Kapitel 3 - Wie bitte?
[ Tokio, Japan - 13. April 2017 ]
Es klingelte zur Pause. Die leeren Flure füllten sich wieder mit den Schülern und lautem Gelächter. Das ganze Gebäude wirkte mit einem Schlag um ein Vielfaches lebendiger. Hier und da hörte man die sorglosen Witze und Späße der Jungs. An einer anderen Ecke wiederum vernahm man die Gespräche von Mädchen, die sich über Belanglosem unterhielten.
Und wenn man ihren Gesprächen genauer lauschte, konnte man sich so, einen Eintritt in die Gerüchteküche verschaffen. Ein Ort, wo sich die Themen des Tages nur so türmten.
,,Findet ihr dieses Mädchen nicht auch seltsam?''
,,Diese Weißhaarige? Ich glaube, dass es heute das erste Mal war, dass ich ihre Stimme je gehört habe!''
,,Wenn das alles wäre! Ich kenne nicht einmal ihren Namen!"
Gelächter.
In diesem Moment lief eben genannte an den drei Klassenkameraden vorbei, die Treppe hinunter und ließ ihr Lachen verstummen.
Es stimmte.
Hani war mehr als durchschnittlich, sie war weder sonderlich hübsch, noch lustig oder kontaktfreudig. Sie mischte sich nicht in Angelegenheiten von anderen Menschen ein und diese sollten sich nicht in ihre.
Es war besser so.
Völlig in ihrer Gedankenwelt versunken, hörte sie nicht die immer lauter werdenden Schritte. Schritte, die sich in einer Höchstgeschwindigkeit auf sie zu bewegten und selbst bei den Treppen das Tempo nicht herunterschraubten.
Ein Fehler.
Denn diese Aktion zwang die Person unweigerlich dazu, abzuspringen.
Mit einem lautem: ,,ACHTUNG!", warnte er das abwesende Mädchen, die anscheinend einzig und allein nichts vom ganzen Tumult mitbekam.
Doch es war zu spät.
Denn in dem Moment, indem sie realisierte, dass dieser Ruf an sie gerichtet war, sie auch schon mit dem jungen Mann die Treppen hinunterkatapultiert wurde.
Doch anders als in all den romantischen Filmen, in denen der Junge schmerzfrei auf dem Mädchen landet und beide Hände neben ihren Kopf stemmt, war ihre Landung das komplette Gegenteil.
Ihr Gesicht und Körper begrüßten mit einem lautem Knall den harten Boden und gleich darauf, spürte sie ihr doppeltes Gewicht auf sich fallen und hörte wie ihre Seele ihren Körper verlässt.
Aber während sie in dieser misslichen Lage war, vernahm sie von dem teilnahmslosen Täter nur ein fast schon monotones: ,,Ups.''
Und wenn dieses ,,Ups'' ihr Wasser schon nicht zum Kochen gebracht hatte, dann tut es sein Körper, der keine Anstalten machte, von ihr runter zu gehen.
Im fast schon zynischen Ton, brachte sie unter knirschenden Zähnen ein: ,,Wärst du so freundlich von mir runter zu gehen?!" hervor.
,,Wenn das Ihr Begehr ist'', kam es sarkastisch über die Lippen des jungen Mannes und er stieg in langsamen Bewegungen von ihr ab.
Fast so, als wüsste er, dass nur ein Tropfen reichen würde, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Denn das tat es.
Sogar mehr, als sie überhaupt wollte.
Plötzlich hörte sie die teuflische Stimme des Mathelehrers, der in schnellen Schritten den Flur entlang gerannt kam.
,,WENN ICH DICH FINDE, SION SORA! DANN BIST DU SOWAS VON DRAN!!!"
Ein merkliches Zucken seitens des Weißhaarigen und ein leises ,,Scheiße'', wobei er sich panisch umsah, was sie auf eine Idee brachte.
Eine Idee, bei der sie blind von ihrer Rache gelenkt wurde.
Hani holte tief Luft und schrie aus vollem Halse: ,,HERR LEHRER-", als Sion ihr den Mund zuhielt und sie in einen leeren Klassenraum mitzog.
Stille.
Das Einzige, was man hörte, waren die leisen Schritte, die plötzlich an der Tür stehen blieben.
Kaum merklich zog Hani die Luft ein, obwohl sie in dieser Situation sowieso schon zu wenig von jenem inhalierte. In ihrem Rücken spürte sie den Oberkörper des jungen Mannes und an ihrem Ohr seinen schnellen Atem.
,,Komisch... ich dachte, ich hätte was gehört."
Aber... Moment mal.
Wovor hatte sie denn überhaupt Angst? Es ist ja nicht so, dass sie sich verstecken musste.
Sie - hatte nichts falsch gemacht.
Er schon.
Ein hämisches Grinsen bildete sich auf ihre Lippen und ohne zu zögern, leckte sie Sion's Hand, welche ihr den Atem abschnürte, ab.
Davon ausgehend, dass er sie loslassen würde und sie sich dadurch einen Eintritt in die Freiheit verschaffen könne.
Und genau das tat er, woraufhin sie blitzschnell reagierte und aufstand.
,,Was sollte das?", giftete Sion sie an, während er seine nass feuchte Hand an seiner Hose abwischte.
Doch er bekam keine Reaktion auf eben gestellte Frage.
