1. Kapitel

„Ich bin kein Bauer, Tjark! Wann begreifst du das endlich? Ich will mit Thorvald segeln!"

Tjark Gunnarson verdrehte die Augen. Dieses Gespräch hatte er mit seinem jüngeren Bruder schon oft geführt. Und immer war seine Erklärung die Gleiche!

„Ich brauche dich aber hier. Es reicht doch, wenn wir beide fehlen, wenn der Jarl uns zur Jagd ruft. Ich weiß jetzt schon kaum, wie ich uns über den Winter bringen soll!"

Sein jüngerer Bruder Stijn schnaubte.

„Ich bin achtzehn Jahre alt. Ich hätte schon vor zwei Jahren mitsegeln können. Doch ich habe es immer wieder aufgeschoben. Dieses Mal will ich mit!"

Tjark verstand das auf einer Seite. Er selbst war auch schon mit fünfzehn Jahren auf den ersten Raubzug mitgefahren.

Und als ob Stijn seine Gedanken gelesen hätte, fing er auch damit an.

„Du bist selbst schon früh mit Thorvald mit. Ich verstehe nicht, warum du mir das verweigerst."

Tjark seufzte.

„Weil ich nach Vaters Tod auch nicht auf einem Schiff bin. Bei allen Göttern, ich habe dich hier gebraucht!"

Stijn verzog sein Gesicht.

Er war beleidigt. Auf einer Seite konnte Tjark seinen Bruder verstehen, aber es war ihm bisher nicht möglich gewesen, Stijn weg zu schicken. Er war nur ein Bauer und auch noch sehr arm. Er konnte es sich einfach nicht leisten, Stijn fort zu schicken!

„Müssen wir das ausgerechnet jetzt bereden? Ich möchte einen Baum schlagen bevor es dunkel wird. Das Holz muss trocknen, bevor ich es spalten kann!"

Stijn murrte noch etwas, aber hielt seinen Mund.

Sie liefen am Fjord entlang in Richtung des Waldes, der noch zum Gebiet ihres Jarls gehörte.

Tjark hatte Thorvald schon sehr früh einen Treueschwur geleistet. Sie waren noch Kinder gewesen, aber Thorvald war sein bester Freund und Tjark hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er ihm treu dienen würde, sobald Thorvald Jarl wurde.

Seit Tjarks Vater gestorben war und er sich auf einmal um seine jüngeren Brüder kümmern musste, war es Thorvald gewesen, der ihm immer wieder unter die Arme griff und auch nicht bei jeder Gelegenheit auf diesen Treueschwur pochte. Thorvald wusste genau, wie schwer es Tjark hatte und das er die Raubzüge und Kämpfe eigentlich vermisste. Verdammt, Tjark war ein guter Krieger gewesen. Wahrscheinlich war er ein besserer Krieger als ein Bauer.  Aber er musste sich an Regeln halten und die erste Regel war, dass er sich um seine Brüder kümmern musste.

„Tjark!"

Er verdrehte genervt die Augen.

„Ich habe gesagt später!"

Stijn schnaubte.

„Das meine ich gar nicht! Schau da vorne. Da liegt etwas!"

Tjark sah in die Richtung, in die Stijn zeigte.

Da lag tatsächlich etwas. Besser gesagt, da lag jemand.

Er ließ sein Beil fallen und rannte auf das bunte Bündel zu.

„Bei Thors Hammer! Das ist ja eine Frau!"

Tjark kniete sich neben sie und hob ihren Kopf an. Sie hatte seltsame Kleidung an und kurze Haare. Zu kurz für eine Wikingerfrau.

„Ist das eine Thrall?", fragte Stijn.

Tjark sah ihn streng an.

„Woher soll ich das wissen?"

Er betrachtete sie eingehend.

Wenn man von der seltsamen Kleidung und den Haaren absah, fand er nichts was daraus schließen ließ, dass sie eine Thrall, also eine Sklavin war. An ihrer Stirn hatte sie sich verletzt, es blutete aber nur schwach. Was Tjark Sorgen machte, war, dass ihr Körper unterkühlt war. Das war nicht gut. Er zog seine Tunika aus und streifte sie ihr über. Dann packte er sie und warf sie sich über den Rücken.

„Was hast du vor?", fragte sein Bruder.

