Pepper (1)


Es war eine Woche her, seit die Barrikadenkämpfe in Krishniaw begonnen hatten, und Khilen war selten so erleichtert gewesen wie an diesem Mittwoch, als ihnen mitgeteilt wurde, dass er einer von denen war, die von der Front abgezogen werden würden, um sich der Dissidenten in seiner Heimatstadt anzunehmen. Die Kompanie blieb, man plante bislang nur einen kleinen Einsatztrupp zusammenzustellen, um Zeit einzusparen. Gesammelt abzuziehen wäre den Aufwand nicht wert.

Offiziell teilten die Rebellen in Krishniaw die Ansichten der DAW, unterstützten allerdings ihre gewalttätigen Handlungen nicht. Aber nach Vorfällen, in denen Regimekritiker beider Lager bei Demonstrationen und Protestaktionen mit Gewalt vorgegangen waren, stellte man sie gemeinhin auf die gleiche Stufe. Inzwischen schien es mehr als gerechtfertigt.

Khilen hatte keinen vollkommenen Einblick, aber er vermutete, dass die Bürgerbewegung tatsächlich friedlichen Wurzeln entstammte. Er hatte früher selbst oft genug Soldaten zur Radikalisierung in Oppositionsbewegungen eingeschleust, und es würde ihn mehr wundern, sollte das hier nicht der Fall gewesen sein.

Was aber letztendlich der Grund für den Aufruhr war, war irrelevant. Die Fakten zählten mehr, und diese Fakten waren, dass die Aufstände bereits für Brände und Plünderungen und Gewalttaten in der Stadt gesorgt hatten, dass ihre versuchte Niederschlagung durch Tränengas mit Blasterfeuer erwidert worden war, dass das gesellschaftliche Leben vollkommen zum Erliegen gekommen war. Über die ersten Tage hinweg waren zahlreiche Meldungen in den sozialen Netzwerken erschienen von Familien, die sich in ihren Häusern versteckten, aber inzwischen ließ auch das nach.

Die Störsender, die man aufgestellt hatte, um die Kommunikation der Rebellen zu unterbinden, sorgten auch dafür, dass auch Zivilisten vom Holonet abgeschnitten waren, und hatten sich bislang ansonsten noch nicht als allzu hilfreich erwiesen. Eine besonders radikalisierte Splittergruppe der Rebellen hatte die größeren Straßenzüge vermint, und sie hatten unbestätigte Drohungen losgelassen, dass sie die Viertel der Militärfamilien mit Giftgas füllen würden, sofern man weiterhin gewaltsam gegen sie vorging. Kaum einer, der in Krishniav Familie hatte, war noch in der Lage, die Sache subjektiv zu betrachten. Auch Khilen hätte es nicht gewagt, selbst um seine Rückbeorderung zu bitten.

Auf seinem Pad befand sich immer noch das Video, was er vor drei Tagen erhalten hatte und nur ein einziges Mal sehen musste, bis es sich so in seinen Kopf gebrannt hatte, dass es unmöglich zu vergessen war.


„Hallo, Jo." Seine Frau lächelte ihn an, und ihr Lächeln war hinreißender, als er es in Erinnerung hatte, trotz der Sorge in ihren Augen. Es war hellichter Tag, und sie saß im Wohnzimmer, während Zabree an sie gekuschelt hockte und in die Kamera grinste. Milena stupste das Mädchen an. „Sag Hallo zu Onkel Dan, Bree." Zabree hatte eine Schnute gezogen aufgrund des bevormundenden Tonfalls, dann hatte sie die linke Hand aus der Decke gezogen und geschwenkt. Ihre Rechte hielt eine Tasse dampfenden Tee.

„Hey, Dan... ich hoffe, du kommst bald wieder. Das ist gerade alles doof hier... und Mama lässt mich nicht mehr zum Spielen raus und meine Freunde habe ich auch nicht sehen dürfen." Empörung ob dieser Ungerechtigkeit schwang in ihren Worten mit, ehe sie seufzte. „Das ist sooo langweilig... also komm bitte bald zurück, ja? Mama sagt, erst wenn du die Rebellen verhauen hast, dürfen wir wieder in die Schule, und meine Freundinnen haben mich angerufen und vermissen mich auch schon, aber die dürfen auch nicht raus, und das ist so ungerecht!" Die junge Twi'lek streckte die Zunge heraus, und Milena kicherte, ehe sie ihr einen Schubs gab.

„Du hast doch gestern so hübsche Bilder gemalt, Bree... hol sie mal, damit Onkel Dan sie auch sehen kann."


Khilen hatte nichts gegen den Namen. Er war schon immer 'Onkel Dan' gewesen, nicht Papa, immer seit Zabree zu jung gewesen war, um 'Jonathan' im ganzen Wort auszusprechen, und solange sie dabei blieb, konnte er zumindest hoffen, dass sein kleines Mädchen nie erwachsen wurde.

Sie war nicht ihre leibliche Tochter, aber dennoch liebten Milena und er sie wie eine eigene.


