2. Kapitel

„Tjark Gunnarson! Dich hätte ich nun am allerwenigsten um diese Zeit hier erwartet! Steht nicht die Ernte an? Aber du bist immer sehr willkommen!"

Thorvald umarmte seinen alten Freund aus Kindertagen und lud ihn an seine Tafel ein, wie es Brauch war. Sofort kamen Frauen und reichten ihnen Trinkhörner.

Thorvald wartete, bis Tjark trank, dann sah er zum Eingang des Langhauses.

„Deine Brüder hast du auch mitgebracht. Bist du sturer Bock endlich zu der Erkenntnis gekommen, dass sie beide bei mir gut aufgehoben sind?"

Tjark hob bedrohlich eine Augenbraue. Jedem anderen wäre es sofort angst und bange geworden, aber Thorvald kannte Tjark gut genug, um zu wissen, dass er sich zu beherrschen wusste.

Er lachte bis sich die Miene von Tjark wieder beruhigte. Dann nahm er noch einen Schluck und beugte sich zu ihm.

„Also nicht! Warum seid ihr hier?"

Tjark nickte seinen Brüdern zu. Sie kamen beide nach vorne, ein Weib in ihrer Mitte, das Thorvald nicht kannte.

„Oh, mein Freund. Hast du endlich ein Weib gefunden?"

Tjark schnaubte leise.

„Ich habe sie gefunden. Aber sie ist nicht mein Weib, wie du vielleicht denkst. Sie lag in der Nähe des Fjordes. Sie war verletzt und redet wirres Zeug. Ich wollte dich bitten, dass der Heiler sich Tilda ansieht."

Tjark trank noch einen Schluck und murmelte den letzten Satz leise vor sich hin.

„Und ich wollte fragen, ob du sie nicht behalten kannst!"

Schnell nahm er noch einen Schluck, bevor es Thorvald vielleicht einfallen konnte, nach zu haken. 

Thorvald stieß einen verblüfften Laut aus.

Tjark war sein Freund. Sie kannten sich schon, seit sie laufen konnten und Tjarks Vater noch bei ihnen auf dem Gut gelebt hatte. Tjark war früher ein sorgloser Krieger gewesen, genau wie sein Bruder Stijn jetzt. Doch erst war seine Mutter gestorben. Tjark hatte sich aus Trauer von einer Schlacht in die andere gestürzt. Sein Ruf eilte ihm schon damals voraus und Thorvald war froh, dass er ihm Treue geschworen hatte. Es wurde erst besser, als sein Vater wieder ein Weib genommen und sich auf den kleinen Bauernhof zurückgezogen hatte. Tjark wurde merklich ruhiger und auch wieder etwas sorgloser. Doch dann starb erst die Frau seines Vaters und kurze Zeit später fiel auch sein Vater bei einer Schlacht. Viele hatten nun wieder befürchtet, dass er zu einem Berserker wurde. Doch Tjark zog sich vollkommen zurück. Er war die Ruhe in Person und so schrecklich vernünftig. Obwohl er nur ein Jahr jünger als Thorvald war, gebahrte er sich wie ein alter Mann. Das Tjark nun hierher kam, mit seinen Brüdern und ein Weib bei sich hatte, dass er bei ihm loswerden wollte, zeigte Thorvald, dass es mit Tjarks Ruhe nicht gut bestellt war.

Er betrachtete die Frau.

Sie war nicht mehr ganz jung. Er schätzte, dass sie im Alter seiner Frau Sanne war.

Mit zwei Fingern winkte er sie zu sich.

Sie sah verwirrt zu Lasse, der ihr andeutete, dass sie sich zu verneigen hatte.

Bei allen Göttern, was war mit ihr los?

Nun kam sie näher und ging auf die Knie.

„Ich grüße den Jarl dieses Gutes!"

Er lachte leise. Sie hatte wenigstens Manieren.

„Wie ist dein Name, Mädchen?"