Stattdessen setzte das sonst so ruhige Mädchen ein weiteres Mal zum Schreien an, um ihre Rache an den Jungen zu vollkommen.
Doch er sah ihren Plan gewissermaßen kommen und versuchte sie zum Schweigen zu bringen, indem er sich auf sie stürzte.
Ein lautes Knallen und beide fielen zu Boden.
,,Autsch...'', murmelte der Weißhaarige und rieb sich den Kopf.
Leicht öffnete er seine Augen und blickte in leuchtend Blaue.
Sofort hielt er inne und realisierte erst jetzt die Lage, in der sie sich befanden.
Er lag über sie.
Beide Arme neben ihrem Kopf gestemmt.
Im Hintergrund, in einer scheinbar unerreichbaren Ferne, hörte man die Äste des Kirschblütenbaumes im Wind tanzen, während eine Blüte sich den Weg durch das offene Fenster bahnte und auf Hanis Wange landete.
Keiner der beiden sagten ein Wort, als wären sie gefangen in das Blau des jeweils anderen.
Seine Hand bewegte sich auf Hanis Wange zu und strich ihr das verirrte Rosa aus dem Gesicht.
Ein perfekte Szene aus einem romantischem Film.
Wenn die Beiden jetzt, in dieser Situation von dem teuflischen Mathelehrer erwischt werden würden, sicherten sie sich garantiert eine stundenlange Moralpredigt. So viel stand fest.
,,Ich hab mich wohl doch verhört...'', murmelte unterdessen der Lehrer, der immer noch vor der Tür stand.
Als er gerade dabei war, woanders nach dem Unruhestifter zusuchen, hörte er plötzlich von dem Klassenraum 1-2 ein lautes Poltern. Und gleich darauf eine weibliche und männliche Stimme, die etwas Unverständliches sagten. Die diabolischen Instinkte des Mathelehrers schalteten sich, von einer Minute auf die andere, sofort ein.
Ein Junge und ein Mädchen allein in einem leeren Klassenraum - das war seine Chance, jemanden bestrafen zu können!
In schnellen Schritten sprintete er regelrecht zur Tür und schob sie mit einer gewaltsamen Wucht auf.
Doch was er vorfand, war nicht der Anblick, den er sich erhofft hatte.
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Es war eher ein Schauspiel von zwei wilden Bestien, die sich gegenseitig zerfleischen wollten. Weder Haare noch Schuluniformen wurden verschont und der Lehrer bekam das schlechte Gefühl, dass wenn er jetzt nicht eingriff, sie sich beide ins Krankenhaus schicken würden.
Etwas verängstigt, aber gespielt wütend, schritt er zwischen den beiden Furien und stoppte sie in ihren Kampf. Als er bemerkte, dass eines dieser Biester, der Gesuchte war.
,,Guck mal an wen wir hier haben. Sion Sora, der Schwänzer und Zuspätkommer.''
Ein siegessicheres Lächeln bildete sich auf seine Lippen, das fast schon dreckig erschien.
,,Du kommst mit mir mit Freundchen.''
Triumphierend über seinen Fang, nahm der Teufel höchstpersönlich den Schuldigen in den Schwitzkasten. Drauf und dran ihm beim Direktor auszuliefern.
,,H-heute ist a-aber schlecht, Glatzi. L-lass uns den T-termin auf morgen vers-schieben'', brachte Sion nach luftringend hervor.
,,Wie oft habe ich dir gesagt... MICH NICHT SO ZU NENNEN!"
Der Druck um Sions Hals wurde stärker und er fing an, wild mit seinen Armen zu wedeln.
Als ihm ein Geistesblitz kam und er versuchte nach Hanis Hand zu greifen, auch wenn er nicht glaubte, dass sie so beschränkt war und sich auf diese Weise selber in Schwierigkeiten brachte.
Ein Versuch war es aber zumindest Wert.
Doch in dem Moment, indem er seine Hand nach ihre ausstreckte, kamen die Erinnerungen eines Ereignisses wieder hoch.
,,Hilf mir'' - Eine Hand, die sie aus der Schwärze um Hilfe bat.
Die gleiche Hand, die sie vor ihrem Tod gesehen hatte.
Es war jene, die sie ergreifen wollte...
Von diesen Gedanken in Trance gesetzt, bewegte sie ihre Hand auf seine zu. Ein Déjà-vu, dass sie dazu bewegte, ihm mit voller Kraft aus den Fängen des Teufels zuziehen.
Überraschende Blicke, sowohl vom Lehrer, als auch von Sion, lagen auf ihr eigenes perplexes Ich.
,,Hast du etwa plötzlich auch Lust bekommen ihm bei seiner Strafe Gesellschaft zu leisten?''
Ein energisches Kopfschütteln, gefolgt von dem sofortigem Loslassen seiner Hand.
,,Idiot'', grinste Sion belustigt und drehte sich um.
,,Wie bitte?"
Fassungslos schaute sie ihn an. Wäre eine normale Reaktion eines Menschens nicht Dankbarkeit gewesen?
,,Die Dummheit ist die sonderbarste aller Krankheiten. Der Kranke leidet niemals unter ihr. Aber die anderen leiden. Paul-Henri Spaak.''
Und damit verließ er den Raum und ließ eine einerseits verwirrte, als auch wütende Hani zurück.
Wie bitte?
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