Kapitel 41

„So ein Unsinn!" rufe ich aus und stehe auf „Es gibt keine Werwölfe und Werluchse, oder was ihr jetzt auch immer denkt, schon gar nicht!"
Ich bin doch kein tollwütiges Wesen!
Schnaubend laufe ich in der kleinen Teeküche hin und her. Frau Simons und Ced beobachten mich schweigend.
„Wie kommt ihr denn auf so eine Idee?! Ja, ich hatte Schmerzen bei meiner ersten Wandlung, aber die hat doch jeder! Das bedeutet doch noch lange nicht, dass ich ein Fantasy Gestalt bin!"
In meinem Inneren fängt es an zu kochen und ich halte mir meine Hand an die Stirn, da ich plötzlich schlimme Kopfschmerzen bekomme. Mein Herz schlägt immer schneller und es fühlt sich so an als würde mein Blut Achterbahn in meinem Körper fahren.
Das Licht wirkt auf einmal so hell und ich muss blinzeln, um noch etwas zu erkennen.
„Was ist denn los...?" will ich fragen und ich merke, wie ich anfange zu schwanken. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.
Ich spüre, wie eine Träne aus meinen Augen läuft und sehe im letzten Moment noch wie Ced aufspringt und zu mir läuft. Dann wird alles schwarz.

„Oh Gott zum Glück. Sie wacht wieder auf!" höre ich Ced rufen.
Vorsichtig öffne ich meine Augen und stelle fest, dass ich im Krankenzimmer auf einer Liege bin.
„Warum sind wir den jetzt hier?" frage ich Ced verwirrt, der neben mir steht und auf mich hinuntersieht.
„Durch die Aufregung bist du ohnmächtig geworden und dann habe ich dich hier schnell hingetragen. Frau Simons holt gerade ein Glas Wasser und Traubenzucker"
„Wie lange war ich den weg?"
„Höchstens eine Minute."
„Oh Irina, hier trink das. Dann geht's dir besser" Frau Simons kommt ins Zimmer und hält mir ein Glas und eine Packung Traubenzucker hin.
Als ich es annehme fallen mir meine langen Fingernägel auf.
„Habe ich mich etwa gerade gewandelt?" frage ich die beiden.
„Du warst kurz davor" antwortet Ced leise.

Langsam kommen wieder meine Erinnerungen an das Gespräch zurück und ich muss seufzen.
„Ihr müsst mir noch erklären, warum ihr denkt, dass ich so eine Art Werwolf bin" meine ich leise. Es ist seltsam das Wort in so einem Kontext zu benutzen.
Frau Simons räuspert sich und beginnt zu erklären: „Deine Schmerzen bei deiner Wandlung passen sehr zu den typischen Werwolf Geschichten und auch, dass du dich direkt an deinem 16. Geburtstag gewandelt hast, ist sehr auffällig. Schließlich ist das genau das Alter für Luchse sich das erste Mal zu wandeln. Ich weiß nicht, ob du dich auch an deinem Geburtstag gewandelt hättest, wenn kein Vollmond gewesen wäre. Fakt ist aber, dass Vollmond war. Dann sind mir noch deine Haare eingefallen"
„Sie meinen wie bei der Geschichte?" frage ich nach und denke an den Jungen, der getötet wurde.
„Ja, der Junge hatte in der Geschichte braune Haare, hat sich aber in einen weißen Wolf verwandelt. Laut der Geschichte würde das bedeuten, dass die Haarfarbe unabhängig vom Tier ist. Im Gegensatz zu Wandlern"
„Und auch wenn du das nicht wahrhaben willst, Irina: Das stimmt bei dir genau überein. Dazu kommen noch deine Augen. Sie verändern sich bei deiner Wandlung kein bisschen, das ist mir schon am Anfang aufgefallen" führt Ced an.
Ich streiche über meine schwarzen Haare, schwarz wie die Federn von Raben. Wenn das alles wahr ist, bin ich definitiv kein normaler Spurius.

„Wenn das wahr ist, dann haben meine Eltern mich wohl gefunden, kurz nachdem ich von einem Werwolf gebissen wurde" sage ich und alles daran klingt unglaublich falsch.
„Nein, von einem Werwolf nicht, es muss ein Luchs gewesen sein. Die Vorsilbe ‚Wer' steht ja für Mann, also eine Person, die sich in einen Wolf, bzw. in deinem Fall in einen Luchs, verwandeln kann. Und da ich nicht denke, dass Wandler auch Menschen verwandeln können, muss es irgendwo auf der Welt einen weiteren Werluchs geben" erklärt Frau Simons so sachlich wie möglich.