Sie hob den Kopf und Thorvalds Mund wurde trocken. Grüne Augen! Bei Freya, das Weib war schön! Seine Lenden regten sich, aber er riss sich zusammen. Sanne würde ihm den Schwanz abhacken, wenn sie ihn so sehen würde.

„Ich heiße Tilda Johnson!"

Thorvald grinste.

„Du meinst eher Tilda Johnsdotir?"

Tjark hob eine Hand.

„Bestehe nicht darauf. Tilda fängt sonst nur Streit mit dir an. Sie weiß alles besser!"

Thorvald sah, wie Tilda schnaubte.

„Das sagt gerade der Richtige! Wenn Mister Neunmalklug mir einmal zuhören würde, dann wüsste er, dass es eben bei uns so üblich ist!"

Tjark schnappte nach Luft.

„Ich habe keine Ahnung, wie du mich gerade genannt hast. Aber das hörte sich wieder einmal nach einer Beleidigung an! Und ich warne dich. Mach nicht dasselbe mit dem Jarl wie mit mir. Sonst bist du schneller deinen hübschen Kopf los, als dir lieb ist!"

Ihre grünen Augen blitzten wütend auf.

„Ich behandle jeden so, wie er es verdient hat. Und du bist nicht besonders nett zu mir! Und Anstand hast du auch keinen! Du wolltest mich nackt sehen!"

Thorvald lehnte sich amüsiert zurück und lauschte dem Streitgespräch. Er bemerkte, wie sich auch andere das Lachen verkniffen.

Tjark richtete sich auf.

„Ich habe dir gesagt, dass ich mir bestimmt nichts aus deinem Körper mache. Aber du bist verklemmt!"

Sie stieß einen leisen Schrei aus.

„Verklemmt? Ich? Hör mal gut zu, du primitiver Neandertaler, wenn hier einer verklemmt ist, dann bist du das! Ich erinnere dich nur daran, dass du mir den ganzen Weg bis hierher eingetrichtert hast, was ich zu tun und zu lassen habe. Du mit deinen verdammten Regeln. Als ob ich nicht wüsste, wie man sich anständig benimmt! Tilda tu dies, Tilda tu das. Du hast mir sogar vorgeschrieben, was ich zu dem Kerl hier sagen soll, dabei kenne ich ihn gar nicht!"

Tjark sprang nun auf.

„Er ist der Jarl! Du hast ihm mit Respekt zu begegnen!", brüllte er.

Jede andere wäre nun vor Angst zusammengezuckt. Aber nicht diese fremde Frau. Sie hob arrogant ihr Kinn und sah Tjark herausfordernd an.

„Ich kann mich benehmen und bringe jedem den Respekt entgegen, den er verdient!"

Wie zum Beweis neigte sie tief den Kopf in Richtung Thorvald.

„Verzeiht, mein Herr! Ich kann mich wirklich benehmen, aber mit ihm in der Nähe..." Sie zeigte mit dem Kinn zu Tjark. „...vergesse ich meine gute Erziehung!"

Thorvald schlug sich lachend auf die Schenkel. So etwas Lustiges hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Oh nein! Er würde Tjark diese Frau bestimmt nicht abnehmen. Er war der Meinung, dass solche eine Abwechslung seinem Freund sehr gut tat.

Lachend wischte er sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Sanne? Bist du hier?"

Seine Frau kam auf ihn zu. Er sah ihr an, dass auch sie den größten Teil des Streites mitbekommen hatte, denn sie verkniff sich auch ein Lachen.

Tjark neigte seinen Kopf in ihre Richtung, aber Sanne umarmte ihn einfach.

„Ich grüße dich, Tjark. Bleib unser Gast, so lange es dir beliebt!"

Sie sah zu ihrem Mann und grinste ihn an. Er winkte sie zu sich und sie entfernten sich ein Stück von den anderen.

„Denkst du, was ich denke?", fragte er sie.

Sie gluckste.

