Birthright
Betrete das Haus, und es fühlt sich an, als würdest du in der Zeit zurückreisen.
Aranaidta ist Dhasis Bollwerk gegen den Verfall, und wenn man in durch die Tore tritt und sich in den Sumpf ziehen lässt, gelangt man in eine Welt, in der alles besser war, in der der Krieg nicht allgegenwärtig ist, sondern nur lästiges Nebengeräusch, weit, weit entfernt in der Galaxis. Eine Welt, in der Grotthu ihren Platz kennen und die ganze bekannte Galaxie gehorsam zu Göttern betet, die keine sind.
Die Schönheit der Anwesen liegt in Geometrie und klaren Linien, in kühlen, dunklen Farben und sorgfältiger architektonischer Anordnung. Die Fassaden sind gepflegt, die Enden der flachen Dächer ragen zum Himmel auf, und die Außenbereiche sind durch kunstvolle, überdachte Säulengänge miteinander verbunden. Grün wird sparsam, aber eindrucksvoll verwendet, und ein überwiegender Teil der Gärten besteht aus Stein und edlen Mineralien, die von geschickter Hand behauen wurden und imposante Szenen aus der Geschichte der Rasse und der Familie darstellen. Klare, passgenau angelegte Bäche fügen sich in das Muster ein und erstrecken sich zu Seiten der Brücken und Übergänge, ehe sie zusammenfließen und im See münden, der die Terassen auf der Ostseite des Grundstücks umgibt.
Du hast ihn kennengelernt, nicht wahr? Es ist ein tiefer, dunkler See, viel tiefer und dunkler, als man annehmen würde, wenn man das morgendliche Frühstück auf der Terasse einnimmt und Steine über seine schimmernde Oberfläche flitscht. Er ist vor allem dann tief und dunkel, wenn du ein kleiner Junge in einer geschlossenen Kiste bist und man dich auf seinen Grund sinken lässt.
Es ist ein Spiel, hatten sie gesagt. Wir testen nur deine Machtfertigkeiten. Wir wollen sehen, wie schnell du dich aus der Kiste befreien und an die Oberfläche kommen kannst. Du hast das Spiel gewonnen und gelacht, und deine Wangen haben vor Stolz geglüht, als Großmutter Dhasi dich lobte. Du hast niemals gefragt, was geschehen wäre, wenn du das Spiel verloren hättest. Du hast niemals gefragt, warum da so viele andere Kisten am Grund des Sees waren, und nicht jede von ihnen war offen.
Die 'Aranaidta' sind eine Ansammlung von Anwesen und Plantagen auf der Grenze zwischen Setar und Nouliarra, nahe an den weitläufigen Sumpfgebieten gelegen, für die Nouliarra so berühmt ist. Was nicht an Lebensmitteln und Gütern aus den weiter entfernten Städten angeliefert wird, stellen die Bewohner über Eigenanbau her – oder lassen es vielmehr herstellen, gemessen am hohen Anteil von Sklaven, die die Plantagen bewohnen. Der einzige Grund, aus dem die Familie D'nramar hier seit Generationen lebt, ist die dunkle Seite, die den Boden tränkt, aber andererseits stammt ein Großteil der Macht im Boden daher, dass das Land seit Generationen von einer Sithfamilie bewohnt wird.
Wahrheit und Wirklichkeit sind Konzepte, die hier sehr einfach definiert werden können. Was Großmutter Dhasi sagt, ist wahr. Was Großmutter Dhasi sagt, ist wirklich.
Dein Name ist Castor D'nramar, und du möchtest umkehren, ehe du auch nur einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hast.