„Ich nehme sie mit nach Hause. Sie ist kalt und wenn wir sie nicht ins Warme bringen, wird sie krank werden und sterben!"

Stijn nickte und nahm beim Vorbeigehen Tjarks Beil.

„Und wenn sie gesund ist?"

Tjark zuckte mit den Schultern, was wegen der Frau schwierig war.

„Ich muss sie zu Thorvald bringen. Wenn sie eine Sklavin ist, dann muss sie zu ihrem Besitzer zurück!"

Stijn beugte seinen Oberkörper etwas nach vorne und betrachtete das Hinterteil der Frau.

„Sehr schade!"

Tjark holte tief Atem.

„Denk nicht immer mit deinem Schwanz! Das wird dich irgendwann in Schwierigkeiten bringen!"

Stijn lachte.

„Was soll ich denn machen. Die Frauen lieben mich und meinen Schwanz!"

Tjark verdrehte die Augen. Sein Bruder war bekannt dafür, dass er kein Kostverächter war, was die Frauen anging. Doch anstatt sich von ihm fern zu halten, schienen die Frauen ihm hinterher zu rennen.

„Halt einfach für eine Weile den Mund! Wir bringen sie zu Thorvald und dann ist sie nicht mehr unser Problem. Ich habe genug zu tun und kümmere mich bestimmt nicht auch noch um eine Frau!"



Tilda wachte langsam auf. Ihr Kopf dröhnte, aber wenigstens war ihr nun nicht mehr kalt. Sie war wie ein Burrito in Decken eingewickelt, was ihr aber nichts ausmachte.

„Anders?", fragte sie leise. Ihre Augenlider gehorchten ihr noch nicht so recht, deswegen gab sie es auf, ihre Augen öffnen zu wollen.

Sie hörte, wie sich ihr jemand näherte.

„Sie wird wach, Tjark!"

Tjark?

Wer war das denn?

Und was war das für ein Dialekt?

Sie spürte, wie jemand an ihre Schulter fasste und sie unsanft rüttelte.

Sie stöhnte und riss nun doch die Augen auf.

„Könntest du das mal lassen, du Gorilla?"

Erst jetzt sah sie die Kerle, die vor ihr standen. Sie sahen seltsam aus. Waren das die männliche Modells? Von ihnen hatte Anders gar nichts erzählt.

„Was seid ihr den für Clowns?", fragte sie und unterdrückte ein Kichern. Himmel, sie sahen wirklich komisch aus!

Die Männer starrten sich gegenseitig an.

„Verstehst du, was sie sagt?", fragte der eine.

Er war groß und ziemlich muskulös. Sein Bart war gestutzt und die Haare an den Seiten abrasiert. Das Deckhaar war sehr lang und mit Muscheln und Perlen geschmückt. Er trug altertümliche Kleidung, als ob er gerade einen Film über Wikinger drehen würde. Die Tunika, die er trug, hatte keine Ärmel und sie sah einen Silberreif, der seinen Oberarm schmückte.

Der andere war etwas jünger. Auch er trug seine Haare sehr eigentümlich, aber er hatte einen sexy Drei-Tage-Bart. Auch er trug eine ärmellose Tunika, doch seine Arme schmückten seltsame Tätowierungen.

Zu guter Letzt drängte sich noch ein kleiner Knirps zwischen die zwei. Sein Haar war relativ normal, auch wenn der Haarschnitt ziemlich misslungen war. Auf seiner Nase erkannte sie Sommersprossen, was ihn ziemlich niedlich aussehen ließ.

„Nein! Was ist ein gurilla? Und was ein Klaun?"

Als ob sie nicht gerade vor ihnen liegen würde, sprach der andere weiter.

„Bei Odin, haben wir hier eine Thrall von einem anderen Volk?"

Der Jüngere betrachte sie eingehend.

„Sie hat blondes Haar und blaue Augen. Sie sieht schon wie ein Wikingerweib aus!"

Tilda reichte es.

Sie stützte sich ab und setzte sich hin. Eigentlich sollte es elegant aussehen, doch dieser Burrito aus Decken hinderten sie daran. Wahrscheinlich sah sie aus wie ein Käfer, der verzweifelt versuchte, von der Rücken- wieder in die Bauchlage zu kommen.

„Geht es euch noch zu gut? Ich sitze genau vor euch! Ihr könnte ruhig mit mir reden! Was ist eine Thrall? Und was habt ihr für seltsame Klamotten an?"

