13. Kapitel
„Spritzt der Kerl da gerade Blut auf mich?"
Tjark verkniff sich ein Lachen, als er Tildas angeekelt Gesicht sah.
Sie wurden gerade gesegnet und tatsächlich mit dem Opferblut besprengt.
Die Zeremonie war beinahe vorüber und dann war Tilda endlich seine Frau.
Er hatte den Moment kaum abwarten können.
Kaum war Tilda von den Frauen abgeholt worden, hatte man auch ihn in das zweite Schwitzhaus gebracht. Er war sich aber sicher, dass es bei ihm zeremonieller zugegangen war, als bei Tilda, denn man hatte die Frauen im ganzen Gut lachen gehört. Ihm wurde von den Ältesten erklärt, was als Ehemann auf ihn zukam und dann wurde er gereinigt. Damit zeigte man, dass er das Kindliche ablag. Er fand das eigentlich lächerlich, denn er war alt im Gegensatz zu den Männern, die oftmals schon mit sechszehn heirateten.
Danach hatte er ein Schaf geopfert. Ihm hatte das Herz geblutet, denn er hatte die fünf Schafe erst gekauft und nicht mehr an das Opfertier gedacht. Jetzt hatte er nur noch drei weibliche Schafe und einen Bock.
An den Rest der Zeremonie konnte er sich eigentlich kaum noch erinnern, da er das Gefühl hatte, sein Gehirn hätte ausgesetzt sobald Tilda zu ihm geführt worden war. Er hatte ja schon oft davon gehört, aber nun hatte er es selbst erlebt. Tilda war das Schönste, das er je gesehen hatte. Und bald war sie die Seine.
Bevor Tilda sich über das Blut beschweren konnte, streifte er ihr einen Ring über den Finger.
Sie starrte den Ring an. Es war ein schlichter Goldreif, der seiner Mutter gehört hatte. Einen Augenblick war Tjark unsicher, ob er ihr überhaupt gefällt, doch als sie den Kopf hob und er einen Schimmer in ihren Augen entdeckte, war ihm klar, dass es genau das richtige gewesen war.
Tilda nahm ein Trinkhorn in die Hand, trank einen Schluck und reichte es an Tjark weiter. Er nahm genau die Stelle, die auch ihre Lippen berührt hatte und trank ebenfalls einen Schluck.
Jubel brannte auf, als er sie in seine Arme nahm und sie vor allen küsste.
Endlich war es soweit. Sie war nun seine Frau!
Musik spielte auf und er zog sie nach vorne, um mit ihr zu tanzen.
Den Ablauf kannte er nun zu gut. Sie würden bald essen, dann noch etwas tanzen und später würde Tilda von den Frauen in die Hütte begleitet werden. Er konnte es kaum abwarten, bis der Zeitpunkt endlich kam.
Nach seinem Geschmack dauerte es viel zu lange, bis endlich die kichernden Frauen auf sie zukamen und Tilda mit sich zogen. Er lehnte sich zurück und sah Tilda lächelnd hinterher.
Lasse kam zu ihm und kletterte auf seinen Schoß. Eigentlich war er schon zu groß dafür, doch Tjark ließ ihn dieses Mal gewähren.
„Ich darf heute nicht zu Tilda, oder?"
Tjark grinste ihn an.
„Nein! Heute Nacht nicht. Aber morgen Nacht kannst du wieder in der Hütte schlafen."
Lasse grinste.
„Macht ihr dasselbe wie die Schafe?"
Tjark verschluckte sich beinahe an dem Met, dass er gerade trank. Das brachte wiederum Lasse zum Lachen.
„Du siehst jetzt lustig aus, Tjark. Du bist rot im Gesicht! Ich weiß doch, dass die Schafe das machen, damit sie Kinder bekommen. Wird Tilda auch bald ein Kind bekommen?"
Tjark wischte sich über das Gesicht. Über so etwas wollte er sich nun wirklich nicht mit seinem kleinen Bruder unterhalten. Bei den Göttern, dazu war er zu jung. Er zwang sich wenigstens zu einem Satz.
