3. Kapitel

Tjark reichte Tilda die Hand und zog sie  hinter sich auf seinen Hengst. Neben dem Hengst stand Lasse und rang mit seinen Händen.

„Und du kommst bestimmt bald wieder?", fragte er weinerlich.

Tjark verdrehte genervt die Augen. Den ganzen Morgen war er Tilda schon am Rockzipfel gehangen. Besonders als er erfahren hatte, dass sie mit Tjark zu Una reiten würde. Erst hatte er mit ihnen mit gewollt, doch Tjark hatte den Kopf geschüttelt. Lasse war einfach ncoh zu klein für die Seherin. Er würde Angst bekommen, dass wusste Tjark. Irgendwann hatte Lasse nachgegeben, aber er hatte Tjark immer wieder gebeten, Tilda wieder mit zu bringen! Und auch jetzt traute er Tjark offenbar noch nicht.

„Ich werde sie schon nicht bei Una lassen!"

Tilda schlug ihm leicht auf die Schulter.

„Sei nicht so gemein zu ihm!" Er seufzte, als sie sich herunterbeugte und Lasse noch einmal über den Kopf strich.

„Ich bin bald wieder da!"

Bevor Lasse noch weiter jammern konnte, schnalzte Tjark mit der Zunge und trieb sein Pferd vorwärts. Tilda bewegte sich hinter ihm, wohl um Lasse zu zuwinken. Doch das Pferd wurde nervös deswegen und Tjark hatte Schwierigkeiten ihn zu beruhigen.

„Kannst du mal stillsitzen?", brummte er.

Sie schnaubte und murmelte etwas vor sich hin, was er nicht verstand.

„Was hast du gesagt?"

Sie brummte wieder.

„Nichts!", blaffte sie beleidigt. Sie verstand wohl nicht, dass er sich nicht so euphorisch von seinem Bruder verabschiedet hatte.

Leise seufzte er. Also war die gute Stimmung von heute Morgen vorüber.

Er schwieg lieber, bevor es wieder zu einem Streit kam. Da sie auch erstmal den Mund hielt, war es sehr ruhig. Die Ruhe hielt sogar sehr lange und er befürchtete, dass sie eingeschlafen war. Doch dem war nicht so.  Ein paar Mal bemerkte er, dass sie sich zu ihm beugte. Irgendwie schien es da etwas zu geben, was sie unbedingt loswerden wollte. Irgendwann traute sie sich wohl doch ihn anzusprechen.

„Tjark?"

Oh ha!

„Ja?"

Sie bewegte sich etwas, was das Pferd wieder nervös machte.

Sofort saß sie stocksteif hinter ihm und klammerte sich an ihn.

Tjark seufzte.

„Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich habe das Pferd im Griff!"

Sie nickte nur, doch klammerte sich fester an ihn, als ob sie ihm nicht glauben würde.

„Was wolltest du mich fragen?"

Sie entspannte sich etwas.

„Sanne hat mich heute Morgen gebeten, mit dir zu reden!"

Tjark holte tief Luft.

Er konnte sich denken, worum es ging.

„Ich weiß selbst, dass Stijn auf Raubzüge könnte."

Sie neigte den Kopf etwas, um in sein Gesicht zu sehen.

„Du weißt es? Und warum lässt du ihn nicht?"

Wieder holte er tief Atem.

„Ich habe ihn nicht gelassen, weil er bei mir Arbeit zu tun hatte."

Sie blieb still, was ihn schon verwunderte.

„Hast du nichts dazu zu sagen?"

Tilda schüttelte den Kopf.

„Nein! Es ist doch ein guter Grund."

Er schnaubte.

„Das scheinen andere nicht so zu sehen. Mein Bruder eingeschlossen! Du bist die Erste, die mir zustimmt! Stijn scheint gerade zu versessen darauf zu sein mit Thorvald zu gehen."

Sie nickte.

„Stijn ist ein junger Mann, der sich beweisen will! Hast du doch bestimmt auch getan?"