„Wenn du denkst, dass sie das Beste ist, was Tjark passieren konnte, dann ja! Hast du gesehen, wie sie ihm die Stirn geboten hat? So eine Frau habe ich schon lange nicht mehr gesehen."

Er küsste leicht ihre Hand.

„Doch! Ich kenne da eine, die den Männern genauso die Stirn bietet. Und ich habe sie zum Weib genommen! Aber du hast Recht. Ich werde sie wieder mit ihm zurückschicken. Aber erst soll sich der Heiler um sie kümmern. Tjark hat Recht. Irgendwas ist Seltsam mit ihr."

Sanne nickte.

„Ich werde mich darum kümmern."

Er klopfte leicht auf ihr Hinterteil, was sie auf quieken ließ, dann ging sie zu der Frau und nahm sie bei der Hand.

„Komm mit, Tilda. Der Heiler soll sich deine Wunde ansehen. Und dann werden wir weitersehen!"



„Die Wunde an deiner Stirn ist wirklich kaum von Belang. Sie wurde gut gesäubert und verheilt gut."

Der Heiler besah sich die Stirn noch mal genauer, lehnte sich aber dann zurück und lächelte Tilda an. Sie konnte nicht anders, aber sie mochte den jungen Mann.

Sanne hatte sie in seine Hütte gebracht und er hatte sie gründlich untersucht, während er ihre Geschichte angehört hatte.

„Sei doch so lieb, Mädchen, und bringe uns drei Becher mit heißem Wasser."

Tilda sprang sofort auf und ging zum Kamin. Dort standen die Becher und ein Kessel mit heißem Wasser. Mit einer Kelle füllte sie die Becher und stellte sie auf den Tisch. Sanne, die während der Untersuchung dabei geblieben war, nickte ihr dankbar zu.

„Was denkst du, Leif? Ist sie so verwirrt, wie Tjark es behauptet?"

Leif nahm einen Lehm Topf und füllte ein paar Kräuter in die Becher. Sofort verströmte sich ein aromatischer Duft.

„Verwirrt? Bestimmt! Das wäre ich aber auch, wenn ich in ihre Zeit gelandet wäre!"

Tilda sah ihn verblüfft an.

„Dann glaubst du mir also?"

Er lächelte.

„Es bleibt mir keine andere Wahl. Du hast mir so viele Sachen offenbart, die es mir unmöglich machen, dir nicht zu glauben."

Er tätschelte leicht ihre Hand.

„Ich habe allerdings keine Ahnung, warum die Götter dich hierher geschickt haben!"

Tilda nahm den warmen Becher in ihre Hände.

„Meinst du...diese Stimmen...das waren Götter? Und was meinten sie damit, dass mich jemand brauchen würde?"

Leif zuckte mit den Schultern.

„Das kann ich dir auch nicht erklären. Ich bin Gelehrter und nicht der Bote der Götter. Aber sie werden sich schon etwas dabei gedacht haben."

Tilda sackte leicht in sich zusammen.

„Das bedeutet aber auch, dass ich nicht mehr zurück kann. Zumindest nicht, bis ich jemand finde, der es mir möglich macht!"

Sanne sah zu dem Heiler, der das Gesicht verzog.

„Du weißt, hohe Frau, dass ich nicht viel von ihrer Kunst halte. Aber ich denke, dass du sie auch zu Una bringen solltest!"

Sanne nickte ernst, während Tilda verwirrt zwischen den beiden hin und her schaute.

„Wer ist Una?"

Sanne lächelte sie an.

„Sie ist unsere Seherin. Sie ist etwas seltsam, aber sie spricht zu den Göttern. Vielleicht kann sie dir weiterhelfen!"



„Nie im Leben gehe ich wieder zu dieser alten Hexe!"

Tjark warf Thorvald einen bösen Blick zu. Der hob beide Augenbrauen an.

„Du verweigerst dich also dem Befehl?"

Tjark fuhr sich durch sein Haar. Dann atmete er tief ein.