Die Männer sahen an sich hinunter, doch der kleine Kerl lachte laut auf.

„Klamotten? Du bist lustig. Meinst du unsere Kleidung? Die ist normal. Aber deine ist seltsam!"

Nun war es Tilda, die an sich hinunter sah. Na gut, vielleicht waren die Farben etwas schrill, aber seltsam würde sie das nun nicht bezeichnen.

Der Ältere beugte sich zu ihr.

„Wo kommst du her, Mädchen? Bist du eine Thrall? Eine Sklavin?"

Seine Stimme war tief und ruhig. Er sprach leise, aber sie war sich sicher, wenn er die Stimme erhob, konnte man es bestimmt mit der Angst zu tun bekommen.

Sie sah ihm in die Augen.

"Ich bin keine Sklavin. Zumindest würde ich mich nicht als solche bezeichnen, obwohl mein Chef bestimmt anderer Ansicht ist. Eher als Gehilfin. Ich komme aus Oslo!"

Wieder bekam sie verständnislose Blicke zugeworfen.

„Oslo? Den Ort kennen wir nicht. Wie ist dein Name?"

Sie kannten Oslo nicht? Wo war sie denn hier gelandet?

„Ihr kennt Oslo nicht? Das ist die Hauptstadt von Norwegen und der Sitz des Königs!"

Die Männer lachten.

„Mädchen, unser König sitzt bestimmt nicht in deinem Oslo! Aber wir wollen jetzt nicht streiten. Wie ist dein Name?"

Tilda wurde immer verwirrter. Aber sie hatten Recht. Bevor sie noch ausrastete, sollte sie sich lieber vorstellen.

„Mein Name ist Tilda. Wie heißt ihr?"

Der Ältere sah die beiden jüngeren an.

„Der Name ist mir geläufig. Gut. Wenigstens etwas. Mein Name ist Tjark Gunnarson. Das hier sind meine Brüder. Stijn..." er zeigte auf den attraktiven. „...und Lasse! Wir leben hier unter dem Schutz von Thorvald Heftanson. Sag mir den Namen deiner Familie."

Er sah sie erwartungsvoll an. Als sie nicht antwortete, zeigte er auf sich und seine Brüder.

„Gunnarson! Familie?"

Sie verstand.

„Ach so. Du willst meinen Nachnamen wissen. Der ist Johnson!"

Er hob eine Augenbraue.

„Du meinst wohl Johnsdotir?"

Tilda hob wieder eine Augenbraue.

„Was? Nein! Ich heiße..."

Er hob die Hand.

„Bitte! Ich will mich nicht mit dir streiten, Mädchen. Auch wenn du es offenbar darauf anlegst mich wütend zu machen mit deinen wirren Reden!"

Tilda keuchte.

„Was? Das mache ich doch gar nicht!"

Wieder hob er die Hand. Seine Augen blitzten und Tilda erkannte, dass er wirklich kurz vor einem Wutausbruch stand.

„Okay. Ich bin ja schon ruhig!"

Wieder ein verständnisloser Blick.

Irgendwie kam es Tilda vor, als ob sie in einem falschen Film wäre. Waren die drei wirklich so dumm? Oder war sie es? Wo war sie gelandet?

Sie sah nun an den Kerlen vorbei und erschrak!

Sie war nicht in einem falschen Film. Es sah eher so aus, als ob sie in einer falschen Zeit gelandet wäre. Sie war in einer Hütte. Einige der Fenster waren mit Bretten verrammelt, so dass man kaum erkannte, ob es Tag oder Nacht war. In der Mitte der Hütte war eine Herdstelle. Ein Kessel hing über dem Feuer und sie hörte Wasser brodeln. Sie lag auf Fellen, die zugegebenermaßen zwar warm waren, aber auch seltsam rochen. Von der Decke hingen Trockenfisch und - fleisch. Außerdem noch Waffen, die sie nur von Museen kannte.

Sie starrte abwechselnd von den Männern zu der Einrichtung der Hütte.

„Ihr seid...ich bin...verdammte Scheiße...ihr seid...Nordmänner?"

Tjark nickte.

„Ja. Wir sind Wikinger!"

Tilda schnappte nach Luft. Und dann tat sie das, was ihr wirklich am sinnvollsten erschien.