„Das kann schon möglich sein!"
Lasse nickte, doch dann wurde er ernst.
„Muss ich dann fort von euch?"
Tjark hob eine Augenbraue.
„Wie kommst du darauf?"
Lasse seufzte und spielte selbstvergessen an Tjarks Armreif.
„Ich habe so etwas gehört. Schon wieder. Die Frauen haben gesagt, dass du mich hierherbringst, wenn Tilda ein Kind bekommt!"
Tjark packte Lasse an beiden Armen und zwang ihn in sein Gesicht zu schauen.
„Du wirst irgendwann hierher kommen. Aber erst, wenn du bereit dazu bist und ein Krieger werden willst. Dann werde ich dich zu Thorvald schicken, damit du alles lernst."
Lasse nickte.
„Und wenn ich ein Bauer werden will wie du?"
Tjark zuckte mit den Schultern.
„Ich bin auch ein Krieger. Aber wenn du nur das Feld bestellen willst, dann soll es mir Recht sein!"
Nun wirkte Lasse endlich zufrieden.
Die Männer johlten, als Thorvald ihn aufforderte, endlich zu seiner Braut zu gehen.
Tjark gab Lasse einen Kuss auf die Stirn.
„Du bleibst also hier? Und wirst brav schlafen?"
Lasse nickte und kletterte wieder von seinem Schoß.
„Ja, Tjark!"
Tjark stand auf und marschierte aus dem Langhaus. Jetzt musste er nur noch die Weiber los werden und dann konnte die Hochzeitsnacht beginnen!
Wie er erwartet hatte, stand die Hütte voll mit Frauen, die wieder anfingen zu kichern, als er hineinkam. Er zeigte zur Tür.
„Raus hier!"
Wie eine schnatternde Schar Gänse zogen sie endlich ab und er schloss schwungvoll die Tür. Dann ging er nach oben.
Tilda saß auf dem Lager. Überall um sie herum waren Blumen verteilt. Sie trug ein leichtes Hemd und immer noch ihren Brautkranz auf dem Kopf.
Er hatte erwartet, dass sie lächelte, doch sie sah eher verzweifelt aus.
„Wenn ich gewusst hätte, was die alles mit mir machen, dann wäre ich nie hierhergekommen! Echt jetzt, Tjark! Weißt du, was eine gemacht hat? Ich glaube echt, die Weiber haben sie nicht mehr alle!"
Er grinste sie an. Sobald sich Tilda aufregte, verfiel sie wieder in ihre Sprachweise, die sie am Anfang gehabt hatte. Aber mittlerweile störte es ihn nicht mehr.
Er zog seine Tunika aus und setzte sich zu ihr.
„Was haben sie denn gemacht?"
Sie schnaubte.
„Erst war es ja noch lustig. Sie haben mich gewaschen, als ob ich stinken würde und nicht erst heute morgen im Schwitzhaus gewesen wäre. Dann zogen sie mir dieses Ding hier an."
Sie zupfte an dem Hemd. Er fand es eigentlich ganz nett.
„Was ist verkehrt daran?"
Wieder ein Schnauben.
„Ich erfriere in dem Ding."
Er nahm sie in seine Arme.
„Das werde ich verhindern! Dir wird bald warm werden. Aber das scheint dich auch nicht so aufzuregen!"
Sie lehnte sich an ihn.
„So eine alte Hexe hat eine Hand auf meinen Bauch gelegt und gemeint, ich wäre so weit! Ich würde dir Freude bereiten können!" Sie fluchte laut. „Himmel noch mal, natürlich bin ich bereit. Du bist den ganzen Tag neben mir und andauernd flüstert mir jemand so schlüpfrige Sachen ins Ohr. Keine Ahnung, was sie erwartet haben, aber am liebsten hätte ich dich schon angesprungen, als du mir den Ring übergestreift hast!"
