Kapitel 28

„Hier bitte, Irina" sagt Aura und reicht mir ein Handtuch, um mich abzutrocknen.
„Dankeschön"
Nicht nur ich bin nach der Wandlungsstunde nass, besonders die Zwillinge und Mika tropfen so stark, dass diese ins Badezimmer geschickt werden. Meine Klamotten sind zum Glück noch relativ trocknen, da sie in der Tierform nicht nass oder dreckig werden können.
Mandarin tritt nun durch die Tür herein und man sieht gar nicht, dass sie gerade im Regen war und ihre silbernen Haare locken sich leicht.
„Und was machen wir jetzt?" fragt Juno, die ebenfalls ein Handtuch um ihre nassen Haare gewickelt hat.
Daraufhin erwidert Aura: „Wir können ein Spiel spielen oder zusammen etwas basteln. Aber worauf hättest du denn Lust, Irina? Schließlich wissen wir nicht wie lange du noch bei uns bleibst"
Ich nicke und Juno schaut ganz überrascht zu mir:
„Du willst nicht bei uns bleiben? Aber warum denn nicht?"
„Ach Juno, ich muss doch meine Eltern finden und ich habe nicht mehr so viel Zeit dafür"
„Aber du willst doch nicht wieder alleine los, oder?" mischt sich Mandarin besorgt ein.
„Ich ähm ich will euch nicht in Gefahr bringen, deshalb ist es wohl am besten, wenn ich alleine gehe" sage ich, auch wenn ich mir wünsche, nicht wieder alleine losgehen zu müssen. Aber ich kann niemanden zwingen sich für mich in Gefahr zu bringen.
„Ach was Irina, ich komme mit! Mich kannst du nicht in Gefahr bringen, das mache ich höchstens selbst. Und so haben wir eine viel höhere Chance, dass du weiterkommst und nicht von jemanden Bösen geschnappt wirst, das darf schließlich nur ich" meint Ced überzeugt und verschränkt entschlossen die Arme vor der Brust.
„Danke Ced, aber du musst wirklich nicht mitkommen. Es würde auch reichen, wenn ihr mir ein Parfüm gebt und euch dann keine Sorgen mehr um mich machen braucht" erwidere ich zerknirscht.
„Tja, wenn das so ist" fängt Mandarin an „Dann kann ich dir kein Parfüm geben"
Entsetzt starre ich sie an und auch Juno fragt: „Aber Mandarin, warum das denn?"
„Weil" beginnt sie lächelnd „Weil es das Parfüm nur in Kombo mit Ced gibt. Das ist der Deal"
Erleichtert atme ich aus, weil Mandarin mir durch ihren Witz doch einen großen Schrecken eingejagt hat.
„Ich finde den Deal auch gut. Ced wird der beste Bodyguard sein, den du jemals hattest" meint Vivien grinsend und ich erwidere lachend: „Naja, er wird mein erster sein"
„Umso besser" sagt Ced lächelnd und sagt feierlich: „Dann ist es beschlossene Sache: Irina bekommt das Parfüm und mich noch mit dazu als aufpasserische Begleitung. Ein wirklich sehr guter Deal"
„Na schön" meine ich und Mandarin schüttelt symbolisch meine Hand, der Deal ist besiegelt.
Nur Juno scheint immer noch enttäuscht zu sein, dass ich bald gehen werde und fragt: „Aber du wirst uns doch bestimmt mal besuchen kommen, oder?"
„Aber natürlich" antwortet Ced an meiner Stelle „Wir werden bestimmt innerhalb der nächsten Tage wieder hier für einen Zwischenstopp sein"
„Genau" sage ich nickend „Und schließlich werden mein Bodyguard und ich uns erst morgen auf den Weg machen. Also wenn alle damit einverstanden sind, können wir jetzt gerne ein Spiel spielen"
„Auja!" höre ich Juno, die Zwillinge und Mika begeistert rufen und wir begeben uns allesamt in die Küche zu ein paar Runden Monopoly.

