Kapitel 38

Einige Stunden vorher

„Sollten wir uns nicht langsam einen Schlafplatz suchen?" frage ich Ced, da wir schon seit vielen Stunden unterwegs sind und es schon längst dunkel ist.
Mecklenburg-Vorpommern ist eher für seine Flachlandschaft bekannt, sodass es schon etwas besonders ist, dort in der Ferne einen leicht erhobenen Wald zusehen.
„Ja du hast Recht, langsam kann ich auch nichts mehr richtig erkennen, du solltest vorgehen. Im Wald suchen wir uns einfach wieder einen guten Baum"
Ich nicke und schnellen Schrittes gehen wir weiter. Meine Wunden scheinen trotz der vielen Bewegung gut zu heilen, sodass ich es nur noch leicht ziehen merke, wenn ich mich fortbewege. Wie die Wunde ist, wenn ich als Luchs laufe, weiß ich noch nicht, da ich bisher ja nur in meiner gewandelten Form geschlafen habe.
Als wir den Wald betreten, habe ich wieder das bekannte Gefühl auf nasses Laub zu treten, was mich auf irgendeine Art entspannt und mich tief durchatmen lässt.
Plötzlich höre ich ein lautes Schnauben und ein Röhren in der Ferne. Erschrocken drehe ich mich zu Ced um.
„Was war das?!"
„Klingt nach einem Elch" meint Ced grübelnd.
„Hier gibt es Elche?"
„Ne, eigentlich nicht, aber ein Hirsch was das nicht" meint Ced ratlos.
Dann ertönen weitere Geräusche: das Heulen von einem Rudel Wölfe.
„Ced, was zur Hölle ist hier los? Sind wir hier in einem Naturschutz Gebiet, oder was?"
„Kann eigentlich nicht sein, dann hätten da Schilder gestanden"
„Achtung, da hinten sind Lichter!" meine ich nervös und Ced und ich ducken uns hinter einige großen Steinen.
„Also das hier ist kein normaler Wald" meint Ced kopfschüttelnd.
„Da stimme ich dir auf jeden Fall zu"
„Weißt du was, ich fliege jetzt hoch und schaue, ob ich was durch die Bäume erkennen kann"
„Du willst mich hier alleine lassen? Bei einem Wolfsrudel!?" frage ich empört.
„Es ist doch nur für ein paar Minuten und falls doch was ist, wandle dich und klettere auf den nächstbesten Baum"
„Naaa gut" seufze ich und Ced fliegt als Fischadler in die Lüfte.

Still bleiben ich sitzen, bis er nach gut einer Minute auf meinem Rucksack landet.
„Es ist alles gut, da vorne ist ein Tierpark und die letzten Mitarbeiter scheinen jetzt erst zu gehen" meint er ehrleichtert und ich atme ebenfalls durch.
„Und hast du von dort oben auch schon einen guten Schlafplatz gefunden?" frage ich über die Schulter blickend.
„Tatsächlich ja, in ein paar Metern scheint eine verlassene kleine Höhle bzw. Bau zu sein, wo wir schlafen können"
„Super, na dann los." meine ich und gehe in die Richtung, die Ced meint. Er hingegen sitzt weiter auf meinem Rucksack und lässt sich für die kurze Strecke mal tragen.
Angekommen machen wir uns schlafbereit, lauschen noch den unterschiedlichen Tiergeräuschen und wünschen uns dann eine gute Nacht.

Müde wache ich auf und räckele mich. Ich grabe meine Krallen in die Erde und meine Barthaare zittern von meinem Gähnen.
Immer noch befinde ich mich mit Ced in der Grubbe, nur dass jetzt der nächste Morgen ist. Ced scheint aber noch zu schlafen, weshalb ich aufstehe und draußen ein bisschen herumlaufe.
Zufällig komme ich an einem kleinen Fluss vorbei und beschließe hineinzugehen, um etwas zu trinken und mich dann zu waschen.
Vorsichtig tappe ich in das kalte Wasser und eine Gänsehaut bildet sich. Ich habe das eiskalte Wasser eindeutig unterschätzt, aber da ich jetzt eh schon drin bin, ist es egal.
Nach einigen Minuten kommt auch Ced in seiner Tierform zum Fluss und will ebenfalls ein Bad nehmen.
„Vorsicht, es ist echt kalt" meine ich zu ihm, doch er schüttelt nur lachend den Kopf:
„Das bisschen Kälte halte ich schon aus"
Doch als er im Wasser landet, verschwindet sein Grinsen: „Ach du Scheiße!"
„Sag ich doch!" meine Ich lachend und stupse ihn mit meiner Nase an, sodass seine Federn komplett nass werden.
Diese kleinen spaßigen Momente im Leben und mit Ced bringen mich dazu weiter zu machen. Ohne ich hätte ich die letzten Tage nicht so positiv bleiben können.

Nachdem wir uns beide frisch fühlen, ziehen wir uns neue Klamotten an und machen uns auf den Weg aus dem Wald heraus.
Lange werden wir nicht mehr unterwegs sein, bis wir Rostock erreichen.

