Kapitel 20

Es ist so seltsam. Ich laufe durch die fast leeren Straßen der Vorstadt, in der ich wohne und bin auf dem Weg in ein Abenteuer.
Welcher 16-jährige Teenager macht das bitte?! Also ich kennen niemand außer mir, aber vermutlich ist auch niemand so verzweifelt und gleichzeitig so verrückt wie ich. Schließlich ist mein Plan verrückt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass meine Eltern auf der Liste von Frau Simons stehen? Vermutlich kehre ich am Ende meines "Urlaubs" nach Hause zurück, ohne etwas herausgefunden zu haben.
Ein weiteres Problem ist nämlich, dass ich mir Transportmittel suchen muss, weil die Luchs Familien schließlich in ganz Norddeutschland wohnen und wenn ich überall zu Fuß hinwandern würde, würde das Wochen dauern.
Mein Fahrrad konnte ich nicht mitnehmen, weil ich mir dann eine andere Ausrede für meinen Eltern hätte ausdenken sollen, weil wandern ist mit einem Fahrrad etwas schwierig. Jetzt habe ich den Salat.
Aber ich habe Geld, um mir Bus oder Zugkarten zu kaufen oder mir ein Fahrrad zu leihen. Das sind wohl die Alternativen, die ich habe und irgendwie wird das schon gehen.

Ich stecke meine Kopfhörer in die Ohren und hole den Zettel von Frau Simons hervor. Ich überfliege die Namen und ein Straßenname kommt mir irgendwie bekannt vor. Schafstraße? Irgendwas klingelt da was.
Ich hole mein Handy raus und gehe auf Google Maps. Es gibt drei Schafstraßen, zwei in Süddeutschland und eine direkt in meiner Nähe, die muss es sein!
Die Schafstraße ist eine Landstraße, an der vereinzelt kleine Häuser und Bauernhöfe stehen. Ich schaue auf die Karte und schätze, dass ich zu Fuß etwa eine Stunde brauche, um die Straße zu erreichen und mit neuer Motivation mache ich mich auf den Weg.

So gehe ich die Straßen entlang und werde von manchen Leuten schräg angeschaut, einen Teenager mit Gepäck und unter der Woche sieht man wohl nicht so häufig. Doch niemand fragt und ich setzte meinen Weg einfach fort.
Vielleicht habe ich ja Glück und die Familie, die ich gleich besuchen werde, ist meine richtige Familie, das wäre mal ein richtiger Erfolg. Aber zu viel Hoffnung will ich mir nicht machen, damit ich nicht enttäuscht werde.
Leider wusste Frau Simons nur die Straße und nicht die Hausnummer von der Familie, aber sie wusste, dass die Familie Kaiser mit Nachnamen heißt und ich werde dann einfach auf die Klingelschilder schauen müssen. Oder ich rieche es, dass kann auch sein, denn Menschen riechen anders als Wandler und Wandler, die das eigene Tier auch haben, bemerkt man besonders schnell.

