Kapitel 17
Kleine Regentropfen fallen vom Himmel. Erst nur ein paar wenige und dann immer mehr.
Vor ein paar Tagen dachte ich noch, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, doch ich habe mich geirrt.
Ein falsches inneres Tier, die Enthüllung meiner wahren Herkunft, das Outing vor meinem ganzen Jahrgang und ein Kampf mit Terry waren ja schon das eine. Aber jetzt scheint ein Arzt mich in eine Klinik auf unbestimmte Zeit einzusperren zu wollen und sagt mir das nicht mal ins Gesicht. Außerdem ist er, wie Kieron, auf meine Haare und Augen aufmerksam geworden. Doch anstatt mir eine Erklärung zu geben, schätze ich, dass er mich als Forschungsobjekt benutzen will.
Der Regen, der jetzt auf meine Kleidung und mein Fahrrad fällt, zeigt meine Stimmung jetzt auch noch. Von kleinen Sorgen bis zu großen Problemen. Wut, Trauer, Angst und Planlosigkeit, denn was soll ich denn jetzt bitte tun?!
Ich kann doch am Donnerstag nicht wieder kommen und zu diesem Arzt gehen! Vermutlich würde er meine Eltern auch anlügen und ich würde irgendwo einfach in den Fängen dieses Arztes verschwinden. Da ich auch kein Beweisfoto gemacht habe, kann ich schlecht jemanden überzeugen. Wem soll ich es erzählen, der mich dann nicht für verrückt hält und mich dann in eine psychische Klinik bringt.
Naja, vielleicht wer ich da sogar vor Herr Ursus geschützt? Nein, das ist Unsinn! Eine andere Klinik kann mich nicht vor den Wandler Ärzten retten, es muss eine andere Lösung geben...
Ich fahre langsam und ziellos durch die leeren Straßen. Nach Hause will ich nicht, ohne einen Plan zu haben. Meine Eltern können mir nicht bei allem helfen, ich bin alt genug das selbst hinzubekommen.
Mir kommen laufende Menschen entgegen, die in Häuser vor dem Regen fliehen oder sich bei Geschäften unterstellen. Verwunderte Blicke verfolgen mich, als ich mit meinem Fahrrad schon fast im Schritttempo durch den Regen fahren.
Meine Haare haben sich aus meinem Zopf gelöst und kalte Strähnen kleben an meinem Wangen. Über mein Gesicht rinnt unaufhörlich Wasser und Tropfen fallen von meiner Nase, doch es ist mir egal. Das Einzige, was nicht nass werden sollte, ist mein Handy und das ist innerhalb meiner Jacke. Zumindest eine Sorge weniger.
Das Regenwasser spritzt auf, als ich durch eine Pfütze fahre und nun auch meine Schuhe komplett durchnässt. Die neuen Schuhe von Samira habe ich noch nicht an, das wäre zu schade gewesen.
Ich bin so in Gedanken, dass ich nicht einmal weiß, wohin ich gerade fahre, aber schließlich finde ich mich in einem kleinen Park mitten in der Stadt wieder.
Das Seltsame ist, dass ich hier noch nie war und trotzdem hier hergefunden habe, als würde mich etwas leiten.
Es regnet unaufhörlich weiter und in der Ferne hören ich ein Grollen, ein Gewitter. Dass man bei Gewitter nicht draußen sein sollte, ist mir im Moment so egal wie alles andere. Ich möchte einfach alles vergessen, was in der letzten Woche passiert ist und so weiterleben wie vorher. Zwar traurig und verzweifelt, aber ohne Tonnen von Problemen auf dem Rücken.
Ich streiche über die Rinde der Bäume, die im Park stehen und lehne mein Fahrrad an einen, um weiter durch den Regen zu gehen.
Da es September ist, ist es noch zusätzlich dunkler und es entsteht eine gruselige Atmosphäre aus Nebel, Regen und Dunkelheit. Vermutlich könnte dies von außen betrachtet gerade eine Szene aus einem Horror Film sein, aber ich spüre keine Angst oder habe auch nicht das Bedürfnis mich umzusehen.
Stattdessen setze ich mich auf die kalte Schaukel und bewege mich leicht vor und zurück, während es anfängt zu stürmen und die Baumkronen bedrohlich hin und her wanken.
Blätter fallen auf meinen Kopf, wie schon die Regentropfen und bleiben dort liegen.