Als das Mädchen vom Sofa rutschte und in Richtung der Treppe hastete, schwand das Lächeln einen Moment von Milenas Gesicht und sie seufzte tief. „Ich wollte mich gestern für die Essenszuteilung einreihen, und Catye war in der Schlange... du weißt, die von der Kinderkrippe damals, mit ihren sechs Söhnen? Sie hatte sich einen dieser DAW-Aufkleber auf die Bluse gebügelt, und plötzlich löst sie sich aus der Reihe, kommt zu mir und schlägt mich ins Gesicht." Sie verstummte und schluckte schwer. „Ich war baff. Konnte sie nur sprachlos anstarren. Sie hat angefangen zu wettern, dass du es warst, der ihren Sohn erschossen hat, nur weil der erkennen musste, dass er in der Armee falsch aufgehoben war – du weißt schon, ihr übliches Geschrei, sobald man über die Desertierten spricht – und wie ich es mich trauen könnte, mein Gesicht überhaupt noch draußen zu zeigen, jetzt, wo sich endlich etwas ändert..." Wieder stockte sie einen Moment, und Bitterkeit stieg aus ihrer Kehle auf. „-und das sie hofft, dass man so eine hässliche Militärhure wie mich endlich am Straßenmast aufknüpft, wie es sich gehört, und dass du die wahren Eltern von Bree doch umgebracht hättest und wie wir es wagen könnten, dem Mädchen eine Familie bieten zu wollen, immerhin gehört sie zu DAW-Sympathisanten und nicht zu Abschaum wie uns..." Ihre Schultern bebten einen Moment, und sie murmelte leiser. „Ich liebe dich, Jo. Es ist nur so schwer gerade, und wir sind nicht die Einzigen, die Angst haben... Ich habe schon mehrmals gehört, wie sie gegen jeden aufhetzen, der mit dem Militär und dem Imperium in Verbindung steht. Deina sagt, sie traut sich nicht mehr, ihre Tochter zum Spielen mit Bree vorbeizubringen, sonst hält man sie noch für eine Sympathisantin... Komm gesund zurück, ja?" Nun lächelte sie hastig wieder, als polternde Schritte von der Treppe heranstürmten und eine kleine Gestalt ins Bild rutschte, die geknittertes Papier mit Buntstiftkrakeleien ausbreitete.

„Hier, Onkel Dan! Schau mal! Mama hat sofort erkannt, was es ist!" Sie begann eine tiefgeschichte Kunstanalyse ihres Werkes, und Milena kicherte, während sie Zabree über den Kopf strich. Beide strahlten warm, als das Bild endete.


Khilen hatte seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Man hatte es ihm überlassen zu entscheiden, welchen Teil seiner Leute er mitnehmen wollte, und die Wahl war rasch getroffen. Das Mitglied, dass unter den anderen herausragte, war technisch gesehen keiner seiner Leute, und die Tatsache, dass Khilen ihm Befehle erteilen konnte, beruhte mehr auf gegenseitiger Sympathie und Respekt. Unter Umständen hätte er vielleicht sogar gemutmaßt, dass der Sith ihn als Ersatz für eine feste Autorität in seinem Leben betrachten könnte, aber solch vermessene Gedanken hätte Khilen nicht ausgesprochen.

Dennoch konnte er sich dem Reinblüter gegenüber mehr herausnehmen, als man vermuten sollte, wenn es um den allgemeinen Umgang von Sith und Soldaten ging. Und im Gegensatz zu den meisten Sith, die er bislang kennengelernt hatte, vertraute er D'nramar größtenteils – etwas, von dem er nie und nimmer angenommen hätte, es jemals in seinem Leben einem Sith gegenüber auch nur zu denken.


Es dauerte drei Tage, bis ihr kleiner Eingreiftrupp sich im Kasernenaußenposten von Krishniaw melden konnte, der inzwischen von den hiesigen Polizeikräften gesäubert worden war. Die Sprengminen, die von den Rebellen versteckt worden waren, konnten ohne Verluste entfernt werden. Bislang war man auf keine weiteren unangenehmen Überraschungen gestoßen.

Angespannt waren sie dennoch. Gleich nach ihrem Eintreffen hatte man Khilen und Reed zur Besprechung hinzugezogen, und ein Major Orussen, der vom Imperium hierher versetzt worden war, um endlich Resultate vorweisen zu können, war alles andere als erfreut über ihre Ankunft. Ihre Vorstellung von Eingreifen schien seiner zu widersprechen. Auch wenn Orussen sich nicht exakt zu seinen Plänen äußerte, gewährte er ihnen nur zähneknirschend ein Zeitfenster, dass sie für ihre Vorhaben nutzen sollten. Würde es fehlschlagen, so tönte Orussen großspurig, dann würde er ihnen – und es klang, als seien sie nichts anderes als eine zusammengewürfelte Provinzmiliz, zu der sich das Imperium in seiner Weisheit und Gnade herabbeugte - zeigen, wie ein echter Imperialer mit Rebellen zu verfahren pflegte. Glücklicherweise war er danach verschwunden, und das selbstgerechte Geschwafel mit ihm.

Man hatte sich nach eingehender Beratung dazu entschlossen, mit den Polizeikräften einen letzten groß angelegten Angriff gegen die Barrikaden in der Innenstadt zu führen. Kleinere Infiltrationstrupps sollten die Ablenkung nutzen, um durch die Linien zu schlüpfen und die Rädelsführer der Rebellen ausfindig zu machen. Zumindest dahingehend hatten ihre Spione ihnen noch genügend Daten hinterlassen, ehe es zum Ausfall des Funks kam. Zu ihren eigenen Störgeräten kamen inzwischen auch die der Rebellen hinzu.

Am radikalsten wurde der Widerstand in den Vierteln der Militärangehörigen geschätzt, in denen sich die Hassverbrechen konzentriert hatten, aber es schien nicht, als gäbe es dort irgendwelche führenden Köpfe zu holen. Man hatte wohl vielmehr mit versprengten Plünderergruppen zu rechnen, und höchstwahrscheinlich auch Minen und ähnlich angenehmen Überraschungen.

