5. Kapitel
Tjark hörte das Fuhrwerk und lächelte.
Endlich würden seine Brüder wieder nach Hause kommen. Auch wenn er es vor ihnen nie zugeben würde, hatte er sie vermisst. Alleinsein lag ihm einfach nicht. Außerdem hoffte er, dass es Stijn gut ging. Lasse war gut versorgt gewesen, das wusste er. Auch wenn er mit Tilda andauernd stritt, war sie zu Lasse immer wie eine Mutter.
Er wischte sich seinen Oberkörper ab und zog sich eine Tunika über. Heute Morgen hatte er weiter an der neuen Hütte gebaut. Endlich war sie groß genug, dass er später auch Tilda beherbergen konnte. Die alte Hütte würde den Sklaven reichen, wenn er sich mal ein paar leisten konnte. Aber es ging aufwärts und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Hof wieder so erblühte, wie er es zu Zeiten seines Vaters getan hatte.
Die Ernte war reichlich ausgefallen und das Vieh, das er mitgebracht hatte, vermehrte sich schneller, als er dachte. Er würde dem Hahn den Kopf umdrehen müssen, wenn er nicht noch mehr Hühner haben wollte. Die Kuh war schon trächtig gewesen und nun hatte er zwei Kühe und einen kleinen Stier, der sich prächtig entwickelte.
Die Götter schienen es endlich gut mit ihm zu meinen.
Nun trat er aus der Hütte, doch sein Lächeln erstarb. Nein, die Götter wollten ihn wohl doch bestrafen.
Nicht nur seine Brüder, auch Tilda war hier. Sie saß hinten auf einem Fuhrwerk, dass vollgeladen war.
„Wir sind da, Tjark!", brüllte Lasse und sprang von dem kleinen Pferd. Er rannte auf ihn zu und hielt sich an seinen Beinen fest. Er schien unterwegs im Matsch gelandet zu sein, denn er war dreckig und nass.
„Ich sehe es! Und du siehst großartig aus."
Er warf Lasse in die Luft und fing ihn wieder auf.
Lasse kreischte vor Vergnügen.
„Das macht das gute Essen von Tilda!"
Er sah fragend zu Stijn, der nun auch auf ihn zukam. Sie umarmten sich kurz.
„Warum ist sie schon mitgekommen?", flüsterte er seinen Bruder zu.
Stijn grinste wissend.
„Frag am Besten sie selbst. Tilda ist wohl nicht geneigt, dem Tratsch noch länger ausgesetzt zu sein. Und den Spekulationen."
Tjark hob die Augenbrauen.
„Welche Spekulationen?"
Stijn sah ihn kurz an.
„Es wird dir nicht gefallen. Aber wir klären es später! Jetzt sollten wir erst einmal Tilda holen. Und die ganzen Sachen, die Thorvald ihr mitgegeben hat."
Tjark stutzte einen Moment. Nicht nur, dass der Wagen voll mit Waren war, auch Tilda hätte er beinahe nicht erkannt. Sie sah mehr denn je wie eine echte Wikingerfrau aus. Sie trug ein Kleid und ihr Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Er stellte fest, dass sie bis auf die Schnallen, die ihr Oberkleid festhielten, kaum Schmuck trug. Ihre Füße steckten in weichen Lederstiefeln. Das alleine war es aber nicht. Ihr ganzer Körper war kräftiger und man sah, dass sie ihre Arbeit machte.
Stijn ging zum Wagen und hob sie herunter.
„Willkommen in deinem neuen Heim, Tilda!", sagte er zu ihr und sie nickte lächelnd.
Tjark kam auf sie zu.
„Ja! Willkommen!"
Sie sah ihn beinahe schüchtern an.
„Guten Tag, Tjark. Herzlichen Dank. Es sieht hier ganz anders aus, als ich es in Erinnerung habe!"
Er fuhr sich verlegen über den Kopf.