Er nickte.

„Selbstverständlich. Aber da hatten wir noch Sklaven, die meinem Vater halfen!"

Ihre Augen wurden groß, doch dann nickte sie. Tjark seufzte wieder. Er hatte schon mit einem Streit über Sklaven gerechnet. 

„Und du hast ja keine Sklaven mehr. Warum nicht?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich bin ein armer Mann. Ich lebe nur von dem, was ich anbaue oder jage. Deswegen kann ich Stijn auch nicht gehen lassen! Ich brauche jede Hand!"

Sie wirkte nachdenklich. Dann hob sie wieder den Kopf.

„Aber ist es nicht so, dass er einen Teil der Beute behalten kann?"

Tjark nickte.

„Dann wärt ihr also nicht mehr so arm?"

So langsam würde er ärgerlich.

„Es ist sein Teil der Beute und nicht meine. Ich kann nicht verlangen, dass er mir etwas abgibt."

Sie sah wieder um ihn herum.

„Aber er würde es machen, oder?"

Er versuchte ruhig zu bleiben. Sie stellte ihm nur Fragen. Aber auf einmal kamen ihm seine Bedenken so dumm vor. Und das konnte er nicht leiden. Er wollte nicht auf Fehler aufmerksam gemacht werden. Schon gar nicht von Tilda!

„Ich weiß es nicht!"

Nun änderte sich auch ihre Stimmung. Das spürte er sofort. 

„Du hast noch nie mit ihm darüber geredet? Wie dumm ist das denn?"

Er hielt das Pferd an.

„Ich bin nicht dumm! Ich habe mit ihm geredet. Er hat mich gefragt und ich habe nein gesagt!"

Sie schnaubte.

„Das ist wieder einmal typisch für dich! Stijn fragt dich, ob er mit Thorvald mitgehen kann und du verbietest es ihm. Damit ist das Thema für dich erledigt! Du bist so ein Macho. Kein Wunder bekommst du keine Frau ab!"

Er öffnete verblüfft den Mund, aber es kam kein Ton heraus. Was war denn ein Macho, bei den Göttern? Und was hatte das mit den Frauen zu tun?

Sie stieg vom Pferd und lief mit hocherhobenem Kopf davon.

„Was machst du denn?", rief er ihr hinterher.

„Ich laufe! Das siehst du doch! Mit dir kann man ja nicht vernünftig reden!"

Er trieb seinen Hengst etwas an, bis er wieder auf einer Höhe mit ihr war.

„Du beleidigst mich und wirfst mir dann vor, man könne nicht mit mir reden?"

Sie runzelte die Stirn.

„Ich habe dich nicht beleidigt!"

Er nickte ernst.

„Doch, das hast du! Du hast gesagt, ich würde wegen meiner Art keine Frau bekommen. Dann lass dir gesagt sein, dass ich früher sehr begehrt war!"

Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte und sah in dem Moment aus, wie eine Hexe, die von den Göttern gesandt worden war, um ihn zu quälen. Was wohl auch so war.

„Ach ja? Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen! Und warum jetzt nicht mehr? Liegt es vielleicht an deiner netten und zuvorkommenden Art? Oder hat es einen anderen Grund?"

Er fletschte die Zähne. Wie konnte man nur so neugierig sein?

„Weil ich eben arm bin. Keine Frau, die etwas auf sich hält, heiratet einen Bauern, der noch zwei Brüder zu versorgen hat."

Einen Moment sah sie ihn mit offenem Mund an.

„Nur deswegen? Das ist Blödsinn! Und es ist total unlogisch!"

Was?

Er musste die Frage nicht stellen, weil sie ihm die Antwort gleich lieferte.

„Wenn du eine Frau hättest, könntest auch du auf eure lustigen Raubzüge gehen und bekämst einen Teil der Beute. Sie wäre ja zu Hause und kann sich um Lasse kümmern. Dann würdest du wieder Beute mitbringen und du wärst nicht mehr so arm!"