Khilen wollte dorthin, er wollte es mehr als alles andere, aber die Chance auf Erfolg ohne Verluste war weiter im Norden der Stadt höher, jenseits des Flusses, wo die Proteste in den Parkanlagen von Vrasnai begonnen hatten und wo immer noch das Rathaus besetzt gehalten wurde. Wenn ihre Widersacher Wert auf Öffentlichkeitswirksamkeit legten, waren sie dort, und in den Militärvierteln gab es nichts zu holen. Allein die Chance auf Fallen würde dort ungleich gößer sein.

Aber...

Er wusste, er sollte das nicht tun, als er sich an den Sith wandte. D'nramar war für die freie Unterstützung zugeteilt worden, sie wollten über Kurzwellensender Kontakt halten, um die Störsender zu umgehen, aber ein festgesetztes Einsatzgebiet hatte er nicht. Trotzdem hieß das nicht, dass Khilen ihn für eigene Interessen verwenden sollte – und dennoch tat er er, nach allem, was in seinem Kopf dagegenschrie. Unverbesserlicher Vollidiot, schalt er sich. Aber der Sith hätte auch im potentiell fallengespicktem Feld die höchsten Chancen darauf, lebendig herauszukommen. Und noch wussten sie nicht, ob sich nicht doch etwas von Interesse in den Vierteln verbarg. Nach zu viel Abwägen, Selbstvorwürfen und Vielleichts beschloss er, ihn selbst darauf anzusprechen.


Castor stand über die Karte gebeugt und lauschte den Worten Khilens stumm, ehe er nachhakte: „Observierung des Geländes... wenn ich nichts finde, was auf mehr als marodierende Einzelbanden hindeutet, schließe ich wieder zu euch auf?" Khilen nickte und nahm einen Schluck vom Caf, ehe er langsamer hinzufügte:

„Ich will euch nicht anlügen... der Hauptgrund, aus dem ich Interesse an der Gegend besitze, ist der, dass meine Familie dort lebt. Ich-"

„Wo genau?", wurde er unterbrochen, und Khilen legte seinen Finger stumm auf den entsprechenden Kartenabschnitt.

„Das hier ist kein Befehl, weder offiziell noch inoffiziell. Wenn wir euch kontaktieren und anderswo benötigen, dann vergesst das Gebiet. Aber solange die Operation reibungslos verläuft und die Viertel einen unserer letzten blinden Punkte darstellen, wäre es mir nicht unangenehm, euch dort zu wissen." Der Sith stützte sich vom Tisch wieder in die Höhe und holte sein Pad hervor, ehe er begann, die Kartenabschnitte entsprechend einzuscannen.

„Ich sehe, was ich tun kann..." Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu. „Ich wusste nicht, dass ihr Kinder habt. Nach dem, was ihr von euren Taten auf Engra berichtet habt..." Er beendete die Worte nicht, aber das war nicht nötig, Khilen kannte den die Mischung aus Frage und Vorwurf, der ein seinen Augen stand. Er lächelte müde. Castor mochte gerne abgeklärt reden, aber verinnerlicht hatte er dieses Denken scheinbar noch nicht.

„Das Imperium brachte mir bei, dass es im Krieg nur ein Verbrechen gibt, und zwar Verlieren. Es ist ein Mädchen. Zabree. Wenn es etwas gibt, was in meinem Leben als 'gut' betrachtet werden kann, dann ist sie es." Castor schien gedankenversunken, und die Worte, die er aussprach, klangen für Khilen mehr nach Floskel als ernstgemeint. Dazu hatte der Sith inzwischen schon zuviel von dem, was in seinem Kopf vorging, gesehen und gehört.

„Nur das? Nach allem, was ihr für das Imperium und eure Heimat getan habt?" Khilen schnaubte lächelnd. Heißer Dampf stob von seiner Tasse auf, der sich mit der frostigen Winterluft vermengte. Er blieb Castor die Antwort schuldig, die Frage war aber vermutlich ohnehin keine, auf die etwas Sinnvolles erwartet wurde.


Castor hatte den Großteil des ersten Angriffs gar nicht mitbekommen. Er war vermummt in die Stadt gegangen, die Gesichtszüge verhüllt von einem Schal und den großen Fellmützen, die man hier zu tragen pflegte. In einer der spärlich geschlossenen Seitengassen abseits der großen Barrikaden hatten zwei junge Männer ihn aufgehalten. Beide trugen das Symbol der DAW auf ihre Mäntel gestickt, und die Art, wie sie ihn umzingelten, ließ Castor annehmen, dass sie ein Problem damit hatten, das er selbst keines zeigte. Es hatte nicht viel Macht gebraucht, um ihrer beiden Köpfe synchron zur Seite zu drehen, und er hatte die Leichen neben dem Bürgersteig liegen lassen und war in den Mantel des einen geschlüpft.

Die ersten Tage des Aufstands mussten noch wild gewesen sein, aber inzwischen waren die Straßen der Innenstadt leerer. Hin und wieder sah er Leute auf den Gehsteigen und vor den Läden sitzen, aber immer versprengt. Nur zwei mal begegneten ihm große Gruppen von Menschen, das eine Mal, als er an einem Gemüsehändler vorbei ging, der Rationen gegen kleine bedruckte Pappmarken austeilte, die scheinbar vom DAW kamen, und das andere Mal, als er beinahe von einer Gruppe Studenten umgerannt wurde, die eilig Blastergewehre aus einem der Keller holten. Einer von ihnen hatte Castor an der Schulter gepackt und herumgerissen.