„Wir waren beide schon bei ihr und du weißt, was sie für wirres Zeug von sich gegeben hat!"

Thorvald nickte.

„Es war etwas wirr, aber das Meiste hat sich doch bewahrheitet. Oder willst du das leugnen?"

Das konnte er nicht leugnen. Una hatte den Tod einiger Familienmitglieder vorausgesagt. Und sie sagte auch voraus, dass er ein großer Krieger werden würde, aber dann an sein Heim gefesselt wäre. Das entsprach alles der Wahrheit. Aber sie hatte auch von einer Frau gesprochen, die er bis zum Ende seines Lebens lieben würde. Und das war schon lächerlich genug. Er sah ja nun, wie die Frauen auf ihn zukamen. Keine wollte sich mit einem armen Bauern einlassen, der zwar mal einen Ruf als großen Krieger gehabt hatte, aber nun sich nicht einmal Sklaven leisten konnte.

Tjark schnaubte nur.

„Außerdem ist es jetzt schon zu spät, um zu Una zu gehen!"

Thorvald nickte.

„Aber morgen früh solltest du mit der schönen Tilda hin reiten!"

Tjark runzelte die Stirn.

Schöne Tilda?

Er gab ja zu, dass sie wirklich eine Schönheit war, aber...

„Hast du vor, sie zu deiner Zweitfrau zu machen? Bestehst du deswegen so darauf?"

Thorvald verschluckte sich beinahe am Met.

„Was? Nein! Ich bin zufrieden mit meinem Weib. Sie hat mir schon drei Erben geschenkt. Außerdem habe ich genug Krieger, die noch unverheiratet sind. Erst einmal sollte ich für sie sorgen. Und wenn dann noch eine Frau übrig sein sollte, kann ich es mir noch überlegen!"

Er grinste seinen Freund an.

„Aber bei Tilda habe ich das Gefühl, dass sie ziemlich begehrt sein wird."

Tjark verstand die Welt nicht mehr.

Dieses zänkische Weib? Er kannte sie gerade einmal drei Tage, fand sie aber enorm anstrengend. Er versuchte ein Gespräch mit ihr zu vermeiden, weil es sowieso meist im Streit ausartete. Außerdem gab sie ihm andauernd Widerworte. Sie hatte sogar den Nerv gehabt Stijn zu ohrfeigen. Gut, er hatte es wahrscheinlich auch verdient, aber dennoch wusste er nicht, ob sie verflixt mutig oder einfach nur dumm war.

Er lehnte sich an die Wand des Langhauses und betrachtete das Treiben um ihn herum. Thorvald machte es ihm nach. Es dauerte noch eine Weile, bis das Abendmahl serviert wurde, aber die Frauen liefen schon in der Halle herum und versorgten die Männer mit Met.

Thorvald zeigte auf eine Gruppe Frauen, die miteinander scherzten. Lasse schmiegte sein Gesicht in die Rockfalten einer der Frauen, bis sie ihm zärtlich durch die Haare fuhr und ihm einen Klaps auf den Hintern gab. Er grinste die Frau an und rannte dann zu den anderen Kindern, die in der Halle herumtobten. Tjark riss die Augen auf, als er erkannte, an wen Lasse sich geschmiegt hatte.

Tilda!

Er sprang auf, aber Thorvald hielt ihn zurück.

„Der Bengel...der verdammte Bengel...", stammelte Tjark.

Sein Freund schüttelte den Kopf.

„Was regst du dich nun auf? Ist doch verständlich, dass er sich an Tilda schmiegt. Wie lange ist seine Mutter nun schon tot, hm? Auch wenn du es nicht sehen willst, er ist immer noch ein Kind und er hat nicht oft eine freundliche Frauenhand auf seinen Kopf gespürt."