„Aber was meintest du damit, dass es mich nicht geben dürfte?" ich schaue zu Ced und die Worte schmecken bitter in meinem Mund. Ist es seine persönliche Meinung, dass es mich nicht geben dürfte?
Ced schaut mich ernst an und sagt dann: „Tatsächlich hat Aura mir, Mandarin und Vivien auch schon mal von einem angeblichen Werhirsch erzählt. Von einem Menschen, der zu einem Hirschwandler wurde. Sie meinte selbst, dass sie ihn nicht kennen würde und deshalb dachte ich, sie würde uns die Geschichte erzählen, damit wir uns nicht schlecht fühlen sollten. Ich dachte, sie sagt das, damit wir denken, wir wären nicht das Schlimmste in der Welt..."
Er hält inne und meine Augen weiten sich.
„Dddu denkst also ich wäre das Schlimmste in der Welt?" frage ich krächzend und bin unglaublich enttäuscht.
Schon die letzten Minuten fiel es mir schwer mich zurückzuhalten, doch jetzt kann ich die Tränen nicht mehr stoppen.
„Du denkst also, es sollte mich nicht geben? Ich solle sterben oder nie gelebt haben?!" schluchzend drehe ich mich mit dem Rücken zu Ced und Frau Simons und starre weinend gegen die Wand.
Ced ist der letzte von dem ich gedacht hätte, dass er so etwas denkt. Er lebt mit so vielen besonderen Wandlern zusammen, beschützt sie und wusste, dass ich auch besonders bin, aber denkt jetzt, wo er die Wahrheit kennt, und ich kein Wandler mehr bin, so etwas von mir.
Und ich selbst kann es jetzt auch nicht mehr abstreiten.
Es ist die Wahrheit. Alles was Frau Simons herausgefunden hat, ist wahr und trifft auf mich zu. Früher dachte ich, es kann nicht mehr schlimmer werden, weil ich mich nicht gewandelt habe. Dann wurde ich ein Luchs, dann gejagt und jetzt bin ich ein Werluchs und mein neuer Freund, von dem ich dachte, dass ich ihm vertrauen kann, hasst mich im Inneren.
Wie konnte ich nur so naiv und dumm sein ihm zu glauben!?