Tjark konnte nicht anders. Er lachte laut auf.
„Tilda! Mein Weib! Du verstehst immer noch nicht alle Gebräuche. Die Alte hat wahrscheinlich geprüft, ob du fruchtbar bist und nicht, ob du dich nach meinem Körper sehnst! Sie denkt wahrscheinlich, dass wir heute Nacht ein Kind zeugen. Ich hoffe nur, du hast nicht gesagt, was du dachtest!"
Tilda lief knallrot an.
„Oh...ohhh, jetzt wird mir einiges klar!"
Tjark gluckste vor Lachen.
„Was hast du denn genau gesagt?"
Tilda strich über sein Brusthaar, dann stieß sie seinen Oberkörper auf das Bett und setzte sich rittlings auf seinen Schoß.
Sie beugte sich leicht zu ihm.
„Sie müssen mich für sehr lüstern halten. Ich sagte, dass ich nun über sechs Wochen darauf warten musste, bis ich dich wieder in meinem Bett habe und ich dich die ganze Nacht wachhalten werde, so bereit sei ich!"
Er strich ihr langsam über den Po.
„Ist das so?", brummte er leise.
Sie nickte.
„Oh ja, Mister! Du wirst wohl nicht so schnell zum Schlafen kommen!"
„Tjark! Komm heraus!"
Tilda fluchte laut!
Was, bitte schön, war so wichtig, dass Thorvald Tjark nun brauchte? Heute morgen. Nach ihrer Hochzeit?
„Gib mir dein Schwert, Mann und ich zeige ihm, wer rauskommt!"
Tjark lachte leise. Seine Stimme war noch tiefer, als sie es gewohnt war.
Wie sie versprochen hatte, waren sie lange nicht zum Schlafen gekommen. Wenn Tilda es recht bedachte, waren ihnen gerade einmal zwei Stunden Schlaf gegönnt gewesen.
„Du kannst nicht einfach nach draußen und deinen Jarl töten!"
Sie legte ihre Arme auf seinen Oberkörper.
„Ach nein? Gib mir dein Schwert oder dein Beil und ich werde es dir beweisen!"
Tjark küsste sie sanft.
„Wenn Thorvald mich heute stört, dann muss es schon etwas Wichtiges sein. Was hältst du davon, wenn ich frage, was los ist und du machst uns dieses scheußliche Gebräu, von dem du behauptest, dass es deine Lebensgeister weckt!"
Sie küsste leicht seinen Hals.
„Kaffee ist nicht scheußlich! Warte nur ab. Wenn du wieder auf Raubzug gehst, darfst du erst wieder nach Hause, wenn du wieder einen Sack mitbringst!"
Er lachte und schwang seine Beine aus dem Bett.
Tilda kuschelte sich in die Felle, während er sich nackt vor ihr rekelte und streckte.
Dann schlüpfte er nur in die Hose und ging nach unten.
Tilda gähnte und zog sich auch an. Sie hoffte wirklich für Thorvald, dass es etwas Wichtiges war.
Sie ging nach unten und schob den Wasserkessel über das Feuer.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie eine Art Filter gebastelt und den befüllte sie mit dem Kaffeepulver.
„Tilda!"
Sie stöhnte.
Was wollten sie nun von ihr? War das wieder so ein gemeiner Brauch?
Sie zog sich ein Schultertuch über und ging nach draußen.
Tjark stand breitbeinig mit dem Rücken vor ihr.
„Was ist los?", fragte sie.
Tjark hob eine Hand.
„Bleib stehen. Ich wollte dich nicht rufen, aber Thorvald und Stijn sind anderer Meinung."
Sie kam zu Tjark.
„Stijn ist da? Oh, da freue ich mich aber!"
Tjark hielt sie mit einem Arm auf.
Einen Moment war sie verwirrt, dann sah sie zu Thorvald und Stijn. Stijn sah anders aus, als sie es von ihm gewohnt war. Er war kahl auf dem Kopf und im Gesicht. Sein Ausdruck war...anders. Erwachsener und ernster. Sein typisches verschmitztes Lächeln fehlte.