Ich bin froh, dass gerade niemand hier ist, keine Kinder, keine Ärzte und erst recht keine Mörder aus Horror Filmen.
Obwohl, diese könnte ich leicht fertig machen. Ein Hieb mit den Krallen oder ein Biss mit den Fangzähnen an der richtigen Stelle und das Problem hätte sich erledigt.
Aber ich sollte so nicht denken, das will dieser Herr Doktor Ursus doch, dass ich verrückt werde!
Ich kneife mir mit meinen Nägeln in meinen Arm, um wieder klar denken zu können und ein kurzer Schmerz durchzuckt mich und verbreitet sich blitzschnell in meinem Oberkörper.
Als würde ich aus einem Traum erwachen, öffne ich meine Augen und sehe mich noch einmal richtig um.
Der Park mit dem kleinen Spielplatz ist tiefer gelegen und immer mehr Wasser sammelt sich.
Ich springe auf und meine Füße versinken im Wasser, das Grollen des Gewitters ist nun auch schon eindeutig lauter und im Augenwinkel sehe ich einen Blitz.
Ach du Scheiße! Schnell renne ich über den Platz zu meinem Fahrrad und steige auf. Nur mühsam komme ich durch das Wasser, doch nach ein paar Meter ist das Gras nicht mehr so schlimm überflutet und ich gelange auf einen Asphalt Weg.
Jetzt sehe ich gar keine Leute mehr auf den Straßen und es fühlt sich an, als würde die Welt untergehen und ich wäre der letzte Mensch.
Ich fahre immer weiter mit meinem Fahrrad, obwohl ich eigentlich kein Ziel habe, nach Hause will ich auf keinen Fall.
Schließlich bin ich schon in der Nähe von meinem Zuhause und das Gewitter ist mir zum Glück nicht gefolgt. Nur der Wind und Regen ist immer noch da und mir wird wieder bewusst, dass ich hier nicht noch länger bleiben kann.
Am besten wird es sein, wenn ich zu Samira fahre, schließlich wohnt sie hier und sie würde mich bestimmt nicht für verrückt halte.
Ich biege in den kleinen Seitenweg ab, der mich zu Samiras alleine stehendem Haus führt und ich sehe, dass aus ihrem Zimmer Licht kommt. Ein Glück, dann wird sie wohl da sein.
Mein Fahrrad lehne ich an die Hauswand und hüpfe schnell zur Haustür, weil dort kein Regen hinkommen kann, dann klingele ich und warte.
Die Tür wird geöffnet und Samiras Mutter steht vor mir und schaut mich verwundert an.
„Hi ähm, Entschuldigung falls ich störe" krächze ich
„Oh Irina! Nein du störst doch nicht. Schnell komm rein, du bist ja vollkommen durchnässt. Samira komm mal bitte! Samira wird dir bestimmt gleich was Neues zum Anziehen geben. Gib mir doch schonmal deine Jacke, die kann ich dann gleich über die Heizung legen"
Ich ziehe meine Jacke aus, welche an meiner Haut klebt und nehme noch schnell meine Wertsachen heraus, bevor ich Samiras Mutter meine Jacke gebe. Auch meine Schuhe ziehe ich aus und reiche sie ihr.
Während Samira schnell die Treppe herunter geeilt kommt, bringt ihre Mutter meine Sachen in den Kellerraum.
„Oh mein Gott Irina, was ist denn mit dir passiert?! Komm schnell hoch, ich gebe dir neue Sachen zum Anziehen"
Sie läuft vor und ich folge ihr dankend, draußen stürmt es weiter.
Als ich oben im blau tapezierten Flur ankomme, kommt mir meine beste Freundin schon mit einer Jogging Hose, einem Pullover und frischer Unterwäsche entgegen und drückt mir die Sachen in die Hand.
Ich bedanke mich und gehe ins Badezimmer, um mich umzuziehen. Als ich fertig bin, nimmt Samira meine nassen Sachen und bringt diese nach unten, während ich meine Haare föhne.
Zusammen gehen Samira und ich dann in ihr Zimmer und setzten uns auf ihr Bett. Ihr Zimmer hat ein bodentiefes und ein normales Fenster, wo der Regen gegen tropft und entspannende Geräusche macht.
Jetzt wo ich im Sicheren bin, kann ich das Wetter auch irgendwie genießen. Es beruhigt mich und erschöpft lege ich mich hin. Samira sitzt neben mir und scheint gespannt zu warten, weil es sonst gar nicht meine Art ist so spontan vorbeizukommen, aber sie lässt mir die Zeit anzukommen.