„Diese beschissenen Imp-Arschkriecher vom VWN versuchen es schon wieder! Wir haben Angriffe unten in Sektor 13, wo wir das Marktende abgeriegelt hatten, und ich hab schon von Toten gehört..." Er hob den Blasterlauf, und seine Augen funkelten so kampflustig, dass Castor sich sicher war, dass er noch nie zuvor einem tatsächlichen Kampf beigewohnt hatte. „Wir zeigen diesen Scheißkerlen, was es heißt, waasisches Blut zu vergießen!"

„Ich hab noch keine Waffe.", murmelte Castor in seinen Schal hinein, und der Junge packte ihn am Ärmel und zerrte ihn in die Kellerräume hinein, in der mehrere junge Männer dabei waren, einen Vorrat an ausgelaufenen Modellen von Blastergewehren zu sichten. Keiner von ihnen schien älter als 25, und keiner achtete darauf, als Castor unter dem dicken Mantel nach seinem Lichtschwert tastete.

Als er wenige Minuten später aus dem Keller heraustrat, war wohl davon auszugehen, dass zur Genüge zur Schau gestellt wurde, was es hieß, waasisches Blut zu vergießen. Der Junge, der ihn darauf angesprochen hatte, würde seine Erfahrung nur nicht mehr teilen können.


Das Militärviertel war erschreckend leer, und Flocken pudrigen Schnees hatten sich auf die Dächer gelegt und eine stille Idylle gezaubert. Der Eindruck wurde von der eingetretenen Tür des Hauses ein wenig zerstört. Die Sicherheitsvorkehrungen waren zum Teil durch fehlenden Strom inaktiv und zum Teil bewusst sabotiert.

Castor konnte die Stimmen im Inneren gedämpft vernehmen, als er den Eingang aufdrückte. Seine Schritte waren so gut wie lautlos, gedämpft von Levitation, während er weiter ins Innere schritt.

„-nicht so ein Gesicht, sie war eine verdammte imperiale Hure, Ramiv hätte sie sowieso neben den anderen aufgeknüpft, wenn er erstmal hierher gekommen wäre-"

„-mir die ganze verdammte Hose eingesaut. Ich hoffe, ihr Mann hat wenigstens saubere Stiefel da."

Castor drückte die Tür sachte auf, und das Lichtschwert ruhte ausgeschaltet in seiner Hand. Wieder waren es junge Männer, die Gesichter ein wenig geschwärzt von Dreck und Ruß, und einer der drei versuchte noch murrend, das nagelneue Holo-TV-Gerät von der Wandhalterung zu lösen, während die anderen beiden betreten vor dem Sofa standen. Ihre Gesichter wirkten nicht schuldbewusst, aber auf die mürrische Art unsicher, die man aufsetzt, wenn man weiß, dass die Umgebung Reue sehen möchte. Die Art Gesicht, die man vor dem Lehrer zieht, wenn man versuchte zu erklären, was mit den verschwundenen Hausaufgaben geschehen sein mochte.

Vor ihnen lag eine Frau, die Castor als hübsch bezeichnet hätte, wären da nicht die grotesk gespreizten Beine und das Blut, dass noch aus dem Schnitt an ihrer Kehle tröpfelte und und kuscheligen Teppich zu ihren Füßen eingeweicht hatte.

Im Keller vorhin hatte er das ganze rasch und sauber erledigt. Diesmal ließ er sich Zeit, auch wenn das ein Gefallen gegenüber Khilen war, von dem der Soldat niemals erfahren würde. Er hielt alle drei im Machtgriff gepackt, und nachdem er die Leiber aufgeschnitten und ihren Darm herausgezerrt und verknotet hatte, waren zumindest zwei von ihnen noch bei Bewusstsein.

Vermutlich tat es dem jeweiligen Besitzer weh, die Organe zu ziehen, wenn auch nicht ganz so sehr, wie sie zu drücken, aber sicher war er sich nicht, denn der Mann brüllte ohnehin die ganze Zeit über. Castor überhörte ihre Schreie, das Flehen und Gebettel und Wimmern. Noch auf Korriban hätte er Gefallen daran gefunden, und das kam ihm so verblüffend fern und außerhalb seiner Lebensrealität vor. Als lägen Jahre dazwischen und nicht erst Monate.

Er hob die Frau vom Tisch, bettete sie auf das Sofa und schloss ihre Augen, ehe er sich wieder den beiden wachen Einbrechern zuwandte.

„Wo ist das Mädchen?"


Sie wissen es nicht, sagten sie, und nachdem Castor ein wenig nachdrücklicher und mit seinen Händen tief in empfindlichen Stellen vergraben gefragt hatte, wussten sie es immer noch nicht. Er ließ sie liegen, während er sich auf die Suche machte.

Im zweiten Stock wurde er fündig. Der schwache, flatternde Herzschlag wäre ihm nicht aufgefallen, hätte er nicht so sehr darauf geachtet, und als er den Schrank öffnete, purzelte ihm eine Twi'lek entgegen. Castor hätte das Mädchen auf acht geschätzt, auch wenn er da vom Körper und nicht den Augen ausging, denn als sie ihm gegenüberstand, das Gesicht von Rotz und Tränen überströmt und das schmale Taschenmesser in ihren Händen ausgestreckt, sahen die so viel älter aus.

„Geh weg... oder ich... oder ich..." Sie zitterte am ganzen Körper, und Castor ging vorsichtig in die Hocke, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu lösen. Er war von Haus aus kein großer Fremdlingsfreund, aber das hier war Khilens Tochter. Manchmal galt es Ausnahmen zu machen.

„Zabree?" Ihre Augen weiteten sich. Sie hielt ihre winzige Waffe immer noch erhoben, und er fuhr in ruhigem Tonfall fort.