„Ich grüße dich, Tilda!"
Sie lächelte ihm zu, aber er erwiderte das Lächeln nicht. Dann zog er an Seilen und zwei Männer stürzten ihr vor die Füße.
„Ich habe euch ein besonderes Geschenk mitgebracht!", knurrte Stijn.
Tilda schluckte hart und fing an zu zittern, als der erste Mann sie anstarrte.
„Das...das..."
Mehr bekam sie nicht heraus. Sie zeigte auf die Männer und ihr Körper zitterte unkontrolliert. Tjark nahm sie in seine Arme.
„Ich weiß! Stijn hat sie gefunden und hergeschleift. Es bleibt die Frage, was wir mit ihnen machen!"
Sie sah zu ihrem Mann hoch.
„Was willst du machen?"
Er verzog verächtlich das Gesicht.
„Am liebsten würde ich sie umbringen. Beide. Langsam! Aber es ist deine Entscheidung!"
Tilda sah wieder zu den Kerlen.
Der eine sah sie beinahe herausfordernd an und lächelte hämisch, während der andere seinen Blick senkte und heulte. Sie sah auch den dunklen Fleck auf seiner Hose, der langsam immer größer wurde.
Wieder sah sie zu Tjark und dann zu Thorvald.
„Was ist die Strafe, die sie zu erwarten haben? Was macht ihr mit solchen Männern, die ein Kind und mehrere Menschen ermordet haben?"
Thorvald zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich sollten wir die beiden zum Thing führen."
Einer der Kerle lachte, was ihm ein Schlag von Stijn einbrachte.
Tilda zitterte wieder.
„Was ist das Thing?"
Tjark küsste sie auf die Schläfe.
„Dort werden Straftaten angezeigt und einige der Ältesten richten und sprechen das Urteil. Das nächste Thing ist in einigen Wochen bevor der Winter anbricht. Mir geht das zu lange. Aber ich will es dir überlassen!"
Thorvald kreuzte seine Arme vor der Brust.
„Es haben noch andere die Ottmarson-Brüder angeklagt. Wenn wir zum König gehen, könnte es ein schnelleres Urteil geben!"
Nun wurde der selbstsichere Kerl blass. Er hatte wohl damit gerechnet, dass Thorvald auf das Thing bestand.
Tilda schaute zu Tjark.
„Wärst du damit einverstanden? Wenn wir zum König gehen?"
Wieder küsste er sie.
„Ich bin mit allem einverstanden, was du willst! Dann also zum König!"
Stijn schnalzte mit der Zunge, übergab aber dann die beiden an einen von Thorvalds Männern, der sie zu einem Stall brachte.
Tjark schaute zu Thorvald.
„Wann?"
Thorvald zuckte mit den Schultern.
„In drei Tagen ist mein Boot fertig. Ich möchte vor dem Winter wieder zu Hause sein!"
Tilda brachte Lasse ins Bett.
Wie Tjark es versprochen hatte, durfte er dieses Mal in der Hütte schlafen. Allerdings musste er im unteren Bereich bleiben.
Tjark war im Langhaus geblieben. Er würde Tilda bald folgen, denn durch den Schlafmangel war er mürrisch und schlecht gelaunt. Er versuchte sich zu beherrschen, aber es gelang ihm immer weniger. Stijn tat sein übriges dazu. Seit er heute Morgen Tilda die Entscheidung überlassen hatte, sprach Stijn kein Wort mehr mit ihm. Auch jetzt saß er Tjark mürrisch gegenüber.
Auch wenn er wusste, dass es ein Fehler war, sprach Tjark seinen Bruder an.
„Was ist los mit dir?"
Stijn schnaubte abfällig.
„Ich habe dir die Männer gebracht, doch du hast nichts getan! Was soll da schon los sein?"
Tjark lehnte sich gegen die Wand.