Plötzlich fängt mein Handy an zu klingeln und ich bleibe stehen. Schnell krame ich es aus dem Rucksack hervor.
„Wer könnte dich denn anrufen?" fragt Ced, da ich bisher noch nie angerufen wurde.
„Keine Ahnung" meine ich und ziehe mein Handy heraus. Es ist Samira.
„Samira?" frage ich verwundert.
Samiras hastiges Atmen ist durchs Telefon deutlich zu hören: „Ich weiß, du hast mir erst geschrieben, dass alles okay ist und ich würde auch nicht anrufen, wenn es nicht ultrawichtig ist; aber wir haben ein großes Problem!"
„Beruhig dich erstmal, was ist denn passiert?" meine ich und meine Hände fangen an zu schwitzen.
„Du bist aufgeflogen, deine Eltern wissen, dass du nicht bei deiner Cousine bist!"
„Waaas?!" rufe ich entsetzt und starre zu Ced, der keine Ahnung hat, worum es geht, weshalb ich den Lautsprecher anschalte.
„Wie konnte das passieren, Sammy?" frage ich und streiche mir nervös über die Haare.
„Ich bin ja gerade in der Schule, erste Pause und plötzlich rufen mich deine Eltern an"
„Woher haben die denn deine Nummer?"
„Ich hab keine Ahnung. Zumindest rufen sie mich an und meinen dann, sie hätten einen Anruf von deiner Cousine bekommen, die gefragt hätte, ob sie euch demnächst mal besuchen kommen könnte. Und dann haben deine Eltern Eins und Eins zusammengezählt und gemerkt, dass du wohl gerade nicht bei deiner Cousine bist"
„Scheiße, warum ruft sie denn ausgerechnet jetzt an?!" fluche ich verzweifelt.
„Das habe ich mir aber auch gedacht"
„Und was hast du meinen Eltern dann gesagt?"
„Naja, sie haben mich zuerst gefragt, ob ich weiß, wo du bist, weil sie sonst die Polizei rufen müssten. Und ich dachte mir, dass du das nicht wollen würdest"
„Das stimmt" sagt Ced neben mir „Wenn deine Eltern die Polizei rufen würden, hättest du eindeutig noch mehr Probleme"
„Wer ist denn das bei dir? Ced?" fragt Samira.
„Ja das ist er. Aber was hast du meinen Eltern denn jetzt genau erzählt?"
„Ich habe ihnen gesagt, dass du unterwegs bist, um deine wahren Eltern zu suchen. Und sie waren natürlich etwas entsetzt und verwundert und sie wollten dich direkt anrufen, aber ich habe ihnen gesagt, dass ich mit dir reden werde und du dich dann bei ihnen melden wirst. Und dann habe ich aufgelegt, weil ich auch nicht mehr weiterwusste"
„Uff"

Was soll ich denn bitte jetzt tun? Natürlich muss ich nun mit meinen Eltern in Kontakt treten, aber was dann?
Normalerweise wäre ich am Sonntag nach Hause zurückgekehrt, egal ob ich meine Eltern gefunden hätte oder nicht, also zumindest war das mein ursprünglicher Plan. Aber kann ich meine neuen Freunde vom Zoo und Ced einfach so aus meinem Leben herausschneiden? Ich kann meine Eltern gerade einfach nicht einschätzen; werden sie mich nach Hause ordern oder mich meinen Weg gehen lassen, der vielleicht noch etwas dauern wird?

„Irina, ist alles okay?" fragen Ced und Sammy besorgt.
Ced legt mir seine Hand auf die Schulter und holt mich so wieder in die Realität zurück.
„Was soll ich denn jetzt tun?" frage ich meine beiden Freunde.
„Vermutlich haben dir deine Eltern ganz viele Nachrichten geschickt und auf die solltest du erstmal antworten, dann sehen wir weiter" meint Sammy.
„Am besten du rufst sie direkt an und klärst alles, damit es nicht so wie mit meinen Eltern endet" sagt Ced zuversichtlich.
„Das denke ich auch. Ich muss jetzt auch leider auflegen, die Pause ist gleich vorbei. Aber erzählt mir auf jeden Fall, wie deine Eltern reagiert haben, damit ich weiß, was ich sagen kann, falls ich sie mal treffen sollte"
„Das mach. Danke Sammy, dass du mich direkt angerufen hast"
„Ist doch selbstverständlich. Du schaffst das und euch heute noch viel Glück. Bis bald"
Mit diesen Worten legt Sammy auf und Ced und ich stehen wieder alleine im Feld in Mecklenburg-Vorpommern, viele Stunden entfernt von meinem Zuhause und nur noch wenige Kilometer bis nach Rostock.