Sie fiel in Ohnmacht.



„Sie ist bestimmt keine Sklavin. Hast du gehört, wie sie mit uns geredet hat? So herrisch! Und dann sprach sie vom König! Kann es sein, dass sie vielleicht vom Königshaus abstammt?"

Tjark war sich selbst nicht so ganz sicher.

„Ich weiß es nicht, Stijn. Aber du hast in einem Punkt Recht. Sie ist keine Sklavin. Allerdings glaube ich auch nicht, dass sie von Adel ist. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie nicht ganz richtig im Kopf ist!"

Tjark hob beide Augenbrauen und sah dann zweifelnd zu dem Mädchen, das auf seinem Lager lag und schlief. Sie hatte wirklich seltsame Reden geschwungen und aus dem meisten war Tjark nicht schlau geworden. Außerdem wirkte sie verwirrt. Tjark befürchtete, dass die Kopfwunde doch größeren Schaden angerichtet hat, als es erst den Anschein hatte.

„Packt eure Sachen! Wir werden zu Thorvald reiten!"

Lasse jubelte laut und rannte zu seiner Truhe.

Auch Stijn war begeistert.

„Nehmen wir die Kleine schon mit?"

Tjark nickte.

„Ja! Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, wir sollten sie dem Heiler zeigen. Vielleicht ist sie doch schlimmer verletzt, als es von außen den Anschein hat."

Stijn grinste.

„Du willst sie loswerden."

Tjark nickte. Das wollte er tatsächlich. Was sollte er hier noch mit einer Frau, die wirr im Kopf war? Außerdem war sie ihm zu herrisch. Das konnte er nicht gebrauchen. Er war sich ganz sicher, dass sie sich nicht an seine Regeln halten würde. 

„Wenn ich ehrlich sein soll, dann ja. Ich brauche hier keine Frau, die alles durcheinander bringt. Ich brauche überhaupt keine Frau!"

Stijn zuckte mit den Schultern.

„Das würde dir auch mal guttun, wenn du mal eine Frau unter dir hättest!"

Tjark schlug ihm auf den Hinterkopf.

„Wenn ich eine Frau unter mir habe, dann wird es mein Eheweib sein. Aber mich will keine!"

Das war wirklich so. Früher war er sehr begehrt gewesen. Die Frauen hatten ihn umschwärmt. Doch als er dann für seine Brüder hatte sorgen müssen, wurde er auf einmal uninteressant.

Er hoffte nur, dass er irgendwann eine Frau finden würde, der das egal war, dass er zumindest Lasse noch eine Weile bei sich behalten musste. Thorvald hatte ihm zwar angeboten, dass er den Jungen bei sich behalten würde, aber Tjark war nicht begeistert von diesem Einfall. Er hatte seine Prinzipien, genau wie sein Vater damals. Seinem Vater ging Familie über alles. Als seine Mutter gestorben war, hatte er sehr lange um sie getrauert. Er und Stijn hatten schon damals die meiste Arbeit übernommen. Doch dann hatte sein Vater eine neue Frau mit auf ihren kleinen Hof gebracht. Alva hatte ihren Mann verloren, ohne dass er mit ihr Kinder gezeugt hatte. Sie war nicht mehr jung gewesen, aber sie war sehr ruhig und hatte nicht versucht den Platz der Mutter einzunehmen. Tjark hatte sie gemocht.

Als Lasse zur Welt kam, hatte Alva dennoch alle Jungs gleichbehandelt. Aber zu dem Zeitpunkt war Tjark schon alt genug gewesen, um Thorvald zu begleiten.

Sie hatte ihn immer freudig begrüßt, wenn er wieder nach Hause gekommen war, als ob er ihr eigen Fleisch und Blut wäre.

Ja, er hatte Alva gemocht und war wirklich sehr traurig, als er eines Tages nach Hause kam und sie tot war.

Obwohl es wie eine Vernunftehe begonnen hatte, war auch sein Vater wieder in Trauer gefangen. Er war kurz nach ihr gestorben. In einer Schlacht, wie es sich für einen Wikinger gehörte.

Tjark schüttelte den Kopf. Es war schon eine Weile her.

Jetzt hatte er andere Sorgen als die Vergangenheit.

Als seine Brüder nach draußen gingen, um die Pferde zu satteln,  ging zu seinem Lager und rüttelte sanft an der Schulter des Mädchens.

