Kapitel 35

„Wie weit ist es noch?" frage ich Ced schwer atmend und dieser blickt zu mir hinunter. Er ist als Mensch unterwegs, ich als Luchs, weil ich sonst meine ganzen Sachen vollbluten würde.
„Naja, wenn heute Nacht nichts passiert wäre, wären wir jetzt schon da. Aber so wird es wohl noch etwas dauern, bis wir da sind. Schließlich kannst du mit deinen Wunden nicht so schnell laufen"
Und das stimmt.
Jedes Mal, wenn ich auftrete, fährt ein kleiner Schmerz durch meine Beine. Auch die offenen Kratzstellen im Gesicht brennen immer wieder, sodass Ced mir irgendwelche Heilkräuter klein gemacht und auf die Stelle gelegt hat.
Der Duft ist so intensiv, dass ich ihn nach einigen Minuten schon gar nicht mehr so wahrgenommen habe. Düfte sind schon eine Wissenschaft für sich.
Ceds blutiges T-Shirt hatte er vorhin in seine Tasche gepackt und ein Neues angezogen, weil wir langsam in Siedlungs Nähe kommen.
Folglich werde ich mich auch bald wandeln müssen und davor habe ich ehrlichgesagt ein wenig Angst.
Plötzlich bleibt Ced stehen und setzt seinen Rucksack auf dem Boden ab.
„Was ist los?" frage ich verdutzt und bleibe ebenfalls stehen.
„Ich habe gerade da vorne einen Jogger gesehen. Ich denke es ist besser, wenn du dich jetzt zurückwandelst und wir so weiter und direkt in die Stadt gehen"
Wenn man vom Teufel spricht...
„Aber was ist mit meinen Wunden? Wir haben doch gar keine Verbände?"
„Wir binden dir Stoffe um dein Bein und fürs Gesicht müssen leider die Kräuter reichen. Ich denke nicht, dass die Pflaster, die wir dabeihaben, irgendwas bringen werden" erwidert Ced und holt ein Shirt aus seinem Rucksack heraus.
Verständnisvoll nicke ich und probiere die Angst zu verbergen. Ich mache mir einfach Sorgen, dass die Wunden in meiner menschlichen Gestalt schlimmer und größer sein werden.
Ich schließe meine Augen und ich höre das Rascheln von Ced und seinem Rucksack und natürlich den Gesang der ersten Vögel.
Meine Krallen graben sich in die nassen Blätter und ich versuche jeden Teil von meinem Körper wahrzunehmen.
Meine Pfoten werden in meinem Kopf detaillierter, sodass meine Finger immer ausgeprägter werden und auch der Rest meines Körpers verändert sich.
Schließlich öffne ich langsam meine Augen und ein Schmerz zuckt durch mein Bein, als ich versuche von allen vieren aufzustehen.
„Langsam Irina!" meint Ced besorgt und stützt mich, sodass ich nicht umfalle.
„Schlimmer als vorher?"
Ich nicke und beiße die Zähne aufeinander. Trotzdem gebe ich mir einen Ruck, greife mit beiden Händen nach Ced und ziehe mich langsam nach oben. Ced unterstützt mich und gibt mir Gleichgewicht, da sich alles ein wenig dreht.
Als ich stehe, atme ich erleichtert auf, aber lasse meinen Arm trotzdem um Ced geschlungen, da ich Angst habe umzufallen.
„Danke" murmele ich und beiße die Zähne wieder zusammen, da mein Bein wieder schmerzt.
„Das ist doch selbstverständlich. Halt dich mal an meinen Schultern fest, ich zieh dir jetzt deine Hose aus und mach dir dann den Stoff um"
„Du ziehst mir die Hose aus?" frage ich grinsend und vergesse für einen kurzen Moment den Schmerz.
„Na ja, wenn du es machst, kippst du nur wieder um" sagt Ced grinsend und hockt sich seitlich von mir hin, während ich mich auf seine Schultern abstütze.