„Ich bin Castor. Dein Papa schickt mich." Die Unterlippe des Mädchens zitterte, und sie schluckte mehrmals.

„Onkel Dan ist hier?" Er war sich nicht komplett sicher, wen sie meinte, aber da klang schwache Hoffnung in ihrer Stimme durch, und er nickte stumm. Jetzt endlich ließ das Mädchen ihr Taschenmesser sinken, und ihre Arme fielen zur Seite, so schwer, als wären sie Blei für das kleine Kind.

„Ich habe Stimmen gehört." Sie stockte, und Castor schwieg einen Moment, als sie schon fortfuhr. „Sie haben Mama wehgetan. Sie wollten mir wehtun. Warum..." Das Zittern setzte wieder ein, und sie zog geräuschvoll die Nase hoch. „Warum wollen uns alle wehtun?" Er legte ein Lächeln auf seine Lippen. Das funktionierte zumindest noch problemlos.

„Zabree, Ich bringe dich zurück zu deinem Vater. Wenn noch jemand versucht, dir wehzutun, tue ich ihm viel, viel mehr weh."

Sie nahm seine Hand. Die linke, versteht sich. Er hatte es bislang versäumt, das Blut von der rechten zu wischen. Als Castor sie die Treppe herunterführte, ließ er sie versprechen, dass sie die Augen fest zusammendrückte und erst wieder öffnen würde, wenn er die Anweisung gab. Die Männer saßen zusammengesackt, und inzwischen schwiegen sie alle drei, so dass Castor das Mädchen ohne weitere Komplikationen aus dem Haus führen konnte, folgsam wie eine seelenlose kleine Puppe.

Sie waren noch nicht ganz auf der Straße, als die Sirenen lostönten. Castor zuckte zusammen, aber konnte keine unmittelbare Bedrohung erkennen oder spüren, bis er auf das kleine Mädchen zu seiner Seite sah, die starr gen Himmel blickte. Er stupste sie vorsichtig gegen die Schulter, und die Worte klangen traumwandlerisch aus ihrem Mund. „Das sind die Bombensirenen."

Dreck. Er drehte sich wieder zum Haus um, dass hinter ihnen lag und von dem er bis eben noch geglaubt hatte, es würde keinen rationalen Grund geben, seinen Schützling noch einmal einen Fuß hineinsetzen zu lassen.

„Ihr habt einen Keller?" Das Mädchen nickte, immer noch langsam und bedächtig, aber Castor achtete kaum noch darauf, als er sie wieder die Stufen der Eingangstreppe hinaufzerrte, immer schön weggedreht vom Wohnzimmer.

Er war überrascht, den Keller gut gefüllt und tatsächlich mit Schlafplätzen ausgestattet zu finden. Diese Art der Vorsorge war etwas, was er nicht kannte, aber andererseits hatte Castor auch niemals zuvor in seinem Leben seinen Fuß auf eine Welt gesetzt, die seit Jahren Kriegsschauplatz war. Khilens angelernte Paranoia in dieser Hinsicht hatte sich wohl ausgezahlt.

Zabree hockte auf einem der Betten und hielt ihre Beine umklammert, während er versuchte, den Funkempfänger zum Laufen zu bringen. Er bekam nichts außer Rauschen zu hören. Vielleicht war das der Grund, aus dem man sie nicht vorgewarnt hatte... wenn der Alarm denn überhaupt gerechtfertigt war. Und wenn er ihren eigenen Truppen galt.

Sie saßen noch und schwiegen sich an, als das Krachen der ersten Erschütterungen tönte. Es war viel zu weit weg, um Castor nervös zu machen, aber das Mädchen zuckte jedes Mal zusammen.

Sie zitterte, und zuerst dachte er, dass es die Nervosität wäre, dann fiel ihm auf, wie kalt es eigentlich im Keller war. Er ließ einen der Schlafsäcke zu sich levitieren, packte ihn mit groben Griffen aus und warf ihn zur Twi'lek herüber, und sie vergrub sich bis zur Nasenspitze darin, sobald sie ihn in den Händen hielt. Dann starrte sie Castor weiter mit großen Augen an.

Die Detonationen klangen noch fort, als ihre leise, piepsige Stimme ertönte.

„Kannst du mir eine Geschichte erzählen?" Er blinzelte kurz. Kinderunterhaltung war in seinem Tagesplan eigentlich nicht vorgesehen. Andererseits, was sollte er groß anderes tun? Castor war nicht dumm genug, um jetzt rauszugehen, und selbst wenn er nichts mehr hörte, hatte er vor, zur Not noch zwei bis drei Stunden zu warten, bis man sich sicher sein konnte, dass die Straßen wieder ruhig waren. Sein Überleben war nichts, was er dem Glück anvertrauen wollte.

„Hm... was für eine Art von Geschichte?"

„Weiß nicht." Das Mädchen rümpfte die Nase. „Eine spannende. Von... Schmugglern oder Piraten oder Königen-"

„Ich hätte eine von einem Sithkönig.", murmelte Castor, der sich ganz sachte an sein jüngeres Ich erinnert fühlte und an die Diener und Hauslehrer, die seinen Geschichtendrang ihrerseits befriedeten. Zabree hob das Köpfchen abwartend, und er lehnte sich gegen die Wand und streckte die Beine auf seinem eigenen Bett aus, während es fern über ihnen donnerte.