„Wach auf, Tilda! Wir müssen gehen!"

Sie murrte, dann öffnete sie die Augen und starrte ihn an.

„Du bist immer noch da!"

Er hob eine Augenbraue.

„Ich lebe hier! Wo soll ich denn hingegangen sein?"

Sie seufzte und setzte sich auf.

„Ich hatte gehofft, dass alles nur ein böser Traum ist!"

Er schüttelte wieder den Kopf. Was für Hirngespinste gingen in ihrem Kopf vor? er war bestimmt kein Traum!

„Wir werden zu meinem Jarl reisen. Kannst du reiten?"

Sie rieb sich die Stirn und zuckte zusammen, als sie an die Wunde kam.

„Ich glaube nicht. Wir hatten keine Pferde!"

Verwundert schnaubte er.

„Keine Pferde? Was ist das für ein Land, in dem man nur zu Fuß vorwärtskommt? Eure Reisen mussten wochenlang gedauert haben."

Sie schüttelte den Kopf und öffnete den Mund. Doch dann schien sie es sich anders zu überlegen, denn sie schloss den Mund wieder. Tjark war das lieber. Er wollte nicht noch mehr verwirrende Geschichten hören.

Er stand auf und holte ein altes Kleid von Alva aus der Truhe.

„Ziehe dir das an! Du kannst nicht in dieser Kleidung vor den Jarl treten!"

Tilda betrachtete das Kleid kritisch.

Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie starrte ihn arrogant an.

„Ich werde das nicht anziehen!"

Tjark stieß verblüfft den Atem aus.

„Du wirst das anziehen. So unschicklich, wie ich dich gefunden habe, werde ich dich nicht dem Jarl vorstellen!"

Sie schnappte nach Luft.

„Unschicklich? Du hast sie ja wohl nicht mehr alle! Ich bin nicht unschicklich angezogen!"

Er beugte sich zu ihr hinunter.

„Bist du eine Kriegerin?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Bist du eine Sklavin?"

Wieder ein Kopfschütteln.

Triumphierend grinste er.

„Dann ist es unschicklich! Und jetzt beeile dich. Wir werden zwei Tage unterwegs sein."

Er drehte sich herum und packte einen Laib Brot und Trockenfisch in einen Beutel. Als er sich wieder zu ihr wandte, saß sie immer noch auf seinem Lager.

„Hast du mich nicht verstanden?"

Ihr Mund verzog sich spöttisch.

„Oh doch. Ich habe dich verstanden. Ich werde dieses hässliche Ding auch anziehen. Aber ich werde mich bestimmt nicht vor dir ausziehen!"

Er hob die Hände in die Luft und stieß einen verzweifelten Laut aus.

„Bei Frigg, glaubst du, ich habe noch nie ein nacktes Mädchen gesehen?"

Sie schnaubte.

„Das interessiert mich nicht. Du hast mich noch nicht nackt gesehen und das wirst du auch nicht!"

Tjark wurde langsam wütend.

„Glaube mir, ich will dich bestimmt auch nicht unbekleidet sehen! Da kann ich mir etwas Schöneres vorstellen!"

Ihre Augen wurden groß, dann blitzten sie wütend auf.

„Willst du damit etwa sagen, ich bin hässlich? Oder fett?"

Tjark verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte dieses Mädchen nur jedes seiner Worte falsch verstehen?

„Du verdrehst mir die Worte im Mund! Machst du das, um mich zu ärgern?", fragte er.

Sie stand auf.

„Andersherum wird ein Schuh draus. Du willst mich ärgern! Und jetzt verpiss dich gefälligst. Ich will mich umziehen, ohne, dass du dabei bist!"

Er schnaubte leise, dann drehte er sich um und verließ die Hütte. Seine Brüder waren schon bei den Pferden und sahen ihn erwartungsvoll an. Er zeigte mit dem Daumen zur Hütte.

„Dieses Weib bringt mich um den Verstand! Ich weiß nicht, was ich verbrochen habe, aber die Götter müssen mir wirklich zürnen, wenn sie mir diese Plage schicken!"

Stijn fing an schallend zu lachen. Lasse sah man an, dass er nicht ganz verstand, was sein großer Bruder damit meinte.

Tjark stieg auf seinen Hengst und sie warteten, bis Tilda endlich aus der Hütte kam.