Das wusste Tjark selbst. Lasse war gerade einmal fünf Jahre alt. Seine Mutter war vor drei Jahren gestorben. Und seitdem kannte er meist nur seine zwei Brüder, die um einiges älter als er waren. Die Frauen mieden ihn genauso wie Tjark. Keine wollte sich mit ihm abgeben. Und nun war da Tilda, die freundlich mit dem kleinen Kerl sprach und Tjark hatte auch schon gesehen, wie sie ihn auf das Haar geküsst hatte. Nie kam nur ein böses Wort über ihre Lippen, wenn Lasse mit ihr sprach. Nur bei ihm war das so.

Er seufzte.

„Ich weiß selbst, dass ich manchmal zu streng mit ihm bin. Aber er soll sich nicht so sehr an die Frau hängen. Sie ist nicht mehr lange bei uns."

Thorvald sah ihn ernst an.

„Wenn du meinst? Aber ich finde, sie kommt gut mit der Situation zurecht. Sie ist hier fremd, das kann man sehen. Aber trotzdem...schau dir das an. Die Frauen haben sie akzeptiert."

Tjark schnaubte.

„Ich frage mich, wie sie das geschafft hat. Wenn sie mir begegnet, ist sie immer so...ich weiß nicht...sie macht mich wütend! Du wirst es selbst sehen, wenn du eine Weile mit ihr zu tun hast!"

Thorvald lachte dröhnend. Dann hob er sein Trinkhorn.

„Tilda, Mädchen. Sei so gut und fülle mein Trinkhorn!"

Sie kam auf die beiden zu.

„In meinem Krug ist Wein, Herr. Aber wenn ihr wollt, hole ich Met!"

Thorvald strich sich durch den Bart.

„Das wäre freundlich von dir! Du kannst aber auch eine Sklavin schicken!"

Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein! Ich mache es selbst. Die anderen haben genug zu tun!"

Ehe Thorvald etwas erwidern konnte, lief sie schon los.

Thorvald sah Tjark grinsend an.

„Ich bin wirklich sehr wütend! Du hast Recht!"

Tjark schnaubte.

So verhielt sie sich bei ihm nie. Und bei Thorvald war sie handzahm.

„Verstehe einer die Weiber!", murrte er.



Das war eine seltsame Nacht gewesen.

Tilda streckte sich und versuchte wach zu werden, was ihr ohne ihren geliebten Kaffee kaum gelang.

Es hatte sich herausgestellt, dass Sanne in Tildas Alter war. Aber anders als Tilda, die immer noch nichts in ihrem Leben geleistet hatte, war Sanne mit dem Jarl verheiratet und hatte drei Kinder. Ihr ältester Sohn Magnus war ein Jahr jünger als Lasse. Die anderen waren drei und ein Jahr alt. Tilda schämte sich, wenn sie daran dachte, was Sanne den ganzen Tag über leistete. Sie musste sich nicht nur um ihre Kinder kümmern, sondern hatte das ganze Gut unter sich. Auch jetzt verteilte sie schon die Arbeit an die Sklaven, die ein Morgenmahl kochten.

Das Abendmahl war lustig gewesen. Sie hatte den Frauen geholfen und schwere Essbretter umher getragen. Dann hatte sie den Männern Met nachgeschenkt. Ein paar Mal war sie in den Hintern gezwickt worden, doch irgendwann hatte sie aufgehört, denjenigen böse an zu funkeln. Ein Klaps auf die Hand und ein Zischen reichten wohl schon, um freche Männerhände auf Abstand zuhalten.

Später, als sie selbst einen schnellen Happen zu sich genommen hatte, wurden die Tische wieder abgeräumt und sie half selbstverständlich mit. Die meisten Männer waren zu dem Zeitpunkt schon ziemlich angetrunken und der Geräuschpegel wurde immer lauter. Und sie sah auch, wie einige sich Frauen schnappten und das Langhaus verließen. Sie wusste genau, was das zu bedeuten hatte.

Irgendwann war Lasse bei ihr gestanden. Er konnte vor lauter Müdigkeit kaum die Augen offenhalten.