Er runzelte die Stirn.

„Das stimmt, aber welche Frau macht das schon?"

Sie neigte den Kopf zur Seite.

„Ich würde es machen. Aber ziehe jetzt nur nicht die falschen Schlüsse. Ich würde dich nämlich nie im Leben nehmen."

Er nickte und grinste dabei böse.

„Weil ich arm bin!"

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein! Weil du einfach ein primitiver Affe bist, der alles alleine entscheiden will. Mir ist es egal, ob ein Mann arm ist. Aber wenn er so ein Volltrottel ist und sich nichts sagen lässt, dann bleibe ich bestimmt nicht bei ihm!Das mache ich nicht mit! Ich habe nämlich auch ein Gehirn und kann denken! Tut mir leid für dich, dass du wohl eine Frau gefunden hast, die dir nicht aufs Wort gehorcht! Außerdem gehe ich wieder zurück, wo ich hergekommen bin. Und du bist der Letzte, der mich aufhält!"

Er schnaubte.

„Wer sagt denn, dass ich dich will? Ich habe dich zu Thorvald gebracht, dass er dich behält!"

Sie starrte ihn an, dann drehte sie sich um und ging wieder zurück.

Er fluchte.

Was hatte er denn jetzt schon wieder gesagt?

„Tilda! Bleib sofort stehen!"

Sie drehte sich nicht einmal nach ihm um, sondern machte eine Geste mit dem Mittelfinger. Tjark hatte irgendwie eine Ahnung, dass dies keine nette Geste war.

„Wo willst du denn hin?"

Sie schnaubte.

„Ich gehe zurück und frage jemanden anderes, der mich begleitet. Ich habe keine Lust, dass ich den ganzen Weg mir anhören muss, dass ich nicht gut genug bin!"

Bitte?

„Das habe ich doch gar nicht gesagt!"

Sie drehte ihren Kopf. Ihre grünen Augen blitzten wütend.

„Oh doch! Du willst mich loswerden. Wir können ja gleich damit anfangen!"

Er wendete seinen Hengst und ritt zu ihr. Er beugte sich leicht über den Hals des Pferdes und schnappte sich Tilda, die sich wie eine Wildkatze wehrte.

„Ich MUSS dich da hinbringen! Es wurde mir befohlen!"

Sie kreuzte die Arme vor ihrer Brust. Ihr Mund war zusammen gekniffen.

„Na toll! Jetzt bin ich auch noch ein Befehl! Und du wunderst dich, dass du keine Frau abbekommst. Du bist UNMÖGLICH! Du bist ein testosterongesteuerter Gorilla, der sich einbildest, dass alles nach seinem Willen geschehen muss!"

Wenigstens wehrte sie sich nun nicht mehr.

„Halt den Mund, Weib. Ich bringe dich nun zu Una. Wenn wir wieder bei Thorvald sind, werde ich meine Brüder nehmen und wir werden nach Hause gehen. Du bleibst bei Thorvald! Dann brauchst du mich nicht mehr ertragen!"

Sie schnaubte.

„Schön!"

Er unterdrückte ein Seufzen. Warum musste alles in einem Streit bei ihnen ausarten? Er hatte doch nur die Wahrheit gesagt. Aber es schien so, dass er in ihren Augen alles falsch machte.

Er behielt sie einfach vor sich und trieb seinen Hengst an.

Je schneller sie bei Una waren, desto schneller bekam er das Weib auch wieder los.



„Tjark Gunnarson! Ich wusste, dass du wiederkommen würdest."

Tilda rückte noch etwas näher an Tjark heran, auch wenn es ihm wahrscheinlich nicht passte. Diese Frau war ihr unheimlich und im Moment war es ihr bei  dem starken, aber sturen Wikinger sicherer, als alleine zu stehen.

Sie waren nicht mehr lange geritten, bis sie in einem Wald angekommen waren, der so dicht bewachsen war, dass kaum Licht hindurch kam.