Es fühlt sich ungewohnt an, wieder Kleidung zu tragen, die nicht allein auf praktische Komponente abgestimmt sind, und dein Körper kommt dir beängstigend leicht vor ohne all die Rüstung. Die Narben in deinem Gesicht wurden herausgeschnitten und mit Synthfleisch ersetzt, dein wild wuchernder Haarschopf auf Schulterlänge gekürzt, und wenn du in den Spiegel schaust, dann erkennst du dich selbst kaum wieder, weil tote Haut und verschobene Knochen fehlen und das Ding, was dir entgegenblickt, so normal, beinahe ansehlich aussieht und nicht, als würde es von Zeit zu Zeit aufwachen und beim Zähneputzen grübeln, was für eine Verschwendung von guten Organen dein fortgesetztes Am-Leben-Sein doch ist. Die ungewohnten, feinen Stoffe fühlen sich fremd auf deiner Haut an, und deine Finger in den Handschuhen sind steif und unbeweglich. Es ist Monate her, seit dir der Großteil von ihnen genommen wurde, und der Ersatz ist einen Dreck wert. Einzig deine Sturköpfigkeit hindert dich daran, dir funktionierenden kybernetischen Ausgleich zu beschaffen. Willst du anfangen, auf fremde Maschinen zu vertrauen? Was kommt als nächstes, das Vertrauen zu anderen Personen?
Xantico begrüßt dich, noch ins Geplauder mit den anderen Gästen vertieft, und du bist erleichtert, denn das bedeutet, dass dich niemand zwingen wird, Worte zu wechseln. Die drei Standartsätze, die du für den Fall unvorhergesehener Gespräche parat hast, sind in der Regel schnell erschöpft und zusätzlich beginnst du in ihrem Geplauder zu rasch, das Interesse zu verlieren. So ist es seit Vyatnym, und auch wenn du dir einbildest, dass all die Erinnerungen dich weniger häufig überwältigen, ist es immer noch oft genug. Du vertraust dir nicht, wenn es um Sozialkontakte geht, nicht einmal dann, wenn du nichts weiter tun musst als lügen.
Die Themen, die tatsächlich interessieren – 'Zu wem flehst du, wenn du deine Eingeweide zurück in deinen Körper pressen musst? Wann hast du das letzte Mal gemerkt, dass du dich selbst anlügst? Was ist dein Grund, am Leben zu bleiben?' - sind in dieser Atmosphäre ohnehin nicht tauglich. Du bezweifelst, dass es noch für einen gesunden Geist spricht, wenn alles abseits davon deine Aufmerksamkeit nicht halten kann, aber hier ist kein Ort, an dem du Hilfe erwarten könntest.
Dein altes Zimmer ist noch erstaunlich gut erhalten, einmal abgesehen vom Mangel an Kinderspielzeugen. Die Wände sind voller Bilder – gestalterische Schreckensvisionen von Yoan Henry Vuzeli oder Gamves Moraux, den du erst mit späteren Jahren zu schätzen gelernt hast, und über deinem Bett hängen immer noch 'die Beschenkten' von Delvyll. Du bist dir ziemlich sicher, dass du es früher weniger zynisch betrachtet hast. Bücher gibt es keine.
„Du weißt doch, wie gerne deine Mutter gelesen hat.", raunt Dhasi in ihrer sanften Stimme, während du den trotzigen Ausdruck in deinen Augen nicht ganz verbergen kannst. „Du weißt, was es mit ihrem Geist angerichtet hat. Hat sie wahnsinnig gemacht. Du bist, was mir von meiner geliebten Tochter bleibt, und dein Verstand ist so viel schwächer als ihrer. Ich möchte dich nicht auf dieselbe Art und Weise verlieren, mein kleiner Schatz." Die Worte fließen wie Honig von ihren Lippen, und du fühlst die Ruhe, die dich überkommt, während deine Hand noch ein wenig zuckt, als könne sie die Blitze nicht vergessen, die kurz zuvor durch dich geflossen sind. Großmutter Dhasi hat Recht. Du hättest ihr das mit den Büchern nicht verheimlichen sollen. Die Schmerzen hast du dir selbst zuzuschreiben. Hör auf, von Dingen wissen zu wollen, die nicht für dich bestimmt sind. Begnüge dich mit dem, was man dir erzählt und was andere dir beibringen. Großmutter Dhasi hat es dir von Anfang an gesagt.
Ein offener Geist wie eine offene Wunde, empfänglich für Gift.