Stijn reichte ihr die Hand und sie stieg hinter ihm auf, ohne zu murren. Mehr noch, als sie zu Tjark sah, streckte sie ihm die Zunge heraus.

Er seufzte. Oh ja. Er musste die Götter wirklich erzürnt haben!

„Beeilen wir uns!"

Er ritt voraus und murmelte leise vor sich hin. „Je eher ich sie loswerde, desto besser für mich!"



Tilda saß auf dem Pferd und rieb sich unauffällig ihren Hintern.

Wie konnte sie nur in so eine Scheißsituation geraten können?

Bevor sie los ritten, hatte sie es immer noch für einen schlechten Scherz gehalten. Diese drei Wikinger waren bestimmt Schauspieler. Irgendjemand wollte sie wahrscheinlich reinlegen und hatte viel Zeit und Mühe in einen Plan hineingesteckt. Und sie war wirklich darauf reingefallen.

Doch je weiter sie ritten, desto mehr zweifelte Tilda an ihrer Theorie.

Nirgendwo gab es eine Straße. Nicht einmal einen Weg. Nur einen fest getretenen Pfad und selbst der schien nicht so oft benutzt zu werden. Um sie herum gab es nur Wiesen und Wälder. Vögel zwitscherten fröhlich. Es war einfach zu viel Natur um sie herum. Das war sie nicht gewohnt.

Sie hatte dem Wikinger, der sie zu sich auf das Pferd genommen hatte, ein paar Mal auf die vorwitzigen Finger klopfen müssen, was ihm zum Lachen gebracht hatte. Aber nachdem sie ihm eine gescheuert hatte, so dass er vom Pferd fiel, hatte er wohl verstanden, dass sie nicht an ihm interessiert war.

Erst hatte er auf sie losgehen wollen, doch die sture Spaßbremse hatte sie wortlos von dem Pferd gehoben und zu sich gesetzt. Dann hatte er seinen Bruder angebrüllt, bis der wieder auf seinem Pferd saß und sie weiter ritten.

Nun waren sie mitten im Nirgendwo und Tjark hatte beschlossen, dass sie hier die Nacht verbrachten. Im Freien! Ohne Zelt oder so etwas Ähnliches. Tilda sah schon vor ihrem geistigen Augen die Spinnen und Käfer über ihr Gesicht krabbeln! Himmel, warum gab es kein Hotel hier?

„Lasse! Du suchst Feuerholz."

Lasse nickte und wollte schon in den Wald rennen.

„Ich helfe dir!", rief Tilda und ging ihm hinterher, bevor die anderen Kerle noch etwas sagen konnten.

Sie hob einige Zweige auf und legte sie auf den Arm.

„Die sind nicht so gut!"

Lasse zeigte auf ihren Arm. Tilda betrachtete das Holz.

„Warum? Es ist Holz!"

Er lachte laut auf, dass einige Vögel erschreckt davonflogen.

„Es ist zu feucht, siehst du?" Er rieb an der Rinde und seine Finger wurden wirklich feucht und vor allen dreckig. „Wenn wir das auf das Feuer legen, raucht es! Und dann schimpft Tjark mit mir!"

Sie nickte und legte das Holz wieder weg. Sie wollte dem süßen Kerl bestimmt keinen Ärger machen. Im Gegensatz zu seinem großen Bruder war er nämlich sehr nett. Unschlüssig suchte sie eine Weile, dann sah sie einen großen abgestorbenen Ast, der in einem kleineren Baum hing. Sie befühlte die Rinde. Sie war sehr trocken. Lasse nickte zufrieden.

Sie schlenderten etwas weiter. Tilda bemerkte, dass Lasse ein paar Mal den Mund öffnete, aber er schwieg dann lieber.

„Wenn du was fragen willst, dann mache das. Ich beiße nicht!"

Er grinste.

„Du hast aber Stijn eine saftige Ohrfeige verpasst. Das ist er nicht gewöhnt, dass Frauen ihn ablehnen! Und ich will nicht, dass du mir eine Ohrfeige gibst!"

Sie schnaubte.

„Ich verpasse nur denen Ohrfeigen, die es auch verdient haben. Und dein Bruder war eindeutig zu frech!"

Lasse lachte wieder und schnappte sich wieder einen Ast.