„Ich musste ja einiges ändern, da wir ja jetzt mehr Leute hier sind." Misstrauisch beäugte er den Wagen. „Und du hast sehr viel Ware mitgenommen!"
Sie lachte leise.
„Das ist nicht nur mein Verdienst. Stijn hat auch viel dazu beigetragen." Sie neigte sich leicht zu ihm. „Ich muss wirklich sagen, dass er sehr gewissenhaft seine Beute ausgesucht hat. Neben dem Gold hat er nur Sachen ausgesucht, die man wirklich in jedem Haus gebrauchen kann. Du solltest es ihm sagen, wenn das Gespräch darauf kommt!"
Tjark nickte und holte den ersten Gegenstand hervor.
„Ein Butterfass?"
Sie hob zerknirscht die Schultern.
„Es war ein Geschenk. Ich wusste nicht, ob du eines hier hast und ich konnte es auch schlecht ablehnen."
Er runzelte die Stirn, als er drei verschlossene Körbe vom Wagen hob.
„Bienen?"
Sie nickte heftig.
„Ja! Bjalfi war sehr beeindruckt, weil ich seine Bienenzucht enorm vergrößert habe. Dafür schenkte er mir drei Völker. Es ist wirklich praktisch. Wir haben Honig und aus dem Wachs kann ich Kerzen machen."
Tjark dachte nicht an den praktischen Zweck, sondern an etwas ganz anderes.
„Bjalfi ist mindestens dreißig Jahre älter als du! Und du nimmst Geschenke von ihm an? Weißt du überhaupt, was das heißt, wenn er dir etwas schenkt? Ein Mann!"
Sie runzelte die Stirn.
„Nein? Hat das denn eine besondere Bedeutung? Ich dachte, die Männer wollten einfach nur nett sein."
Stijn fing an zu kichern und auch Tjark grinste.
„Was? Was hat das zu bedeuten?"
Tjark stellte die Körbe ab.
„Es heißt, dass sie um dich werben!"
Sie riss die Augen auf.
„Was? Wie meinst du das?"
Tjark grinste.
„Nun ja. Sie wollen dich zum Weib!"
Sie öffnete den Mund und riss erstaunt die Augen auf.
„Bitte? Das kann nicht dein Ernst sein! Warum sagt mir das niemand? Ich dachte wirklich, sie wären nur nett! Verflucht, sogar der Heiler hat mir etwas geschenkt!"
Stijn prustete los, aber sie drehte sich zu ihm um und funkelte ihn böse an.
„Du hast mir auch etwas geschenkt! Jeder verdammte ledige Mann hat mir etwas geschenkt. Wirbst du auch um mich? Hast du mir deswegen nichts gesagt?"
Stijn hob beide Hände.
„Oh nein! Bestimmt nicht! Ich bin zu jung für ein Weib!Und ich habe dir nichts gesagt, weil du ihnen nicht zu verstehen gegeben hast, dass du ihr Werben annimmst. Sie haben zwar noch Hoffnung, aber wir haben die ganzen Geschenke!"
Stijn grinste Tjark an und schnappte sich eine schwere Kiste, die er ins Haus trug.
Tilda atmete erleichtert auf und auch Tjark musste zugeben, dass ihm wohler war bei dem Gedanken, dass sein Bruder kein Interesse an Tilda hatte.
Nun seufzte sie leise.
„Muss ich jetzt alles zurückgeben?"
Tjark schüttelte den Kopf.
„Du hast doch niemanden Versprechungen gemacht, oder? Stijn sagte, du hättest nicht!"
Sie schüttelte entsetzt den Kopf.
„Ich wusste es ja nicht einmal. Verflixt, es ist alles so kompliziert bei euch. Ihr habt für jeden Mist eine Regel. Und ich habe andauernd das Gefühl, das alle mich verarschen!"