Die Beerdigungszeremonie wurde kurz gehalten, zu deiner Freude. Das einzige, was du bedauern konntest, war, dass Yemja, diese Hexenhure, nicht schon eher gestorben war. Scheiße, wären weniger Leute drumherum und der Sarg offen, du hättest mit dem Gedanken gespielt, hineinzupissen für ein wenig Genugtuung, aber man konnte nicht alles haben. Dennoch zeigte dein Gesicht Bedrückung, genauso wie das ihres Sohnes. Du ahnst, dass er nicht weniger erleichtert über ihr Ableben ist als du.
„Mutter Dhasi weiß dich sehr zu schätzen, Castor. Du solltest ein wenig dankbarer sein." Du bist bald zehn Jahre alt und ziehst es vor zu Schweigen. Bisher hast du die Erfahrung gemacht, dass alles, was man zu Yemja sagte, die falschen Worte enthielt. „Ein wenig verwunderlich, nicht wahr?" Yemjas Stimme klingt nach aufmunterndem Lächeln. „Diese Hure, die sich meine Schwester nennt, kann davonlaufen, sich Abschaum anlachen und ein räudiges, dummes Bastardbalg in die Welt setzen, und dennoch bringt meine Mutter ihm mehr Aufmerksamkeit entgegen, als sie für meinen Sohn übrig hat. Was meinst du, Castor, woran liegt das? Ist es, weil du deiner Hurenmutter so ähnlich bist? Sie war die Talentierteste von uns Dreien, weißt du? Mutter Dhasi hat sich in ihr wiedererkannt. Und all das wirft das Drecksstück weg, für unsinnige Worte und falsche Ideen... vielleicht seid ihr euch doch nicht unähnlich, was die Geistesgaben angeht."
Du hockst still da und lässt die Murmeln um dich herumsirren. Deine Augen sind geschlossen, aber du kannst spüren, wie Yemja an dich herantritt und ihre Krallen über deinen Nacken kratzen, während sie mit ihrer sanften, melodischen Stimme redet. „Aber ich habe keinen Grund, mich aufzuregen, nicht wahr? Die meisten Dinge regeln sich irgendwann von selbst." Ihr Nagel fährt von deinem Hals über dein Rückgrat, und sie übt genug Druck aus, um die Berührung an den einzelnen Wirbeln schmerzhaft zu gestalten. Macht keinen Unterschied. Du hast genug Konzentration, um die Telekineseübung aufrecht zu erhalten. „Ich bin überzeugt, dass das auch in deinem Fall so sein wird, Castor." Nicht antworten. Nur auf die Aufgabe konzentrieren. Wenn du antwortest, beginnt sie, dir wehzutun, testet die Dinge, für die sie keine Sklaven nehmen kann, weil Sklaven nicht machtsensitiv sind. Manchmal macht sie auch andere Dinge, und sie sind nicht weniger unangenehm. Sie haben dich nur verstehen lassen, warum Yemjas Sohn zusammenzuckt, wenn man ihn berührt.
Aber das ist okay. Du würdest nichts lernen, würde es nicht wehtun, wenn du es falsch machst.
Anshai steht außerhalb der Grüppchen von festlich gekleideten Reinblütern, in eigene Gedanken versunken. Er kehrte nach Hause zurück, nachdem er Korriban hinter sich brachte, und wurde hier unterrichtet. Vor vielen Jahren warst du neidisch auf ihn, aber inzwischen glaubst du, du hast es besser getroffen, als man dich an die Front abschob. Sein Blick ist auf den Sarg seiner Mutter gerichtet, und die Kieferknochen am Hals treten hervor, angespannt. Sein Blick flackert zu dir herüber, als du dich neben ihn stellst, aber verharrt nicht lange. Du bist weder Politiker noch Mystiker und damit für ihn kaum Bedrohung.