Tjark hatte das Pferd angebunden und war mit ihr noch tiefer in den Wald gegangen, bis sie an einer kleinen Hütte angekommen waren. Sie hatte Schwierigkeiten gehabt, ihm zu folgen, doch nun bedauerte sie, dass sie so schnell bei der Seherin angekommen waren.

Überall waren Knochen auf dem Boden verteilt und Fellfetzen hingen von Ästen herab. Kaum waren sie an der Tür der Hütte angekommen, als diese alte Frau ihre Nase herausstreckte und Tjark zahnlos angrinste.

„Komm herein und bringe das Mädchen mit, dass sich so ängstlich an dich klammert."

Sie ging wieder in die Hütte und Tilda sah Tjark mit großen Augen an.

„Ist sie...eine Hexe?", fragte sie leise.

Tjark zuckte mit den Schultern.

„Wer weiß das schon. Aber sie wird dir nichts tun!"

Tilda war sich da nicht so sicher. Una hatte sie so seltsam wissend angesehen.

Tjark gab ihr einen kleinen Schubs und sie stand in der Hütte. Hier war es sogar noch schlimmer, als es draußen der Fall gewesen war.

Es war dunkel, nur ein kleines Feuerchen machte ein schummriges Licht. Überall standen seltsame Figuren aus Holz oder Knochen. Um das Feuer herum waren kleine Hocker verteilt. Dort saß ein kleines Mädchen, dessen Gesicht schmutzig war. Sie sah Tilda mit großen Augen an, dann begann sie auch so wissend zu lächeln. Auf einmal wirkte sie älter...sehr viel älter.

„Setzt euch! Setzt euch! Nur nicht so schüchtern, Mädchen! Ich werde dir nichts tun. Da hat Tjark schon Recht."

Die Alte kam aus dem hinteren Teil der Hütte geschlurft. Sie trug mehrere Becher in der Hand, die sie jetzt an jeden verteilte. Tilda schaute misstrauisch hinein. Aber es roch seltsamerweise gut.

Una setzte sich ihr gegenüber.

„Heißer Apfelwein. Es gibt nichts Besseres nach einem langen Ritt."

Sie nahm einen Schluck, dann blickte sie Tilda lächelnd an. Una wartete, bis auch sie und Tjark einen Schluck genommen hatten.

Dann lehnte sie sich zurück und strich dem Mädchen neben ihr zärtlich über den Kopf.

„Du bist also endlich geschickt worden, Tilda!"

Tilda verschluckte sich heftig und hustete wild drauf los, bis Tjark ihr auf den Rücken schlug.

„Du...du kennst meinen Namen?"

Una kicherte.

„Oh ja. Wir haben dich schon in den Knochen gesehen. Mädchen aus der Zukunft, welches sich hier schnell zu Recht findet und bleiben wird! Mädchen mit den grünen Augen, die manchen Männern den Kopf verdrehen wird, aber sich nur für einen entscheidet."

Tilda setzte sich kerzengerade auf.

„Ich bleibe? Das glaube ich kaum! Ich will wieder zurück. Fuck, ich gehöre hier nicht hin. Ich vermisse die Zukunft. Fernsehen, Essen was und wann ich will und meinen Kaffee! Neiiiinnnn, ich bleibe bestimmt nicht."

Una lächelte immer noch.

„Die Knochen haben es mir gesagt!"

Tilda schüttelte den Kopf.

„Dann haben dich die Knochen angelogen. Ich bin hierher gekommen, weil ich die Hoffnung hatte, du sagst mir, wie ich wieder zurückkomme!"

Una sah sie bedauernd an.

„Das kann ich dir nicht sagen."

Tilda fuhr sich über das Gesicht.

„Du kannst nicht? Oder du willst nicht? Verdammt, ich will nach Hause!"

Sie sprang auf und lief durch die Hütte.

