Kapitel 2

Piep...

Müde suche ich den Wecker in meinem dunklen Zimmer, das nur durch ein paar Sonnenstrahlen beleuchtet wird.

Piep...

„Verdammt, wo ist das Ding?!" murre ich.

Endlich finde ich den Wecker und schalte ihn aus. 6.30 Uhr, Dienstag 7 September. Seufzend falle ich zurück in mein Bett und starre an die weiße Decke.
Juhu, denke ich ironisch, ich bin endlich 16 Jahre alt und wie erwartet wache ich heute auf und es fühlt sich mal wieder nichts anders an.
Kein Kribbeln, keine besonderen Fähigkeiten, kein gar nichts...

Räkelnd schlage ich meine fliederfarbene Bettdecke zur Seite und schwinge meine Beine aus dem Bett. Wohl etwas zu hastig, denn als ich aufstehe, wird mir plötzlich schwindelig. Schnell halte ich mich am Nachttisch fest, drücke die andere Hand gegen meine Stirn und wundere mich über diesen kurzen, seltsamen Anfall. Mag vielleicht am Stress und der Frustration liegen.
Kopfschüttelnd mach ich mich leise auf den Weg ins Badezimmer, dafür muss ich den Flur überqueren, vorbei an der Treppe nach unten. Vermutlich klingt es albern, aber bevor mir jemand noch gratuliert, muss ich mich erstmal seelisch und körperlich darauf vorbereiten. Das bedeutet duschen, anziehen, Zähne putzen und Make-up auftragen. Hoffentlich ist mir dann nicht anzusehen. Schließlich sollte man an seinem Geburtstag glücklich sein...

Auf Zehenspitzen öffne ich leise meine Tür und ein leises Knarren ertönt.
Mist, denke ich und lehne die Tür nur leicht an, anstatt sie zu schließen, dann mache ich mich auf den Weg.
Unten höre ich deutlich die Stimmen meiner Eltern, sie reden über die Arbeit von meinem Vater. Lautlos schleiche ich weiter und lege einen Zahn zu, meine Füße machen erstaunlicher Weise keinen Laut, als ich auf das Holz trete.
Endlich erreiche ich das Badezimmer und schließe hinter mir die Tür, diesmal sogar ohne ein Geräusch zu machen. Ich drehe den Schlüssel im Schloss um und atme erleichtert aus. Der erste Schritt ist geschafft, auch wenn er ein bisschen albern war, das gebe ich zu. Doch jetzt kann ich mich endlich frisch machen.
Schnell schlüpfe ich aus meiner Nachtwäsche, bestehend aus einem Nachtshirt und einer weißen Jogginghose und gehe hastig in die Dusche. Dort drehe ich das Wasser auf und es fließt heiß über meine bis zur Brust reichenden Haare, mein Gesicht und meinen Rücken. Mir wird wohlig warm und ich atme tief durch. Ich genieße den kurzen Moment der Unbeschwertheit, den ich jeden Morgen aufs Neue genieße.
Meine Gedanken wandern um den heutigen Tag. Vermutlich wird unten gleich ein Geburtstagsfrühstück für mich fertig sein, darauf freue ich mich sogar, weil das bei uns so Tradition ist. Außerdem ist dann nicht gleich so Partystimmung am Morgen, das kann ich erst ab dem späten Nachmittag ertragen.

Ich hole vom Boden der Dusche mein Peeling für reinere Haut und creme meinen ganzen Körper damit. Als ich damit fertig bin, dusche ich mich wieder ab und stehe für einen Moment noch unter dem angenehmen warmen Regen.