Sie hatte ihn in ihre Arme genommen und sofort hatte er seinen Kopf an ihren Hals geschmiegt.

Sanne hatte ihr einen Raum gezeigt, in dem die Kinder schlafen konnten. Erst wollte Lasse sie nicht gehen lassen, also blieb sie so lange, bis er eingeschlafen war.

Da die anderen Kinder schliefen oder auch sehr leise waren, begann sie ihm eine Geschichte zu erzählen. Nach und nach kamen andere Kinder und alle schmiegten sich an sie, oder hielten sich einfach nur an ihrenm Rock fest.

Erst nachdem alle eingeschlummert waren, war sie wieder zu den anderen nach draußen gegangen.

Stijn hatte wohl seinen kleinen Bruder gesucht, aber nachdem Tilda ihm versichert hatte, dass er versorgt war, hatte er sie angegrinst und war wieder von dannen gezogen.

Sie sah sich um und entdeckte Tjark, der ernst mit dem Jarl sprach. Als er ihren Blick bemerkte, nickte er ihr nur kurz zu und sprach weiter mit Thorvald.

Offenbar hatte sie einmal nicht seinen Zorn erregt.

Sie suchte nach den Frauen, aber die meisten waren schon aus dem Langhaus gegangen. Sie selbst wurde auch sehr müde. Da sie keine Ahnung hatte, wo sie schlafen sollte, holte sie ihre Decke, die Tjark ihr gegeben hatte, suchte sich eine ruhige Ecke im Langhaus und rollte sich zusammen.

Es wunderte Tilda selbst, dass sie heute Morgen so gut drauf war, wenn man von ihrem fehlenden Kaffee absah.

Sie hatte sich schnell am Brunnen gewaschen, der hinter dem Langhaus war und suchte sich nun Arbeit.

„Tilda!"

Lasse rannte beinahe in sie hinein und streckte sein Gesicht in ihren Rock.

„Guten Morgen, Lasse. Hast du gut geschlafen?"

Er nickte ernst.

„Ja. Du auch?"

Sie wuschelte ihm durch die Haare.

„Oh ja. Danke der Nachfrage. Hast du dich schon gewaschen?"

Er verzog das Gesicht, so dass sie zu lachen anfing.

„Ich habe gehört, dass ihr Wikinger so reinlich seid. Willst du mir etwa sagen, dass das alles Lügen sind?"

Er schüttelte den Kopf.

Sie konnte nicht anders, sondern küsste ihn auf die Wange. Sie fand Lasse einfach niedlich!

„Gut! Dann wasch dich schnell. Auch hinter den Ohren! Und danach wollen wir mal schauen, ob wir nicht etwas zum Essen für dich bekommen!"

Er lachte und rannte davon.

„Ich kontrolliere es, Lasse. Ich schwöre dir, wenn du nicht sauber bist, werfe ich dich in den Fjord!", rief sie ihm hinterher.

Er lachte laut und rannte weiter.

„Er wird so sauber sein, dass er glänzt."

Sie drehte sich erschrocken um. Tjark stand hinter ihr und betrachtete seinen Bruder. Er verzog keine Miene und sie konnte nicht einmal sagen, ob es ihm gefiel, wie sie mit seinem Bruder umging oder nicht. Er war immer so verdammt ernst! Ganz anders als die Männer, die sie gestern kennen gelernt hatte.

„Guten Morgen, Tjark!"

Er brummte nur und fuhr sich durch den Bart.

Beinahe wäre ihr schon wieder ein frecher Spruch herausgerutscht, dass er doch freundlicher sein konnte, aber sie ließ es sein. Sie wollte sich nicht schon wieder mit ihm streiten. Stattdessen lächelte sie ihn an.

„Wenn du dich auch wäschst, wäre ich vielleicht auch geneigt, dir etwas zum Frühstück zu servieren."

Er hob beide Augenbrauen und ein Anflug von einem Lächeln erhellte sein Gesicht.