„Nein Irina, bitte hör mir zu. So meinte ich das gar nicht" versucht Ced mich zu überzeugen.
„Und wie meintest du das dann?!" fauche ich ihn an. Ich setze mich auf und blinzele ihn wütend an.
„Erklär mir wie du das gemeint hast! Hätte ich gewusst, dass ihr so über mich denken würdet, hätte ich dir niemals vertraut!"
Bei dem Gedanken, dass Aura die ganze Zeit schon eine Vermutung hatte und mich deswegen verachtet hat, bekomme ich einen Kloß im Hals.
Frau Simons bleibt im Hintergrund, während Ced ein Stück zu mir herantritt. Nicht zu nah. Er hat Angst, dass ich etwas tun könnte. Ihn verletzen könnte. Ist diese Angst berechtigt, sollte man vor mir Angst haben?
Und Ced hat Angst, dass er die Irina verlieren könnte, die er kennen gelernt hat. Aber falls seine Erklärung mich jetzt nicht überzeugt, wird genau das passieren.
„Du hast das falsch verstanden, ich würde mir nie wünschen, dass es dich nicht geben würde oder dass es keine Werwesen gibt. Es ist mir so egal was du bist. Ob Mensch, Wandler, Werluchs oder was auch immer. Und Aura hat uns die Geschichte über den Jungen auch nicht aus diesem Grund erzählt. Ich dachte nur lange, dass es deswegen war, damit wir uns besser fühlen. Weißt du, was der wahre Grund ist?" fragt er und legt seine Hand auf meine Schulter.
Ich schüttele den Kopf.
„Sicherheit"
„Sicherheit?" frage ich verwirrt.
„Ja, Sicherheit. Ein Detail hat Aura nämlich immer etwas anders dargestellt als die Wahrheit. Früher hat sie die Geschichte erzählt und gemeint, dass der junge Werhirsch, wie ich gejagt wurde, aber durch seine Vorsicht immer entkommen ist. Damals sollte das eine Motivation sein, besonders auf sich aufzupassen und dass man es auch schaffen kann.
Aber kurz nachdem wir beide im Zoo angekommen sind und sie dich kennengelernt hat, hat sie mir noch einmal die Geschichte vom ihm erzählt und dann gesagt, dass sie damals gelogen habe. Der Junge wurde zwar von Wandler gejagt, überlebte aber nicht. Wie in der Geschichte von Frau Simons wurde er getötet, da man Angst vor ihm hatte. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum Aura mir die Geschichte genau dann erzählt hat. Aber jetzt ist es mir klar"
„Aura weiß, dass ich ein Werluchs bin. Und sie hat es dir nie gesagt?"
„Nein, sie hat es wohl für sich behalten, weil sie weiß, wie schwierig die Situation ist"
„Aber warum ist es schwierig? Warum ist es schwieriger als zum Beispiel bei den Zwillingen oder wie bei Vivien?"
„Naja, das lässt sich biologisch schon irgendwie erklären und falsche Wandler, auf besondere Art, wurden ja sogar von Wandlerwissenschaftlern prophezeit. Werwesen existieren aber eigentlich nur im Märchen und werden für grundsätzlich böse gehalten"
„Und Irina, die Regierung wird Angst vor dir haben" offenbart Frau Simons, die sich bis jetzt herausgehalten hat.
„Warum denn Angst?" frage ich und wische meine Tränen weg.
„Du könntest das ganze System kaputt machen. Es gibt bestimmt einen Grund dafür, dass in der Wandler Geschichte nie die Rede von echten Werwesen war. Vermutlich kannst du aus Menschen einfach so Werluchse machen, ohne dass dich jemand daran stoppen könnte. Der einzige Weg wäre, dass..."
„Dass ich tot oder weggesperrt bin" vervollständige ich den Satz.

Und da fällt es mir siedend heiß ein.
„Oh nein! Ich kenne noch jemanden, der weiß, dass ich ein Werluchs bin!"
„Wer sollte das denn noch wissen?" fragt Ced verwundert nach.
„Herr Doktor Ursus! Der Arzt, der mich wegsperren wollte und ich dachte es wärewegen Aggressionsproblemen... Aber nein, er weiß was ich bin und hat deshalbTerry und ihre Familie auf mich gehetzt"
„Wie bitte? Du wurdest von Terry verfolgt?!" fragt Frau Simons entsetzt und Cedund ich nicken.
„Ced," murmele ich zerknirscht. „Es tut mir leid. Ich bin so durcheinander undich weiß doch, dass ich dir vertrauen kann, aber im Moment fällt es mir soschwer klar zu denken"
„Ach Irina" sagt Ced und nimmt mich fest in den Arm und diese Umarmung sagtmehr als tausend Worte.
Ced verzeiht mir und war mir auch nie böse.
„Gibt es noch mehr, was Sie Irina sagen möchten, Frau Simons?" fragt Ced
„Nein, ich glaube ich habe alles erzählt" meint Frau Simons verdutzt.
„Gut" sagt er und wendet sich dann an mich „Wir sollten jetzt zu deinen Elterngehen und du erzählst ihnen alles. Sie müssen es erfahren"
„Du hast Recht" antworte ich und drücke mich noch einmal fest an Ceds Schulter.„Danke Frau Simons, wirklich"
„Ich möchte euch doch auch helfen und falls noch was ist, meldet euch einfach.Und ihr könnt natürlich auf mein Schweigen vertrauen"
„Danke" antwortet nun auch Ced. „Wollen wir nun nach Hause?"
„Ja" bringe ich leise hervor.
Also ich den Raum mit Ced verlasse, fühle ich mich als wäre ich eine komplettandere Person. Aber bin ich das? Nur weil ich die Wahrheit kenne? Weil ichweiß, warum alle hinter mir her sind?
Eigentlich bin ich doch immer noch dieselbe?
Im Moment weiß ich nicht viel, doch eins weiß ich. Ced bringt mich nun nachHause, und zwar zu einem Ort, vor dem ich mich ein wenig fürchte, da ich nichtweiß, ob ich ihn je wieder verlassen darf. 

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