„Mein Beileid.", sagst du, die Stimme gesenkt, aber es liegt ein sarkastisches, grimmiges Lächeln auf deinen Lippen. Genausogut hättest du ihn beglückwünschen können. Anshais Mundwinkel heben sich einen Moment lang amüsiert. „Danke." Klingt ernstgemeint. Er atmet noch einmal ein, nimmt sich eines der Gläser und strebt zu den Grüppchen plaudernder Reinblüter hin, um weitere Beileidsbekundungen anzunehmen. Bei ihnen bleibt seine Miene steinern.
Kannst du dich noch an deine eigene Mutter erinnern? Irgendwo in deinem Kopf sind blasse, verschwommene Eindrücke, und es riecht nach Behaglichkeit und Zuneigung und einer Sicherheit, die man nicht in Gefangenschaft findet. Zu dem Zeitpunkt, zu dem du begonnen hast, feste Erinnerungen zu formen, ist aber bereits alles so, wie es sein soll. Du wächst bei den D'nramars auf, und man gewöhnt sich an deine Anwesenheit, auch wenn dein ganzes Äußeres dein verwässertes Blut in die Welt schreit. Deine Mutter ist verrückt, weil sie die falschen Dinge denkt und – irgendwann, vor langer Zeit, die falschen Dinge getan und gesagt haben muss – und du siehst sie ganze zwei Mal in deinem Leben. Beide Male gefallen dir nicht.
Chirina ist eine stille, eingesunkene Frau mit wilden Augen. Sie erkennt dich nicht, aber zumindest ist sie sehr höflich und spricht nett, und Großmutter Dhasi erklärt dir, dass das nur der Fall ist, weil man deiner Mutter verziehen hat und ihr geholfen hat, von ihren Irrwegen abzukommen. Vorher war sie wilder. Wollte ihre Medizin nicht stumm schlucken.
Irgendwann, als du sieben bist, stirbt sie, und das ist ein wenig seltsam, denn sie war nicht krank, aber du bist zu beschäftigt mit Training, Lernen, Spielen und Forschen, um eine Frage darüber zu stellen. Dein Vater ist nicht da.
Die erste und einzige Erinnerung, die du an deinen Vater hast, ist die seiner Hinrichtung. Das klingt bei Weitem unangenehmer, als es sich verhielt – Eigentlich war es ein sehr schöner Tag. Es war warm und sonnig, die Luft roch nach Frühling, und Großmutter Dhasi hielt dich im Arm und hatte dir Schokolade gegeben, die an deinen Fingern kleben blieb, als du gespannt verfolgt hast, wie man ihm die Haut vom Fleisch schälte.
Es kam so gut wie nie vor, dass sie sich so rührend um dich sorgte. Viel später erzählte Tante Veeris dir, dass Dhasis Zuneigungsbekundungen zum Großteil darauf zurückzuführen waren, dass deine eigene Mutter in ihrer Zelle zugesehen hatte und Schaum vor ihrem Mund bekam beim Gedanken, dass Dhasi ihren Liebsten tötete und ihr Kind zu all dem machte, vor dem sie eigentlich fliehen wollte... aber was macht das schon für einen Unterschied, letzten Endes?
Bisher hilft es, eine beschäftigte Miene aufzusetzen, denn sie hindert die anderen daran, dich anzusprechen. Während du dich durch die Gänge des Anwesens bewegst und den verstreuten Gruppen großzügig ausweichst, huschen deine Augen umher, auf der Suche nach etwas, was du als kurzen Ruheort nutzen könntest oder was deine Aufmerksamkeit fesseln kann. Zweimal bieten dir Sklaven Snacks und Getränke an, die du ablehnst, und dann siehst du ihnen einen Moment stumm hinterher und fragst dich, ob sie sich an dich erinnern. Khilen war der Erste, der dir den Gedanken nahebrachte, dass Fremdlinge Gefühle haben. Auf Aranaidta vertritt man gegenteilige Ansichten.
Sie nennen es Sklavenpferche, weil die Sklaven hier nur Vieh sind. Man gibt ihnen Futter, einen Platz zum Schlafen und Möglichkeiten zur Fortpflanzung in geregeltem Rahmen, aber abgesehen davon ist ihr Dasein in strikte Regeln eingebunden.