Da war die alte Tilda wieder! Tjark hatte schon befürchtet, dass sie sich in dem halben Jahr wirklich zu sehr verändert hat. Das hätte ihm nicht gefallen. Auch wenn es ihm manchmal auf die Nerven ging, mochte er es, wenn sie wütend wurde und mit ihm stritt. Und wenn sie richtig wütend wurde, benutzte sie diese seltsamen Wörter und Gesten, die für ihn keinen Sinn ergaben, sie aber wirklich insgeheim niedlich fand.
Er packte eine Kiste und trug sie zu dem neuen Haus.
„Jetzt komm erst einmal. Ich zeige dir dein neues Heim. Und ich schenke es dir bestimmt nicht!"
Stijn hatte sich immer noch nicht beruhigt. Er lachte immer noch lauthals, als sie ins Haus kamen.
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Tilda!"
Tjark starrte ihn böse an. Aber im Prinzip hatte sein Bruder Recht. Das neue Haus war eigentlich ein Geschenk für sie. Schließlich hatte er es jahrelang in der alten Hütte ausgehalten. Und erst wegen Tilda hatte er ein Langhaus gebaut! Aber er würde bestimmt nicht um sie werben. Nein! Damit würde er Una Recht geben und dazu war er nicht bereit. Tilda kam zu ihm als Magd. Er würde sie mit Respekt behandeln. Und nicht anders.
„Meinst du, er kommt irgendwann einmal zur Vernunft?"
Gna war wieder bei Freya und hatte ihre eigentliche Gestalt angenommen.
Sie hatte zu der Frau gemusst, um ihr zur erklären, warum sie hier war.
Freya schnalzte mit der Zunge.
„Tilda wird sich wehren! Und auch Tjark hat noch nicht erkannt, dass diese Frau wirklich für ihn bestimmt ist!"
Gna hob eine Augenbraue.
„Warum wird sich Tilda wehren? Tjark ist ein sturer Ochse. Schon immer gewesen. Bei ihm wundert es mich nicht. Aber sie?"
Freya lachte leise.
„Das hast du doch eingefädelt? Wer hat ihr denn nicht versprochen, dass sie wieder zurückkann, sobald Lasse alt genug ist?"
Gna stöhnte auf.
„Das habe ich doch nur gesagt, um sie zu beruhigen."
Freya ging zum Herd und rührte in ihrem Kessel.
„Das mag sein. Aber du hast vergessen, dass auch Tilda stur sein kann! Sie klammert sich an dieses Versprechen. Aber es wird schon so kommen, wie wir es geplant haben. Lasse ist glücklich und es wird noch besser werden, wenn die erste Prüfung bestanden ist!"
Gna hoffte darauf. Sie hätte diese Prüfungen den beiden gerne erspart, aber sie wurden gefordert. Und die erste würde leider nicht lange auf sich warten lassen.
Tilda wachte auf. Es war noch dunkel in ihrer Kammer, aber ein paar Sonnenstrahlen fielen schon durch den Sack, den sie vor das Fenster gehängt hatte. Stöhnend stand sie auf. Ihr Rücken schmerzte höllisch.
Nicht nur die Fahrt auf dem ruckelnden Wagen, sondern auch das Abladen der Ware bescherten ihr heute Morgen einen Muskelkater, der sich gewaschen hatte.
Fast den ganzen Mittag hatte sie damit zugebracht die Geschenke in das Haus zu bringen. Sie hatte sortiert und alles verteilt.
Am liebsten hätte sie verbrannt, nachdem sie erfahren hatte, was es damit auf sich hatte.
Doch die älteren Brüder hatten sie daran gehindert.
Stijn war der Ansicht gewesen, dass es ja allen zu Gute kommen würde, wenn sie so beliebt war, denn es waren ausnahmslos praktische Geschenke gewesen. Das stimmte zwar, aber Tilda hatte einfach ein schlechtes Gefühl. Sie wollte keinem Mann Hoffnung machen. Schließlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder in ihre Zeit zurück ging.
