde ich euch"
„Das mache ich! Danke Vivien für deine Hilfe" meine ich ehrlich und schicke ihr nebenbei die Adresse des Pavillons.
„Selbstverständlich. Das machen Freunde eben" sagt sie noch und legt dann auf.
„Das heißt wohl, dass wir jetzt warten, oder?" fragt Matteo
„Ja uns bleibt wohl nichts anderes übrig" sage ich schulterzuckend und ich weiß jetzt schon, dass mir diese Stunde wie Ewigkeiten vorkommen wird.
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