„...doch die Jedi waren zu einfältig und zu dumm um zu erkennen, dass da irgendwas nicht stimmte. Ich meine, das ist nicht weiter verwunderlich – man hat ja schon damals in der Bibliothek gesehen, dass das nicht die hellsten sind. 'Was, er hat dir das Holocron in die Hand gedrückt, dich zum Meister ernannt und ist dann tot umgekippt? Ja, das klingt logisch, bitte, führe uns an!' Sowas machen auch nur Jedi. Kein anderes Wesen in der Galaxis könnte so blind sein. Sie sind also auf diesem Planeten, bei dem man die dunkle Macht an jeder Ecke nur so spürt, und seine loyalen Diener haben einen der Jedi bei den Schiffen angegriffen, also musste Exar Kun sich da irgendwie wieder rauswinden. Er hat ihnen eines der Sith-Artefakte gezeigt und dann riesiges Drama veranstaltet, damit alle abgelenkt waren – Jedi lassen sich sowieso sehr einfach ablenken, zum Teil, weil die wegen ihrer Enthaltsamkeit sonst gar nichts Gutes im Leben haben dürfen-"

„Nichtmal Schokolade?" Die Twi'lek starrte ihn entsetzt an, und Castor, der nicht eingestehen wollte, dass er keinerlei Ahnung von der Kalorienzufuhr heller Machtnutzer hatte, nickte mit ernster Miene.

„Nichtmal Schokolade. Gar keine Süßigkeiten. Wenn sie dich mit irgendwas außer Wasser, trockenem Brot oder Gemüse in ihrem Tempel erwischen, dann lassen sie dich meditieren, bis du vor Langeweile einschläfst. Noch ein Grund, warum Exar Kun da weg wollte."

„Wenn ich nichts anderes essen dürfte außer Gemüse, dann würde ich sofort mit dem ersten Sithlord mitgehen, der mir über den Weg läuft! Warum haben die so lange gewartet, bis sie Exar Kun gefolgt sind?"

„Jedi sind listige kleine Bastarde. Sie pfuschen ihren Padawanen so lange im Kopf rum, bis die glauben, sie würden Gemüse mögen. Darum nehmen die auch so gerne ganz, ganz kleine Kinder auf, die noch nie Schokolade gekostet haben, denn die kann man anlügen und ihnen erzählen, dass die sowieso nicht schmeckt." Castor sah kurz aufs Chronometer und entschied sich, zumindest noch eine halbe Stunde zu warten, während es vom anderen Bett meckerte:

„Also sagen sie, dass lügen böse ist, und machen es selbst?"

„Reichlich scheinheilig, hm? Soll ich weitererzählen?" Er wartete noch auf das Nicken, ehe er fortfuhr.


Als sie den Keller diesmal verließen, ging Castor vor und schloss die Tür zum Wohnzimmer sachte, bevor Zabree einen Blick ins Innere werfen konnte. Die Twi'lek, die in den letzten drei Stunden schon wieder lebhafter geworden war, drückte seine Hand etwas fester, als sie an der geschlossenen Tür vorbeiging, aber sparte sich die Fragen, auf die er keine Antwort hätte geben wollen.

Sie traten hinaus auf die Straße, und diesmal war sie gefüllter als bei seiner Ankunft. Es waren wohl größtenteils Anwohner, manche mit dem Zeichen der DAW und manche ohne, und falls es Verletzte zu beklagen gab, dann hatte man sie zumindest schon weggeschafft. Ihr Haus war unversehrt geblieben, aber man konnte das nicht von allen behaupten. Nicht weit von ihnen konnte Castor ein altes Paar erkennen, dass eng aneinandergedrückt reglos auf die geschwärzte Fassade und das zertrümmerte Obergeschoss des einstmals hübschen Hauses vor ihnen starrte, während eine junge Menschenfrau versuchte, beruhigend auf den Mann einzureden.

Er hatte zuerst vorgehabt, sich durch den Tumult zu stehlen und entweder einen Fleck zu finden, an dem sein Funkgerät funktionierte, oder aber bis zum Stützpunkt durchzudringen und Zabree dort abzuliefern, aber ihm wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht, als er die entsetzte Stimme hinter sich hörte.

„Breechen! Oh, ich hatte mir ja solche Sorgen um dich und deine Mama gemacht, bin ich froh zu sehen, dass es euch gutgeht! Wo ist sie denn..." Die enthusiastische Stimme der Frau wurde schwächer, als das Mädchen sich verkrampfte, und sie war ruhiger, als sie sich erkundigte: „Bree?" Castor musste nicht nach unten sehen, um zu spüren, wie das Kind so wild den Kopf schüttelte, dass ihre Lekku ihr um die Ohren schlackerten, aber als er sich umdrehte, bekam er mit, wie die Frau sich die Hände vor den Mund schlug, die Augen weit aufgerissen. „Oh... oh Bree, sie ist doch nicht... sie wurde doch sicher... und ich habe letzte Woche noch so hässliche Worte zu ihr gesagt, aber das war doch... ich meine... ich habe nur im Zorn gesprochen, ich wollte nie..." Er sah Tränen aus ihren Augenwinkeln quellen, und ehe er sich versah, hatte sie seinen Schützling an der linken Hand gepackt. „Komm erstmal zu uns, ja, Bree? Um die Ecke teilen sie warme Decken und heißen Tee aus, und meine Güte, du wirkst, als hättest du beides bitter nötig, bist ja schon ganz blass um die Nase, Mädchen, Mädchen..." Sie plapperte unablässig weiter, als würde sie das vor dem Nachdenken bewahren, und zerrte Zabree hinter sich her. Castor ließ das Mädchen los und folgte notgedrungen. Eigentlich wollte er keine weitere Sekunde hier verbringen, aber es würde zuviel Aufsehen erregen, wenn er jetzt einen Disput anzettelte, und auch, wenn er nicht zögern würde, ihn rasch mittels seines Lichtschwertes zu beenden, wäre es ihm unangenehm, wenn Zabree das ansehen musste. Er wollte sie nicht traumatisierter als nötig bei Khilen abliefern. Es würde sich schon ein Weg finden, dachte er. Alles kein Problem.