Stöhnend ging sie zu dem kleinen Tisch, auf dem sie eine Schüssel und einen Krug mit Wasser hingestellt hatte. Sie spritzte sich das kalte Wasser ins Gesicht, um etwas wacher zu werden. Aber wie jeden Morgen stellte sie fest, dass es nicht viel brachte. Sie vermisste ihren Kaffee.
Nachdem sie das Unterkleid ausgezogen und sich gewaschen hatte, suchte sie sich ein neues Oberkleid. Sie musste heute unbedingt Wäsche waschen. Auch das war eine schweißtreibende Arbeit. Aber Lasse war in der Beziehung ein ständiger Arbeitgeber. Er musste jeden Tag mindestens einmal umgezogen werden. So wie auch gestern. Er war ungeduldig auf dem Pony herumgezappelt, bis er herunterfiel und natürlich in die einzige Schlammpfütze gefallen war, die es gab. Sie hatte ihn nicht einmal umziehen können, weil Stijn unbedingt weiter wollte und Lasse sie schon genug aufgehalten hatte. Deswegen war Lasse stundenlang in nasser Kleidung herumgeritten und es war nicht gerade warm gewesen.
Aber erst einmal musste sie sich um das Frühmahl kümmern.
Ihre Haare flocht sie zu einem Zopf und band sich dann auch ein Tuch über den Kopf.
Ein letztes Mal sah sie sich in ihrer kleinen Kammer um, die ihr Tjark gebaut hatte. Sie war froh, dass er ihr etwas Privatsphäre gegönnt hatte, denn sie wusste nicht, ob sie bei den Brüdern in dem einzigen großen Raum schlafen wollte.
Gestern hatte Tjark ihr noch erklärt, dass der Ausbau noch nicht fertig sei. Das obere Stockwerk war noch nicht fertig, aber da sollten die Schlafräume der Brüder unterkommen, so das der untere Bereich nur ihr zur Verfügung stand. Tilda war sich nicht so sicher, ob einer Magd so viel Platz überhaupt zustand, doch Tjark ließ kein anderes Argument gelten. Er hatte sich wohl wirklich damit abgefunden, dass sie bei ihnen blieb und wollte es ihr so bequem wie möglich machen.
Sie nahm den Sack vom Fenster, damit frische Luft in den Raum kam und öffnete leise die Tür.
Wie erstarrt blieb sie stehen und starrte Tjark an, der mit dem Rücken zu ihr stand. Er war komplett nackt.
Als er sie hörte, drehte er seinen Kopf.
„Ich...äh...entschuldige...ich wusste...ich komme gleich wieder!", stammelte sie und flüchtete wieder in ihren Raum.
Verdammter Mist!
Sie hätte sich denken können, dass so etwas mal passierte, doch nicht gerade am ersten Tag. Sie hatte tatsächlich den nackten Hintern ihres neuen Arbeitgebers gesehen! Schnell wischte sie sich mit dem Lappen über ihr Gesicht, das merklich erhitzt war.
Himmel, er hatte aber auch einen Hintern. In ihrer Zeit würden Männer viel Geld in einem Fitnessstudio ausgeben, damit sie so einen durchtrainierten Körper bekamen. Und Tjark bekam ihn einfach durch die körperliche Arbeit. Und sie musste mit diesem Adonis, der sie absolut nicht ausstehen konnte, unter einem Dach leben.
Sie seufzte.
Das wurden harte Jahre für sie, bis Lasse endlich selbstständig war und sie in ihre Zeit zurückkehren durfte.
Es klopfte leise an ihre Tür.
„Ich bin angezogen, Tilda."
Sie straffte ihre Schultern und ging wieder aus ihrer Kammer.
„Guten Morgen!"
Ihr Rücken hielt sie stockgerade. Stolz ging sie an den grinsenden Tjark vorbei und schnappte sich den Milcheimer.
„Ich melke die Kuh!"