Nach der Spielezeit und dem Abendessen bittet Mandarin mich und Ced auf ihr Zimmer. Dort setzt sie sich an den Schreibtisch und holt einen kleinen Umzugskarton hervor, in dem viele unterschiedliche Sachen verstaut sind. Vermutlich sind die Sachen zum Herstellen des Parfüms, da eine seltsame Mischung von Gerüchen aus dem Karton steigt. Aus dem großen Karton holt Mandarin nun noch einen kleinen Schuhkarton hervor und öffnet ihn.
„Warum ich euch zu mir gebeten habe, ist wegen dem Parfüm. Ced wie sieht es aus? Wie voll ist der Flakon? Menschengeruch, oder?"
„Ja genau" Ced holt die Flasche heraus und betrachtet sie. Sie scheint fast leer zu sein, denn nur noch ein Viertel Inhalt ist noch da.
„Alles klar, dann tauschen wir die Flasche einmal gegen eine Neue. Sei aber bitte etwas sparsam, das ist die Letzte und ich muss erstmal neue machen" erklärt Mandarin, gibt Ced eine neue Flasche und legt die fast leere in den Karton.
„Nun zu dir Irina. Ich habe noch zwei Düfte übrig: Gras und Essen. Aber wie du siehst, sind es auch nur kleine Flaschen. Ich muss echt mal wieder welche produzieren, aber meine Arbeit lässt das im Moment nicht zu, da ich an einem größeren Projekt arbeite.
Naja egal, ich denke, du nimmst am besten den Rasen Geruch, da Gras eigentlich überall wächst, auch in der Stadt. Es wäre nur gut, wenn du es da nicht übertreibst, weil das sonst viel zu auffällig ist. Eine Löwenzahn Pflanze riecht ja nicht so wie eine Waldlichtung oder ein Fußballstadium"
„Verstehe, das müsste ich hinbekommen" sage ich und Ced stimmt mir zu: „Genau und sonst bin ich ja noch da und für alle Fragen zur Stelle"
„Das glaube ich gerne" meint Mandarin lachend und verstaut den Karton wieder in der Kiste und diese im Schreibtisch, beziehungsweise darunter.
„Muss ich den sonst noch irgendwas mitnehmen?" frage ich die beiden und Mandarin zuckt mit den Achseln.
„Also außer deinen eigenen Sachen und dem Parfüm fällt mir jetzt nichts ein. Und mit Ced bist du so gut wie sicher.
Schau nicht so Ced! Da lobbt man dich einmal und schon fühlst du dich wie der Beste. Ne ne, ab mit euch ins Bett und ausruhen"
Lachend beobachte ich die beiden, die älter als ich sind und trotzdem so wie jüngere und vertraute Geschwister wirken.
„Na komm, Irina. Wir lassen Madam alleine, denn mit einer Sache hat sie Recht: Wir sollten uns wirklich ausruhen und vielleicht schon Sachen packen" meint Ced lächelnd und als wir zusammen das Zimmer von Aura und Mandarin verlassen, streckt Ced ihr noch kurz die Zunge raus, was Mandarin mit der gleichen Geste kommentiert.

Da mein Körper anscheinend wusste, dass ich die nächsten Tage wohl erstmal nicht mehr in einem Bett schlafen würde, hat er mich heute Nacht gut schlafen lassen. Als ich nun am Morgen, um neun, aus meinem traumlosen Schlaf aufwache, fühle ich mich richtig fit und bereit loszulegen.
Ced hingegen liegt schlafend in seiner Vogelgestalt auf der anderen Seite des Bettes auf einem Kissen. Ich bin am Überlegen ob ich ihn wecken soll, doch ich lasse es und gehe zum Badezimmer um mich fertig zu machen.
„Guten Morgen Irina" sagt eine Stimme und erschrocken zucke zusammen, denn einer der Zwillinge steht vor dem Badezimmer.
„Guten Morgen ähm Iven?" frage ich, da ich mir nicht sicher bin, welchen Zwilling ich vor mir habe.
„Nein, ich bin Oren" lacht Oren freundlich und ich lache mit ihm.
„Wer ist denn gerade im Badezimmer?" frage ich Oren und hinter der der Tür hören wir eine Klospülung.
„Mika, aber ich denke er ist gleich fertig und ich brauch auch nicht so lange"
„Alles klar, dann warte ich hier" sage ich und lehne mich an die Wand. Ich trage zwar noch Schlafsachen, aber will mich erst im Bad umziehen und halte deshalb meine frischen Sachen bei mir. Oren hingegen trägt schon Jeans und einen dünnen Pullover. Er hat sich wohl schon in seinem Zimmer umgezogen, aber er kennt die anderen auch schon länger, im Gegensatz zu mir.
Die Badezimmertür öffnet sich und Mika tritt heraus, ebenfalls noch in Schlafsachen und schaut mich überrascht an. Er ist wirklich schüchtern, also mache ich den ersten Schritt mit einem freundlichen „Guten Morgen Mika"
„Guten Morgen" antwortet dieser und verschwindet dann aber schnell in Richtung Schlafzimmer.
Oren zuckt mit den Schultern und meint zu mir: „Wie gesagt, er ist schüchtern. So, ich beeile mich, damit du auch gleich rein kannst"
Mit diesen Worten verschwindet er im Badezimmer, schließt ab und ich bleibe alleine auf dem Flur zurück. Aus dem Jungszimmer höre ich Wortfetzen und von Ced ein leises Atmen, Mandarin und Aura scheinen aber nicht mehr in ihrem Zimmer zu sein, vielleicht sind sie schon unten oder Brötchen kaufen.