Er hielt den Kopf gesenkt, Mütze und Schal tief ins Gesicht gezogen, während sie auf einen kleinen Menschenpulk zusteuerte, der sich rund um einen Stand gebildet hatte, auf dem man Wasserkocher, Waschschüssel und einen riesigen Tassenstapel abgelegt hatte. Das Notstromaggregat stand direkt daneben, und die Leute hockten dicht beieinander, umarmten sich, wisperten tröstende Worte, während er hin und wieder trockenes Schluchzen vernahm. Die selbsternannte Führerin ihres Grüppchens drängelte sich mit Zabree an der Hand nach vorne, und erst, als auch das Mädchen einen großen Pott gesüßten Früchtetees in den Händen hielt, schien sie endgültig auf Castor aufmerksam zu werden. Sie besah ihn schweigend.

„Wer ist eigentlich dein junger Freund, Bree?" Ein Teil von Castor fühlte sich versucht, ihr auf Sithese zu erläutern, wohin sie sich den 'jungen Freund' stecken solle. Sie sprach mit ihm wie eine gluckenhafte Matrone, dabei war er letzten Monat bereits achtzehn geworden und seinem Selbstverständnis nach in keiner Definition des Wortes noch jemand, den man behandeln musste wie das mindestens zehn Jahre jüngere Twi'lekmädchen.

„Er ist schüchtern.", murmelte Zabree leise und nippte am Tee, und die Frau betrachtete ihn mit traurigem Lächeln.

„Ach, das ist doch nichts, wofür man sich schämen muss... und was heißt schüchtern, er wird in der letzten Woche mehr gesehen haben, als so ein Junge sehen sollte, die armen Kerle an den Barrikaden sind doch auch noch halbe Kinder..." Er schwieg sich aus, ohne dass sie das in ihrem Wortschwall groß beeinträchtigte.

„Seid bloß froh, dass ihr erst so spät nach draußen seid, ich habe noch mitgekriegt, wie sie die Leute in die Häuser gebracht haben. Der Ryko, dem hatte es die Arme kaputt gerissen, als sie ihn aus den Trümmern befreiten, und ich war absolut entsetzt, ich hab mir nur gedacht, wie soll der denn jetzt noch Klavier spielen, so gute Kybernetik ist doch für Normalsterbliche gar nicht zu bezahlen... Ganz jung ist er noch. Es sind immer die Jungen, bei denen man am meisten Angst kriegt, wenn man sowas sieht. Weißt du, mein Aron, der wäre jetzt in deinem Alter, wenn er nicht...- ich weiß, ich weiß, ich bin vielleicht zu hart zu Milena gewesen, ich vermisse ihn nur so schrecklich sehr... und sicher, ihr Ehemann hat nur seine Pflicht getan, aber warum musste es denn auch mein kleiner Junge sein? Ach, deine Eltern wissen gar nicht, wie glücklich sie sich schätzen können, dich zu haben..." Castor war sich in dem Punkt alles andere als sicher, aber seine Aufmerksamkeit war inzwischen auch abgelenkt. Irgendwas drängte sich an den Rand seines Bewusstseins, etwas, dass sorgte, dass sein Magen sich leicht zusammenkrampfen wollte, aber er konnte es beim besten Willen nicht fassen...

„-natürlich ein Mensch, nicht so wie du... also, du bist doch Fremdling? Ich meine, ich habe natürlich nichts gegen Fremdlinge, ich meine, die kleine Bree ist so ein bezauberndes und liebes Mädchen, und viele meiner besten Freunde sind Fremdlinge. Mein Aron, der hatte auch nie etwas gegen Fremdlinge-" Castor hatte gelernt, auf seine Intuition zu hören, und die riet ihm, den Blick gen Himmel zu richten und den Horizont abzusuchen. Er weitete die Augen.

„-dieses Mädchen in der sechsten Klasse, so ein hübsches Ding, und mein Mann war zuerst vorsichtig, aber an sich ist das auch ein fremdlingsfreundlicher Mensch so tief im Herzen, und ich sagte ihm, wenn sie den Aron glücklich macht, dann wirst du ihm das gefälligst nicht kaputt machen, und eine zeitlang war das ein Streitthema, aber natürlich haben wir uns wieder vertragen, denn ich weiß, ohne mich kann er doch nicht, und jetzt sieht er das alles viel gelassener-"

„Halt den Mund.", kam es diesmal schroff und nicht unbedingt schüchtern von Castor. Er schob die Leute beiseite und schnappte ein schmales Handgelenk. Es klirrte laut, als die Tasse zu Boden fiel, aber Castor achtete nicht darauf, er drängte sich schon durch die Leute zurück auf die Straße und half mit Macht nach, wenn die Ellbogen nicht mehr ausreichten. Wütende Rufe ertönten, während er die Entfernung abschätzte. Zu weit. Sie konnten es nicht mehr rechtzeitig zurück zu Khilens Haus schaffen.

Inzwischen hatten wohl auch einige andere Personen zum Himmel gesehen und den dichten Teppich dunkler Punkte entdeckt, der inzwischen mehr als doppelt so groß schien seit seinem letzten Hinschauen.