Manchmal schlachtet man sie. Die D'nramars haben traditionelle Gerichte, die bisweilen Blut oder Fleisch von Humanoiden erforderten, und der bittere Kupfergeschmack darin, der die meisten Lebewesen von ausgiebigen Kostproben abhält, ist für ihre Geschmacksknospen kaum erkennbar.
Es ist Veeris, die dich das erste Mal in die Pferche mitnimmt, und du bist aufgeregt, aber nicht auf die unangenehme Art und Weise. Veeris will dir beibringen zu schlachten. Sie sagt, dass es wichtig ist, nicht davor zurückzuscheuen, Blut und Innereien an den Fingern zu haben und Gestank und Schreie zu erleben.
Dir ist übel, als es zuende ist, aber du hast dich gut gehalten. Dein Mageninhalt befindet sich noch dort, wo er hingehört. Veeris lobt dich, und du lächelst geschmeichelt, während das lebende Vieh ihren toten Artgenossen wegräumt.
Deine Puppe heißt Lliulan, und du spielst sehr gerne mit ihr. Sie ist ein echtes Prachtexemplar, kann sprechen, Gesichtsausdrücke machen, und oft genug tust du so, als wäre sie lebendig, so wie du, und ihr müsst zusammen Abenteuer erleben. Am meisten magst du es aber, wenn Dhasi dich zu ihr bestellt und dir aufregende neue Bastelideen für die Spiele zeigt. Wie eine leere Augenhöhle aussieht, wie man einen Darm entfernt, ohne den Besitzer sofort zu töten, wie ein humanoider Körper aufgebaut ist und wo du zustechen und zupacken musst, um Reaktionen zu bekommen. Meistens musst du deine Puppe danach wegwerfen, und du bekommst eine neue, eine männliche oder eine weibliche. In vielen Fällen ist es ein ansehliches Wesen, trotz komischer Tentakel oder falscher Hautfarben, und in den meisten Fällen nennst du sie wieder Lliulan. In den Sklavenpferchen fangen viele von den älteren weiblichen Grotthu an zu jammern, wenn du dir neues Spielzeug aussuchen darfst, aber man hat dir erklärt, dass das normal ist. Vieh reagiert irrational, über so etwas muss man sich keine Gedanken machen.
...Musste man nicht. Vergangenheit. Es ist faszinierend, wie weit man sich seine Welt verfremden kann, wenn man von seinem Umfeld unterstützt wird. Zumindest findest du es interessant, irgendwie, rückblickend.
Zielloses Umherlaufen beschäftigt immer nur eine Weile, in diesem Fall so lange, bis Harror dich anhält und dir bedeutet mitzukommen. Du fügst dich. Welche andere Möglichkeit gäbe es auch?
Lord Dhasi empfängt dich in ihrem persönlichen Flügel, in dem sich die Hauptfamilie in kleinerem Kreis versammelt hat.
Sie war niemals eine Schönheit, auch nicht, als du jünger warst, aber erst mit den Jahren fiel dir auf, wie verzweifelt sich ihre fahle Haut an ihre Knochen klammerte und wie tief die Augen in ihren Höhlen lagen. Das Reinblut im Rollstuhl könnte für tot gehalten werden, wäre nicht ihr wacher, intelligenter Blick und ihre immerpräsente Machtaura im Hintergrund.
Auch das war nichts Neues. Dhasis körperliche Hülle wirkte schon immer mehr tot als lebendig, und manchmal überlegst du, ob es allein die Hilfe der Macht ist, mit der sie sich ans Leben klammert. Wie alt das Reinblut sein mochte, wusstest du nicht. Du hattest deine Tanten gefragt, und sie hatten die Frage abgeschmettert, und allmählich bist du ohnehin zu der Überzeugung gelangt, dass es keiner wirklich weiß.