„Was hätte ich deiner Meinung nach machen sollen? Es war Tildas Entscheidung!"
Stijn starrte ihn böse an.
„Du überlässt die Entscheidung einem Weib? Einem schwachen Weib, das schon gezittert hatte, als es die Männer gesehen hat. Wäre es mein Weib gewesen, hätte ich an Ort und Stelle die Männer umgebracht und nicht ihr die Entscheidung überlassen."
Tjarks Gesichtsausdruck wurde arrogant.
„Du hast kein Weib! Und es war Tildas gutes Recht!"
Stijn nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Trinkhorn.
„Nein! Es ist eben nicht nur Tildas Entscheidung! Die Kerle haben unseren Hof zerstört. Sie haben zwei Menschen umgebracht und wollten Tilda vergewaltigen. Doch du bist ihnen milde gegenüber. Es ist eine Schande!"
Tjark beugte sich vor.
„Es ist eine Schande? Bist du bescheuert, mir zu unterstellen, dass ich zu mild sei?"
Stijn nickte.
„Du solltest dich mal sehen! Es ist seit Vaters Tod schon immer so. Du bist kein Krieger mehr. Du bist nur noch ein Bauer! Ein einfacher Bauer, der sich nicht traut ein Mann zu sein. Und Tilda...sie kennt unsere Gebräuche nicht. Sonst hätte sie die Entscheidung dir überlassen, weil sie weiß, dass ein Weib nicht gut genug ist, so etwas zu entscheiden!"
Tjarks Nasenflügel blähten sich auf. Das war eigentlich ein Zeichen dafür, dass er wütend war, doch Stijn redete weiter.
„Weißt du, was die Kerle behauptet haben? Sie sagten, dass sie keine Angst vor dir hatten. Zumindest einer wusste sogar, wen sie da angriffen. Doch es war ihnen egal. Du bist nicht mehr der furchterregende Krieger. Wie nannten sie dich früher? Der Berserker. Davon ist nichts mehr übrig geblieben! Du bist ein Niemand! Glaubst du wirklich, der eine Raubzug würde deinen Ruf wiederherstellen? Nicht einmal da hast du dich wie ein Mann verhalten. Du hast zwar gekämpft, aber du warst nicht mehr wie früher! Du bist schwach! Jeder könnte dich mit Leichtigkeit besiegen und..."
Tjark war aufgesprungen und packte Stijn am Hals. Mit unbändiger Kraft schleuderte er seinen Bruder zu Boden und stellte sein Knie auf dessen Brustkorb.
„Schwach, ja? Man kann mich mit Leichtigkeit besiegen? Dann frage ich mich, warum du gerade vor mir auf den Boden liegst!"
Stijn spuckte verächtlich aus, obwohl Tjark immer noch seine Hand um seinen Hals hatte.
„Das war Glück!"
Tjark drosch seine Faust in Stijns Gesicht.
„Glück? Woher hast du denn dein Wissen, du Hundsfott? Ich habe dir alles beigebracht."
Wieder schlug er ihm ins Gesicht.
Stijn beugte sein Bein und trat Tjark von sich herunter. Keuchend rieb er sich kurz am Hals, dann ging er auf Tjark los.
„Ich habe von Vater gelernt! Du hast mir nur das Pflügen beigebracht!"
Er schlug seine Faust in Tjarks Seite.
„Aufhören!"
Sie hörten beide Thorvald, aber keiner gab nach.
Tjark ließ seine Faust wieder auf Stijn heruntersausen und er hörte ein Knirschen, als ihm die Nase brach.
Stijn spuckte Blut auf den Boden. Einige der Männer wollten ihn aufhalten, als er wieder auf seinen Bruder losgehen wollte, doch er schüttelte sie ab. Mit Wucht rammte er Tjark mit seinem gesamten Körper, so dass beide auf einen Tisch krachten, der entzweibrach.
„Ich habe gesagt, es ist Schluss!"
Tjark packte Stijn wieder am Hals und warf ihn zu Boden.