Endlich gelange ich durch kleine Dörfer zu der Landstraße, die Schafstraße.
Am Rande der Straße stehen Bäume, welche in bunten Herbstfarben leuchten. Auf der Straße selbst ist kaum etwas los, ein Traktor kommt mir entgegen, doch sonst ist kein Auto zu sehen und ich beschließe auf der Straße zu gehen, da es keinen Bürgersteig gibt.
Eine andere Alternative wäre ein Feldweg, doch das wäre nur ein unnötiger Umweg. In der Ferne sehe ich schon die ersten Häuser und folge der Straße. Meine Arme tun langsam weh, weil ich den Schlafsack in der Hand halte und ich die Last vom Rucksack nicht gewohnt bin.
Als ich am ersten Haus ankomme, ein größerer Bauernhof, sind zu viele Gerüche von verschiedenen Tieren da, sodass ich zur Haustür gehen muss, um nachzusehen, ob dort Familie Kaiser wohnt.
Doch Fehlanzeige, stattdessen erschrecke ich mich fast zu Tode, weil der Hofhund angefangen hat wütend zu bellen und ich beeile mich möglichst schnell von seinem Revier wegzukommen.
Auch bei der nächsten kleinen Siedlung mit vier Häusern habe ich kein Glück.
„Entschuldigung? Wissen Sie zufällig, wo Familie Kaiser wohnt?" frage ich einen alten Herrn, der in einem Stuhl vor seinem Haus sitzt.
„Oh ja, das weiß ich. Du musst die Straße entlang gehen und das nächste Haus nach dem Bauernhof mit den Schafen ist es. Familie Kaiser haben eine Tierarztpraxis, aber die öffnet erst heute Nachmittag wieder"
„Vielen Dank, ich muss dann auch wieder los, auf Wiedersehen!" bedanke ich mich und gehe zum Haus der Kaisers.
Als ich den Hof betrete, fällt gleich auf, dass dies hier nicht nur ein Wohnhaus, sondern auch eine Praxis ist. Ein Parkplatz und ein Schild mit den Sprechzeiten, deutet auf die Praxis Tür.
Auf dem Parkplatz stehen nur zwei Autos, sodass ich vermute, dass die Eltern zuhause sind. Ich blicke mich vorsichtig um und rieche aber auch schon, dass hier Luchs Wandler wohnen.
Ich horche auf, als ich Kinderstimmen höre und ich blicke in den Garten, in dem zwei kleine Kinder spielen. Das Mädchen scheint etwa 8 zu sein und den Jungen schätze ich auf 5 Jahre.
Vorsichtig komme ich einen Schritt näher.
„Hallo ihr beiden. Wohnt ihr beiden hier und sind eure Eltern auch da?" frage ich lächelnd und die beiden schauen mich überrascht an. Beide haben dunkelblondes Haar und braune Augen.
„Ja, Mama und Papa sind da. Mama!" ruft das Mädchen und zeigt zur offenen Terrassen Tür.
Eine Frau kommt heraus und man erkennt sofort, dass sie die Mutter der beiden Kinder ist. Ihre Haare und auch ihre Gesichter ähneln sich sehr. Ich schätze, dass Frau Kaiser ein paar Jahre jünger als meine Eltern ist.
„Hallo, ich bin Irina Corvus, sind Sie Frau Kaiser?" frage ich vorsichtig.
„Ja, die bin ich. Was möchtest du denn, Irina? Die Sprechstunden sind erst heute Nachmittag... obwohl Moment mal. Bist du etwa auch ein Wandler?" antwortet Frau Kaiser überrascht.
Ich grinse und freue mich, dass sie es erkannt hat: „Genau und deswegen möchte ich auch mit Ihnen sprechen, ich bin ebenfalls ein Luchs wie Sie"
„Du? Aber deine Haare?" meint sie verdutzt.
„Ja, das ist etwas kompliziert"
„Naja, dann komm mal rein, mein Mann ist gerade in der Küche, da können wir zu dritt reden. Phillip und Bente, ihr beide könnt hier draußen weiterspielen"
Frau Kaiser deutet auf die offene Tür und ich trete in die Küche ein. Man merkt sofort, dass das Haus mal ein alter Bauernhof war und jetzt saniert wurde. Die alten Möbel wurden teilweise ausgetauscht, sodass eine gemütliche Atmosphäre zum Essen geschaffen wurde.
Am Tisch sitzt Herr Kaiser und liest gerade Zeitung, als seine Frau und ich eintreten. Herr Kaiser hat einen braunen Bart und kurze Haare in derselben Farbe, während die Haare seiner Frau und Kinder heller sind.
„Oh hallo Besuch. Und dazu auch noch ein Wandler Mädchen, was führt dich zu uns?" fragt Herr Kaiser freundlich und ich bin gleich schon weniger unsicher.
Und dann erzähle ich der Familie Kaiser meine Geschichte. Erst wollen sie mir nicht glauben, weil ich schwarze Haare habe, aber als ich meine Luchsohren erscheinen lasse, nicken sie verständnisvoll.
„Das ist wirklich eine Geschichte, aber es tut uns leid, wir sind nicht deine Eltern. Bente war unser erstes Kind" meint Herr Kaiser dann.
Ich nicke, denn mir war es schon irgendwie klar, dass sie nicht meine Eltern sind. Der Ort hätte zwar gepasst, weil sie ganz in der Nähe von meinem Fundort wohnen, aber wir sehen uns einfach nicht ähnlich.
„Können wir denn noch etwas für dich tun?" fragt Frau Kaiser mitfühlend und streicht sich durch ihre Haare.
Ich überlege und hole dann den Zettel von Frau Simons heraus
„Kennen Sie vielleicht jemanden von diesem Zettel oder wissen genaue Adressen? Das würde mir sehr weiterhelfen"