„Du weißt wirklich, wie du Männer zum Gehorchen bringst, habe ich Recht?"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Das ist nicht schwierig. Locke mit Essen und sie machen, was du willst!"

Nun geschah etwas Seltsames. Er warf den Kopf zurück und lachte. Selbst die anderen Männer, die ihn bestimmt schon länger kannten, blickten sich erschrocken um. Sie musste zugeben, dass sein Lachen wirklich ansteckend war. Sie musste selbst grinsen.

Er wischte sich eine Träne von den Augenwinkeln.

„Oh ja. Da hast du wohl Recht! Dann werde ich mich auch mal waschen."

Er drehte sich um, doch dann stoppte er.

„Thorvald will, dass ich dich zu Una bringe. Nach dem Frühmahl werden wir los reiten. Wenn wir Glück haben, sind wir zum Abendmahl wieder hier."

Sie riss die Augen auf.

„So lange? Aber was ist mit Lasse?"

Tjark zuckte mit den Schultern.

„Er wird mit Stijn hierbleiben. Nur keine Sorge. Es wird ihm an nichts fehlen!"

Sie nickte nur, während er nach draußen ging. Sie spürte, wie sich jemand von hinten näherte und ihr einen Schmatz auf die Wange drückte.

„Wenn ich mich wasche, bekomme ich dann auch was zu essen?"

Stijn grinste sie frech an.

„Aber nur, wenn du wirklich sauber bist!", drohte sie ihm.

Er lachte.

„Ich weiß, ansonsten schmeißt du mich in den Fjord!"

Sie nickte ernst.

„Gerade du solltest wissen, dass ich meine Versprechen zu halten pflege!"

Er rieb sich seine stoppelige Wange und grinste.

„Oh ja! Das habe ich schon gelernt!"

Auch er ging seinen Brüdern hinterher und Tilda sah ihm grinsend hinterher.

„Du hast ja die Brüder gut im Griff. Ich hatte erst Bedenken, nachdem ich dich und Tjark das erste Mal gesehen hatte!"

Sanne kam zu ihr, den Jüngsten trug sie auf den Hüften.

Tilda kitzelte ihm am Bauch, was ihn zum Kichern brachte.

„Oh, bei Lasse ist es nicht schwer. Er ist so ein liebenswertes Kind. Ich mag ihn."

Sanne nickte.

„Er mag dich auch. Er hört sogar auf dich. Komm mal mit!"

Sie gingen zu einer Tür und Sanne öffnete sie leise. Sie hatten freien Blick auf den Brunnen, an dem sich Tilda heute Morgen schon gewaschen hatte. Alle drei Gunnarson-Brüder standen dort mit freiem Oberkörper spritzten sich Wasser an den Körper.

„Auch hinter den Ohren hat Tilda gesagt!"

Stijn tunkte Lasse lachend in den Brunnen. Der kam prustend wieder hoch, nachdem Stijn ihn losgelassen hatte.

„Tjark! Hast du das gesehen?"

Tjark nickte, packte seinen mittleren Bruder am Genick und tunkte ihn ebenfalls in den Brunnen.

„Dich hat sie damit bestimmt auch gemeint!"

Tilda schüttelte den Kopf.

„Kindsköpfe! Alle zusammen!", murmelte sie.

Sanne verschloss schnell die Tür.

„Oh ja. Aber bisher habe ich nie erlebt, dass Lasse sich etwas von einer Frau hat sagen lassen. Und auch Stijn war wild. Gestern war das erste Mal, an dem ich erlebt habe, dass er sich nicht prügelte. Nicht nur das. Er hat sich nicht einmal betrunken! Du bist noch nicht lange bei ihnen, aber du hast schon einen guten Einfluss auf sie."

Tilda bezweifelte das, hielt aber lieber ihren Mund. Sie hatte schließlich gesehen, was Stijn gemacht hat. Er war einer der ersten gewesen, der mit einer Frau aus dem Langhaus gegangen war. Und ob das besser war, als sich zu prügeln, bezweifelte sie.