Ich überlege weiter: Dann wird meine beste Freundin Samira mich mit dem Fahrrad abholen. Seit Samira 15 ist kann sie sich in einen Fischotter wandeln. Sie hat also genau das gleiche Verwandlungsalter wie Matteo. Allgemein kann man sagen, dass man sich ab der Pubertät, also ungefähr ab 12 Jahren, in sein Familientier verwandeln kann. Bei Manchen ist es allerdings so, dass erst ab 18 Jahren das Stichjahr ist.
Obwohl Samira als Otter zur Schule kommen bzw. schwimmen könnte, was andere aus unserer Schule machen, bleibt sie mir treu und fährt mit mir zusammen mit dem Fahrrad.
Zwar will sie mir immer wieder einreden, dass sie das nur macht, weil sie als Otter viel länger brauchen würde, doch merke ich immer, dass das nicht stimmt und dass sie einfach Mitleid mit mir hat.
Auch wenn ich Mitleid nicht wirklich mag, finde ich das wirklich sehr nett von ihr und wir beide warten auf meine erste Wandlung. Denn dann würde uns beiden ein großer Stein vom Herzen fallen. Spaßeshalber haben wir uns überlegt, dass wenn ich mich auch verwandelt habe, wir nur ein Fahrrad nehmen und einer dann verwandelt auf dem Gepäckträger mitfährt.
Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. Dann würde ich hinfahren und Samira würde den Rückweg übernehmen. Denn so würden wir dann jeden Tag auch für einen perfekte Wandlung üben. Aber bis ich mich wandele, naja, hoffentlich ist das bald...

Gedankenverloren schäume ich meine Haare mit Lotusblüten Shampoo ein und hoffe dabei, dass mich am Nachmittag keine allzu große Überraschungsparty erwarten wird. Woher ich weiß, dass ich eine Party bekommen werde? Ich kenne Samira jetzt schon gut und lange genug, sodass ich weiß, dass meine beste Freundin sich so eine Chance zur Party Planung nicht entgehen lassen würde. Ihre Sweet Sixteen Party mit dem Motto Black and White, war das Highlight des Jahres, mit super viel Aufwand und einem Kleid aus schwarzen und weißen Spielkarten, ich will gar nicht wissen, wie viel das letztendlich gekostet hat. Doch beim Geburtstag drücken ihre Eltern zum Thema Ausgaben, ein Auge zu.

Nachdem ich das Shampoo ausgewaschen habe, ziehe ich den Duschvorhang zur Seite, schnappe mir mein Handtuch und trockne mich ab. Dann steige ich vorsichtig aus der Dusche, damit ich nicht ausrutsche und halte mich am Waschbecken fest, falls mir wieder schwindelig werden sollte. Ich rubbele meine Haare trocken und hänge das Handtuch zum Trocknen an einen Hacken.
Auf meiner hellen Kommode liegt schon meine Schuluniform, eine rot-weiß karierte Bluse, ein schwarzer Blaser und ein roter Rock. Schnell ziehe ich mich an und entscheide mich dazu eine schwarze Leggings unter den Rock anzuziehen.
Die meisten Mädchen an meiner Schule haben sich für eine Strumpfhose entschieden, doch da ich das kratzende Gefühl nicht wirklich leiden kann und die Schulordnung zu diesem Punkt keine Vorschriften macht, habe ich mich diese angenehme Alternative überlegt.
Meine Haare föhne ich kurz an und bürste sie dann durch. Als letztes lege ich noch ein bisschen mehr auffallendes Make-up auf als sonst. Schließlich möchte ich nicht, dass jemand meine Enttäuschung über meine Nicht-Verwandlung bemerkt.
Als ich fertig bin, drehe ich den Schlüssel um und öffnen die Tür. Anstatt runterzugehen, gehe ich noch schnell in mein Zimmer, um meine Schultasche zu holen.
Wie ich schon gestern dachte, hat es sich gelohnt sie am Abend zu packen. Während ich mir meine Tasche vom Tisch nehme, fällt mein Blick noch auf Matteos Geschenk. Die kleinen gläsernen Äste des Baumes glänzen durch das Sonnenlicht, welches auf die Figur fällt. Dieser Anblick bringt mich zum Lächeln, vielleicht wird dieser Tag doch nicht so schlecht... Und Matteo hat es mal wieder geschafft mich aufzuheitern.