So warte ich hier vor dem Badezimmer und irgendwie kommt es mir seltsam vor. Ich überlege und mir fällt ein warum. Zuhause haben wir zwei Badezimmer für vier Personen, sodass es selten vorkommt, dass ich mal vorm Badezimmer warten muss. Hier hingegen haben neun Leute, mit mir eingerechnet, ein einziges Badezimmer. Unten scheint zwar auch ein kleines Badezimmer zu sein, doch da es niemand benutzt, ist es wohl entweder dreckig oder kaputt.
Mir wird erst jetzt bewusst, was ich für einen leichtes Leben hatte oder habe?
Ich kann einfach zur Schule gehen, habe Freunde und Familie und wohnen in einem schönen Haus. Vermutlich wollen die ganzen Wandler in diesem Haus kein Mitleid, aber im Moment ist es genau das, was ich fühle.
Aber ein weiteres Gefühl mischt sich darunter: Angst. Werde ich nun auch nicht mehr nach Hause gehen können? Wird das meine neue Familie sein, sie ist zwar nett, aber ein Leben mit Verfolgung und eventuellem Wohnwechsel – das will ich einfach nicht.
Ich kralle meine Hände um meine Klamotten und ich spüre, wie die Angst überhandnimmt und ich langsam die Kontrolle verliere: Das Feuer, welches in meiner Adern eigentlich nur kurz brennt, wenn ich mich wandeln will, kocht nun hoch und ich halte mir meine Hand vor den Mund, um nicht vor Angst zu schluchzen. Ich spüre, wie an manchen Stellen meines Körpers Fell beginnt zuwachsen und ich will schreien.
Nein nein! rufe ich verzweifelt in Gedanken und versuche mit ganzer Kraft die Verwandlung aufzuhalten.
In diesem Moment öffnet sich die Badezimmertür und Oren tritt lächelnd heraus, doch als er mich sieht fällt ihm das Lächeln aus dem Gesicht.
„Irina? Hey, ist alles in Ordnung mit dir?" meint er überrascht und nimmt mich in den Arm. Obwohl er jünger ist, ist er genauso groß wie ich und diese Umarmung erinnert mich an eine Umarmung mit Matteo.
Ich spüre seine Haare und Wärme, die sein Körper ausstrahlt. Eine Träne rollt mir aus den Augen und fällt auf Orens Pullover.
Schnell wische ich sie weg und räuspere mich, obwohl meine Stimme noch sehr krächzt: „Es ist schon in Ordnung, Oren. Ich muss jetzt einfach ins Bad, um mich abzulenken, okay?"
„Okay, wenn du das möchtest. Und sicher, dass ich nicht jemanden Bescheid sagen soll? Ced, Mandarin oder so?" meint Oren unsicher und löst sich von mir.
„Nein, das geht schon" ich schüttele den Kopf und halte meine Sachen fester. Oren nickt und ich versuche ihm noch einmal zuzulächeln, bevor ich im Badezimmer verschwinde.
Das Fell an meinem Körper ist verschwunden und Oren hat es vermutlich auch nicht gesehen. Ich lasse mich auf den Boden gleiten und lehne mich an eine Wand an.
Es ist mir nicht peinlich, dass ich mich vor Oren fast gewandelt und geweint habe, aber mein Inneres tut einfach gerade so weh.
Ich raufe mir die Haare und versuche wieder einen ruhigen Atmen zu bekommen, da eine weitere Träne aus meinem Auge fällt.
Ich entdecke ein Radio, welches am Fenster steht und ich stehe auf, um es anzuschalten. Den Radiosender kenne ich nicht, doch die Charts, die gespielt werden, habe ich schon oft gehört. Es ist ein Versuch mich abzulenken und ich gehe ans Waschbecken, um ein Glas Wasser zu trinken, mit Absicht vermeide ich es in den Spiegel zu schauen.
Das Radio hilft zwar mich abzulenken, doch irgendetwas fehlt. Mein Blick fällt auf die Dusche und ich entscheide mich noch einmal duschen zugehen. Hoffentlich steht jetzt nicht jemand vor der Tür und will ins Bad.
Schnell ziehe ich mich aus und springe in die Dusche, da ich mich beeilen will. Das Wasser drehe ich auf und verbanne alle meine dunklen Gedanken in meinen Hinterkopf. Stattdessen lausche ich dem Lied aus dem Radio „Chöre" von Mark Forster. Hier kann ich nicht laut singen, doch in meinen Gedanken singe ich das Lied so laut, dass es die ganze Nachbarschaft hören könnte.