Er nickte grinsend.
Dann murmelte er etwas, was sie wieder auf die Palme brachte.
„In eurer Zeit müssen die Menschen ja wirklich verklemmt sein, wenn du nicht einmal einen nackten Männerkörper ansehen kannst, ohne ins Stocken zu geraten!"
Ihre Augen wurden zu Schlitzen vor Wut.
Sie drehte sich zu ihm um.
„Bilde dir ja nichts ein. In meiner Zeit kann ich jeden Tag einen nackten Körper sehen, wenn ich es denn will. Aber ich habe Anstand. Glaube ja nicht, dass ich wegen deinem Hintern so verlegen wurde. Es war mir nur peinlich, weil ich dich beim Waschen gestört habe und sonst nichts."
Er kreuzte seine Arme vor der Brust und nickte grinsend.
„Natürlich! Nur deswegen! Ich verstehe!"
Wütend drehte sie sich wieder um und knallte gegen die Türm was ihn zum Lachen brachte. Sie zeigte ihm den Mittelfinger.
„Leck mich doch, Tjark! Ich gehe jetzt die Kuh melken!"
„Leck mich doch, Tjark! Ich gehe die Kuh melken!"
Tilda warf die Tür krachend hinter sich zu.
Interessant!
Tjark konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Er war sich sicher, dass sie das mit dem lecken eher als Beleidigung gemeint hatte, aber wenn er es sich vorstellte...Nein! Das war nicht möglich.
„Du bringst sie immer wieder in Wut! Lass es doch einfach mal sein!"
Stijn setzte sich von seinem Lager auf und kratzte sich ungeniert an seinem Gemächt. Tjark war froh, dass Tilda das nicht gesehen hatte. Er war sich sicher, dass sie noch mehr in Wut geraten wäre.
„Ich habe gar nichts gemacht! Ich habe mich nur gewaschen. Sie besteht ja auch darauf!"
Stijn nickte und streckte sich gähnend.
Dann stand er auf und wusch sich. Auch er war nackt, zog sich aber ein Tuch um die Lenden, als er durch den Raum ging.
Tjark verzog zerknirscht das Gesicht. Daran hätte er auch denken können. Aber es war ihm einfach nicht in den Sinn gekommen. Sie waren zu lange alleine gewesen und als seine Eltern noch gelebt hatten, hatten sie dabei auch nichts gedacht. Schließlich kannte seine Mutter ihn von Anfang an nackt. Bei der zweiten Frau seines Vaters war es nie zur Sprache gekommen, weil Tjark die meiste Zeit nicht zu Hause war. Nun musste er sich zusammenreißen, denn Tilda war es nicht gewohnt.
„Lasse schläft immer noch?", fragte Stijn.
Tjark nickte.
Stijn brummte müde.
„Seltsam. Eigentlich ist er der Erste, der Tilda weckt. Der Ritt hierher muss ihn doch sehr angestrengt haben."
Tjark nahm einen Eimer.
„Ich hole mal frisches Wasser für Tilda. Lass ihn schlafen. Er kann mir heute Mittag beim Bauen helfen."
Stijn zog sich eine Hose an und warf sich die Tunika über die Schulter.
„Was machst du heute Morgen?"
Tjark überlegte kurz.
„Das Getreide für den Winter muss bald soweit sein. Ich werde schauen, ob man es schon ernten kann. Und auch die Äpfel können von den Bäumen geholt werden."
Stijn nickte.
„Das werde ich machen! Meinst du, Tilda kann Apfelgelee machen?"
Das wusste er doch nicht. Tjark zuckte mit den Schultern.
„Das musst du sie selbst fragen. Ich werde mich da nicht einmischen!"
Bevor Stijn noch etwas fragen konnte, ging er hinaus. Irgendwie war es ihm nicht Recht, dass Stijn Tilda in allem mit einbezog, als ob sie zur Familie gehörte. Er mochte sie zwar, aber es fühlte sich nicht richtig an.