„Sieh mal, deine Eltern haben dir schon einige Nachrichten geschickt. Bring es hinter dich und dann geht es dir und deinen Eltern besser" sagt Ced und deutet auf mein Handy in meiner Hand.
„Du hast Recht. Stört es dich, wenn ich kurz dafür weggehe?"
Ced schüttelt verständnisvoll den Kopf und tritt symbolisch einen Schritt zurück und setzt sich auf einen Stein am Rand.

Ich wähle die Nummer von meinem Zuhause und halte mir mein Handy ans Ohr. Vor Nervosität ist mir jetzt so warm und ich schwitze als hätte ich gerade Sport gemacht.
„Hallo Eline Corvus hier" höre ich meine Mutter sagen.
„Hallo Mama, ich bin es"
„Irina... Darius! Irina ist am Telefon!"
Durch das Telefon höre ich wie mein Vater die Treppe herunter gelaufen kommt.
„Irina, bist du wirklich da?"
„Ja, bin ich" meine ich zerknirscht und mache mich auf eine Standpauke bereit.
„Wo bist du? Wie kannst du es wagen uns zu belügen und einfach abzuhauen? Und dazu noch ganz alleine!" meint Mama enttäuscht.
„Es tut mir leid, aber ihr hättest es mir nie erlaubt meine Eltern zu suchen"
„Natürlich hätten wir es dir nicht erlaubt, alleine durch halb Deutschland zu reisen und das mit 16!" sagt mein Vater.
„Ich weiß. Es tut mir wirklich leid und ich bereue es auch, euch nichts gesagt zu haben"
„Aber warum hast du nicht einfach geschrieben oder uns angerufen und uns aufgeklärt? Es jetzt so zu erfahren war nicht schön. Wir sind heute Morgen fast gestorben vor Sorge" meint er weiter.
„Ich hab mich sicher gefühlt, mit Ced war alles in Ordnung und dann ..." will ich mich verteidigen, doch meine Mutter unterbricht mich:
„Warte mal. Wer ist denn Ced? Ist das ein Schulfreund, der mitgekommen ist?"
„Nein, Ced habe ich kurz nach meiner Abreise getroffen" ich schaue über die Schulter zu Ced, der geduldig auf mich wartet.
„Du bist also mit einem fremden Jungen unterwegs... Irina, was ist denn nur mit dir los?!" fragt mein Vater entsetzt.
Für einen kurzen Moment überlege ich meinen Eltern vom Trio Angriff zu erzählen, doch ich entschließe mich es nicht zu tun, sonst kann ich meine weitere Reise ganz vergessen.
„Ced ist auch ein Wandler und wie ich. Er ist schon lange unterwegs und hat mich begleitet und beschützt, ohne ihn wäre mir vielleicht was passiert" probiere ich ruhig zu erklären.
„Und hast du deine Eltern wenigstens schon gefunden?" fragt meine Mutter seufzend.
„Nein, ich war schon bei einigen Luchs Familien und heute treffe ich ein weitere, aber bisher waren sie es alle nicht"
„Und was wird jetzt passieren?" fragt mein Vater und ich bin verwundert warum ich das gefragt werde:
„Ich weiß nicht, ich würde gern weiter meine Eltern suchen, aber ich weiß, dass ihr mir das nicht erlauben würdet" meine ich traurig.
„Also so wie jetzt würden wir es dir auch nicht erlauben, aber vielleicht ja doch..."
„Darius! Was hast du vor?" fragt meine Mutter empört.
„Schatz, sie hat es jetzt schon so weit geschafft, lass sie jetzt doch noch das Wochenende reisen, wie es eigentlich geplant war und dann sehen wir weiter" sagt mein Vater zu meiner Mutter.
„Das würdet ihr mir erlauben?!" frage ich überrascht und kriege den Mund schon gar nicht mehr zu.
„Naja.. hm" meint meine Mutter unsicher
„Natürlich nur, wenn du auf all unsere Nachrichten antwortest und uns immer schreibst, wo du bist, damit wir wissen, dass wir dir vertrauen können"
„Natürlich! Das werde ich auf jeden Fall machen. Bitte Mama, ihr könnt mir vertrauen"
„Na schön, ich erlaube es dir. Aber wenn dieser Ced irgendwas Schlechtes macht, sagt nicht ich hätte euch nicht gewarnt"
„Ich vertrau Ced, er wird mich sicher nach Hause bringen und heute nach Rostock" sage ich stolz und glücklich.
„Du bist in Rostock? Damit hätte ich nicht gerechnet, aber schön, gehe jetzt deinen Weg und melde dich nachher nochmal bei uns. Ja?" meint meine Mutter.
„Auf jeden Fall! Vielen vielen Dank. Ich hab euch beide so lieb und grüßt Zoe von mir!"
„Machen wir"

Ich lege auf und bekomme mein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Schnell drehe ich mich um und laufe auf Ced zu. Der steht auf und ich springe ihm in die Arme.
„Ich vermute mal deine Eltern erlauben es?" fragt Ced lächelnd.
„Ja, für dieses Wochenende noch" meine ich zufrieden.
„Na dann auf nach Rostock!" 

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