Als ich mit getrockneten Haaren, frischen Anziehsachen und besserer Stimmung aus dem Badezimmer tretet, steht Juno schon angezogen vor der Tür.
„Guten Morgen, Irina." sagt sie freundlich.
„Oh Hallo Juno. Ich hoffe du musstest nicht lange warten"
„Ach" meint sie und winkt ab „Höchstens fünf Minuten und alle außer Ced und mir waren schon im Bad"
„Na dann ist ja gut" meine ich erleichtert und frage Juno dann: „Schläft Ced denn noch? Hast du nachgesehen?"
Juno kichert und erwidert nickend: „Jepp, er schläft. Aber langsam kann er auch mal aufstehen, er muss doch dein Bodyguard sein!"
Ich muss grinsen und meine dann zu ihr: „Na dann werde ich ihn mal wecken gehen, während du ins Badezimmer gehst, okay?"
„Alles klar" antwortet das junge Mädchen kichernd und verschwindet durch die Tür, während ich mich mit meinen dreckigen Sachen auf den Weg in Ceds Zimmer mache.

Dort lege ich meine Klamotten zu den anderen paar Sachen, die ich die letzten Tage anhatte und packe meinen Kulturbeutel in meinen Rucksack. Auch das Ladekabel mit Handy wandert in eine Seitentasche.
Auf dem Bett liegt nun noch Ced auf dem Kopfkissen und schläft vor sich hin. Leise trete ich zu ihm heran und betrachte ihn. Auch wenn es für mich als Wandler normal sein sollte, Wandler in ihrer Tiergestalt zu sehen, ist es schon etwas seltsam Ced in seiner schlafend zu betrachten.
Vorher kannte ich niemanden, der als Tier geschlafen hat. Außerdem habe ich Ced bisher noch nicht so oft als Fischadler gesehen.
Sein weißer Kopf ist kaum zu sehen, denn die großen braunen Flügel, die auch seine Haarfarbe erklären, verdecken ihn.
Ich strecke meine Hand vorsichtig aus und tippe mit einem Finger sanft auf seinen Flügel und flüstere dabei: „Ced? Du musst langsam mal aufstehen"
Ceds Kopf kommt ganz zum Vorschein und er öffnet seine Augen, schaut mich an und meint dann etwas verschlafen: „Ist es denn schon so spät?"
Ich lache leise und sage: „Naja alle anderen sind schon wach und angezogen"
„Na dann" erwidert Ced entschlossen, gähnt und wandelt sich während dem Gähnen in einen Menschen. Faszinierend, dass er sich einfach so nebenbei Wandeln kann.
Nun sitzt der Menschen Ced vor mir auf dem Bett, allerdings Oberkörperfrei und ich trete einen Schritt zurück, während ich rot im Gesicht werde.

Ced sieht mein Gesicht und meint grinsend: „Tja, ich schlaf halt nun mal so. Als Vogel sehe das nur seltsam aus. Stell dir das mal vor"
Das will ich mir gar nicht vorstellen, denn das Bild von einem halbnackten Ced-Vogel sieht so seltsam aus, dass ich lachen muss.
„Naja, ich geh jetzt zumindest mal ins Bad und du kannst ja den anderen beim Frühstück machen helfen, unsere Tasche sind ja schließlich schon so gut wie gepackt"
„Guter Plan" meine ich und mache mich auf den Weg nach unten, wo mich Aura schon im Flur abfängt.
„Guten Morgen, Irina. Was ich dich noch fragen wollte, bevor ihr gleich loszieht: Hast du dreckige Wäsche, die ich mitwaschen soll? Ced meinte ja, dass ihr in ein paar Tagen hier wieder einen Zwischenstopp machen wollt. Dann ist die Wäsche mit Sicherheit fertig und du kannst sie mitnehmen"
„Das ist lieb von dir, Aura. Du musst das aber wirklich nicht machen"
„Ach was" erwidert diese freundlich „Das ist kein großer Aufwand. Wenn du die Wäsche holst, könntest du sie dann in den Abstellraum, neben der Küche, legen?"
„Na klar" sage ich und bin überrascht über die ganze Freundlichkeit in diesem Haus. Schnell hole ich die Wäsche, bringe sie in den Abstellraum und helfen dann beim Tischdecken. Schließlich kommt Ced auch aus dem Badezimmer und wir essen alle zusammen ein richtiges Sonntagsfrühstück.

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