„Wäre ich nur nicht in dieses verfallene Haus gegangen. Darin hat doch alles angefangen!"

Sie stoppte auf einmal.

„Moment! Wenn ich diese Ruine wiederfinden würde, dann könnte es doch möglich sein, dass ich wieder zurückkann?"

Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, war ihr schon klar, wie blödsinnig das alles war. Selbst wenn sie dieselbe Stelle wiederfinden sollte, war da bestimmt kein Haus. Wahrscheinlich war da gar nichts! Nur der Fjord. Sie würde nie mehr nach Hause kommen.

Sie würde nie mehr ihre Eltern sehen. Sie hatten sich zwar in der letzten Zeit kaum verstanden, aber sie würde die beiden vermissen!

Sie konnte nie mehr Kaffee trinken! Wie sollte sie das aushalten?

Übelkeit kam in ihr hoch.

„Ich...ich muss hier raus!", stöhnte sie und rannte aus der Hütte.

Sie hörte hinter sich nur Una bestimmt und streng sagen.

„Lass sie alleine, Tjark. Vorerst!"

Oh ja. Sie wollte alleine sein.

Sie rannte ein kurzes Stück bis sie über eine dämliche Wurzel stolperte. Tilda blieb erst einmal liegen und schluchzte.

„Die Götter haben dich nicht ausgewählt, weil du so ein Jammerlappen bist!"

Tilda erstarrte.

Diese Stimme...das war dieselbe Stimme, die sie auch in der Ruine gehört hatte. Sie hob ihren Kopf. Das kleine Mädchen stand vor ihr. Sie grinste Tilda spitzbübisch an.

„Die Götter? Verflucht nochmal, ich glaube nicht einmal an einen Gott!"

Das Mädchen hockte sich vor sie hin.

„Dafür ein kleiner einsamer Junge, der mit seinen zwei wesentlich älteren Brüdern auf einem Hof leben muss und das Gefühl hat, dass ihn niemand liebt. Er hat inständig zu den Göttern gebetet und sogar eine kleine Opfergabe gebracht. Immer und immer wieder. Freya war beeindruckt von seiner Hartnäckigkeit und hat ihn erhört. Sie hat ihm jemand geschickt, der ihm gut tut."

Tilda hob eine Augenbraue.

„Götter! Aha! Mädchen, ich glaube, du hast einen Knall!"

Das Mädchen lachte hell.

„Oh Tilda. Ich habe dich hierher gebracht, weil du die Richtige bist. Wir haben hier gesucht, das kannst du mir glauben! Doch du bist die Einzige, die mit Tjark fertig wird. Und Lasse liebt dich jetzt schon! Dabei bist du erst ein paar Tage hier!"

Tilda setzte sich auf und krabbelte rückwärts, bis sie einen Baum im Rücken hatte.

„Wer bist du?"

Das Mädchen grinste.

„Ich bin Gna, die Botin der Göttin Freya!"

Irgendwas war in diesem scheiß Apfelwein! Tilda war sich sicher, dass sie halluzinierte.

„Okay. Nehmen wir mal an, du hast Recht und du bist so eine seltsame Gottheit, an die ich ja leider nicht glaube. Aber egal. Wir nehmen ja nur an. Ich soll also eine Art Ersatzmutter für Lasse werden?"

Gna nickte.

Tilda konnte nicht anders. Sie lachte lauthals los.

„Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe! Ich bin keine gute Mutter. Verdammt, ich bin manchmal selbst noch ein Kind. Ich bin total verantwortungslos und habe keine Ahnung, was Lasse braucht! Und was ist mit seinem Bruder? Der kann mich nicht einmal ausstehen!"

Gna verzog spöttisch das Gesicht.

„Du willst doch nach Hause, oder?"

Tilda nickte.

Gna beugte sich zu ihr vor.

„Dann reiß dich gefälligst zusammen, Mädchen! Erledige deinen Job und wenn du dann noch gehen willst, dann werde ich dich zurückschicken. Und du wirst nicht einmal mehr wissen, dass du hier warst! Es ist dann so, als ob du nie fort gewesen wärst!"