Castor entschied sich für das herrschaftlich erscheinende Haus auf der linken Seite der Straße. Plünderer mussten vor längerem ähnlich gedacht haben wie er, denn die Fenster waren eingeschlagen. Castor stieß das schmiedeeiserne Tor auf und zerrte Zabree über den Kiesweg, und am Rande seiner Wahrnehmung konnte er sie jammern hören. Er solle nicht so hart zudrücken, das würde wehtun, Worte, die an ihm vorbeirauschten.

Castor trat die Tür beim zweiten Anlauf und mit Zuhilfenahme von etwas Macht auf, und der Gestank von Verwesung schlug ihnen aus dem Flur entgegen. Unwichtig. Er riss die Türen auf, und sein Herz raste in seiner Brust, bis er eine hatte, von der schmale Stufen in einen dunklen steinernen Keller herab führten. Kein Vergleich zu dem isolierten Schutzbunker in Khilens Haus. Spärliches Licht drang durch die angeklappten Kellerfenster herein, und vage konnte er ausmachen, wie die Menge auf der Straße wogte, während ihre Rufe zu ihnen drangen. Er spürte ihre Präsenzen in panischer Ungewissheit pulsieren, und einige von ihnen schienen sich nun auch dem Haus zu nähern, in dem er und Zabree Zuflucht gesucht hatten.

Die Sirenen waren stumm, immer noch, und der taktische Teil von Castors Verstand kam nicht umhin, die Idee zu bewundern. Zu warten, bis die Leute wieder auf der Straße waren – und irgendwann mussten sie herauskommen, Neugierde und Sorge ließen sich nicht ewig zurückhalten – und sich um die Verletzten kümmerten, und dann gleichzeitig die Frühwarnsysteme auszuschalten... Die Idee war gut. Und hässlich.

Als die stolpernden Schritte von der Kellertreppe ertönten, konnte er bereits die anderen Präsenzen spüren, weit, weit über sich, und sie schienen ihm so unglaublich kühl und gefasst in diesem Moment. Das mochte vielleicht auch an seiner eigenen Angst liegen.

Ein junges Menschenpärchen kam zuerst hereingestolpert, eine alte Dame und zuletzt drei Halbstarke mit DAW-Plaketten folgten. Einer von ihnen motzte noch.

„Ich habe bis jetzt keine Einschläge gehört! Warum glaubst du überhaupt, dass die hier was sprengen wollen? Dann wären doch die Sirenen losgegangen!"

„Hast du nicht gesehen, was die Jäger für komische Kisten unten hatten? Ich sags dir, das ist irgendein imperialer Scheißdreck, die wollen doch-" Er verstummte. Sie alle verstummten. Castor hatte die Container auch gesehen, riesige Blechbehältnisse, die jeweils an zwei kleinen Jägern festgemacht waren, und selbst er hatte nicht zu bestimmen gewusst, welchem Zweck sie dienen sollten.

Dann, vor wenigen Momenten, hatte er gespürt, wie die Präsenzen am Himmel zum Tiefflug ansetzten, und es musste sich einer der Container geöffnet haben, denn anders war es nicht zu erklären, wo die Flüssigkeit herkam, die sich aus heiterem Himmel über den dicht gedrängten Menschenpulk ergoss, die Straße hinab und in die Vorgärten hinein. Er war geistesgegenwärtig genug, das Kellerfenster mit Macht zuzuschlagen, als er den Geruch erkannte.

„Das ist... das ist..." Die Stimme des Jungen hinter ihnen erklang nur stockend, und man hörte leises, verhaltenes Surren von draußen, als die einzelne Rakete auf die Straße niederging. Vermutlich hatten sie es in der ganzen Stadt so gemacht, überall dort, wo die Menschen sich nach dem ersten Scheinangriff im Pulk gesammelt hatten. Es war leiser als Bomben. Der Junge fand seine Sprache wieder.

„Benzin?" Castor sah den Feuerball, der sich dem Haus entgegenrollte, und spürte das Beben und wie das Glas unter der Hitze beschlug und seine Ecken sich rußig färbten. Es hielt.

Castor legte seine Hand auf Zabrees Augen, aber er selbst blickte hin. Vermutlich half es nicht fiel. Der Keller war schlecht gedämmt, und selbst wenn man die Hitze außer Acht ließ, die durch die Steinmauern schlug, hörten sie trotzdem noch die Schreie. Er hatte den Geruch nach verbranntem Fleisch in der Nase, und er wusste nicht, ob es von draußen oder nur aus seinem Kopf stammte.

Sie standen erstarrt wie Wachsfiguren, auch noch, nachdem draußen niemand mehr rannte, keiner schrie, keiner um sich schlug und versuchte, sich irgendwohin zu retten. Es hatte vermutlich weniger lange gedauert, als es ihm vorgekommen war, und nun tobten nur noch hungrige Flammen über die Straße und fraßen sich in die Gärten und Auffahrten hinein. Er hätte nicht behauptet, dass sie hier sicher waren, aber zumindest sicherer als draußen, und nur das zählte im Moment.

Die alte Frau war die erste, die sich auf den Steinboden niederließ. Alle anderen machen ihr es mit der Zeit nach, in kleinen, separierten Grüppchen. Der einzige Ton, der durch den Keller drang, war das erstickte Schluchzen des jungen Menschenmädchens. Zabree hielt Castors Hand noch, aber sie schwieg nun wieder und ihre Augen waren glasig wie die einer Puppe. Er selbst konnte nicht abschalten. Er schielte immer wieder zur geschlossenen Kellertür, durch deren Spalt rotes, feuriges Glühen leuchtete. Von Zeit zu Zeit war Prasseln und Knacken hörbar. Inzwischen war auch hier unten nichts mehr vom Winter zu spüren.

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