Samiras Zimmer ist in hellen grün und grau Tönen gestrichen, was mich an ein Berglandschaft erinnert und ich betrachte sie müde.
„Irina? Was war denn los? Ist der Arzttermin schon vorbei?" fängt meine Freundin vorsichtig an und dann fange ich an zu erzählen. Von meiner Ankunft, dem Gespräch mit Herr Doktor Ursus, dem Zettel mit der seltsamen Notiz und von meinem Aufenthalt im Park.
Zwischendurch rollt mir eine Träne aus dem Auge, doch ich wische sie weg und Samira scheint sie nicht bemerkt zu haben.
Als ich fertig mit erzählen bin, ist Samira erstmal sprachlos. Sie hatte zwar auch damit gerechnet, dass Terry wohl ihre Finger mit im Spiel hatte, aber dass es so dick kommt, das hätten wir beide nicht gedacht.
Sie greift nach zwei Tassen Kakao, die ihre Mutter vermutlich gebracht hat, als ich im Badezimmer war und reicht mir eine. Ich nehme einen großen Schluck und mein Inneres wärmt sich noch weiter auf.
„Wow, das ist ja mal echt heftig! Dieser Arzt erzählt dir einfach was von Aggressionsbetreuer und will dich aber in Wirklichkeit in eine Klinik stecken und du weißt nicht mal warum?! Was für ein Idiot!"
„Ja genau, er hat den netten Arzt gespielt und dreht eigentlich komische Dinger. Mir kam es auch schon komisch vor, dass ich im Psychologie Bereich war, schließlich ist er Allgemein Mediziner und beschäftigt sich noch mit DNA. Das hat doch nichts miteinander zu tun..." meine ich wütend.
„Auf diesem Zettel stand ja, dass du eventuell etwas bist, aber was könnte das sein?" überlegt Samira laut.
„Naja, dass kann wirklich alles sein, ich konnte das Wort nicht lesen und da hätte genauso gut auch hübsch oder verrückt stehen können. Es bringt wohl nichts, da weiter rumzurätseln" ich zucke mit den Schultern.
„Da hast du wohl Recht. Aber was ist mit Donnerstag? Willst du da wirklich mit deinen Eltern wieder hingehen?"
„Nein auf keinen Fall!" ich schüttele den Kopf, obwohl ich nicht weiß, wie ich das verhindern soll. Weil wenn ich am Donnerstag einfach nicht hingehe, dann rufen die bei uns zuhause an und dann müsste ich doch hingehen. Ich müsste einfach vor dem Termin verschwinden...
„Samira? Ich habe da vielleicht eine Idee"
„Schieß los!" meint diese neugierig.
„Was ist, wenn ich einfach für eine gewisse Zeit verschwinde? Wenn ich meinen Eltern sage, dass ich zu meinen Verwandten oder Freunden fahre, weil ich Erholung brauche, aber in Wirklichkeit meine wahren Eltern suche. Ich weiß, ich kann nicht für immer vor diesem Arzt weglaufen, aber es hilft mir bestimmt einiges zu verstehen"
„Ich ähm also das hätte ich nicht erwartet" meint Sammy überrascht „Du willst alleine abhauen und deinen Eltern nichts davon sagen? Nene, also wenn komme ich mit!"
„Och Sammy, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Nichts gegen dich, aber ich will nicht, dass du Probleme bekommst. Ich habe schließlich schon Probleme und die könnten sich vielleicht lösen, wenn ich meine Eltern finde. Und schließlich brauche ich doch eine Verbindungsperson und da bist du am geeignetsten."
„Aber das kann doch Matteo machen... Ich will dich doch nicht alleine gehen lassen!" meint Sammy überzeugt.
Doch ich schüttele den Kopf, bis meine beste Freundin seufzt und meint: „Na gut, wenn du das unbedingt möchtest, bleibe ich hier und bin der Telefonjoker. Aber wir müssen dann wirklich oft telefonieren und du darfst nicht zu lange wegbleiben! Wie willst du denn überhaupt deine Eltern finden? Deine jetzigen Eltern wissen doch gar nichts über sie?"
Lächelnd trinke ich einen Schluck von meinem Kakao und sage dann: „Ach keine Sorge, ich habe da schon eine Idee, wer mir dabei helfen könnte..."
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