Sie stapfte davon und ließ Tilda alleine zurück.

Diese umklammerte verzweifelt ihre Knie.

Sie sollte Lasse eine Mutter sein? Er war doch erst...Moment mal...FÜNF! Bis er selbständig wäre, konnten noch gut zehn Jahre ins Land ziehen. So lange sollte sie hierbleiben? Bei den Gunnarsons? Bei Tjark, der sie nicht ausstehen konnte?

Sie sah in den Himmel.

„Du bist eine blöde Kuh! Ich glaube nicht einmal an dich!"

Sie legte den Kopf auf die Knie und fing an zu weinen.



„Du weißt doch noch, was ich dir gesagt habe, als du das letzte Mal bei mir warst."

Una sah Tjark ernst an.

Tjark schnaubte.

„Du hast eine Menge gesagt."

Una schlug ihm auf den Oberarm. Sie war wütend.

„Hat sich nicht alles bewahrheitet? Du warst der Einzige, der die volle Wahrheit wissen wollte und ich habe sie dir gegeben. Ich war mir ganz sicher, dass du stark genug warst, um alles zu ertragen!"

Tjark hob arrogant sein Kinn.

„Habe ich es denn nicht ertragen? Du hast mir den Tod zweier Mütter und meines Vaters vorhergesagt. Du hast gesagt, dass ich erst das Elend erleben muss, bevor ich ein großer Krieger werde. Du hast mir unvorstellbaren Reichtum prophezeit und eine Frau, die mir ebenbürtig ist. Bis auf den Tod ist nichts eingetroffen!"

Una lachte leise.

„Weil die Zeit noch nicht reif genug ist, Tjark. Alles kommt, wenn es soweit ist. Und die Frau ist hier. Du weißt es, dass sie es ist!"

Tjark zeigte nach draußen.

„Tilda? Tilda soll die Frau sein, die mir ebenbürtig ist? Nein! Nicht sie. Tilda ist zänkisch, gibt mir Widerworte und verdreht mir das Wort im Mund. Außerdem scheint es so zu sein, als ob sie nicht hierbleiben will!"

Una lächelte sanft. Das war er gar nicht gewohnt von ihr. Eigentlich war sie immer schroff.

„Sie ist noch nicht lange hier und du hast schon so eine Meinung von ihr? Tjark, denk doch mal nach! Sie ist von der Zukunft! Sie muss auf vieles verzichten. Ihre Eltern, ihre Lebensweise. Du hast keine Ahnung, wie komfortabel sie gelebt hat und sie war nicht einmal reich! Ich finde, dafür hält sie sich ganz gut."

Das war wohl war. Das musste er sogar zugeben.

Una bemerkte, dass er nicht widersprechen würde. Sie machte eine scheuchende Handbewegung.

„Gut! Und nun geh ihr hinterher. Sag ihr ein paar tröstende Worte. Du wirst sehen, dass sie die Richtige für dich ist. Irgendwann wird es sogar dir auffallen!"

Er schnaubte noch einmal und ging dann Tilda hinterher.

Er schwor sich, dass es das letzte Mal war, dass er diese Frau aufsuchte. Er brauchte keine Frau, die nicht hierher gehörte. Vor allem nicht Tilda. Er stritt sich immer nur mit ihr!

Trotzdem hatte Una auch Recht. Tilda hielt sich gut. Sie war stark. Aber sie würde wahrscheinlich wirklich einige tröstende Worte gebrauchen können. Schließlich hatte sie gerade erfahren, dass sie nicht von hier weg kam. 

Er hörte sie schluchzen und folgte dem Geräusch.

Tilda saß vor einem Baum, die Arme um ihre Beine geschlungen. Sie weinte!

Tjark hockte sich neben sie. Leicht berührte er ihren Rücken.

„Wenn ich dir helfen könnte..."