Dhasi benötigt ihren Körper ohnehin nicht, Solange sie die Macht hat, ist sie gewappnet, schützt sie ihr Haus und ihre Familie gegen alles, was Änderung oder Wandel bedeuten könnte. Du kniest, als sie begrüßende Worte an euch richtet, und wagst es erst wieder frei zu atmen, als du ihren Blick nicht mehr auf ihr spürst. Bei den weiblichen Familienmitgliedern begnügte sie sich mit Verbeugungen zur Respektbezeugung -
Aber Männer waren ohnehin noch nie groß geschätzt in der Familie D'nramar. Dhasi sagte, man brauchte sie für das körperliche Arbeit, das Töten und die Fortpflanzung, alles andere gehörte in die Hände fähigerer Personen.
Du sitzt auf ihrem Schoß und summst Kinderlieder, während ihr beobachtet, wie vor euch die Krieger in Stücke gerissen werden, die Dhasis Befehle nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt hatten. Du jubelst und klatscht, wenn sich die Zähne der Bestien ins Fleisch der Gefesselten graben und die Gliedmaßen von ihrem Körper fortreißen, und Dhasi lächelt wohlwollend. Was genau sie falsch gemacht haben, weißt du nicht, aber wenn Großmutter sagt, dass sie Fehler begangen, hinterfragt man es nicht. Du kanntest die Männer. Sie waren nett zu dir gewesen, aber im Moment verdrängst du es. Hinrichtungen im Hause D'nramar sind auch in jungem Alter schon eine schöne Sache. Für einen Moment helfen sie, sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Wie unangenehm das Leben der Zuschauer auch sein mag – zumindest haben sie noch eines.
„Schau hin und präg es dir ein. Männer sind immer nur so viel wert. Männer sind Jungen. Wenn du im Leben Nutzen haben willst, dann folg den Anweisungen von denjenigen, die es besser wissen." Du kicherst und nickst, und selbst wenn du alt genug gewesen wärst, um ihre Worte zu reflektieren, ist fraglich, ob du es getan hättest.
Du bist dir sehr sicher, dass Dhasi dich liebhat, denn sie ist nett zu dir, verhätschelt dich, gibt dir Geschenke und Süßigkeiten und viel mehr Aufmerksamkeit als den anderen Kindern. Als du älter wirst und den Jahren näherkommst, in denen du in die Akademie eintreten wirst, lässt das nach. Erst auf Korriban fällt dir auf, dass sie so liebevoll und zutraulich zu dir gesprochen hat, wie sie es mit ihren Haustieren tut, all den kleinen Bestien der dunklen Seite, die sie um sich hält. Empfindsamen Wesen gegenüber tritt sie unterkühlter auf, aber sie respektiert sie... oder erkennt ihre Existenz an. Wie man will.
Grotthu sind Vieh für sie, und dein Vater war kein Reinblut. Du weiß nicht, als was genau sie dich gesehen haben mag. Je älter du wirst, desto weniger bist du dir sicher, ob du es wissen willst.
Du verabschiedest dich noch am selben Abend. Würdest wirklich, wirklich gerne länger bleiben, aber man hätte dich vor Kurzem wieder an die Front zurückbeordert, und so ungern du die traute Familienzusammenkunft auch verlässt, so ungern würdest du Großmutter Dhasi und dem Namen der Familie Schande bereiten, wenn du den Ruf des Imperiums ungehört verhallen lässt. Sie begegnet dir mit Verständnis. Auch wenn du es nicht laut zugibst, du bist froh, dass man dich so einfach gehen lässt. Die stille, kalte Faust, die deine Eingeweide im Griff trägt und prickelnde Furcht über dein Rückgrat sendet, ist immer da, jede Sekunde, die du auf diesen Ländereien zubringst. Ganz egal, wie viel du meinst, gelernt und erlebt zu haben, du kehrst hierher zurück und fühlst dich wie ein kleiner, dummer Junge, der nur alles richtig machen möchte.
Wenn man ein neuer Mann sein möchte, muss man an neuen Orten bleiben und neue Dinge mit unbekannten Leuten erleben. Wenn du dich in den gleichen alten Bahnen bewegst, was anderes könntest du sein als die gleiche alte Person?
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