Er ging zum Bach, der hinter dem neuen Haus verlief und schöpfte Wasser. Er beobachtete, wie Tilda mit einem Eimer aus dem Stall kam. Sie stellte den Eimer ab und trieb dann die Kühe und das Kalb auf die Weide, die er angelegt hatte. Dann ließ sie die Hühner frei und holte Eier. er war sich sicher, dass sie das vor einem halben Jahr noch nicht gekonnt hätte. Aber nun fügte sie sich einfach in sein Leben ein. Sie würde eine große Hilfe sein und er musste sich keine Gedanken machen, wenn er wirklich wieder auf Raubzüge ging.
Verdammt, sie war wie ein Eheweib!
Oh nein!
Nicht für ihn. Er war immer noch der Meinung, dass Tilda nicht zu ihm passte. Sie hatte sich nie an seine Regeln gehalten und das würde sie auch nicht machen. Das ihm das eigentlich auch gefiel, verdrängte er lieber.
Nein, sie war eine Magd! Nicht mehr und nicht weniger. Das musste er sich nur oft genug einreden, damit er es endlich glaubte.
Es ging hier viel ruhiger zu, als auf Thorvalds Gut.
Tilda hatte Angst gehabt, dass die Brüder nicht zufrieden mit ihrer Arbeit waren, doch sie stellten wirklich kaum Ansprüche.
Nachdem sie die Kuh gemolken und die Eier eingesammelt hatte, bereitete sie das Frühmahl zu. Dann hatte sie Tjark zum Getreidefeld begleitet und ihm dort geholfen, während Stijn und Lasse die Äpfel einsammelten.
Nun hatte sie einen großen Bottich auf den Hof geschleift und machte sich an die Wäsche, während die Männer am Haus weiterarbeiteten. Sie vermisste ihre Waschmaschine, aber sie sagte sich, dass sie so wenigstens abnahm. Ihr kleines Bäuchlein war schon merklich geschrumpft und sie hatte Muskeln, die sie in ihrer Zeit nicht bekommen hätte.
Sie hörte das Sägen und Klopfen. Ab und zu hörte man einen derben Fluch, der sie grinsen ließ.
Aber Lasse gefiel ihr gar nicht.
Er war die ganze Zeit sehr ruhig. Zu ruhig. Das kannte sie von ihrem kleinen Wirbelwind nicht.
Auch jetzt stand er eher unbeteiligt bei Tjark. Er hörte ihm zwar zu, aber man konnte sehen, dass er nicht konzentriert war. Immer wieder rieb er sich die Augen, als ob er übermüdet wäre. Dabei hatte er sehr lange geschlafen.
Sie befestigte die letzte Tunika an der Leine und ging zu ihnen hinüber.
„Lasse, mein Kleiner. Was ist los mit dir?"
Er hob seinen Kopf, aber sie sah an seinen glasigen Augen, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie war kochend heiß!
„Lasse! Du bist krank! Warum hast du nichts gesagt?"
Vorwurfsvoll sah sie Tjark an, aber sie konnte sehen, dass auch er besorgt war. Als ob er eine Bestätigung ihrer Feststellung benötigte, legte auch er seine Hand auf Lasses Stirn.
„Bei den Göttern! Nein! Nicht Lasse!"
Er hob ihn auf seine Arme und trug ihn in die Hütte.
„Bring ihn in meine Kammer!", forderte Tilda und nahm sich einen Eimer, um Wasser zu schöpfen.
Stijn hob fragend das Kinn.
„Was ist los?", fragte er.
„Lasse ist krank. Er hat hohes Fieber!"
Stijn wurde kreidebleich.
„Oh Nein! Bitte nicht."
Tilda hob den Eimer an.
„Was ist denn?"
Stijn wischte sich über das Gesicht.
„Unsere Mutter und Alva, Lasses Mutter sind beide am Fieber gestorben!"
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