Sie sah ihn an. Ihre grünen Augen leuchteten, obwohl sie weinte. Ihre Nase war rot und geschwollen und sie fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase.

„Ich will doch nur Kaffee. Mehr will ich erstmal gar nicht. Ich würde wirklich alles akzeptieren. Meine Eltern halten mich sowieso für eine Versagerin. Genau wie meine Chefs. Ich habe immer nur die Drecksarbeit erledigt. Zu mehr war ich nicht nütze. Und jetzt bin ich hier und es ist alles viel schlimmer. Was man von mir erwartet ist unmöglich. Ich kann das nicht, Tjark."

Er neigte den Kopf etwas zur Seite.

„Was verlangt man denn von dir, mh? Wer verlangt es?"

Sie legte wieder den Kopf auf die Knie.

„Das würdest du mir sowieso nicht glauben!", hörte er sie leise murmeln. „Ich will doch nur Kaffee!"

Er seufzte.

„Ich habe keinen Kaffee. Es tut mir leid. Aber ich bringe dich wieder zu Thorvald."

Sie hob nur leicht den Kopf, dass er nur ihre Augen sehen konnte.

„Meinst du, das wird mich trösten?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Sehe es doch von der guten Seite. Du hast mich los, wenn du bei Thorvald bleibst."

Sie schluchzte.

„Er wird mich nicht behalten. Du wirst es sehen!"

Tjark runzelte die Stirn.

„Ich habe ihn darum gebeten. Es tut mir leid, aber ich kann dich nicht gebrauchen! Oder hast du eine Ahnung davon, wie man Getreide erntet? Oder wie man daraus Mehl macht. Kannst du Fisch auseinander nehmen? Oder jagen? Kannst du Kleidung nähen und notfalls auch stopfen?"

Sie sah ihn an, als ob er irre wäre.

„Ihr habt doch auch Märkte. Wir hatten einen Supermarkt! Dort konnte ich alles kaufen! Wenn etwas kaputt war oder ich Hunger hatte, ging ich dorthin und bekam es!

Nun starrte er sie verblüfft an.

„Wirklich? So etwas gibt es bei dir?"

Sie nickte.

„Ja."

Er hob eine Augenbraue.

„Ich war schon auf Märkten. Aber man muss sehr weit reisen, um einen zu besuchen und es gibt dort bei Weitem nicht alles! "

Sie schniefte wieder leise.

„Auch keinen Kaffee!"

Er hob ihr die Hand hin und verkniff sich ein Grinsen.

„Nein! Auch keinen Kaffee. Und jetzt komm! Da du wahrscheinlich glaubst, dass du hier nicht mehr weg kannst, solltest du das Beste daraus machen!"

Nun war sie es, die schnaubte. Sie nahm seine Hand und ließ sich auf die Füße ziehen.

„Mir bleibt ja nichts anderes übrig!"



„Hast du nicht etwas übertrieben? Und was soll dieses Schlupfloch? Sie wird sich nun an den Gedanken klammern, dass sie wieder zurück kann und alles so ist, wie es war!"

Freya war nicht gerade erfreut, aber Gna war sich ihrer Sache sicher.

„Sie wird ihn nicht verlassen wollen! Sie liebt Lasse jetzt schon, auch wenn sie es noch etwas verdrängt. Nur unser Beiwerk Tjark macht mir Probleme. Er ist so verflucht stur!"

Freya lachte.

„Er ist ein Wikinger! Aber er wird sich besinnen. Wir haben Tilda für ihn ausgesucht. Sie ist die Richtige für ihn!"

Da war sich Gna nicht sicher.

Gut, es gab eine gewisse Sympathie zwischen den beiden, aber die war so brüchig wie Glas. Sie war sich sicher, dass ein falsches Wort alles zerstören konnte. Und dann würde nicht einmal Lasse Tilda halten können. Dann würde sie darauf bestehen nach der Zeit wieder zurück zu gehen.

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