Als ich die Holztreppe betrete hören ich von unten schon ein „Happy Birthday" Gesang. Gut, dass keine Gäste da sind, das fände ich ein bisschen peinlich, ich bin schließlich schon zu alt für sowas.
„Ihr seid blöd!" rufe ich hinunter und werde durch ein Lachen und Kichern begrüßt, was mich doch noch zum Schmunzeln bringt und ich hüpfe auf einmal leichtfertig die Stufen hinab.
„Habe ich nicht oft gesagt, dass..." fange ich an als ich unten angelangt bin, doch meine Mutter unterbricht mich lachend und ihre schwarzen Haare im Zopf wippen auf und ab:
„Ja, Ja mein Schatz, dass du schon viel zu alt dafür bist und dass wir ja viel zu peinlich sind"
„Und", beginnt mein Vater und legt mir seine Hand auf meine Schulter „dass du uns das schon oft genug gesagt hast und doch schon erwachsen seist. Aber ich, und die Gesellschaft, finden, dass man erst mit 18 erwachsen ist, also wirst du das wohl noch mindestens einmal aushalten müssen"
„Zoe, bist du wenigstens auf meiner Seite, du bist doch meine allerliebste Schwester?" frage ich meine kleine Schwester lachend
„Sorry Irina, aber das Argument zieht bei mir nicht, schließlich, sagen wir mal so, wie viele Schwestern hast Du denn? Hm eins, oh das war's wohl" zählt sie an ihrer Hand ab und fährt dann fort: „Tja, also stehe ich leider auf der Seite unserer lieben Eltern und nutze die Chance, dich ein klein bisschen zu ärgern, gerne aus"
Grinsend streckt sie mir die Zunge raus und fängt an wieder vor sich hin „Happy Birthday" zu summen. Das kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen und strecke ihr ebenfalls die Zunge raus, von wegen erwachsen, aber ich muss ja nicht immer erwachsener sein als sie.
„Komm wir essen jetzt erstmal Frühstück, schließlich müsst ihr beide gleich zur Schule" meint mein Vater, als ich meine Tasche abgelegt habe und schiebt uns alle in Richtung Esszimmer.
Doch er hat nicht mit Zoe gerechnet, sie murmelt etwas von „Gleich abgeholt, keine Zeit und Mark" dabei wird sie knallrot und flitzt in den Flur.
Da ist wohl jemand verknallt, meine Eltern und ich werfen uns vielsagende Blicke zu und rufen meiner kleinen Schwester noch ein „Bis später!" hinüber. Dann hören wir das Schließen der Tür und setzten uns an den Tisch.
Das Esszimmer ist dezent geschmückt, mit kleinen brennenden Duftkerzen, die den Geruch von Vanille ganz sanft im Raum verteilen. Außerdem hängen ein paar goldene und silberne Luftschlangen von der Decke. Mit dieser Deko bin ich wirklich einverstanden, weil es nicht kindlich oder kitschig aussieht.
Wir setzen uns an den Tisch und auf meinem Stammplatz steht vor mir steht mein morgendliches Früchte Müsli mit Äpfeln und Orangen. Ich will schon anfangen zu essen, da steht mein Vater plötzlich auf und nimmt mir den Löffel aus der Hand, doch als ich protestieren will, sagt er:
„Vorher musst Du noch was anderes probieren" augenzwinkernd verlässt er das Esszimmer, um vermutlich in die Küche zu gehen und ich blicke ihm hinterher.
„Augen zu, Irina, das ist doch eine Überraschung!" ermahnt mich meine Mutter und wieder willig, aber auch gespannt, schließe ich die Augen. Ich höre mein Vater reinkommen und ein „Augen auf!" sagen. Ich öffne die Augen und da stellt er ein Tablett direkt vor meiner Nase ab.
Mist, na gut, dann vergesse ich mal kurz, dass ich mir vorgenommen hatte auf meine Figur zu achten.
Denn vor mir stehen Mokka-Schokoladen Muffins und dazu noch kleine helle Küchlein, die mit Passionsfrucht Ganache gefüllt sind. Der Duft ist unglaublich und mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
„Das war doch nicht nötig" stammele ich, aber strahle dabei gleichzeitig meinen Eltern an, vergessen ist vorerst der Sorge von morgens.
„Natürlich war das nötig, wenn wir dir schon keine richtigen Geschenke machen dürfen, ist das doch wohl verständlich" meint er lächelnd.
Es ist nämlich so, dass ich bald meinen Führerschein machen will. Aber dafür brauch ich Geld und deshalb wünsche ich mir schon seit zwei Jahren von meinen Eltern nicht mehr Geschenke, sondern, dass sie den Betrag, den sie dafür ausgeben würden, auf mein Konto zahlen. Durch Weihnachten, Ostern und Geburtstag ist schon eine gute Summe zusammengekommen und nicht mehr lange, dann werde ich wohl alles zusammen haben.