Mit beiden Händen hielt er ihn am Hals fest.
„Schwach! Das bist du! Und dein Weib tut das Übrige! Sie hatten Recht. Du hast deine Gedanken nur noch bei ihr und wann du sie wieder rannehmen kannst! Und du kannst es kaum erwarten, wieder ein Bauer zu sein. Du bist kein Krieger mehr! Vater und unsere Ahnen lachen dich aus. Ich höre es bis hierher! Du hast keinen Funken Ehre mehr in dir!"
Tjark drückte zu. Er hörte Stijn röcheln, aber er lockerte seinen Griff nicht. Im Moment war er nicht mehr sein Bruder, sondern ein Mann, der ihn beleidigt hatte.
Stijns Gesichtsfarbe nahm eine seltsame Tönung an. Seine Augen quollen hervor und er versuchte Tjarks Griff zu lockern. Doch Tjark war in einem Blutrausch gefangen. Er spürte Hände, die ihn von seinem Bruder wegzerren wollten, doch er ließ es nicht zu.
„Tjark! Hör auf! Sofort! Er ist dein Bruder!"
Da war sie!
Die einzige Stimme, die zu ihm durchdrang.
Als ob Tilda ihn zu Boden geschlagen hätte, ließ er Stijn los, der sich sofort an den Hals griff und hustete.
Er hob den Blick auf seine Frau, die ihm gegenüberstand und ihm einen fassungslosen Blick zuwarf.
„Du weißt nicht, was er gesagt hat!"
Tilda nickte. Es war eine abgehackte Bewegung.
„Doch! Ich habe alles gehört. Und ich kann deine Wut verstehen. Aber er ist dein Bruder!" Sie sah auf Stijn, der immer noch nach Luft keuchte. „Auch wenn ich ihn im Moment nicht wiedererkenne."
Sie ging einen Schritt auf Tjark zu und strich ihm vorsichtig über das Gesicht. Er befürchtete schon, dass sie ihn nun verachtete, doch sie beugte sich zu ihm und küsste ihn leicht auf den Mund.
„Geh zu Lasse! Ich komme gleich nach und werde die Wunde versorgen!"
Tjark nickte und stand auf.
Vor Thorvald verneigte er sich entschuldigend, dann ging er aus dem Langhaus. Kaum war er an der frischen Luft, wurde ihm bewusst, was er getan hatte.
Er schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.
Was hatte er getan?
Er hatte Stijn beinahe umgebracht! Seinen eignen Bruder!
Es war wieder wie es schon einmal gewesen war.
Er hatte sich verhalten wie ein Berserker! Und nur Tilda hatte ihn aufhalten können! Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er Stijn tatsächlich umgebracht!
Er atmete tief ein und aus. Dann noch einmal!
Ein Schluchzen entkam aus seinem Mund und Tjark spürte, wie Tränen aus seinen Augen kamen! Er beugte sich herunter und stützte seine Hände auf seine Knie ab.
Wieder atmete er tief ein und aus, aber es half nichts! Ihm wurde übel und er rannte zu einem Busch und er übergab sich. Dann fiel er auf die Knie und kauerte sich zusammen.
Was hatte er nur getan?
„Was hast du getan?"
Stijn rappelte sich auf und sah Tilda spöttisch an.
„Es ist alles deine Schuld!"
Sie schnaubte und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Dann packte sie ihn am Kragen und zog ihn zu sich. Stijn hätte eine solche Kraft nie bei ihr vermutet.
„Meine Schuld? Du hirnlose Amöbe! Weißt du, was du gerade angestellt hast? Nun wird dein Bruder nicht mehr derselbe sein! Weil du Idiot der Meinung bist, dass er schwach ist!"
Sie schnaubte erneut und ließ ihn los.
„Er ist nicht schwach. Ganz im Gegenteil. Ich vermute mal, er ist jetzt draußen und macht sich die größten Vorwürfe, weil er sich nicht unter Kontrolle hatte. Und du? Du schiebst jedem die Schuld dafür zu, außer dir selbst!"