Ich ziehe scharf die Luft ein, als Ced meine Hose öffnet und bis zum Knie herunterzieht. Und das tue ich nicht, weil ich mich schäme, sondern weil die Reibung der Hose einen brennenden Schmerz verursacht.
„Auu...!" rufe ich so leise wie möglich, um den Jogger nicht auf uns aufmerksam zu machen.
Ich schaue zu Ced herunter, der so schnell wie möglich das Shirt um mein Bein wickelt und somit den Blutfluss stoppt.
Meine Hose hat zum Glück noch kein Blut abbekommen. Ich betrachte Ced, der konzentriert arbeitet, doch als er meine Wunde gerade eben gesehen hatte, hatte er für kurze Zeit sein Gesicht verzogen. Ist meine Wunde schlimmer als gedacht?
„Ist mit meinem Bein alles okay, Ced?" frage ich etwas besorgt.
Ced schaut zu mir nach oben und hilft mir dann meine Hose wieder richtig anzuziehen: „Ja, deine Wunde ist viel besser und schneller verheilt als ich dachte"
„Aber mein Bein tut doch noch höllisch weh?" frage ich verwundert.
„Ja, das schon, aber eigentlich könnte man nach so einer Wunde für einige Zeit sogar nicht laufen. Du kannst es aber. Und der Heilprozess hat in deinem Gesicht sogar schon leicht angefangen. Das ist ungewöhnlich. Wandler Wunden verheilen zwar schneller, aber nicht soo schnell..."
„Heißt das ich bin noch mehr außergewöhnlich als sowieso schon gedacht?" frage ich genervt du verdrehe die Augen.
„Ich schätze ja" sagt Ced und zuckt mit den Schultern.
Eigentlich würde man sich ja freuen, wenn man außergewöhnlich oder besonders ist, aber ich kann das im Moment echt nicht gebrauchen.

Sobald ich wieder angezogen bin und den leichteren Rucksack tragen kann, machen wir uns auf den Weg nach Hause zum Zoo.
Nach ein paar Sprühern vom Spezialparfüm könnte man denken, hier wäre am Morgen nichts passiert.

„Ach du Scheiße, was ist denn mit euch passiert?!" ruft Vivien erschrocken, als wir durch die Haustür in den Flur eintreten.
Wegen dem Rufen kommen nun auch Aura und Mandarin in den Flur gelaufen und machen sich ebenfalls Sorgen, da mein Gesicht unübersehbar von Kratern übersäht ist.
Schnell erzählen Ced und ich was passiert ist und erschöpft verschwinde ich erstmal im Badezimmer.
Als ich fertig bin, stehen Ced, Aura und Vivien vor der Tür und leiten mich mit Creme und Tüchern in Ceds Zimmer.
Auf dem Schreibtisch liegen noch einige Stifte und ein Mathe Buch für Grundschüler herum.
Vivien meint erklärend: „Juno und Mika haben hier normalerweise Online Unterricht, aber wir haben sie ins Wohnzimmer geschickt, damit du dich hier ausruhen kannst"
„Und wo ist Mandarin und Iven und Oren?" frage ich gähnend, da die Müdigkeit einsetzt. Mein Körper muss sich von dem ganzen Stress erstmal erholen.
„Mandarin musste schnell wieder zu einem Meeting, sie ist in unserem Zimmer. Und Iven und Oren haben ebenfalls gerade Unterricht in ihrem Zimmer" meint Aura ruhig und streicht mir die Creme über meine Wunde. Auch wechselt sie mit Hilfe von Ced meinen "Verband".
„Und du willst morgen wirklich schon wieder los? Deine Wunde sieht zwar gut aus, aber trotzdem..." fragt Vivien etwas beunruhigt und betrachtet meine Wunden.
„Ich muss, Vivien. Ich muss weiter machen, ich habe nicht mehr so viel Zeit. Rostock und Hamburg sind vielleicht unsere letzten Ziele, wenn wir keine Informationen über diese Sionara bekommen"
„Aber ihr könnt nicht zu Fuß gehen, das schaffst du nicht" erklärt Aura entschieden.
„Ja das geht tatsächlich nicht" meint auch Ced
„Dann müssen wir mit dem Zug fahren" überlege ich nachdenklich und lege mich in Ceds Bett.
„Das ist vermutlich das einfachste, aber auch teuer. Wir können dir leider nicht so viel Geld zusätzlich geben, Irina" sagt Aura entschuldigend.
„Für mich wird das Geld noch reichen und für ein paar andere Sachen auch noch, aber ich kann keine zwei Karten kaufen" zähle ich niedergeschlagen auf.
Mir ist klar, dass ich nicht mehrere Tage lang nach Hamburg gehen kann. Dafür bin ich noch zu schwach und außerdem würde das viel zu viel Zeit kosten.
Plötzlich erwachen alle aus ihrem Grübeln, als Vivien aufspringt und zufrieden ruft: „Ich hab's! Ich habe eine Idee, wie es funktioniert. Aber es wird dir nicht gefallen, Ced"
„Wie bitte, warum denn das?!" ruft Ced besorgt und etwas entsetzt aus.
„Ich erkläre es euch. Also..."
Und dann fängt sie an ihren Plan zu erzählen.

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