Jetzt sind meine Gedanken aber auf meine kleinen Geschenke gerichtet. Mit welchem fange ich nur an? Da ich ja noch ein mein Früchte-Müsli vor mir habe, entscheide ich mich für einen Mokka-Schoko Muffin, zufrieden mit dem Entschluss, greife ich nach einem besonders Großen mit ein paar Kaffeebohnen drauf und beiße glücklich hinein.
„Danke" nuschele ich, als sich der leckere Kaffeegeschmack in meinem Mund breit macht.
Doch als ich zufällig den Blick von meiner Mutter streife, bin ich plötzlich verwirrt.
Warum schaut sie mich so komisch an? Mit einem Blick aus Verwunderung, Verwirrung, aber auch Freude.
„Was ist denn los, Mama?" Ich schaue meinen Vater an, der auch nur die Schultern hochzieht und fragend zu seiner Frau blickt. Auch er hat wohl den seltsamen Gesichtsausdruck bemerkt. Meine Mama räuspert sich und sagt: „Was mir nur gerade mal so aufgefallen ist..." sie stoppt und blickt mir direkt in die Augen.
„Waren deine Fingernägel gestern auch schon so lang?"
„Wie bitte?" fange ich an zu lachen und schaue auf meine Nägel.
Erschrocken keuche ich auf, meine Nägel waren gut einen Zentimeter länger geworden, das war doch heute Morgen noch nicht so, oder?!
Verwirrt und auch ein bisschen ängstlich betrachte ich meine Eltern.
„Also Schatz, weißt du was ich vermute?", meine Mutter macht eine Pause. „Ich glaube, dass deine Wandlung beginnt und dass das der erste Schritt ist!"
Erst starre ich sie an und dann auf meine Hände. Das kann nicht sei, oder?! Nein, es ist bestimmt nur eine Illusion! Ich blinzele ein paar Mal, aber die Nägel sind immer noch so lang. Doch es muss so sein, es hatte endlich begonnen, schon in den nächsten Tagen würde ich endlich ein Rabe sein! Meine Gedanken spielen komplett verrückt.
Mein Vater hat wohl auch, wie ich, ein bisschen gebraucht, um das zu verstehen, aber jetzt geht er auf mich zu, sieht mein vor Freude sprühendes Gesicht, hebt mich hoch und wirbelt mich durch den Raum. Dabei jauchzen wir beide und meine Mutter beginnt vor Freude an ein wenig zu weinen. Dieses Zeichen war wohl nicht nur eine endliche Erleichterung für mich, sondern auch für meine Eltern.
Völlig außer Atem kommen wir zum Stehen und mir ist wieder ein bisschen schwindelig, sodass ich mich am Stuhl festhalten muss, dabei grinse und lache ich wohl wie ein Honigkuchenpferd.
Ich bin so unglaublich glücklich und erleichtert. „Darauf muss ich jetzt was essen!" sage ich lachend. Auch weise ich meine Eltern an, sich ebenfalls etwas vom Gebäck zu nehmen. Zufrieden stoßen wir mit unseren Muffins und Küchlein an und essen diese glücklich.

Also das wird wohl der beste Tag in meinem Leben werden, ich kann es immer noch nicht fassen.
Aber nichts würde mir diesen Tag verderben können – Sogar eine ultimative Überraschungsparty von Samira würde das nicht können...


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