Das Ehepaar schaut sich den Zettel an und die Tierärztin weiß sogar ein paar zusätzliche Adressen und schreibt sie direkt unter die Namen. Als Herr Kaiser den letzten Namen liest, scheint ihm etwas einzufallen, denn er meint zu mir:
„Oh den Namen kenne ich, Jasmin Kiluk arbeitet im Zoo in der Stadt. Sie ist Managerin für die Mitarbeiter. Ich fahre morgen früh in den Zoo, weil ich dort wegen ein paar Kleintieren gebraucht werde. Soll ich dich dann morgen mitnehmen, Irina?"
Wow, dass ich meine nächste Person so schnell finden würde, hätte ich nicht gedacht. Aber ich weiß gar nicht wo ich übernachten soll, ob ich bei Familie Kaiser bleiben darf?
„Oh danke, dass wäre wirklich nett von Ihnen. Aber ich weiß gar nicht wo ich heute schlafen soll oder ob ich nicht schon direkt zu Frau Kiluk gehen sollte" meine ich etwas zerknirscht.
„Ich denke nicht, dass du heute rechtzeitig im Zoo ankommen würdest, bevor sie Feierabend hat. Wir können dich auch nicht fahren, weil bald die Sprechstunde von unserer Tierarztpraxis beginnt. Und ich weiß leider nicht, wo sie wohnt" Herr Kaiser zuckt mit den Schultern und schaut zu seiner Frau.
„Aber du könntest im Gästezimmer bei uns übernachten und heute Abend mitessen, das wäre kein Problem. Mir wäre es auch nicht sehr lieb, wenn du deine erste Nacht auf der Reise draußen verbringst" sagt diese mitfühlend.
Freudig lächelnd stimme ich zu und bedanke mich bei dem netten Luchsehepaar. Ich bekomme mein Zimmer gezeigt und verschwinde erstmal ins Badezimmer.

Während die beiden Eltern in ihrer Praxis Haustiere heilen, beschäftige ich mich mit Bente und Phillip und helfen bei den Hausaufgaben. Zum Glück haben die beiden keine Angst vor mir, ob das am Luchs liegt oder ob die beiden einfach nicht scheu sind, weiß ich nicht, aber ich bin froh, dass alles klappt.
Diese Familie ist so nett und es wäre schön, wenn meine wahren Eltern auch so lieb wären.
Allerdings würde es mir dann auch einige Probleme bereiten, weil ich nicht wüsste, wo ich dann leben möchte.
Ich liebe meine Eltern und meine Schwester und sie zu verlassen ist für mich undenkbar. Und doch möchte ich meinen wahren Eltern natürlich nicht weh tun. Aber darüber sollte ich jetzt nicht nachdenken, denn noch habe ich meine Eltern nicht gefunden.
Nachdem ich mit den Kindern gespielt habe, fragen mich die beiden nach meiner Schule und meinem Leben aus.
Ich erzählen ihnen von Sammy und Matteo und ich beschließe Sammy heute Abend noch anzurufen. Außerdem erzähle ich von meiner Schule und Bente ist begeistert, dass ich auf eine Schule nur für Wandler gehe und ich mich dort theoretisch immer wandeln könnte.
Mein Vater unterrichtet ja an einer Grundschule nur für Wandler, aber da Familie Kaiser zu weit weg wohnt, besucht Bente eine Menschen Grundschule und wird danach dann auf eine Wandler Schule wechseln. Ob das meine Schule sein wird, weiß sie noch nicht, aber ich verspreche ihr, sie nicht zu vergessen, falls sie zu mir kommen sollte.
Bente und ihr Bruder sind schon sehr niedlich und ich freue mich, dass meine Reise mit so etwas Schönem beginnt. Auch dass ich eine Schlafmöglichkeit habe, ohne Geld zu bezahlen, beruhigt mich.

Am Abend essen wir alle gemeinsam Abendbrot und Herr Kaiser macht mit Phillip noch einen nächtlichen Feld Ausflug, um Tiere zu beobachten.
Frau Kaiser bietet mir an, dass ich noch mit fernsehen könnte, doch ich lehne dankend ab und verziehe mich in die Dusche und dann ins Gästezimmer.
Dort erzähle ich Sammy von meinem ersten Tag und sie scheint sehr beruhigt zu sein, dass es mir gut geht und ich ein Dach über dem Kopf habe.
Schließlich lege ich mich hin und schlafe in meinem Schlafsack schnell ein, weil ich mich für den nächsten Tag ausruhen will.

Am nächsten Morgen werde ich auch schon von Frau Simons geweckt und wir frühstücken zusammen. Dann sammele ich meine Sachen an und lege sie ins Auto von Herr Simons. Ich verabschiede mich von Phillip und Frau Kaiser, dann steigen ihr Mann, ich und Bente ins Auto ein und wir fahren los.
Zuerst bringen wir Bente zur Schule und dann fahren Herr Kaiser und ich weiter in die Stadt zum Zoo. Es ist Donnerstagmorgen. Heute Nachmittag hätte ich eigentlich den Termin bei Herr Doktor Ursus.
Na der wird sich wundern, denke ich grinsend.

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