Sie hockte sich vor ihm.
„Erkläre mir doch mal, wer sein Dasein als Krieger aufgegeben hat, um bei seinen Brüdern zu sein? Mh? Er hätte es sich einfach machen können! Du hast mir vorgeworfen, dass ich eure Gebräuche nicht kenne. Das ist richtig. Aber eines weiß ich genau. Andere hätten es nicht getan, was Tjark getan hat. Andere hätten ihre Brüder anderen überlassen und sich keine Gedanken darübergemacht, was aus ihnen wird! Und du wärst nur einen Wimpernschlag mehr gewesen, als ein Sklave!"
Sie seufzte als sie Stijns Gesichtsausdruck sah. Er war keineswegs der Meinung, dass es so gekommen wäre.
„Woher willst du das wissen? Wie du schon gesagt hast, kennst du unsere Gebräuche nicht. Deswegen hast du Tjark auch schwach aussehen lassen!"
Sie schnaubte.
„Ich habe ihn nicht schwach aussehen lassen. Niemand sieht Tjark als schwach an. Nur du! Er hält sich an das Gesetz, dass du mit Füßen getreten hast! Weißt du, was in meiner Welt passiert wäre, wenn herausgekommen wäre, dass du die Kerle vorsätzlich gequält hast? Sie wären frei gekommen. Du kannst nur hoffen, dass es eurem König egal ist, was du getan hast!"
Sie stand auf.
„Weißt du, Stijn, dein Bruder hat wirklich alles für euch aufgegeben. Das sollte dir mal bewusst werden, wenn so etwas wie gesunder Menschenverstand überhaupt noch in deinem verbohrten Dickschädel gelangen würde. Mach dir mal klar, was du getan hast! Was du Tjark vorgeworfen hast! Und dann überlege, wie es anders ausgesehen hätte. Lasse bekommt es schon mit! Er hört von dem Gerede, dem dein Bruder schon seit Jahren ausgesetzt ist."
Sie machte eine ausladende Handbewegung durch das Langhaus.
„Hier gibt es viele, die Tjark genau das Gegenteil vorwerfen! Die sagen, er hätte euch an andere verschachern sollen. Und ich muss zugeben, dass er dann wirklich ein gemachter Mann gewesen wäre. Er hätte schon früh eine Frau gehabt und auch schon viele Kinder. Und euch hätte er vergessen. Doch er hat es durchgezogen, was seiner Meinung nach richtig war. Und wie dankst du es ihm?"
Sie drehte sich um und war schon im Begriff zu gehen, als Stijn langsam aufstand.
„Ich war ein..."
Sie drehte sich noch einmal zu ihm um.
„Genau! Ein undankbares Arschloch warst du!"
„Jetzt?", fragte Gna.
Freya nickte.
„Ja! Jetzt!"
Sie machte eine Bewegung und der junge Wikinger verschwand aus seiner Zeit.
„Sie werden ihn vermissen! Das weißt du. Und Tjark wird sich wieder Vorwürfe machen!"
Freya nickte.
„Ja, das ist richtig! Aber er wird als anderer Mann zurückkommen. Und er wird einiges verstehen, was er jetzt nicht sieht!"
Gna seufzte.
„Ich vermisse den sorglosen Kerl! Ich hoffe nur, er wird sich zurechtfinden!"
Freya lachte.
„Das wird er. Er wird ja nicht alleine sein. Aber vor allem wird er endlich lernen Verantwortung zu übernehmen!"
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Ihr könnt euch wahrscheinlich schon denken, wen die Göttinnen da wegschicken.
Aber wie es mit ihm weitergeht, werdet ihr in einem anderen Roman lesen.
Ich muss sagen, dass ich schon länger die Idee habe und Stijn war der perfekte Kandidat dafür.
Aber bevor jetzt einige aufschreien...er kommt zurück. Ganz sicher! Und er bringt einige Überraschungen mit!
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