Sie gingen wieder eine Weile, bis Lasse endlich mit seiner Frage herausrückte.

„Du bist nicht von hier, oder?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein! Ich glaube, sonst würde ich mich nicht so dumm anstellen und müsste dich fragen, welches Holz gut ist."

Er nickte leicht.

„Tjark meint, dass du dir den Kopf zu sehr gestoßen und deswegen alles vergessen hast! Deswegen reiten wir auch zum Jarl. Er hat einen Heiler."

Tilda hob eine Augenbraue.

„Ich dachte eher, dass er mich loswerden will!"

Lasse grinste.

„Das ist bestimmt auch ein Grund." Doch dann wurde er ernst. „Tjark macht sich immer um alles Sorgen. Auch um dich!"

Das glaubte Tilda nun weniger, aber sie sagte nichts. Sie hatte schon bemerkt, dass Lasse zu seinem großen Bruder bewundernd aufsah.

„Wo ist eigentlich deine Mutter?", fragte sie stattdessen.

Der Kleine raffte die Schultern.

„Meine Mutter ist gestorben. Schon vor langer Zeit. Und mein Vater auch. Er starb in einer Schlacht und sitzt nun in Walhalla mit seinen Ahnen!"

Sofort regte sich Mitgefühl in Tilda. Der arme Kleine. Er war doch noch so jung.

Sie wuschelte ihm durch das Haar.

„Dann war er wohl ein großer Krieger!"

Lasse lachte.

„Oh ja! Tjark ist auch ein großer Krieger, aber er muss für uns sorgen. Deswegen kann er nicht mehr so oft zu den Schlachten mit. Ich glaube, das macht ihn traurig."

Tilda hob eine Augenbraue.

Tjark kümmerte sich also um seine Brüder? War er deswegen so ernst?

„War er denn vorher anders?"

Lasse nickte.

„Oh ja! Er war nicht oft zu Hause, aber wenn, dann lachte er viel und machte viele Scherze. Wir waren auch sehr reich, weil Vater und er immer viel Gold mit nach Hause brachten. Jetzt ist es nicht mehr so viel. Und das nur wegen mir. Ich mache ihm die meisten Sorgen und er kann mich nicht leiden!"

Sie schüttelte den Kopf und kniete sich vor den Jungen.

„Nein! Das ist bestimmt nicht nur wegen dir. Ich denke, dein Bruder mag dich. Ich bin mir nicht sicher, aber er hätte dich doch bestimmt auch bei einer anderen Familie unterbringen können."

Das Nicken von Lasse war unsicher.

„Siehst du? Hat er aber nicht."

Tilda wusste nicht, ob sie jetzt gerade einen großen Mist erzählte, aber der Kleine hatte so bedrückt gewirkt. Sie musste ihn irgendwie aufmuntern.

„Lasse! Was dauert denn da so lange?"

Man hörte Tjarks laute Stimme durch den ganzen Wald.

„Komm endlich zurück und lass dich nicht von deiner Arbeit abhalten."

Tilda schnaubte, weil sie genau wusste, auf wen der letzte Satz gemünzt war. Sie reichte Lasse ihre Hand.

„Dann wollen wir ihn mal nicht warten lassen, oder? Sonst ist er böse auf mich!"

Lasse nahm ihre Hand und sie liefen gemeinsam wieder zu dem Nachtlager.



„Sie hat sich gut eingefügt, würde ich einmal sagen!"

Gna, Götterbotin der Göttin Freya rieb sich die Hände.

„Wir haben ein gutes Händchen bewiesen, Freya!"

Die Göttin lächelte leicht.

„Oh ja. Jetzt muss er sie nur noch akzeptieren und es wird so sein, wie er es sich wünscht!"

Gna blickte noch einmal zu den Menschen, dessen Schicksal sie so beeinflusst hatte.

„Das sieht doch gut aus!"

Freya stellte sich neben sie und blickte ebenfalls nach unten.

„Odin warnte mich! Manchmal läuft etwas schief. Ich habe zwar schon einmal so etwas getan, aber bisher nie so etwas Gewagtes unternommen. Odin wird nicht gerade begeistert sein."

Gna schnaubte.

„Diese Männer. Immer noch der Meinung, dass sie alles besser können!"

Freya lachte leise.

„Wir müssen uns erst noch beweisen. Dann können wir es ihnen unter die Nase reiben!"

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