„Vielleicht kannst du auch mal mit Tjark reden."

Tilda stieß einen verblüfften Laut aus.

„Herrin! Nur weil ich mich heute Morgen noch nicht mit ihm gestritten habe, heißt das nicht, dass es nicht noch kommen könnte. Er ist so...so...sooooo..."

Sanne nickte.

„Oh ja. Das ist er! Aber dennoch solltest du es versuchen!"

Tilda seufzte.

„Um was geht es?"

Sanne führte sie an einen der Tische.

„Stijn! Er ist alt genug, dass er auf einen Raubzug mit gehen könnte. Aber Tjark lässt ihn nicht. Ich weiß nicht, was ihn daran hindert, aber Stijn ist ein Heißsporn und er sollte von den anderen Männern lernen. Außerdem schadet es ihm nicht, wenn er mal eine Niederlage erlebt!"

Tilda sah das ganz anders. Sie hielt nichts von Kämpfen. Aber es war die Art der Wikinger, das hatte sie selbst schon oft gelesen. Also versprach sie Sanne, dass sie mit Tjark darüber sprechen würde.

In dem Moment rannte Lasse auf sie zu.

„Ich bin ganz sauber!", verkündete er. Tilda hob eine Augenbraue und machte ein skeptisches Gesicht.

„Auch hinter den Ohren?"

Lasse nickte ernst und hob ihr das Gesicht entgegen. Sie schaute kurz hinter die Ohren und küsste ihn dann auf die Wange.

„Sehr gut! Dann wollen wir mal schauen, dass ich auch mein Versprechen halte."

Sie stand auf und sah die anderen beiden auf sie zukommen. Stijns Kleidung war völlig durchnässt, was darauf schließen ließ, dass er noch einmal in den Brunnen getunkt worden war.

„Alle Gunnarsons sind also sauber? Sehr schön! Dann gibt es auch etwas zu essen!"

Stijn klappte sein Ohr nach vorne.

„Ich habe mich auch hinter den Ohren gewaschen. Bekomme ich auch einen Kuss?"

Sie schlug eine Faust gegen seine Schulter.

„Du kannst noch eine Ohrfeige bekommen! Zieh dich um und hänge deine nassen Klamotten an den Kamin!"

Stijn grinste frech.

Sanne hatte Recht. Stijn hatte einfach zu viel Energie, die er loswerden musste.

Sie beugte sich leicht zu ihm.

„Ich werde mit ihm reden. Ich kann nichts versprechen."

Er sah sie erstaunt an. Dann riss er sie in seine Arme. Er schien genau zu wissen, was sie meinte.

„Danke! Ich will es wirklich!"

Sie nickte und ging dann davon.

Sie hörte Tjark brummen.

„Was sollte das?"

Stijn lachte.

„Keine Sorge! Dafür bekomme ich keine Ohrfeige!"



„Du solltest nun wieder hinabsteigen, Gna. Una erwartet dich bereits!"

Gna streckte sich und ihre Gestalt, die zwar göttlich war, aber  würde nie die göttliche Erscheinung einer Freya erreichen, wandelte sich in die eines kleinen Mädchen. Obwohl sie nun harmloser aussah, war immer noch etwas Göttliches an ihr, dass die meisten Menschen in Angst versetzte. Dabei war sie wirklich nett zu allen, wenn man nett zu ihr war.

„Dann werde ich Tilda nun aufklären! Ich hoffe nur, dass sie mir glaubt."

Freya zuckte mit den Schultern.

„Das ist ein kleines Problem. Sie ist aus der Zukunft und ziemlich aufgeklärt. Und ich weiß nicht, ob sie ihn so einfach akzeptieren kann. Und der Bruder spielt ja auch eine Rolle! Obwohl er eigentlich nur nettes Beiwerk ist!"

Gna grinste.

„Ich würde sagen, sehr nettes Beiwerk!"

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